Die Dynamik neuer innovativer Therapiekonzepte und Medikamente war insbesondere auf
dem Gebiet der Rheumatoiden Arthritis in den vergangenen Jahren konstant auf sehr
hohem Niveau. In der Rheumatologie ist die Rheumatoide Arthritis traditionsgemäß aufgrund
ihrer hochentzündlichen und rasch progressiven Natur bei gleichzeitig inzwischen gut
bekannter Pathophysiologie der Vorreiter der meisten dieser Entwicklungen. Daneben
gibt sie, als „rheumatologisches Flaggschiff“, vor allem im Bereich der sogenannten
Biologika und der „small molecules“, häufig den Stimulus, antiinflammatorische Medikamente
auch bei verwandten rheumatischen und chronisch-entzündlichen Erkrankungen einzusetzen.
Insbesondere die biologischen Wirkstoffe, die sog. Biologika, erlauben bei der Rheumatoiden
Arthritis inzwischen ein relativ spezifisches Eingreifen in Krankheitsprozesse und
ein individuelles Anpassen auf die Bedürfnisse des Patienten. Ausgehend von diesen
Entwicklungen wurde in der Rheumatologie eine ganze Reihe neuer, gut validierter Empfehlungen
und Leitlinien auf nationaler und internationaler Ebene formuliert. Insbesondere die
aktuelle S1 Leitlinie der DGRh spiegelt die zahlreichen direkt in die Klinik übersetzbaren
Forschungsergebnisse wider. Dennoch bleiben noch zahlreiche Herausforderungen, die
es in den kommenden Jahren zu lösen gilt, u. a. die noch fehlende/n Kombinationstherapie/n,
die eine 100 %ige Remission garantieren (eine echte Heilung ist ja wegen der Beteiligung
des Immunsystems grundsätzlich nicht möglich), die weitere Minderung der Nebenwirkungen
und die noch zu etablierenden Schemata des Reduzierens und Absetzens nach Erreichen
der Remission.
Aufbauend auf den inzwischen ebenfalls wieder leicht revidierten Empfehlungen der
europäischen Rheumatologengesellschaft EULAR erarbeitete die DGRh 2012 eine komplett
neue S1 Leitlinie zur Therapie der Rheumatoiden Arthritis (RA) – unter Einbeziehung
der bewährten wie auch der neuen Medikamente der letzten Dekade.
Neu ist die Betonung der gemeinsamen Entscheidungsfindung von Ärzten/innen und Patienten/innen
im Sinne der „shared decision“. Begonnen wird nach erfolgter Diagnose weiterhin eine
Therapie mit klassischen Basistherapeutika (disease modifying anti-rheumatic drugs,
DMARDs), um innerhalb von wenigen Wochen eine Remission bzw. eine sehr geringe Krankheitsaktivität
zu erreichen. Beachtet werden muss allerdings, dass die neuen ACR/EULAR Kriterien
mit dem Risiko einer Überdiagnose behaftet sind, sodass bei Zweifeln die Diagnose
RA internistisch-rheumatologisch überprüft werden sollte. Umgekehrt kann auch bei
sehr mildem Verlauf und einer sehr geringen Krankheitsaktivität zunächst auf eine
DMARD-Therapie verzichtet werden und „nur“ mit traditionellen nichtsteroidalen Antirheumatika
(tNSAR), Coxiben oder einer niedrigen Prednis(ol)ondosis (wenn möglich, nicht mehr
als 5 mg/d) therapiert werden. Gesetzt ist ebenfalls, dass für die Verlaufs- und Aktivitätsbeurteilung
unter Therapie regelhaft die validierten (und im Internet frei abrufbaren) Aktivitätsskalen
verwendet werden sollen (v. a. DAS28), um auch gegenüber den Kostenträgern eine Qualitätssicherung
zu dokumentieren.
Unter den konventionellen DMARDs als erster einzusetzender Basistherapie ist auch
unter „modernen“ Aspekten Methotrexat (MTX) die erste Wahl. Dosen von mehr als 30 mg/Woche
werden aber in der Regel nicht gut vertragen; dagegen hat die s. c. Gabe mehrere Vorteile
gegenüber der oralen Gaben. Die aktuelle Herausforderung besteht darin, dass in jüngerer
Zeit auch gegenläufige Studienergebnisse zu einer niedrigeren (< 15 mg/Woche) und
ebenso effektiven Initialdosis von MTX publiziert wurden, sodass die optimale Dosisfindung
ein wissenschaftliches Ziel der Zukunft darstellt.
Falls Methotrexat als primäres DMARD nicht geeignet ist, sollte die Therapie mit einem
anderen klassischen DMARD, z. B. Leflunomid oder Sulfasalazin, begonnen werden. Auch
die Kombination von MTX mit Leflunomid oder Sulfasalazin ist als Intensivierung der
Therapie regelhaft möglich, wirksam und empfohlen. Antimalariapräparate (Chloroquin
und Hydroxychloroquin) sind als Monotherapie klinisch ebenfalls effektiv, eine hemmende
Wirkung auf die Knochendestruktion ist jedoch nicht nachgewiesen. Sie sind aber als
Kombinationspartner mit MTX und Sulfasalazin in einigen Studien sogar den Biologikakombinationen
mit MTX formal äquivalent. Die „goldene“ Dreierkombination MTX, Sulfasalazin, Hydroxychloroquin
(OʼDell Schema) wird ebenfalls von der transatlantischen Seite immer wieder propagiert
und mit Studien unterlegt, aufgrund der hohen Zahl an einzunehmenden Tabletten und
den Biologikaalternativen stellt das „Durchhalten“ dieser Kombination für Patienten
und Arzt zumindest in Deutschland eine Herausforderung dar.
Nicht zu vergessen ist, dass auch Glukokorticoide (GC) eine echte krankheitsmodifizierende
Wirksamkeit besitzen, welche sich nicht nur bei der Kombination mit DMARDs positiv
auf den entzündlichen und destruktiven Krankheitsverlauf auswirkt. Einen interessanten
Zusatzerfolg erzielte die „moderne“, da an den zirkadianen Rhythmus der natürlichen
Corticosteroidproduktion angepasste, Variante der Gabe von Prednison in einer speziellen
Galenik zur Nacht mit Freisetzung des Wirkstoffs in den frühen Morgenstunden; weitere
Herausforderungen bestehen in der Zulassung von direkt den Glukocorticoidrezeptor
stimulierenden neuen Substanzen.
Aufbauend auf dem Erfolg der inzwischen bei vielen Millionen Patienten eingesetzten
Biologika (Synonym für in der Regel auf Antikörper-Protein-Struktur basierenden, gentechnologisch
hergestellten Immunmodulatoren) kann und soll bei ungenügendem Ansprechen oder unerwünschten
Arzneimittelwirkungen (UAW) der konventionellen DMARDs und aktiver Erkrankung bereits
nach 3 Monaten mit einem Biologikum – in der Regel in Kombination mit MTX – begonnen
werden. Hierfür stehen inzwischen 5 zum Teil mehr als 10 Jahre im Einsatz befindliche
TNF-Hemmer (Infliximab, Etanercept, Adalimumab, Certolizumab und Golimumab) (Tab. [1]), ein gegen den Interleukin-6 Rezeptor gerichteter Antikörper (Tocilizumab), ein
Hemmer der T-Zellstimulation (Abatacept) und ein Anti-B-Zell-Antikörper (Rituximab)
zur Verfügung (Tab. [2]). Im Zulassungsprozess befinden sich derzeit als Antizytokinbiologika weitere Interleukin-6
und Interleukin-17 Hemmer sowie Antikörper gegen den Granulozyten-Wachstumsfaktor
und dessen Rezeptor.
Tab. 1 Aktuelle Biologika der TNF-Hemmer-Klasse.
|
Adalimumab
|
Certolizumab Pegol
|
Etanercept
|
Golimumab
|
Infliximab, Infliximab Biosimilar
|
Molekülstruktur
|
Humaner monoklonaler Antikörper
|
Humanisiertes Pegyliertes Fab`-Fragment
|
Humanes Fusionsprotein
|
Humaner monoklonaler Antikörper
|
Chimärer monoklonaler Antikörper
|
FC-Komponente
|
Vorhanden
|
Nicht vorhanden, Fc frei
|
Vorhanden
|
Vorhanden
|
Vorhanden
|
Standarddosierung
|
40 mg s. c. alle 2 Wochen
|
Induktion: 400 mg s. c. in Woche 0/2/4; Erhaltungsdosis: 200 mg alle 2 Wochen
|
2 × 25 mg s. c./Woche oder 1 × 50 mg s. c./Woche
|
50 mg monatlich
|
Induktion: 3 mg/kg i. v. in Woche 0/2/6 Erhaltungsdosis: 3 mg/kg i. v. alle 8 Wochen Bei unzureichendem Ansprechen Steigerung bis 7 mg/kg möglich
|
Mittlere Halbwertszeit (ca.)
|
14 Tage
|
14 Tage
|
3 Tage
|
12 Tage
|
9 Tage
|
Darreichung
|
Subkutan (Fertigspritze/Pen)
|
Subkutan (Fertigspritze)
|
Subkutan (Fertigspritze/Pen)
|
Subkutan (Fertigspritze/Pen)
|
Intravenös (60–120 Min. Infusion)
|
In label Monotherapie bei Unverträglichkeit von MTX
|
✓
|
✓
|
✓
|
–
|
–
|
Zugelassen seit
|
2003
|
2009
|
2000
|
2009
|
1999, 2013 (Biosimilar)
|
Tab. 2 Nicht-TNF-hemmende Biologika.
|
Abatacept
|
Rituximab
|
Tocilizumab
|
Moleküle
|
Humanes Fusionsprotein
|
Chimärer monoklonaler Antikörper
|
Humanisierter monoklonaler Antikörper
|
Target
|
T-Zelle
|
B-Zelle
|
IL-6R
|
FC-Komponente
|
Vorhanden
|
Vorhanden
|
Vorhanden
|
Standarddosierung
|
i. v. Induktion: 10 mg/kg in Woche 0/2/4; i. v. Erhaltungsdosis: 10 mg/kg alle 4 Wochen;
alternativ: 125 mg s. c./Wo, bei einmaliger i. v.-Induktion die ersten 125 mg s. c.
innerhalb eines Tages nach i. v.-Infusion
|
2 Infusionen à 1000 mg im Abstand von 2 Wochen; Nachfolgeinfusion bei Bedarf
|
i. v.: 8 mg/kg monatlich s. c.: 162 mg/Woche
|
Mittlere Halbwertszeit (ca.)
|
14 Tage
|
21 Tage
|
18 Tage
|
Darreichung
|
Subkutan (Fertigspritzen) intravenös (30 Min. Infusion) Pen
|
Intravenös (Infusion, i. d. R. min. 3 h)
|
Subkutan (Fertigspritze) Intravenös (60 Min. Infusion)
|
In label Monotherapie bei Unverträglichkeit von MTX
|
–
|
–
|
✓
|
Zugelassen seit
|
2007
|
2006
|
2009
|
Im Wesentlichen unterscheiden sich alle Biologika nicht in ihrer Effektivität, auch
nicht im direkten Vergleich der i. v. gegenüber der s. c. Gabe (bei Tocilizumab und
Abatacept). Dennoch setzt der differenzialtherapeutische Einsatz von Biologika eine
mehrjährige Erfahrung voraus, um die Patienten nicht vermeidbaren und vorhandenen
Risiken auszusetzen.
Patienten mit aktiver RA, bei denen das erste Biologikum ein TNF-Hemmer ist, können
nach moderner Lesart bei ungenügendem Ansprechen sowohl auf einen zweiten TNF-Hemmer
als auch auf Abatacept, Rituximab oder Tocilizumab wechseln. Gleiches gilt inzwischen
auch umgekehrt. Bislang gibt es allerdings nur einzelne Studien, in denen die Umstellung
auf verschiedene Biologika direkt verglichen worden ist, sodass in diesem Punkt noch
keine Empfehlung für ein spezielles Vorgehen ausgesprochen werden kann. Dabei ist
zu beachten, dass die Anwendung von Rituximab offiziell bislang nur nach Versagen
mindestens eines TNF-Hemmers zugelassen ist.
Trotz der selbstverständlichen Wachsamkeit gegenüber auch nach mehr als 10 Jahren
auftretenden „neuen“ Nebenwirkungen von Biologika (alleine oder in Kombination mit
DMARDs) kann für die meisten der bei Ersteinführung der TNF-Hemmer 1999 befürchteten
Komplikationen, wie z. B. die Entwicklung von Neoplasien, Entwarnung bezüglich eines
deutlich erhöhten Risikos gegeben werden. Voraussetzung ist allerdings eine Berücksichtigung
der spezifischen Vorsichts- und Überwachungsmaßnahmen gemäß Empfehlung der Fachgesellschaften,
z. B. ein Test auf versteckte Tuberkulose. Die aktuellen Herausforderungen betreffen
den Einsatz bei Schwangerschaft, die Vorbelastung mit Hepatitis B/C oder den Einsatz
nach „geheilten“ Tumoren wie Mamma-, Kolon-, und Prostatakarzinomen.
Die aktuelle Herausforderung auf dem Gebiet der Biologika ist deren klinischer Erfolg.
Bedingt durch diesen und der Kostenintensität stehen seit 2015 auch aufgrund des wie
bei allen anderen Medikamenten naturgemäß ablaufenden Patentschutzes inzwischen mehrere
„Biologika-Generika“, Infliximab-Biosimilars, auch in Deutschland zur Verfügung. Da
das wichtige Merkmal der „Austauschbarkeit“, die bereits durch klinische Studien belegt
werden konnte, verbunden mit den niedrigeren Arzneimittelkosten für die Kostenträger
sehr interessant ist, besteht aktuell die Herausforderung für die Rheumatologen, trotz
der Attraktivität der Biosimilars die patientenangepasste Rezeptierung nicht aus der
Hand des Arztes geben zu müssen.
Trotz vieler Bedenken: Biosimilars müssen für eine Zulassung in den wesentlichen Parametern
(Effektivität wie UAW) in einem Korridor liegen, der innerhalb der Bandbreite des
Originators liegt. Hierbei waren z. B. die Ansprechraten für das erste TNF-Hemmer-Biosimilar
CT-P13 gegenüber dem Original-Präparat Infliximab nicht unterschiedlich. Die Immunogenität
der Substanzen war im Vergleich ebenfalls identisch. Noch sind nur i. v.-Biosimilars
zugelassen, in Kürze dürften aber auch die ersten s. c.-Biosimilars erhältlich sein,
dann dürfte die tägliche Herausforderung der individuellen Einstellung noch bedeutend
intensiver werden.
Da immer noch ein signifikanter Anteil der Patienten nicht in Remission zu bringen
ist, werden neue wirksame Medikamente auf jeden Fall ihren Platz im Therapiealgorithmus
der RA finden. Dies betrifft vor allem die Kinasehemmer wie Tofacitinib und Baricitinib,
die ja z. T. im nicht-EMA-Bereich bereits zugelassen sind, aber auch innovative Strategien
wie Biologika, die mit einem Antikörperkombinationsmolekül gleich zwei Zielmoleküle
(z. B. TNF und IL-17) binden können. Stets involviert ist aber die Frage, ob auch
die Langzeitsicherheit für die Patienten gewährleistet ist – bisher konnte diese Herausforderung
in der Regel stets mit ja beantwortet werden – und klinische Studien, die eine vorhersagbare
Beendigung der erfolgreichen RA-Therapie ermöglichen.