physiopraxis 2015; 13(06): 22-26
DOI: 10.1055/s-0035-1557121
physiowissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Internationale Studienergebnisse


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Publication Date:
24 June 2015 (online)

 

Chronische Rückenschmerzen – Spezifische Rückenschmerzen um eine Gruppe reicher

Modic-Changes (MC) bezeichnen eine im MRT sichtbare, an die Decken- und Bodenplatten der Wirbelkörper angrenzende Veränderung im Knochenmark. Dabei unterscheidet man drei verschiedene Typen (Glossar). Eine finnische Forschergruppe konnte zeigen: Ändern sich bei Patienten mit unspezifischen Rückenschmerzen die Modic-1-Changes, verändern sich auch ihre Einschränkungen im Alltag. Somit bestätigen die Wissenschaftler erneut die Vermutung, dass diese Patienten keine unspezifischen, sondern spezifische Rückenschmerzen haben.

Für die Studie hatte die Autoren 64 Patienten rekrutiert, die folgende Kriterien erfüllten:

  • > jünger als 65 Jahre

  • > seit mindestens drei Monaten chronische unspezifische Rückenschmerzen

  • > im MRT sichtbare lumbale Modic-1-Changes oder gemischte Modic-Changes vom Typ 1 oder 2, zumeist in den Segmenten L 4/5 (39 Prozent) und L 5/S 1 (49 Prozent)

Die Probanden gaben zu Beginn der Studie ihre durchschnittlichen Rückenschmerzen während der letzten Woche auf einer VAS von 0-10 an. Zudem füllten sie den „Oswestry Disability Index (ODI)“ aus, um die rückenschmerzbedingten Einschränkungen im Alltag zu bestimmen (physiopraxis 7-8/09, S. 46). Nach zwei Jahren erfolgte ein Follow-up, um mögliche Veränderungen bei MC, ODI und VAS zu erfassen.

Das Ergebnis: Bei knapp 70 Prozent der Probanden hatten sich die Schmerzen und die Punktzahl des ODI innerhalb von zwei Jahren verbessert, bei rund 25 Prozent hatte sich dagegen beides verschlechtert. Das Ausmaß an Modic-1-Changes hatte insgesamt deutlich abgenommen.

Setzten die Forscher Modic-Changes und Beschwerden ins Verhältnis zueinander, zeigte sich: Hatten sich bei einem Probanden die Modic-1-Changes verringert, verbesserte sich gleichzeitig auch sein ODI-Wert. Der Zusammenhang von Verbesserungen der Modic- 1-Changes und einer Schmerzreduktion war dagegen nicht signifikant.

Laut der Autoren unterstützen die Ergebnisse erneut die Hypothese, dass Patienten mit Modic-1-Changes eine spezifische Subgruppe bei Rückenschmerzen bilden.

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BMC Musculoskeletal Disorders 2015; 16:98

GLOSSAR

Klassifikation

Typ 1: Mikrofrakturen der Deckplatte, Knochenödem und Hypervaskularität; Entzündungsmediatoren (v. a. TNF alpha), freie Nervenendigungen; zeigt eine reduzierte Signalstärke bei T1-gewichteten Bildern und erhöhte Signalstärke bei T2-gewichteten Bildern

Typ 2: „fettige Degeneration“; rotes Knochenmark wird durch fetthaltiges Mark ersetzt; zeigt eine erhöhte Signalstärke sowohl bei T1- als auch T2-gewichteten Bildern

Typ 3: subchondrale Knochensklerose: zeigt eine reduzierte Signalstärke sowohl in T1- als auch in T2-gewichteten Bildern

Ursachen

Häufig exzessive mechanische Stressbelastung auf die Endplatten, erhöhte Scherkräfte durch Bandscheibendegeneration. Sehr selten Bakterienbefall (Propionibacterium acnes) nach NPP.

Radiology 1988; 168: 177-186 ,

Radiology 2007; 245:43-61


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Unspezifischer Rückenschmerz – Paracetamol wirkt nicht

Dem nächsten Patienten mit Rückenschmerzen, der Ihnen von seinem Paracetamol-Konsum erzählt, können Sie von der Einnahme der Pillen abraten. Wissenschaftler fanden heraus, dass die Substanz ebenso unwirksam ist wie ein Placebo – und das auch langfristig bei einer Osteoarthritis. Ganz im Gegenteil: Sie erhöht zudem das Risiko für eine Leberschädigung.

In einem systematischen Review untersuchten Wissenschaftler, wie sich Paracetamol auf die Schmerzstärke bei Patienten mit unspezifischen Rückenschmerzen in der Lendenwirbelsäule oder einer Osteoarthritis in Hüft- oder Kniegelenk auswirkt. Dazu wählten sie ausschließlich randomisiert kontrollierte Studien aus, die eine Paracetamol-Therapie mit einem Placebopräparat verglichen: drei Studien mit 1.825 Patienten, die Rückenschmerzen hatten, und zehn Studien mit insgesamt 3.541 Patienten mit einer Osteoarthritis, die jeweils zufällig einer Paracetamol- und einer Placebogruppe zugeteilt waren. In allen Studien hatten die Patienten die Pillen oral eingenommen. Die Dosis variierte dabei zwischen 3.000 und 4.000 Milligramm pro Tag.

Alle Studien belegten, dass bei Patienten mit Rückenschmerzen Paracetamol gegenüber einem Placebopräparat sowohl kurz- als auch langfristig keinen signifikanten Effekt hat. Bei der Osteoarthritis-Gruppe zeigten sieben Studien zumindest eine kurzfristige Wirkung des Paracetamols. Mittel- und langfristig brachte es jedoch auch diesen Patienten keine Schmerzlinderung. Im Gegenteil: Die Patienten der Paracetamolgruppen hatten bei beiden Krankheitsbildern sogar ein vierfach höheres Risiko, schlechte Leberwerte zu entwickeln, als die Placebogruppe.

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BMJ 2015; 350: h1225


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Motorisches Lernen nach Schlaganfall – Bewegung beobachten unterstützt aktives Üben

Beobachtet sich der Patient bei einer Bewegung selbst, unterstützt das das motorische Lernen – so das Prinzip der Spiegeltherapie. Dass dies auch funktioniert, wenn der Patient die Bewegung lediglich im Video beobachtet, fanden niederländische Forscher heraus.

Sie teilten 37 Patienten, die vor mehr als sechs Monaten einen Schlaganfall erlitten hatten, zufällig in zwei Gruppen. Alle Teilnehmer starteten zunächst mit einem Messdurchlauf: zehn Mal eine Armbewegung nach vorne mit dem betroffenen und dann mit dem nicht betroffenen Arm. Dabei maßen die Forscher die Geschwindigkeit der Bewegung. Im nächsten Durchlauf bewegten die Probanden den betroffenen Arm in gleicher Weise für drei Mal 20 Wiederholungen. Zwischen den Bewegungsserien sahen sich die Teilnehmer der Interventionsgruppe eine Minute lang ein Video der gespiegelten Bewegung des nichtbetroffenen Armes an, welches die Forscher im Messdurchlauf gefilmt hatten. Dabei stand der Bildschirm, wie bei der Spiegeltherapie, sagittal zwischen den Armen. Die Kontroll- gruppe bekam in dieser Zeit eine Diashow mit Landschaftsbildern vorgeführt. Nach dem Training erfolgte ein zweiter Messdurchlauf.

Beide Gruppen hatten sich in ihrer Bewegungsgeschwindigkeit verbessert, die Interventionsgruppe jedoch deutlich stärker. Die Autoren schlussfolgern, dass in der Therapie nach Schlaganfall ein Training mit Bewegungsbeobachtung in Kombination mit aktiven Übungen das motorische Lernen fördert.

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Neurorehabil Neural Repair 2014. pii: 1545968314558598


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Lumbale Rückenschmerzen – Frühzeitige Physiotherapie spart Kosten

ln Deutschland empfiehlt die nationale Leitlinie Kreuzschmerz bisher bei akuten, unspezifischen Rückenschmerzen zunächst keine Physiotherapie zu verordnen. Doch diese Vorgabe ist laut einer aktuellen Studie aus den USA fraglich. Sie zeigte, dass Patienten mit akuten Rückenschmerzen in der Lendenwirbelsäule am meisten davon profitieren, wenn sie bereits in den ersten zwei Wochen nach Beginn der Schmerzen Physiotherapie erhalten. Außerdem verursachen sie damit durchschnittlich 60 Prozent weniger Kosten als Patienten, die erst später zum Physiotherapeuten überwiesen wurden.

Für die Studie werteten die Wissenschaftler zwischen 2007 und 2009 Daten von 753.450 Patienten aus, deren Krankheitsgeschichten in einer internen Datenbank verzeichnet waren. Sie schlossen all diejenigen ein, die in diesem Zeitraum beim Arzt die Diagnose lumbaler, unspezifischer Rückenschmerz erhalten hatten. Bei jedem Einzelnen dokumentierten sie, welche Kosten im ersten Jahr nach Diagnosestellung durch Interventionen wie Injektionen, Medikamente oder Operationen entstanden waren. Zudem vermerkten die Autoren, ob und in welchem Zeitraum nach Diagnosestellung die Patienten Physiotherapie bekamen.

Die Ergebnisse zeigten, dass 16,3 Prozent der Patienten Physiotherapie verordnet bekamen – durchschnittlich nach neun Tagen. Je frühzeitiger sie die Therapie erhalten hatten, desto weniger andere Interventionen brauchten sie im Verlauf der Erkrankung. Somit waren auch die Behandlungskosten signifikant geringer als bei denjenigen, die keine Physiotherapie erhalten hatten. Sinnvoll wäre es also auch, die deutsche Leitlinie dahingehend zu überarbeiten.

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BMC Health Serv Res 2015; 15: 150


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„Tiefe Stabilisatoren“ im Unteren Rücken – Bei Abduktionsbewegungen das Becken stabilisieren

Bei Patienten mit Beschwerden im unteren Rücken greifen Therapeuten häufig zu lumbalen Stabilisationsübungen. Eine davon ist die Abduktionsbewegung im Hüftgelenk in Seitlage. Fixiert der Therapeut dabei das Becken des Patienten, ist die Übung deutlich effektiver, wie eine aktuelle Studie zeigt.

Um die Aktivität der „tiefen Stabilisatoren“ zu messen, untersuchten koreanische Wissenschaftler zehn männliche Probanden, denen sie mittels feiner Nadeln beidseits Elektroden in folgende Muskeln platzierten:

  • > M. multifidus (in tiefe und oberflächliche Fasern)

  • > M. rectus abdominis

  • > M. obliquus externus abdominis

  • > M. transversus abdominis/obliquus internus abdominis

  • > M. erector spinae im lumbalen Bereich

  • > M. gluteus medius

Die Probanden sollten sich in Seitlage auf eine Behandlungsbank legen: das untere Bein in 90 Grad Flexion in Hüft- und Kniegelenk, das obere Bein ausgestreckt. Im ersten Durchgang hoben die Teilnehmer das obere Bein auf fünf Grad Abduktion und hielten diese Position für fünf Sekunden. In der zweiten Runde fixierte ein Therapeut das Becken, indem er, vor dem Patienten stehend, mit einer Hand an dessen Schulter griff und mit der anderen an der Crista iliaca das Becken nach kaudal schob. Mit dieser Fixierung sollten die erneut die Abduktionsbewegung im Hüftgelenk machen. Bei beiden Durchgängen maßen die Forscher die Aktivität der Muskeln.

Das Ergebnis: Alle Muskeln waren bei der Abduktionsbewegung aktiv, egal ob mit oder ohne Fixierung. Fixierte ein Therapeut jedoch das Becken, waren die Muskeln deutlich stärker angespannt. Ausgenommen war der M. obliquus externus abdominis, dessen Aktivität gleich blieb. Am stärksten wirkte sich die Fixierung auf die tiefen und oberflächlichen Fasern des M. multifidus aus. Laut der Autoren ist es demnach deutlich effektiver, wenn der Therapeut beim Training der „tiefen Stabilisatoren“ das Becken nach kaudal fixiert.

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Am J Phys Med Rehabil 2015; 94:201-210

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Medialer Trakt der M. erector spinae von dorsal.
Abb.: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von K. Wesker. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme
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Vordere Bauchwandmuskeln beim Mann von ventral
Abb.: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von K. Wesker. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme

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Medialer Trakt der M. erector spinae von dorsal.
Abb.: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von K. Wesker. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme
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Vordere Bauchwandmuskeln beim Mann von ventral
Abb.: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von K. Wesker. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme