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DOI: 10.1055/s-0035-1559850
Muskelinvasives Harnblasenkarzinom – Blasenerhaltende Therapie
Autoren
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
30. Juli 2015 (online)
Die Standardbehandlung beim muskelinvasiven Harnblasenkarzinom umfasst die radikale
Zystektomie. In einigen Fällen ist jedoch ein blasenerhaltendes Vorgehen möglich,
das auf der möglichst vollständigen transurethralen Resektion des Tumors (TURB) sowie
der Radiochemotherapie beruht. Die US-amerikanische „Radiation Therapy Oncology Group“
(RTOG) hat die langfristige Prognose dieser Patienten analysiert.
J Clin Oncol 2014; 32: 3801–3809
mit Kommentar
In ihrer gepoolten Sekundäranalyse werteten die Autoren die Daten von 468 Patienten (klinisches Tumorstadium T2–4a, kein Lymphknotenbefall, keine Fernmetastasen) aus. Diese waren zwischen 1988 und 2007 im Rahmen von 5 Phase-II-Studien und 1 Phase-III-Studie nach TURB mittels verschiedener Radiochemotherapie-Schemata behandelt worden. Die Patienten wurden regelmäßig klinisch, zystoskopisch-bioptisch sowie mittels Urinzytologie nachbetreut. Bei Versagen der lokalen Tumorkontrolle wurde bei nicht muskelinvasiven Läsionen eine intravesikale Behandlung erwogen, und bei muskelinvasiven Tumoren erfolgte eine radikale Zystektomie.
Das mediane Alter der Patienten betrug 66 Jahre (Range 34–93) und das mediane Follow-up 4,3 Jahre (alle Patienten) bzw. 7,8 Jahre (Überlebende; n = 205). Ein klinisches Stadium T2, T3 bzw. T4a lag in 61 %, 35 % bzw. 4 % der Fälle vor. Eine Komplettremission (CR) fand sich bei 69 % der Patienten.
Nach 5 bzw. 10 Jahren betrug
-
das Gesamtüberleben (Overall Survival; OS) 57 % bzw. 36 %,
-
das krankheitsspezifische Überleben (Disease Specific Survival; DSS) 71 % bzw. 65 %,
-
die Rate nicht muskelinvasiver Lokalrezidive 31 % bzw. 36 %,
-
die Rate muskelinvasiver Lokalrezidive 13 % bzw. 14 % und
-
die Fernmetastasierungsrate 31 % bzw. 35 %.
Nach 5 Jahren waren 191 Patienten (24 %) aufgrund ihres Blasentumors verstorben. 80 % der Überlebenden hatten eine intakte Blasenfunktion. Patienten mit CR nach Abschluss der multimodalen Therapie hatten im Vergleich zu Patienten ohne CR ein signifikant höheres 5- und 10-Jahres-DSS. Nach Zystektomie (n = 100; 21 %) betrug das 5- und 10-Jahres-OS 45 % bzw. 18 % und das 5- und 10-Jahres-DSS 60 % bzw. 47 %. Ein höheres T-Stadium (T2 vs. T3/4) war mit einem geringeren 5- und 10-Jahres-OS und -DSS assoziiert. Ältere und jüngere Patienten unterschieden sich nicht hinsichtlich der CR- und der DSS-Rate.
Nach blasenerhaltender multimodaler Behandlung, so das Fazit der Autoren, haben Patienten mit muskelinvasivem Blasenkarzinom ein vergleichbares langfristiges krankheitsfreies Überleben wie mittels radikaler Zystektomie therapierte Patienten. Aufgrund der geringen Rate muskelinvasiver Rezidive sowie der geringen Spätrezidiv- und der hohen Blasenerhaltrate sei diese Therapiestrategie insbesondere für ältere Patienten sowie für Patienten, die ein organerhaltendes Vorgehen wünschen, eine sichere und effektive Alternative zum chirurgischen Vorgehen. Mak et al. empfehlen eine aggressive transurethrale Tumorresektion und betonen die Notwendigkeit einer regelmäßigen zystoskopischen Nachsorge, um gegebenenfalls notwendige weitere Behandlungen rechtzeitig einleiten zu können.
Strahlentherapie als mögliche Alternative zur radikalen Zystektomie?
Die radikale Zystektomie mit pelviner Lymphadenektomie ist der therapeutische Standard beim nicht metastasierten, muskelinvasiven Blasenkarzinom. Zudem legen zahlreiche retrospektive Studien und eine aktuelle Metaanalyse nahe, dass eine erweiterte pelvine Lymphadenektomie gegenüber keiner oder einer eingeschränkt durchgeführten Lymphadenektomie einen Überlebensvorteil für den Patienten generiert. Zusätzlich ist evident, dass eine präoperativ durchgeführte Chemotherapie das Gesamtüberleben von Patienten mit einem muskelinvasiven Blasenkarzinom signifikant verbessern kann.
Eine definitive Strahlentherapie in Verbindung mit einer begleitenden, lediglich radiosensibilisierenden Chemotherapie ohne systemischen Effekt soll ausgewählten Patienten ebenfalls ein vergleichbares krankheitsfreies Überleben – mit weitgehend intakter Blase – ermöglichen. Bei diesem Konzept erfolgt die Operation nur als Option im Rahmen einer möglicherweise erforderlichen Salvagetherapie, auf eine systemisch wirksame Chemotherapie wird gänzlich verzichtet. Eine pelvine Lymphadenektomie ist ebenfalls nicht Bestandteil des Behandlungsplans.
Die Analyse von insgesamt 5 Phase-II-Studien und 1 Phase-III-Studie mit insgesamt 468 Patienten mit muskelinvasiven Tumoren, die die US-amerikanische Radiation Therapy Oncology Group (RTOG) vorgelegt hat, vertritt nun erneut diese These. Diese gepoolte Analyse mehrerer Studien reiht sich in monozentrische Beobachtungsserien aus Zentren mit entsprechender Erfahrung ein.
Die hier behandelten Patienten waren im Median 66 Jahre alt. 61 % der Patienten hatten klinisch einen cT2-, 35 % einen cT3-, der Rest einen cT4a-Tumor. Patienten mit klinisch positiven Lymphknoten oder Fernmetastasen waren in den Studien ausgeschlossen. Problematisch bleibt damit das hohe Risiko des klinischen Fehlstagings für den Lymphknotenbefall von etwa 30–50 % und das bekanntermaßen unsichere klinische Staging in Bezug auf die lokale Ausdehnung des Tumors.
In den hier vorgelegten, methodisch erheblich divergierenden Phase-II / III-Studien wurde die transurethrale Tumorresektion (TURB) mit verschiedenen Chemotherapieschemata und unterschiedlichen Bestrahlungsplänen kombiniert. Die Studien sind demnach sowohl bezüglich der Methodik als auch der resultierenden Ergebnisse nur schwer vergleichbar. Die resultierende Komplettremissionsrate ist auf den ersten Blick ermutigend und betrug nach der multimodalen Therapie über alle Studien 69 %. Nach 5 Jahren waren noch 57 % der Patienten am Leben, nach 10 Jahren 36 %. Für das krankheitsspezifische Überleben lagen die entsprechenden Werte bei 71 % und 65 %. Muskelinvasive Lokalrezidive waren nach 5 Jahren bei 13 %, nach 10 Jahren bei 14 % der Patienten aufgetreten, nicht muskelinvasive Lokalrezidive bei 31 % bzw. 36 %. Die Fernmetastasierungsrate lag nach 5 und 10 Jahren bei 31 % bzw. 35 %.
Das krankheitsfreie Langzeitüberleben der Studienpatienten ist demnach, laut den Autoren, nach multimodaler Radiotherapie bei ähnlicher Stadienverteilung vergleichbar den neueren Studien nach primärer, radikaler Zystektomie. Problematisch ist aber insbesondere die hohe Rate an lokalen Rezidiven (präexistente Fernmetastasen lassen sich mit der Operation natürlicherweise ebenfalls nicht vermeiden), die über 5 und 10 Jahre bei insgesamt 44 % und 50 % lagen.
Dies bedeutet für den Patienten eine engmaschige, belastende und lebenslange Kontrolle des Risikoorgans Harnblase mit der damit verbundenen Morbidität (regelmäßige Zystoskopien, ggf. Biopsien in Narkose) und entsprechend hohen Kosten. Jeder zweite Patient benötigt demnach im Langzeitverlauf eine mehr oder weniger belastende Therapie des lokalen Rezidivs (Salvage-Zystektomie oder TURB mit Instillationstherapie). Erschwerend kommt hinzu, dass typische lokale Probleme eines invasiven Blasenkarzinoms wie Dysurie, Pollakisurie und eine begleitende Harnstauungsniere durch das organerhaltende Vorgehen nicht verbessert werden.
Fazit
Ohne Zweifel stellt eine multimodale, organerhaltende Therapie, d. h. die maximale TURB, gefolgt von einer kombinierten Radiochemotherapie eine mögliche Alternative zur primären Zystektomie dar. Das gilt v. a. für ausgewählte ältere Patienten mit Kontraindikationen gegen eine Operation oder für Patienten, denen trotz der möglichen Nachteile dieses Vorgehens sehr am Blasenerhalt liegt.
Einschränkend muss jedoch erwähnt werden, dass ein gutes onkologisches Ergebnis nur bei einer kompletten Tumorresektion durch die TURB erzielt wird. Dabei ist der wirkliche Zusatznutzen der Radiochemotherapie über die komplette transurethrale Resektion hinaus anhand der Datenlage nicht eindeutig abschätzbar. Bei gänzlich fehlenden Daten aus kontrollierten, vergleichenden Studien muss dieses Vorgehen daher weiterhin als individuelles Therapiekonzept betrachtet und gegenüber dem Patienten auch so kommuniziert werden, um falsche Hoffnungen zu dämpfen.
Zudem erfordert dieses multimodale, integrierte Therapiekonzept ein hohes Maß an Erfahrung und eine sorgfältige und enge Zusammenarbeit der beteiligten Disziplinen Urologie und Strahlentherapie am jeweiligen Zentrum. Sowohl die entsprechende Erfahrung mit diesem integrierten Therapiekonzept als auch der Wille zur unbedingten Kooperation ist aber leider nicht flächendeckend vorhanden.
Prof. Dr. Jürgen E. Gschwend, München


