Biologisch produzierte Arzneimittel – kurz Biopharmazeutika – haben die moderne Medizin
verändert. Aufgrund ihrer komplexen und aufwendigen Entwicklung und des anspruchsvollen
Herstellungsprozesses gelten Biopharmazeutika als High-Tech-Medikamente der Zukunft.
Die Anforderungen an die Sicherheit und Qualitätsstandards der komplexen Herstellungsprozesse
sind hoch – auch für ihre Nachfolgeprodukte, die sogenannten Biosimilars. Das europaweit
erste Insulin-Biosimilar (Abasaglar®) von Lilly und Boehringer Ingelheim hat im September 2014 die Zulassung erhalten.
Die Einführung ist in Deutschland für dieses Jahr geplant.
Zielgerichtete Therapie dank Biotechnologie
Die Entwicklung von Biopharmazeutika hat für die Patientenversorgung ganz neue Perspektiven
eröffnet. Sie begann mit dem Humaninsulin Humulin®, dem weltweit ersten mittels rekombinanter DNA hergestellten Arzneimittel in der
Humanmedizin. Heute ist etwa jedes vierte neu zugelassene Medikament ein Biopharmazeutikum
– Tendenz steigend [
1
]. Insbesondere bei seltenen und chronischen Erkrankungen ermöglichen sie zielgerichtete
und individualisierte Therapieansätze.
Biopharmazeutika: Expertise gefragt!
Die Entwicklung und Herstellung von Biopharmazeutika, wie z. B. Insulin, ist anspruchsvoll.
Anders als bei chemisch synthetisierten niedermolekularen Medikamenten sind viele
molekularbiologische Prozessschritte notwendig. Der komplizierte Herstellungsprozess
erfordert daher viel technologische Expertise und muss auf verschiedenen Ebenen maximale
Qualitätskontrollstandards erfüllen, um Produktchargen gleichbleibender Reinheit,
Sicherheit und Wirksamkeit zu gewährleisten. Außerdem erfordert das Arbeiten mit lebenden
Organismen und Zellkulturen viel Erfahrung und stellt hinsichtlich des Endproduktes
höchste Ansprüche an Reinheit und Qualität.
Die Unternehmen Lilly und Boehringer Ingelheim sind Pioniere in der Entwicklung und
Herstellung von Insulinen bzw. Biopharmazeutika mit einer umfassenden Expertise. Lilly
setzt seit fast 100 Jahren Meilensteine in der Diabetestherapie, etwa mit der Entwicklung
des weltweit ersten Insulinproduktes (Illetin®, 1923), des weltweit ersten Biopharmazeutikums in der Humanmedizin (Humulin®, 1982) und dem weltweit ersten Analoginsulin (Humalog®, 1996). Boehringer Ingelheim entwickelt und produziert seit über einem Jahrhundert
zukunftsweisende Medikamente und hat über 30 Jahre Erfahrung in der Produktion biotechnologisch
hergestellter Arzneimittel. Am Standort Biberach betreibt der Arzneimittelhersteller
eine der größten Anlagen Europas für die biopharmazeutische Entwicklung und Herstellung.
Im Januar 2011 haben sich die Biopharmazie-Spezialisten Boehringer Ingelheim und Lilly
zusammengeschlossen, um ihre Kompetenzen zu bündeln und innovative Medikamente für
Menschen mit Diabetes zu entwickeln, die sich eng an deren Bedürfnissen orientieren.
Der Prozess ist das Produkt
Biopharmazeutika sind große, komplex gefaltete Proteinmoleküle, die von Mikroorganismen
oder Zellen produziert werden. Zunächst muss das Gen für das Proteinarzneimittel mithilfe
von Mikroorganismen oder lebenden Zellen identisch vervielfältigt werden. Die großtechnische
Produktion des rekombinanten Proteins erfolgt in einem hochkomplexen und sehr aufwendigen
Prozess, der sich grundlegend von dem Herstellungsprozess chemisch-synthetisch hergestellter
Medikamente unterscheidet. Dieser gesamte Prozess – angefangen mit dem Einschleusen
des Gens in die Wirtszelle über die Aufzucht und Vermehrung der Mikroorganismen, Fermentation
und Proteinproduktion, die Reinigung und Analyse des gentechnisch hergestellten Proteins
bis zur Formulierung und Lagerung des Biopharmazeutikums – ist essenziell für seine
Wirksamkeit und Sicherheit [
2
]. Zelllinien, Nährmedien und Kulturbedingungen müssen exakt definiert sein. Gleichzeitig
unterliegt jeder einzelne Schritt des komplizierten Herstellungsprozesses zahlreichen
Einflussfaktoren, die die Stabilität des Proteins beeinträchtigen können. Mit einem
Molekulargewicht von mehr als 1000 Dalton, langen Aminosäuresequenzen und spezifischen
Faltungen stellen Proteinarzneistoffe wie Insulin im Vergleich mit einfachen chemischen
Molekülen wie z. B. Acetylsalicylsäure relativ große Moleküle dar.
Die komplex gefaltete räumliche Struktur ist essenziell für die Funktion bzw. Wirksamkeit
eines Proteins. Sie wird durch schwache intramolekulare Wechselwirkungen zusammengehalten
und ist daher besonders empfindlich gegenüber minimalen Schwankungen der Umgebungsbedingungen
wie Temperatur, Elektrolytkonzentration oder pH-Wert. Schon geringste Abweichungen
im Produktionsverfahren von biopharmazeutischen Arzneimitteln können relevante Veränderungen
in der Qualität, Sicherheit, Wirksamkeit und Immunogenität nach sich ziehen. Daher
sind alle biopharmazeutischen Produktionsverfahren in gewisser Hinsicht einzigartig.
Das gentechnologisch produzierte Arzneimittel ist von seinem Herstellungsverfahren
nicht zu trennen, sodass letztendlich der Prozess per se das Produkt ausmacht. Bis
der gesamte Produktionsprozess eines bestimmten Biopharmazeutikums etabliert ist,
die behördlichen Genehmigungen vorliegen und die großtechnische Herstellung aufgenommen
werden kann, vergehen in der Regel mehrere Jahre.
Herstellung von Insulin in der Produktionsanlage von Eli Lilly and Company in Fegersheim
/ Frankreich. (Quelle: Lilly)
Insulinherstellung: ein komplexer Prozess
Biotechnologisch hergestellte Arzneimittel haben die Therapie vieler Erkrankungen
wie beispielsweise Diabetes revolutioniert. Die gentechnologische Produktion von Insulin
bietet die Möglichkeit, neue Insulinvarianten zu entwickeln. So sind die sehr schnell-
und ultrakurz-, aber auch die langwirksamen Analoginsuline entstanden, die den unterschiedlichen
Bedürfnissen von Menschen mit Diabetes gerecht werden und somit die Grundlage einer
individualisierten Therapie bilden. Rekombinantes Insulin wird meist auf Basis der
Vorläuferproteine von Escherichia coli oder von Hefebakterien produziert [
3
].
Bei Eli Lilly and Company wachsen die genetisch veränderten Zellen zunächst in Zellkulturflaschen,
später werden sie in größeren Behältern fermentiert. Während der Fermentierung produzieren
die Zellen Vorstufen von Insulin. Die für die Wirkung entscheidende komplexe Struktur
entsteht durch die anschließende Faltung der biologisch inaktiven Insulinvorstufen
unter optimierten und standardisierten Umgebungsbedingungen. Aufgrund der Komplexität
und der hohen Anforderungen an Sterilität und Prozessführung kann es mehrere Wochen
dauern, bis die Zellen geerntet werden können.
Das Insulinprotein wird mittels Hochgeschwindigkeitszentrifuge von den Ursprungszellen
getrennt, bevor die Lösung mehrere Reinigungsstufen durchläuft. Nach der Aufreinigung
folgt die Insulinkristallisation. Dabei wird das Insulinprotein von einem flüssigen
in einen festen Zustand überführt, sodass es an den Lilly-Standort im elsässischen
Fegersheim transportiert werden kann. Dort wird es mit anderen Inhaltsstoffen gemischt,
bis die exakte Konzentration und Formulierung erreicht ist. Das fertige Insulinhormon
wird – je nach Applikationsform – z. B. in Patronen oder Fertigpens abgefüllt. Am
Ende des Produktionsprozesses steht ein stabiles, transport- und lagerfähiges Insulin-Biopharmazeutikum.
Abdol A. Ameri, Weidenstetten
Dieser Text entstand mit freundlicher Unterstützung durch Lilly und Boehringer Ingelheim.
Insulin glargin-Biosimilar: hohe Anforderungen an die Zulassung
Damit Biosimilars trotz ihrer sensiblen Molekülstruktur und ihres komplexen Herstellungsprozesses
genauso wirksam und verträglich sind wie die Referenzarzneimittel, unterliegt ihre
Herstellung hohen Qualitätskontrollstandards. Diese sollen eine mit dem Referenzprodukt
vergleichbare Reinheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit gewährleisten. Zwingend erforderlich
sind klinische Prüfungen, die weit über den Anforderungen an die Zulassung von generischen
Arzneimitteln liegen. Die Europäische Zulassungsbehörde (EMA) hat dazu ein mehrstufiges
Verfahren etabliert [
4
]–[
6
]. Phase-I-Studien an gesunden Probanden sowie groß angelegte Phase-III-Studien an
indikationsgemäß behandelten Patienten müssen belegen, dass das Biosimilar in Bezug
auf Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit mit dem jeweiligen Referenzpräparat
vergleichbar ist. Nur wenn sich in diesen Vergleichsstudien keine signifikanten Unterschiede
hinsichtlich der proteinbiochemischen, pharmakokinetischen und pharmakodynamischen
Eigenschaften sowie der Wirksamkeit und Verträglichkeit ergeben, befürwortet die EMA
die Zulassung des Biosimilars. Ein Biosimilar auf den Markt zu bringen, ist daher
wesentlich aufwendiger und kostenintensiver als ein Generikum.
Das Zulassungsverfahren hat das neue Insulin glargin-Produkt Abasaglar® von Lilly und Boehringer Ingelheim erfolgreich durchlaufen. Im September 2014 erhielt
es die europäische Zulassung – basierend auf einem klinischen Studienprogramm mit
Daten aus pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Studien sowie aus Phase-III-Studien
bei Menschen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Die Ergebnisse zeigen im Rahmen vordefinierter
Grenzen eine vergleichbare Wirksamkeit und Verträglichkeit wie das bereits im Markt
verfügbare Insulin glargin (Lantus®) [
7
]–[
12
]. Die Einführung von Abasaglar® in Deutschland ist noch in diesem Jahr geplant.