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DOI: 10.1055/s-0035-1554756
Heiß und Eis – Bewegungseinschränkungen Behandeln
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Publication Date:
22 May 2015 (online)
Das tägliche Brot für Physiotherapeuten sind Bewegungseinschränkungen. Um sie effektiv zu behandeln, hat sich die Kombination von manuellen Techniken und Thermotherapie bewährt.
Die Behandlung von Patienten mit Bewegungseinschränkungen prägt in vielen Praxen den therapeutischen Alltag. Die Ursachen können neben physiologischen Alterungsprozessen auch neurologische Erkrankungen, muskuläre Dysbalancen und Immobilisationen sein. Über die Befundaufnahme versucht der Therapeut zu differenzieren, ob die kontraktilen oder nicht kontraktilen Strukturen verantwortlich sind und ob es sich um eine reflektorische oder strukturelle Bewegungseinschränkung handelt. Schmerzen oder eine segmentale Störung beispielsweise können den Muskeltonus des Patienten erhöhen und damit auch das Bewegungsausmaß verringern. Bleibt diese reflektorische Bewegungseinschränkung über einen längeren Zeitraum bestehen, adaptiert das Bindegewebe und es entwickelt sich eine strukturell bedingte Einschränkung. Entsprechend dem Befund entscheidet der Therapeut sich dann für gewebespezifische Behandlungsverfahren wie manuelle Therapie, thermische Reize oder Weichteiltechniken. Für Therapeuten ist es wichtig zu wissen, was manuelle Techniken wie die Traktion und thermische Reize wie Hitze, Wärme oder Kälte im Kapselgewebe konkret bewirken können. Allerdings ist es schwierig, diese Frage konkret zu beantworten, da die Studienlage sehr dünn ist. Die richtige Behandlungsform sollte der Therapeut abhängig von der Ursache der Bewegungseinschränkung auswählen – die Kombination verschiedener Therapieverfahren gilt als das Mittel der Wahl.


Immobilisation und ihre Folgen
Häufig sind Bewegungseinschränkungen, die in der Praxis vorkommen, durch Immobilisationen bedingt. Aufgrund eines Traumas kann es beispielsweise nötig sein, ein Gelenk über einen längeren Zeitraum zu immobilisieren. Für die bindegewebigen Strukturen im betroffenen Gelenk bedeutet das, dass sie nur noch geringen bis keinen physiologischen Belastungen ausgesetzt sind.
Bei normaler Mobilität führen mechanische Reize zu einer physiologischen Ausrichtung der kollagenen Fasern und sie adaptieren sich an die Beanspruchung. Es kommt zum sogenannten piezoelektrischen Effekt, der die Synthese der bindegewebsproduzierenden Zellen anregt. Ein Mangel an Bewegung führt dazu, dass sich die Menge an Grundsubstanz und damit auch der Wassergehalt im Bindegewebe schneller reduziert als die Menge an kollagenen Fasern. Die Folge ist eine veränderte Zusammensetzung der Matrix und damit verbunden ein Wasserverlust. Dies scheint die Ursache dafür zu sein, dass sich sogenannte pathologische Crosslinks bilden können. So haben Untersuchungen an Kaninchen gezeigt, dass die Hyaluronsäurekonzentration nach acht Wochen Immobilisation um 40 Prozent, der Kollagengehalt nach neun Wochen um fünf Prozent sank [3]. Man nimmt an, dass sich der Abstand zwischen den Fasern durch den Wasserverlust verringert und somit die Möglichkeit besteht, dass sich zusätzliche Querverbindungen zwischen den einzelnen kollagenen Fasern bilden [1, 3]. In diesem Fall wird von pathologischen Crosslinks gesprochen, die wasserlöslich und therapeutisch beeinflussbar sein sollen, indem der Therapeut die Durchblutung verbessert und den Patienten dabei zu Bewegungen anleitet [1, 4].
Die richtige Behandlungsform hängt von der Ursache der Bewegungseinschränkung ab.
Neben der Verwendung des Begriffs Crosslinks im pathologischen Sinne werden auch zahlreiche physiologische Querverbindungen beschrieben. Dabei unterscheidet man zum Beispiel enzymatische von nicht enzymatischen Crosslinks. Wissenschaftler sprechen von N- und C-Crosslinks, womit die Lokalisation der Quervernetzung in der Kollagenstruktur bezeichnet wird [5]. Die Polypeptidketten der fibrillären Kollagene enthalten sogenannte Nund C-Telopeptide, die wichtig für die Ausbildung der physiologischen Crosslinks von Kollagen sind [2].


Eine weitere Folge einer Ruhigstellung ist eine verringerte Zugbelastbarkeit der Ligamente und ihrer Insertionen. Bei einer Ruhigstellung erschlaffen die nicht verletzten Bänder und verlieren zunehmend ihre Führungsaufgabe. Das Ausmaß einer Bewegungseinschränkung ist daher letztlich das Resultat aus der Crosslinkbildung, dem veränderten Zusammenspiel zwischen Ligamenten und Muskeln und einer gestörten Biomechanik aufgrund veränderter Knorpel- und Synoviaeigenschaften [3]. Letztere lassen sich ebenfalls über die fehlenden physiologischen Belastungsreize erklären. Die Druckbelastungen sind entscheidend für den Knorpel, die Zugbelastungen für die Stimulation der Membrana synovialis der Kapsel und die Synoviaproduktion.
Traktion: vage Studienlage
Um auf die immobilisationsbedingten Bewegungseinschränkungen im Bindegewebe einzugehen, setzen Therapeuten häufig auf manuelle Techniken wie die Traktion. In der Literatur findet man jedoch keinen Hinweis darauf, was Traktionen im Bindegewebe genau bewirken bzw. ob sie die pathologischen Crosslinks beeinflussen können. Nachweise gibt es lediglich für die wasserlöslichen Crosslinks. Sie sollen laut Forschern bereits durch eine Verbesserung der Durchblutung in Kombination mit Bewegung beeinflussbar sein [4].
Dass es sich bei der Traktion genauso wenig um einen physiologischen Impuls handelt wie bei translatorischen Mobilisationstechniken, sollten Physiotherapeuten grundsätzlich berücksichtigen. Bevor die Kapsel und Ligamente unter Zug gebracht werden, muss der Traktionsreiz die Muskelkraft, den Unterdruck, die Adhäsion und die Kohäsion überwinden [3]. Je nach Gelenkgröße bzw. Gelenkaufbau ist das mehr oder weniger realistisch. Bisher gibt es jedoch keine kontrollierten Studien, in denen die Effekte manueller Traktion innerhalb einer begrenzten Zeitspanne beschrieben sind [6]. Empirische Daten weisen lediglich auf einen schmerzlindernden Effekt hin. Daher werden Traktionen in der Praxis von Therapeuten häufig als vorbereitende Technik von Seperationen eingesetzt oder wenn Schmerzen andere Maßnahmen nicht zulassen [9].
Experimentelle Untersuchungen bezüglich der Wirkung von Zugbelastungen auf die physiologischen N- und C-Crosslinks im Typ-I-Kollagen kommen zu dem Schluss, dass die richtige Zuggeschwindigkeit und die Zugrichtung bedeutend sind [5]. Und schließlich zeigen Untersuchungen, dass letztlich auch die nicht messbare Palpationserfahrung des Therapeuten mitentscheidend für den Effekt einer Traktionsbehandlung zu sein scheint.
Studien belegen bisher lediglich, dass die Traktion einen schmerzlindernden Effekt hat.
Mit thermischen Reizen vorbereiten
Um die kollagenen Strukturen optimal auf manuelle Techniken vorzubereiten, können Therapeuten thermische Reize einsetzen. Die Maßnahmen reichen dabei von unterschiedlichen Wärme- bzw. Hitzereizen, wie der Applikation einer heißen Rolle, Ultraschall oder Fango, bis hin zu verschiedenen Eis- bzw. Kälteanwendungen. Bisher sind sich Forscher jedoch uneinig darüber, wie sich Behandlungen tatsächlich auf kapsuloligamentär bedingte Bewegungseinschränkungen auswirken. Eine wichtige Rolle spielt dabei in jedem Fall die individuelle Eindringtiefe der unterschiedlichen Maßnahmen. Zudem scheinen neben der Temperatur und der Applikationsform das Geschlecht des Patienten und die individuelle Verteilung des subkutanen Gewebes eine Rolle zu spielen [7, 8]. So scheint das Bindegewebe von Frauen auf eine Temperaturerhöhung von außen intensiver zu reagieren als das von Männern. Je dicker sich das subkutane Fettgewebe jedoch darstellt, umso geringer ist die Eindringtiefe der wärmenden Maßnahmen.


Am besten kombiniert
Temperatursteigernde Reize sind in der Praxis beliebte Maßnahmen, um unter anderem die Durchblutung und somit den Stoffwechsel im Gewebe zu fördern und den Muskeltonus zu senken. Individuell auf den Patienten angepasst, sind diese Maßnahmen in der Regel sehr angenehm und führen auch zu einer allgemeinen Entspannung. Bezüglich ihrer lokalen Wirkungsweise konnten experimentelle In-vitro-Studien zeigen, wie sich das Dehnverhalten von kollagenen Fasern unter bestimmten Temperaturen verändert [6]: Demnach werden diese Fasern schon ab einer Temperatur zwischen 37 und 40 Grad Celsius elastischer, sodass für eine Dehnung der Strukturen weniger Kraft notwendig ist. Wird das Gewebe weiter auf über 40 Grad erwärmt, entstehen durch eine Dehnung des Kollagens bereits irreversible Veränderungen. Ab einer Temperatur von 59 Grad zerfällt die Struktur des Kollagens sogar ohne äußere Einwirkungen.


Die Bewegungseinschränkungen lassen sich demnach am effektivsten behandeln, wenn der Therapeut die temperatursteigernden Maßnahmen parallel zu manuellen Techniken einsetzt. Das belegen Untersuchungen an kontrakten Kniegelenken von Ratten, bei denen die Forscher mehr Erfolg hatten, wenn sie zu einer Dehnung der kontrakten Strukturen gleichzeitig Ultraschall oder Infrarot applizierten [9].
In der praktischen Anwendung sollten Therapeuten bei den Maßnahmen jedoch zwischen Tiefenwärme, zum Beispiel Ultraschall oder Kurzwelle, und oberflächlicher Wärme, zum Beispiel Wärme-Packung, unterscheiden. Denn Studien weisen darauf hin, dass die Tiefenwärme bezüglich einer Bewegungserweiterung effektiver ist [10]. Besonders diathermische Reize (Kurzwelle) in Form einer Elektrotherapie erzeugen in tiefer liegenden Geweben eine Temperaturerhöhung und führen somit zu einer verbesserten Dehnfähigkeit des Gewebes [11]. Hierbei handelt es sich um eine spezielle Form der Elektrotherapie aus dem Hochfrequenzbereich, bei der die Energie des elektrischen Stroms in elektromagnetische Felder umgewandelt wird. Diese Felder, zum Beispiel ein Kondensatorfeld, bei dem sich das Gewebe zwischen zwei Kondensatorplatten befindet, bewirken eine gezielte Erwärmung des tief liegenden zu behandelnden Gewebes.
Zur Bewegungserweiterung ist eine Vorbehandlung mit Tiefenwärme wirksam.
Mit Kälte gegen den Schmerz
Kühlende Maßnahmen kommen in der physiotherapeutischen Praxis vor allem zum Einsatz, um Entzündungen oder Ödeme zu reduzieren. Spezielle Maßnahmen wie Spray and Stretch mit Chlorethylspray können helfen, Triggerpunkte zu lösen und die Muskulatur zu detonisieren. Die meisten Studien untersuchen jedoch pauschal, wie sich das Bewegungsverhalten und der Schmerz bei einer Kälteapplikation verändern [12]. Sie zeigen beispielsweise, dass Kältereize die Schmerzschwelle herabsetzen. Liegen einer Bewegungseinschränkung also Schmerzen zugrunde, ist Kälte allein durch ihre analgetische Wirkung eine gute Möglichkeit, die manuelle Behandlung zu unterstützen und das Bewegungsausmaß zu verbessern [8]. Hierbei eignen sich normale Kühlpackungen aus dem Kühlschrank oder Packungen mit Crushed Ice, die der Therapeut mit einem Handtuch auflegt. In der Praxis sollte er jedoch bedenken, dass durch die Kälte neben dem Schmerzempfinden auch die Propriozeption herabgesetzt wird. Kühlende Maßnahmen, beispielsweise vor dem Sport, können daher eher einen schädigenden Einfluss haben, da durch sie das Verletzungsrisiko steigt [13]. Und auch während einer Traktion an der Gelenkkapsel ist Kälte mit Vorsicht einzusetzen. Studien konnten zeigen, dass Therapeuten bei der Dehnung der Kreuzbänder deutlich mehr Kraft aufwenden mussten, nachdem sie den Patienten eine Kältepackung auf das Knie gelegt hatten [7]. Auch die Steifheit der Kniegelenke, gemessen an der ventralen Verschieblichkeit der Tibia gegenüber dem Femur, nahm unter Kühlung deutlich zu [13]. Als Vorbehandlung zur manuellen Therapie scheint Kälte also eher kontraproduktiv zu sein, da sie die Dehnfähigkeit der kollagenen Strukturen verringert und eine Traktion somit erschwert.
Die Ursache ist entscheidend
Auch wenn die Studienlage zur konkreten Wirkungsweise sowohl für manualtherapeutische Techniken wie die Traktion als auch für thermische Reize auf kollagenes Bindegewebe sehr dünn ist, scheint sich in der Praxis zu bestätigen, dass sie in Kombination eine gute Möglichkeit sind, um Bewegungseinschränkungen zu behandeln. Die richtige Auswahl der Applikationsform hängt dabei von der Ursache der Bewegungseinschränkung ab. Temperatursteigernde Reize sind besonders sinnvoll, wenn die Ursache in der Muskulatur, der Kapsel oder den Bändern liegt. Steht bei einer Bewegungseinschränkung der Schmerz im Vordergrund, ist es sinnvoll, Kältereize einzusetzen.
Corinna Zimmermann und Michael Dawils












