Trennungsangst ist kein einheitliches Krankheitsbild und kann sich in einer Vielzahl
unterschiedlicher Symptome äußern. Einige auffällige Formen der Trennungsangst gehen mit folgenden Symptomen einher:
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Vokalisieren: Die betroffenen Hunde fallen in den Zeiten der Abwesenheit des Tierhalters durch
anhaltende oder wiederholte Lautäußerungen etwa in Form von Winseln, Jaulen, Heulen
oder Bellen auf.
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Zerstörungsverhalten: Die Tiere zerstören Strukturen, indem sie an diesen kratzen, sie zerbeißen oder sie
zerreißen. Nicht selten haftet den zerstörten Strukturen der Geruch des Besitzers
an (z. B. an Handys, Geldbörsen, Kissen oder der Couchgarnitur). Aber auch bei Ausbruchsversuchen,
die sie unternehmen, um ihren Besitzern zu folgen, können Dinge wie z. B. Bodenbeläge,
Tür- oder Fensterrahmen sowie der Autoinnenraum zerstört werden.
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Körperliche Symptome: Die Palette reicht hierbei von unkontrolliertem Harnabsatz und Durchfällen über Zittern,
Hecheln, Speicheln und Erbrechen bis hin zum Sich-Wundlecken.
Weniger auffällig ist unruhiges oder depressives Verhalten, das häufig vom Besitzer übersehen wird,
weil die betroffenen Hunde dem Halter zunächst augenscheinlich keinerlei Schwierigkeiten
bereiten. Sie leiden jedoch in den Phasen der Abwesenheit des Tierhalters unter großem
mentalem Stress, was in Videokontrollen sehr deutlich zum Vorschein kommt. Für die
Trennungsangst sind keine Rasse- oder Geschlechtsdispositionen bekannt. Viele Trennungsangsthunde
leiden gleichzeitig auch unter anderen Ängsten.
Ursachen
Die Ursachen der Trennungsangst sind mannigfaltiger Natur: Vom übermäßigen Pflegeverhalten
der Mutterhündin, zu starker bzw. zu bindungsintensiver Pflege durch Menschen (ggf.
in Phasen einer Erkrankung des Hundes), über mangelnde Förderung von Selbstständigkeit
des noch jungen Hundes, der schlagartigen Konfrontation mit dem Alleinsein oder der
Wahl zu großer Trainingsschritte (womit das Gefühl von Todesangst ausgelöst werden
kann) bis hin zum Erleben eines starken Traumas in den Phasen des Alleinseins, kann
alles (auch Mischformen) vertreten sein.
Auch fehlende Überlagerungen im Hinblick auf soziale und speziell auf bindungsbezogene
Geborgenheitsreize können Trennungsangst fördern. Hierbei kennt der Hund jeweils nur wenige Geborgenheitsreize
in einem bestimmten Bereich, und die bloße Abwesenheit dieser (wenigen) Reize bedeutet
starken Stress. Gibt es hingegen Überlagerungen mit weiteren Reizen aus der gleichen
Kategorie, wird die Abwesenheit/der Wegfall eines Reizes mental problemlos verarbeitet.
In Bezug auf Menschen bedeutet das: Kennt der Hund nur den Züchter (oder wenige Personen)
erhält deren Anwesenheit oftmals eine zu hohe Bedeutung.
Trigger
Neben diesen Kernursachen gibt es noch eine Reihe weiterer Ereignisse bzw. Lebensumstände,
die als Angst-Trigger (Auslöser) fungieren können. Hierzu zählen u. a.:
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Traumata durch einen Gruppenverlust (auch ausgesetzt worden zu sein)
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Tierheimaufenthalte
-
Änderung der Arbeitszeiten des Tierhalters
-
Umstellungen im Familiengefüge
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Ende von Urlaubszeiten oder anderen Phasen einer dauerhaften Nähe des Tierhalters
Auch Erkrankungen des Hundes selbst (inkl. der kognitiven Dysfunktion) können das
Problemverhalten Trennungsangst auslösen oder unterstützen. Ein Hund kann sich bereits
als Welpe trennungsängstlich zeigen oder aber das Problemverhalten plötzlich entwickeln, auch wenn er zuvor keine Schwierigkeiten mit dem Alleinsein hatte.
Relevanz für Halter und Hund
Relevanz für Halter und Hund
Nicht immer ist sich der Tierhalter über die mit dem Verhalten einhergehende Not seines
Hundes bewusst. Dies gilt speziell, wenn der Hund eines der weniger bekannten oder
auffälligen Symptome zeigt. Durch das Verhalten des Hundes kann jedoch auch der Tierhalter
selbst in eine reale Notlage geraten, z. B. weil er mit Beschwerden durch Nachbarn oder dem Vermieter konfrontiert
wird, der Hund hohe Werte zerstört, die Gesundheit seines Hundes gefährdet ist oder
ihm sein liebgewonnener Hausgenosse leid tut. Bei jedem länger anhaltenden, regelmäßig
wiederkehrenden oder allgemein schwerwiegenden Verlust der mentalen Balance eines
Tieres handelt es sich grundsätzlich um einen zwingend therapiewürdigen Zustand! Die Kriterien von „Leid“ sind immer dann erfüllt, wenn die Beeinträchtigung über
das Maß eines nur kurzzeitigen und geringgradigen Unwohlseins hinausgeht. Leider wird
dies vor allem bei Hunden, die weniger auffällige Symptome zeigen, nicht immer fachgerecht
aufgegriffen oder in der Therapie berücksichtigt. Die Videokontrolle zeigt dann, unter
welcher hohen Stresslast diese Tiere stehen. Sie können beispielsweise in Abwesenheit
des Tierbesitzers weder fressen noch schlafen. Sie stehen dauerhaft unter Spannung.
Eine fachgerechte Verhaltenstherapie ist zwingend angezeigt, wenn ein Tier über einen
längeren Zeitraum deutliches Unwohlsein zeigt und die mentale Balance beeinträchtigt
ist.
Diagnosestellung
Viele Trennungsangsthunde zeigen eine starke Ab- bzw. Überabhängigkeit an ihre Tierhalter.
Bereits kurze „Trennungen“ etwa, wenn der Tierhalter nur kurz den Raum verlässt, ins
Bad oder in den Keller geht, lösen Unruhe oder sogar Panik aus. Typisch für diese
Hunde ist, dass sie den Besitzer nach Möglichkeit auf Schritt und Tritt verfolgen
und ihn nach erlebten Trennungen ganz besonders überschwänglich bei seiner Heimkehr
begrüßen. Einige dieser Hund zeigen dem Besitzer gegenüber zudem – oftmals erfolgreich
– eine Anzahl Aufmerksamkeit heischender Verhaltensweisen. Sofern der Besitzer bei
seinem Hund eines oder mehrere der eingangs beschriebenen Symptome feststellt, kann
die Diagnose bereits aufgrund der Symptomatik gestellt werden.
Anders sieht es bei den Hunden aus, die weniger auffällige Anzeichen zeigen, die ein
Trauma in Abwesenheit des Besitzers erlebt haben oder erst durch äußere Trigger wie
etwa das Türklingeln, Hundegebell auf der Straße oder ein aufziehendes Gewitter in
ein Erregungs- und dann Angstbild kippen. Eine genaue und fachgerechte Beurteilung
des Ausdrucksverhaltens anhand der Videoanalyse bietet in allen Fällen mit Verdacht auf Trennungsangst die sicherste Diagnosemöglichkeit.
Sie hilft, Zusammenhänge zu bestimmten Triggern oder andere Ursachen aufzudecken,
denn viele Symptome, die bei Trennungsangst gezeigt werden, können auch andere Hintergründe
haben (▶Tab. 1).
Zur Auswahl der passenden Bausteine für eine Therapie ist stets eine genaue Analyse
des Einzelfalls – am besten mit Videokamera – erforderlich.
Tab. 1 Symptome zur Differenzialdiagnostik der Trennungsangst.
Symptom
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mögliche Ursachen außer Trennungsangst
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Vokalisieren
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Zerstörungsverhalten
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Kaubedürfnis bei Welpen und Junghunden
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Erziehungsfehler
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angstbedingter Stress (ggf. auch Frust) wegen der Unerreichbarkeit von bestimmten
und als Belastung empfundenen Außenreizen
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Krankheiten wie Ösophagitiden oder Gastritiden
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Unsauberkeit, Erbrechen, Selbstverstümmelung
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mangelndes/mangelhaftes Sauberkeitstraining
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Krankheiten (Polydipsie-Polyurie-Komplex, Magen-Darm-Erkrankungen)
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neurologische Probleme
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Reaktion auf Wunden
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Arthroseschmerzen
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Markierverhalten
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Pubertät
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Eingliederung eines neuen Hundes
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zu lange Dauer des Alleinseins
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Stressreaktion auf äußere Reize
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Demenz
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Prophylaxe
Die beste Prophylaxe der Trennungsangst besteht darin, von Anfang an darauf zu achten,
dass die Gewöhnung an das Alleinsein kleinschrittig erfolgt und somit nie Angst ausgelöst wird. Dies gilt ganz besonders für Tiere, die
eine hohe Tendenz zur Trennungsangst haben wie z. B. viele „Second-Hand“-Hunde.
Grundsätzlich ist in einer Beratung oder Konsultation immer zu erfragen, wie lange
der Hund regelmäßig allein gelassen wird/werden soll. Eine Zeitdauer von über 4 Stunden
steht einer hundegerechten Unterbringung deutlich entgegen. Darüber muss der Hundehalter
aufgeklärt werden.
Folgende Maßnahmen sind sowohl prophylaktisch als auch therapeutisch anwendbar:
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die Vermittlung eines stabilen Sicherheitsgefühls (Entspannung) in räumlicher Abwesenheit
des Besitzers und unter einer mäßigen Ablenkung, z. B. durch Bewegungen im Raum oder
kurzzeitiges Verlassen desselben
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die Bereitstellung vertrauter Geborgenheitsreize, inkl. eines gut vertrauten und ggf.
mit Besitzergeruch kombinierten Schlaf- und Lagerplatzes
-
der Aufbau einer positiven Verknüpfung zum Alleinsein mittels Futter
Therapie
Die mittlere Therapiedauer der Trennungsangst liegt bei ca. 6 Monaten, wobei die Prognose
maßgeblich von der Zeitdauer, in der das Problemverhalten bereits besteht, den vorherigen
Trainings- oder Therapieansätzen, dem Trainingsfleiß des Halters und der Beherrschbarkeit
problemassoziierter Randfaktoren (Trigger) beeinflusst wird.
Tragischerweise wird immer wieder versucht, den betroffenen Hunden mittels Strafmaßnahmen
die Trennungsangst abzutrainieren. Hierbei ist ein Scheitern und als Folge eine massive
Stresspotenzierung unausweichlich.
Angst kann nicht überwunden werden, indem man weitere Angst bereitet oder andere Maßnahmen
anwendet, mit denen sich das Tier unwohl fühlt!
Angstfreiheit
Der einzige erfolgreiche Weg heraus aus der Trennungsangst besteht darin, dem Hund
das Alleinsein als etwas Angenehmes zu verkaufen. Die Therapie zielt also im Kern
auf die Gefühle von Angstfreiheit und allumfassendem Wohlbefinden mit Entspannung
ab. Futterspaß während des Alleinseins erzeugt folgendes Gefühl: „Hoffentlich gehen meine Menschen gleich einmal weg, weil nur dann bekomme ich die
tollen Beschäftigungsspielzeuge, die mit meinen Lieblingsleckerchen gespickt sind.“ Bewährte Therapiebausteine, die zusätzlich zu den Prophylaxemaßnahmen den Therapieplan
abrunden, sind: Ruhe- und Entspannungsübungen an einem speziellen Liegeplatz (▶Abb. 1), Vertrautmachen mit einer Transportbox (Installation eines Geborgenheitsortes),
Abbau von Überabhängigkeit zum Tierhalter, Förderung des Selbstvertrauens und der
Eigenständigkeit des Hundes. Auch Übungen, in denen der Halter das Zimmer/das Haus
verlässt und umgehend wieder hereinkommt, Abbau von Aufmerksamkeit heischendem Verhalten,
weitgehender Verzicht auf überschwängliche Begrüßungszeremonien und vollständiger
Verzicht auf Verabschiedungsfloskeln sind häufig neben der Entkopplung negativer Schlüsselreize
und dem Aufbau eines Alternativverhaltens im Hinblick auf bestehende Angst- oder Erregungslage-Trigger
wichtige Bausteine einer Therapie. Eine erfolgreiche Therapie ist kleinschrittig,
mit häufigen Wiederholungen und angstfrei aufgebaut.
Abb. 1 Die Box als Geborgenheitsort zu installieren bietet sowohl in der Prophylaxe als
auch in der Therapie Vorteile.
Hilfsmittel
Unter Zuhilfenahme technischer Geräte, mit denen man den Hund durch Fernsteuerung an einem bestimmten Ort belohnen kann
oder die den Hund auch in der Abwesenheit des Tierhalters mittels Zeitschaltuhr mit
Snacks versorgen, kann das Alleinsein oftmals besonders leicht positiv aufgebaut werden.
Eine der besten Maschinen dieser Art ist unter dem Namen „Treat & Train Dog Training
System“ im Handel (▶Abb. 2).
Abb. 2 Mithilfe der Futtermaschine kann der Hund auch in Abwesenheit des Tierhalters belohnt
werden, wenn er sich an seinem Liegeplatz aufhält.
Für die Verlaufskontrollen sind ebenfalls technische Geräte hilfreich, z. B. ein Baby-Phone,
ein Handy-gesteuertes Abhörsystem oder die Videokontrolle. Wichtig ist, stets umgehend
darauf zu reagieren, wenn durch die Überwachung ersichtlich ist, dass der Hund mit
dem gewählten Schwierigkeitsgrad überfordert ist und Unruhe oder gar Angst aufkommt.
Bei der Auswahl der Therapiebausteine und Geräte ist unbedingt auf die Tierschutzkonformität
der Maßnahmen zu achten!
Das Verbringen eines Hundes in eine Transportbox, die er nicht als Ort der Geborgenheit
wahrnimmt, ist ebenso obsolet wie der Einsatz von Anti-Bellhalsbändern oder Maulkörben,
die kein Hecheln erlauben.
Heilmittel
Die medikamentöse Unterstützung des Hundepatienten im Rahmen einer Verhaltenstherapie ist gängig und in vielen Fällen
sinnvoll. Zum Einsatz kommen in schweren Fällen verschreibungspflichtige, angstlösende
Beruhigungsmittel (z. B. Alprazolam = kurzwirksames Benzodiazepin) oder Psychopharmaka
(Selegilin oder Clomipramin). In weniger gravierenden Fällen können auch verschreibungsfreie Produkte wie Pheromone (z. B. ADAPTIL) oder (Ergänzungs-)Futtermittel mit α-Casozepin (z. B.
Zylkène) eingesetzt werden.
Ratschläge und Praxistipps
Ratschläge und Praxistipps
Nach wie vor halten sich hartnäckig längst überholte Ratschläge wie z. B. im Falle
des Vokalisierens in Abwesenheit des Halters erst in einer Bellpause oder nach einer
Ruhezeit wieder hereinzukommen. Doch heute erachtet man die Emotion des Hundes für
wesentlich wichtiger als das Symptom. Da durch ein frühzeitiges Hereinkommen die Angst
gemildert wird, kann der Besitzer dies tun, jedoch sollte er dem Hund mit einer bewusst
neutralen Ausstrahlung keinerlei positives oder negatives Feedback geben. Auch das Belohnen vom Leise- oder anderweitigem Bravsein nach der Rückkehr
ist wertlos, da Hunde solch abstrakte Gedankengänge nicht nachvollziehen können und
dementsprechend die Belohnung direkt mit der Rückkehr des Menschen assoziieren. Dies
ist speziell ungünstig, da man in der Therapie sowohl das Weggehen als auch das Wiederkehren
des Menschen ja absichtlich als etwas völlig Banales hinstellen möchte. Auch der Versuch,
mit einem zweiten Hund das Problem zu lösen funktioniert nicht, denn viele der überabhängigen
Trennungsangstpatienten sind einzig von einer oder mehreren Personen abhängig.
Zusammenfassung
Für eine erfolgreiche Trennungsangst-Therapie gelten folgende Grundsätze:
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Vermeidung von Angstzuständen jedweder Art.
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Kleinschrittiges Vertrautmachen mit Trennungssituationen durch Therapieübungen mit
einem positiven Bezug zur Situation.
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Schrittweise Ausdehnung der Trennungszeiten (von wenigen Sekunden der „Trennung“ mit
dem Halter im gleichen Raum bis hin zu ca. 2 Stunden).
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Ggf. Einsatz von Medikamenten.
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Langfristige Aufrechthaltung der Regel, den Hund täglich mindestens 1-mal mit einer
Trennungssituation zu konfrontieren, um auch nach erfolgreichem Abschluss der Therapie
einen Rückfall zu vermeiden.