Schlüsselwörter
Halluzinogen-induzierte Persistierende Wahrnehmungsstörung (HPPD) - Flashbacks - Drogenmissbrauch
Key words
hallucinogen persisting perception disorder (HPPD) - flashbacks - drug abuse
Einleitung
Wie im Folgenden ausgeführt wird, werden wiederkehrende rauschähnliche Zustände, die
mit vorausgehenden Intoxikationen mit psychoaktiven Substanzen in Zusammenhang stehen,
seit Mitte der 1950er und der 1960er Jahre als „Flashback-Phänomene“ bezeichnet. 1954
und 1955 beschrieben Sandison und Cooper erstmals ein Wiedererleben von LSD-Rauschphänomenen
[1]
[2]. Eine große Anzahl von Autoren hat sich seither mit Flashback-Phänomenen insbesondere
nach LSD-Konsum beschäftigt, da angesichts der massenhaften illegalen Verbreitung
von LSD während der 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhundert die Erforschung möglicher
psychischer und somatischer Komplikationen im Vordergrund stand. [3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]
[9]. Rosenthal beschrieb erstmals eine persistierende Wahrnehmungsstörung, die nach
wiederholtem LSD-Konsum circa ein Jahr andauerte [10]. Fisher und Ungerleider sowie Horowitz führten 1968 und 1969 erstmals den Begriff
„Flashback“ in die Literatur ein [11]
[12].
Als Synonyme für „Flashback“ finden sich in deutschsprachigen Publikationen die Begriffe
„Echorausch“, „Echopsychose“, „Nachrausch“, „Nachhallpsychose“ und als Szenebegriffe
„Retrip“, „Freetrip“ [9]. Der Begriff „Flashback“ (d. h. „Rückblende“) stammt aus der Filmtechnik und bedeutet
das Einfügen eines zurückliegenden Ereignisses in den filmischen Ablauf. Die in der
Literatur beschriebenen Flashback-Phänomene zeigen eine auffallende Unspezifität und
Heterogenität und lassen nahezu die ganze psychopathologische Skala visueller Wahrnehmungsstörungen
erkennen [13].
Derartige Flashback-Phänomene werden in ICD-10 unter F16.70 (halluzinogen-induziert)
kodiert. Sie unterscheiden sich von einer vorübergehenden akuten psychotischen Störung
(F23.x) durch die häufig sehr kurze Dauer (Sekunden oder Minuten) und durch die identische
Wiederholung früherer Erlebnisse unter der unmittelbaren Substanzwirkung [14].
Methode
Zur Erfassung der Studien wurde eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken
MEDLINE und PubMed (1994 – 2015) mit den Schlüsselwörtern „Hallucinogen persisting
perception disorder, HPPD“ durchgeführt. Einschlusskriterium für die Auswahl der letztlich
berücksichtigten 15 Kasuistiken war die im DSM-5 unter 292.89 definierte „Hallucinogen
Persisting Perception Disorder“. Als Hauptmerkale wurden die diagnostischen Kriterien
nach DSM-5 und DSM-IV berücksichtigt. Die Definitionen bzw. Beschreibungen von HPPD-
und Flashback-Phänomenen in der Literatur, in ICD-10 und DSM-5 zeigen sehr divergierende
Auffassungen. Empirische Untersuchungen und Fallberichte sind teilweise nur ungenügend
vergleichbar, da Angaben zur Komorbidität und zum Verlauf häufig fehlen: Die sehr
heterogenen Symptome visueller Wahrnehmungsstörungen zeigen große Überschneidungen
mit anderen Krankheitsbildern.
Aufgrund der teilweisen Unergiebigkeit der Datenbankrecherche wurde auch auf ältere
Literaturhinweise zurückgegriffen, insofern diese in Bezug auf die Suchbegriffe von
wissenschaftlicher Bedeutung waren. Basierend auf den Suchbegriffen, konnten insgesamt
75 Literaturstellen berücksichtigt werden.
Epidemiologie
Im Zusammenhang mit der massenhaften Verbreitung von Halluzinogenen während der 1960er
und 1970er Jahre erlangten sogenannte Flashback-Phänomene als medizinische Komplikationen
in der Literatur vielbeachtete Erwähnung. Zwischen 15 % und 75 % der Halluzinogenkonsumenten
sollen einmal oder mehrfach Flashbacks erlebt haben [15]
[16]
[17]
[18]
[19]
[20]
[21]
[22]
[23]. Die früheren Angaben zur Inzidenz von Flashbacks sind in den letzten 30 Jahren
angesichts der Seltenheit der publizierten Fälle infrage zu stellen [24].
Flashback-Phänomene sind nur für ein schmales Spektrum von Halluzinogenen nachgewiesen,
wobei die meisten Flashbacks als Nachwirkung des Konsums von LSD dokumentiert sind.
Die von Holland und Passie bearbeitete Literatur zeigt, dass Flashback-Phänomene am
häufigsten nach LSD-Konsum auftreten [24]. Ausschließlich durch Cannabis, Ecstasy, Ketamin und Meskalin induzierte Flashbacks
bzw. HPPD scheinen selten zu sein ([Tab. 1], [2]).
Tab. 1
12-Monats-Prävalenz bei Jugendlichen von 12 bis 17 Jahren und bei Erwachsenen von
18 bis 64 Jahren; Angaben in Prozent [75].
Substanzen
|
Drogenaffinitätsstudie
2011
(12 bis 17 Jahre)
|
Epidemiologischer Suchtsurvey
2012
(18 bis 64 Jahre)
|
|
Gesamt
|
Männlich
|
Weiblich
|
Gesamt
|
Männlich
|
Weiblich
|
Cannabis
|
4,6
|
6,2
|
2,8
|
4,5
|
6,0
|
3,0
|
LSD
|
0,1
|
0,2
|
0,1
|
0,3
|
0,5
|
0,1
|
Pilze
|
0,4
|
0,7
|
0,0
|
0,3
|
0,5
|
0,1
|
Tab. 2
Anzahl der Studien über Flashbacks und HPPD nach jeweils konsumierten psychoaktiven
Substanzen (modifiziert nach [24]).
Substanzen
|
Studien
|
LSD
|
81
|
Cannabis
|
6
|
MDMA (Ecstasy)
|
1
|
Ketamin
|
3
|
Meskalin
|
1
|
andere Substanzen
|
7
|
Gesamt
|
95
|
Die Prävalenz des Konsums von LSD und halluzinogenen Pilzen ist in Europa seit einigen
Jahren niedrig und stabil [75]. Nach Angaben der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA
2014) betrug unter jungen Erwachsenen im Alter zwischen 15 und 34 Jahren die 12-Monats-Prävalenz
für den Konsum von LSD und halluzinogenen Pilzen 0,7 % bis 0,8 %. Laut der im Jahr
2011 durchgeführten Drogenaffinitätsstudie bei 12- bis 17-jährigen Jugendlichen lag
die 12-Monats-Prävalenz für LSD und Pilze deutlich unter 1 % ([Tab. 1]). Die Stichprobe des Epidemiologischen Suchtsurveys (ESA) umfasste 9063 Personen im
Alter zwischen 18 und 64 Jahren. In den letzten 12 Monaten gaben 0,3 % der befragten
Teilnehmer an, LSD, 0,3 % Pilze und 0,2 % „Spice“, „Badesalze“, „Cathinone“ oder andere
neue psychoaktive Substanzen eingenommen zu haben [75]. Die 12-Monats-Prävalenz bei den 12- bis 17-Jährigen beträgt derzeit in den USA
0,5 %. Wie in Europa werden die höchsten Werte bei den 18- bis 29-Jährigen berichtet
[30]. Seit Mitte der 1970er Jahre kam es in den USA zu einem deutlichen Rückgang des
LSD-Erstkonsums. Die schwindende Popularität ist auf die zunehmende negative Publizität
aufgrund psychiatrischer Komplikationen, deren Kriminalisierung und die verstärkt
eingesetzten Strafverfolgungsmaßnahmen zurückzuführen. In den 1980er und 1990er Jahren fanden
neue synthetische Substanzen (z. B. Ecstasy-Gruppe) eine weite Verbreitung. In diesem
Zusammenhang stieg auch der Konsum von LSD in den USA wieder stärker an ([Abb. 1]).
Abb. 1 Häufigkeitsverteilung von LSD-Erstkonsumenten im Alter ab 12 Jahren in den USA im
Zeitraum 1967 – 2008 (vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/History_of_lysergic_acid_diethylamide#/media/File:LSD_annual_new_use_USA_1967 – 2008.png).
Anfang 2000 wurden mehrere illegale LSD-Labore ausgehoben, wodurch es zu einem erneuten
Rückgang des LSD-Konsums kam. Es ist davon auszugehen, dass jeder vierte Drogenerfahrene
zwei oder mehr Drogen wenigstens einmal probiert hat. Entsprechend kann davon ausgegangen
werden, dass Halluzinogenkonsumenten häufig auch Cannabis, Stimulanzien und Ecstasy
konsumieren [30]. Es ist von einer Dunkelziffer auszugehen, da die Betroffenen in der Regel bei erhaltener
Realitätskontrolle sich darüber bewusst sind, dass die Störung von der Drogenwirkung
ausgeht und daher eher einen Augenarzt, Neurologen oder einen Psychologen aufsuchen
[28]. Hinzu kommt, dass nach DSM-5 und der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen
hochfrequenter Halluzinogenkonsum wesentlich seltener als in den 1960er und 1970er
Jahren zu beobachten ist [29]
[30].
Nach kontrollierten Untersuchungen an 9400 Personen [25]
[26], die zu experimentellen und therapeutischen Zwecken 1 – 80 Mal LSD einnahmen, wurde
in keinem Fall eine persistierende visuelle Störung dokumentiert. In einer weiteren
Studie zur Häufigkeit psychischer Störungen nach rituellem Meskalinkonsum konnte unter
naturalistischen Bedingungen bei 500 Navajo-Indianern kein einziger Fall eines HPPD
festgestellt werden [27].
In einer internetbasierten Umfrage wurde von Bagott et al. [31] ein Fragebogen ins Netz gestellt. Von 16.192 online angesprochenen Cannabis-, Halluzinogen-
und Psychostimulanzienkonsumenten konnten 2679 Fragebögen ausgewertet werden. 224
berichteten Diagnosen ohne Bezug mit visuellen Wahrnehmungsstörungen. 1487 (60,6 %)
der verbliebenen 2455 Teilnehmer berichteten, im drogenfreien Intervall mindestens
eines von neun unterschiedlichen visuellen Flashback-Phänomenen erlebt zu haben. 587
(23,9 %) gaben an, mindestens eines dieser visuellen Phänomene kontinuierlich oder
fast kontinuierlich erlebt zu haben. 104 Befragte (4,2 % von 2455) berichteten über
Leidensdruck und Beeinträchtigungen in sozialen Funktionsbereichen, und diese hätten
zu Überlegungen geführt, sich in Behandlung zu begeben.
Von seiner psychischen Wirkung her nahe verwandt ist das Psilocybin, das weitgehend
ähnliche, allerdings deutlich kürzere Rauschzustände erzeugt. Erstaunlicherweise findet
sich in der psychiatrischen Literatur lediglich ein Fall einer HPPD als Nachwirkung
nach Konsum von Pilzen der Spezies Psilocybe semilanceata, obwohl Psilocybin in der Hippiekultur der 1960er und 1970er Jahre eine weite Verbreitung
fand [32]. Studerus et al. [33] analysierten gepoolte Daten akut oder verzögert auftretender unerwünschter Nebenwirkungen
bei 110 gesunden freiwilligen Probanden, die an doppelblinden, placebokontrollierten
Studien mit Psilocybin teilnahmen. Obwohl Psilocybin (1 – 4 Mal orale Dosierungen
von 45 – 315 µg/kg KG) tiefgehende Wirkungen in Bezug auf Stimmung, Wahrnehmung und
Denken induzierte, beschrieben die meisten Probanden ihre Erlebnisse als angenehm
und nicht bedrohlich. Im Follow-up-Fragebogen fanden sich keinerlei persistierende
Wahrnehmungsstörungen und keine psychotischen Symptome, ebenso keine weiteren anhaltenden
funktionellen psychischen Störungen.
Definition von Flashbacks und HPPD
Definition von Flashbacks und HPPD
Die Definition von Flashback-Phänomenen nach Halluzinogeneinnahme variiert seit ihren
Erstbeschreibungen in den Jahren 1954 und 1955 erheblich. Den meisten Definitionen
in der Literatur ist gemeinsam, dass es sich vorwiegend um visuelle Phänomene wie
Illusionen, Halluzinationen oder Pseudohalluzinationen handelt, die nach einem drogenfreien
Intervall als spontane, zumeist unkontrollierbare Wiederholungen früherer Erlebnisse
unter Substanzeinfluss auftreten.
Die diagnostischen Kategorien von HPPD blieben hinsichtlich seiner klinischen Relevanz
und hinsichtlich seiner Abgrenzung gegenüber „Flashbacks“ nach DSM-5 und ICD-10 unklar
und sind bis heute nicht konsistent erklärt [34]
[35]. Gemäß der 1994 im DSM-IV erstmals etablierten Definition ist das Hauptmerkmal der
„Hallucinogen Persisting Perception Disorder (HPPD)“ eine nach Halluzinogenkonsum
permanente visuelle Wahrnehmungsstörung, die im Wesentlichen auf den von der Gruppe
um Abraham durchgeführten Untersuchungen basiert und – ohne weitere Replikation –
als diagnostisches Hauptmerkmal Eingang in das DSM-IV fand. Abraham et al. [36]
[37] untersuchten 123 LSD-Konsumenten, die in der Vorgeschichte unter unkontrollierten
illegalen Bedingungen die Substanz vielfach eingenommen und als Folgeerscheinungen
persistierende visuelle Wahrnehmungsstörungen entwickelt hatten. Derartige Störungsbilder
können nach Abraham [37] 16 Formen von visuellen Störungen umfassen.
Der im DSM-IVTR [38] in Klammer gesetzte „Flashback“ findet sich im DSM-5 nicht mehr. Das diagnostische
Hauptmerkmal der „Halluzinogen-induzierten Persistierenden Wahrnehmungsstörung“ (292.89;
F16.983) ist im US-amerikanischen DSM-5 [29]
[30] das Wiedererleben von mindestens einem Wahrnehmungssymptom, das bereits während
der Halluzinogenintoxikation aufgetreten war (z. B. geometrische Halluzinationen,
falsche Wahrnehmungen von Bewegungen im peripheren Gesichtsfeld, Farbblitze, intensive
Farben, lange Nachbilder von sich bewegenden Objekten, positive Nachbilder, Haloeffekte
um Objekte, Makropsie und Mikropsie (Kriterium A)). Im Unterschied zu einer Psychose
werden die genannten visuellen Störungen nicht wahnhaft interpretiert.
Die visuellen Störungen verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen
in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen (Kriterium B).
Die Symptome gehen nicht auf einen anderen medizinischen Krankheitsfaktor zurück und
können nicht besser durch eine andere psychische Störung (z. B. zerebrale anatomische
oder entzündliche Läsionen, Delir, vorbestehende Psychose, Epilepsie, Migräne mit
Aura oder durch hypnopompe Halluzinationen) erklärt werden.
Im Gegensatz zum DSM-5 (292.89) unterscheiden sich nach ICD-10 die im Zusammenhang
mit Halluzinogenkonsum assoziierten „Flashbacks“ (ICD-10: F16.983) durch die häufig
sehr kurze Dauer von Sekunden bis Minuten. Diese werden eher als angenehm erlebt und
erinnern an veränderte Bewusstseinszustände, die während vorausgehender Rauschzustände
mit Halluzinogenen, Cannabis, Psychostimulanzien etc. auftraten. Die in der ICD-10
beschriebene sehr kurze Zeitdauer und Flüchtigkeit von Flashback-Phänomenen dürfte
auch ihre Erforschbarkeit sehr erschweren [39].
Komplexe visuelle Wahrnehmungsstörungen können auch durch nichthalluzinogene psychotrope
Substanzen induziert werden. Neben LSD wurde auch Cannabis mit Flashback-Phänomenen
in Zusammenhang gebracht. Keeler et al. [40] publiziert 4 Kasuistiken, in denen nach cannabisfreiem Intervall visuelle Flashbacks
auftraten. Hasse und Waldmann [5] berichteten über 47 Fälle von kurzzeitigen Flashbacks, davon 4 Fälle mit vorausgehendem
Cannabiskonsum. Blumenfield [16], Stanton und Bardoni [18] sowie Yager und Mitarbeiter [41] befragten anonym insgesamt 2712 Soldaten über Flashbacks, wobei eine signifikante
Beziehung zwischen dem Auftreten von Flashbacks und der Konsummenge sowohl von Halluzinogenen
als auch von Cannabis gefunden wurde. Insgesamt legten die Ergebnisse der zitierten
Untersuchungen nahe, dass jede der beiden psychoaktiven Substanzen sowohl allein als
auch in Kombination Flashbacks induzieren kann. Fischer und Täschner [9] postulierten, dass Flashbacks nach alleinigem Cannabiskonsum eher selten, hingegen
unter der Kombination mit LSD häufiger zu beobachten sind. Holland und Passie [24] sahen in diesem Zusammenhang die in der Literatur sehr unterschiedlichen Angaben
zur Zeitdauer von Flashbacks ihren Ursprung. Kombinierte und länger wirksame psychoaktive
Substanzen wie Cannabis könnten die Zeitdauer von Flashbacks prolongieren.
Es sind auch Fälle publiziert worden, die ohne vorausgehenden Halluzinogen- oder Cannabiskonsum
unter Behandlung mit Trazodon [42], Nefazodon [43], Risperidon [44], Mirtazapin [45] sowie Topiramat [46]
[47] im Gesichtsfeld als Palinopsien (Objekte werden in Form von Nachbildern perseveriert) und als Nachbilder von sich bewegenden Objekten („visual trails“) wahrgenommen wurden.
Die berichteten visuellen Phänomene remittierten in den meisten Fällen nach Absetzen
des Medikaments. Über die zugrunde liegenden pharmakodynamischen Mechanismen kann
nur spekuliert werden.
Ätiologische Interpretationen
Ätiologische Interpretationen
Flashback-Phänomene und HPPD stellen ein heterogenes Konstrukt mit sehr variablen
Verläufen und wahrscheinlich unterschiedlicher Pathophysiologie dar. Bei der Vielfalt
ätiologischer Ansätze ergibt sich letztlich kein einheitliches Erklärungsmodell, sondern
es muss eine von Fall zu Fall unterschiedliche multifaktorielle Genese dieser Phänomene
angenommen werden. Eine ausführliche Darstellung psychodynamischer, lerntheoretischer,
somatisch-physiologischer, auf zustandsabhängigem Erinnern basierender und anderer
Erklärungsansätze würde den Umfang einer solchen Übersicht übersteigen. Eine kommentierende
Übersicht über verschiedene Erklärungsansätze gaben Wesson und Smith [8] sowie McGee [20]. Holland und Passie [24] brachten in die Vielfalt von Erklärungsmodellen eine vorläufige Ordnung und kritische
Beurteilung. Differenzialdiagnostisch sind visuelle Wahrnehmungsstörungen bei anderen
psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen zu erwägen ([Tab. 3]).
Tab. 3
Differenzialdiagnose visueller Wahrnehmungsstörungen.
Syndrom
|
Klinische Symptomatik und Differenzialdiagnose
|
Tagtraum
|
Bildhafte Phantasievorstellungen, die im wachen Bewusstseinszustand erlebt werden.
|
Intrusionen
|
Wiedererleben von psychotraumatischen Ereignissen mit Albträumen, Bildern; Flashbacks.
Diese werden durch einen Schlüsselreiz („Trigger“) ausgelöst, der eine Assoziation
zum Traumaereignis birgt.
|
Posttraumatische Belastungsstörung
|
Vielzahl von Symptomen und Überschneidungen mit anderen Krankheitsbildern; es werden
oft abweichende Diagnosen gestellt, die sich an Einzelsymptomen (z. B. Borderline,
Angststörung oder Depression) orientieren.
|
Alice-im-Wunderland-Syndrom
|
Komplexe visuelle Wahrnehmungsstörungen (Mikropsie, Makropsie, Telopsie, Pelopsie)
assoziiert mit Aura bei Migräne, Epilepsie, Substanzkonsum
|
Extrakampine Halluzinationen
|
Trugwahrnehmung außerhalb des Gesichtsfelds; z. B. jemand sieht hinter ihm stehende
Menschen.
|
Charles-Bonnet-Syndrom
|
Visuelle Pseudohalluzinationen bei erhaltenem Realitätsurteil; bedingt durch Schädigung
im vorderen Teil der Sehbahn als auch in der primären Sehbahn.
|
Palinopsie
|
Es werden Objekte wahrgenommen, die wenige Sekunden bis Minuten vorher gesehen wurden,
jedoch nicht mehr im Gesichtsfeld vorhanden sind; tritt nach schwerer Schädigung des
primären visuellen Kortex durch Schlaganfall, Tumor, Migräne und Substanzkonsum auf.
|
Mystisch-spirituelle Erfahrungen
|
Im religiösen Kontext Visionen von weißem Licht; Begegnung mit himmlischen und dämonischen
Mächten; im Rahmen von „out of body-Erfahrungen“; bei epileptischer Aura und sog. Nahtod-Erfahrung
|
Neben psychodynamischen und lerntheoretischen Ansätzen liefern die Wahrnehmungsdisinhibitionstheorie
[48]
[49] und die „Stateboundness“-Theorie [50] einige wissenschaftlich verfolgenswerte Argumente, um die umstrittenen persistierenden
Wahrnehmungsstörungen pathophysiologisch und die zeitlich kurz dauernden Flashback-Phänomene
psychophysiologisch zu erklären
Assmus und Reimer [51] diskutierten für die Entstehung von Flashback-Phänomenen eine diencephal-thalamische
Desintegration. Das häufige Vorkommen von optischen Wahrnehmungsstörungen und Pseudohalluzinationen
bei basalen Tumoren und bei entzündlichen, toxischen, degenerativen Erkrankungen (z. B.
Wernicke Encephalopathie, Narkolepsie, Stammhirnerkrankungen) spricht für die Bedeutung
thalamisch-diencephaler Regionen für das Zustandekommen optischer Trugwahrnehmungen.
Abraham und Duffy [49] postulierten, dass HPPD von einer excitotoxischen Zerstörung der inhibitorischen
Interneurone ausgehen könnte, an deren Zellkörper serotonerge und an deren Terminalen
GABAerge Rezeptoren lokalisiert sind. Abraham [37] formulierte die Hypothese, dass LSD eine neurotoxische Schädigung im Bereich des
Nucleus corporis geniculati lateralis bewirken könnte, die sich in persistierenden
visuellen Wahrnehmungsstörungen klinisch manifestiert. Die Hypothese einer Disinhibition
visueller Schaltkreise könnte sowohl die Persistenz der Wahrnehmungsstörungen als
auch ihre partielle therapeutische Ansprechbarkeit auf Benzodiazepine bzw. die Verschlechterung
der Symptome durch Behandlung mit dem atypischen 5-HT2A-Antagonisten Risperidon erklären. Allerdings hat die von der Forschergruppe um Abraham
postulierte „Zelltodtheorie“ GABAerger kortikaler Interneurone durch LSD und dadurch
verursachter fehlender Inhibition auf visuelle Schaltkreise sich wissenschaftlich
bisher nie belegen lassen.
Da HPPD-Phänomene von den Betroffenen immer realitätsadäquat als Trugwahrnehmung des
Gehirns erkannt werden, nahmen Kilpatrick und Ermentrout [53] aufgrund theoretischer und mathematischer Überlegungen an, dass neuronale Schaltkreise
wie der primäre visuelle Kortex (V1; Brodman-Areal 17) für die Entstehung von HPPD
verantwortlich sein könnten. Die Hypothese geht davon aus, dass eine stärkere synaptische
Modulation auf unbewegte Stimuli dazu führt, dass sich ein neuronales Netzwerk für
sich bewegende Stimuli in die Wahrnehmungsprozessierung „einklinkt“ [24]. Somit könnte bei HPPD eine reduzierte Hemmung der Prozessierung visueller Sinnesdaten
vorliegen, deren pathophysiologischer Modus noch unklar ist.
Als Gegner einer rein naturwissenschaftlichen Interpretation beschrieb Fischer [50] Flashbacks als an das ZNS gebundene spezifische Erregungszustände („Stateboundness-Theorie“).
Fischer stellte 1971 aufgrund seiner Erfahrung mit experimentellen Psychosen seine
Theorie von zwei reziproken zentralnervösen Systemen auf: Das normale Bewusstsein
bewegt sich auf einem „ergotropen“ Kontinuum über Kreativität hin zu einem übererregten
Zustand mit psychotischem und ekstatischem Erleben. Diesem „ergotropen“ Bewusstseinszustand
liegt ein Kontinuum „trophotroper“ Erregung gegenüber, die einem „untererregten“ meditativen
Versenkungszustand wie dem Zazem und dem Yoga Samadhi entspricht [50].
Halluzinogen-induzierte Rauscherlebnisse wirken wie „Gedächtnisknoten“. Je größer
die Ähnlichkeit einer Erinnerung mit der momentanen emotionalen Verfassung, desto
größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie nochmals durchlebt wird. So ist es wahrscheinlicher,
dass wir uns an ein glückliches Ereignis besser erinnern, wenn wir gerade glücklich
sind. Dieser Ansatz entspricht weitgehend dem psychophysiologischen Paradigma des
„zustandsabhängigen Erinnerns“. Halluzinogen-assoziierte Rauscherfahrungen können
intensive Erinnerungen bewirken, die durch psychologische (z. B. Hypnose, Meditation)
und psychophysiologische sowie umweltbezogene Trigger (z. B. Stress, Hyperventilation,
Schlafentzug, Musik, Dunkelheit) sowie durch heterogene pharmakologische Stimuli (z. B.
Cannabis, MDMA, Ketamin) ein „ergotropes“ Erregungsniveau mit unerwartetem oder bewusst
angestrebtem Flashback auslösen können.
Eine plausible Erklärung für die Entstehung und mitunter Jahre andauernde Aufrechterhaltung
von HPPD liefert die „Stateboundness“-Theorie hingegen nicht [24].
Fallvignette 1
Der 18-jährige Patient gab an, dass er vor einem Jahr nach einer Mobbingsituation
durch Mitschüler über eine Zeitspanne von drei Monaten täglich einen Joint konsumiert
habe. Auf einer Party habe er mehrere Samenkörner des „Hawaiianischen Rosenholzes“
zerkaut und geschluckt, das den psychoaktiven Wirkstoff Lysergsäureamid enthält. Über
Stunden hinweg habe er Farbblitze, stroboskopische Nachbilder von sich bewegenden
Objekten gesehen und panikartige Ängste entwickelt. Tage später habe er bei Dunkelheit
und geschlossenen Augen weiße und farbige Leuchtpunkte wahrgenommen. Bei Tageslicht
habe er leuchtende Farbringe und Muster in Form von Spiralen und Gittern gesehen.
Abends hätten vorbeifahrende Autos rote Lichtstreifen hinter sich her gezogen. Diese
Zustände seien in wechselnder Ausprägung intermittierend aufgetreten, sie wurden vom
Patienten als überwiegend angenehm und sogar als unterhaltsam erlebt. Im Laufe der
durchgeführten stützenden Gesprächspsychotherapie kam es nach knapp zwei Monaten zu
einer vollständigen Remission. Psychotrope Medikamente wurden nicht verabreicht.
Befunde: In allen Anteilen regelrechter augenärztlicher Befund.
Fallvignette 2
Ein 36-jähriger Mann berichtet, dass er mit 17 Jahren erstmals LSD-Trips konsumiert
habe. Zuvor habe er Cannabis- und Alkoholkonsum regelmäßig betrieben. Im ersten Jahr
seines LSD-Konsums habe er ca. alle 2 Monate 1 – 2 „Tickets“ (vermutlich 100 µg) konsumiert.
Nach einem Jahr habe er schlagartig nach einem LSD-„Trip“ im gesamten Gesichtsfeld
sich bewegende geometrische Figuren in bunten Farben sowie zeitweise Bilder eines
Schweifs hinter sich bewegenden Objekten wahrgenommen. Weiterhin habe er Nachbilder
wahrgenommen, die er kurz zuvor als reale Objekte gesehen habe. Mikro- und Makropsie
wurden verneint. Die visuellen Störungen seien deutlich verstärkt, wenn er in Stress
gerate, unter Schlafstörungen leide oder koffeinhaltige Getränke trinke. Nach Beginn
der Symptomatik habe er erfolglos versucht, die aufgetretene Symptomatik durch weiteren
LSD-Konsum zu korrigieren. Er habe dann 5 Jahre kein LSD mehr konsumiert. 2005 habe
er wieder regelmäßig (1 Mal/Monat) LSD konsumiert.
Seit seinem 16. Lebensjahr habe er Alkohol durchgängig konsumiert. Er sei mehrfach
mit 2,5 – 3 Promille stationär behandelt worden. Seit 10/2010 sei er alkoholabstinent
und wohne in einer suchttherapeutischen Einrichtung. Cannabis habe er zeitgleich mit
dem Alkohol (ab 10/2010) nicht mehr konsumiert. 2005 sei er wegen einer akuten Pankreatitis
und eines ösophagealen Ulcus pepticum intensivmedizinisch behandelt worden. 2010 Magenblutung.
Nach dem Tod beider Eltern vor einigen Wochen sei es zu einem Alkoholrückfall mit
erneuter akuter Pankreatitis gekommen, jetzt sei er seit 14 Tagen wieder abstinent.
Neuropsychologisch konnten keine Auffälligkeiten erhoben werden. In der Symptom-Check-Liste
(SCL-90 R) konnten mit Ausnahme einer leicht erhöhten Belastung im Bereich der phobischen
Ängste keine klinisch relevanten Belastungen erhoben werden. Im SCID-II konnten Anteile
für eine emotional instabile, narzisstische und antisoziale Persönlichkeitsstruktur
objektiviert werden. In der Symptom-Check-Liste (SCL-90 R) zeigte der Patient passend
deutlich erhöhte Belastungen in den Bereichen Somatisierung, Depressivität, Ängste.
Der ETI (Early Trauma Inventory) erbrachte Hinweise auf eine Traumatisierung in der
frühen Kindheit und Jugend.
Therapie und Verlauf: Seit Februar 2012 wurde bei ihm erstmals eine Verhaltenstherapie in die Wege geleitet.
Lamotrigin wurde beginnend ab Februar 2012 um jeweils 25 mg/Woche gesteigert, bis
die Zieldosis von 200 mg/die erreicht wurde. Das bisher verabreichte Clonidin (3 × 0,025 mg/Tag)
wurde abgesetzt. Er berichtete, dass er Lamotrigin in den letzten 12 Monaten zuverlässig
eingenommen habe. Die visuell als äußerst quälend erlebten Wahrnehmungsstörungen seien
allmählich in den Hintergrund getreten. Insbesondere nehme er keine Nachbilder mehr
wahr. Die farbintensiven geometrischen Muster hätten sich ebenfalls zurückgebildet.
Er könne wieder deutlich besser lesen.
Konsistent mit der ICD-10-Definition für die Diagnose „Nachhallzustände“ (Flashbacks
F16.70) unterschied Lerner et al. HPPD-Typ 1 und in Bezug auf DSM-5 HPPD-Typ 2 [73]. Im Fallbeispiel 1 kam es mehrere Tage nach Konsum von Lysergsäureamid zu intermittierenden,
meistens mehrere Minuten dauernden visuellen Wahrnehmungsstörungen in Form von geometrischen
Pseudohalluzinationen, intensiven Farben und Nachbildern von sich bewegenden Objekten,
die teilweise als angenehm erlebt wurden. Dieses Fallbeispiel wäre entsprechend der
Klassifikation von Lerner et al. HPPD-Typ 1 zuzuordnen. Im Fallbeispiel 2 handelt
es sich um andauernde komplexe Wahrnehmungsstörungen mit vorbestehender komorbider
PTSB und multiplem schädlichen Substanzkonsum. Im Hinblick auf die über Jahre hinweg
persistierenden komplexen Wahrnehmungsstörungen bestand beim Patienten in sämtlichen
privaten und beruflichen Bereichen ein erheblicher Leidensdruck. Im Hinblick auf die
andauernden, permanent vorhandenen visuellen Störungen handelt es sich um die nosologisch
umstrittene Kategorie HPPD-Typ 2 [73], die im Wesentlichen unverändert der Definition im DSM-5 entspricht.
Therapeutische Optionen
Die pharmakotherapeutischen Ansätze beim HPPD beruhen derzeit auf unkontrollierten
Einzelfallberichten mit teilweise widersprüchlichen therapeutischen Empfehlungen mit
Clonidin, SSRI, Benzodiazepinen, Risperidon, Olanzapin und Naltrexon sowie Lamotrigin
([Tab. 4]). Aufgrund der dargestellten Studienlage lassen sich keine ausreichend empirisch
begründeten Empfehlungen für die Pharmakotherapie eines HPPD für die klinische Praxis
aussprechen [23]
[35]
[61]
[62]
[63]
[73].
Tab. 4
Kasuistiken HPPD, Komorbidität und therapeutische Ansätze.
|
Jahr der Publikation
|
Substanz
|
Komorbidität
|
Studiendesign
|
Major results
|
Moskowitz D [17]
|
1971
|
Haloperidol
|
Persönlichkeitsstörungen
N = 3
|
Kasuistik
|
8 Strafgefangene mit HPPD wurden erfolgreich mit Haloperidol behandelt. Die Fallberichte
deuten darauf hin, dass mehrere an einer zugrunde liegenden funktionellen Psychose
litten.
|
Abraham HD [37]
|
1983
|
Benzodiazepine,
Phenothiazine
|
überwiegend Patienten mit psychiatrischer Komorbidität
N = 123
|
Kontrollierte Studie
|
8 von 9 Patienten mit HPPD berichteten unter Einnahme von Benzodiazepinen eine Besserung
der Intensität und Frequenz der visuellen Störungen. 11 von 12 Patienten mit HPPD,
die mit Phenothiazinen behandelt wurden, berichteten eine Verschlechterung der Wahrnehmungsstörungen.
|
Abraham HD
& Mamen A [53]
|
1996
|
Risperidon
|
Keine Angaben
|
Kasuistik
|
3 HPPD-Patienten, die mit Risperidon behandelt wurden, berichteten eine Exazerbation
der Symptome.
|
Young CR [54]
|
1997
|
Sertralin
|
Depression
|
Kasuistik
|
Ein 22-jähriger Mann beendete eigenmotiviert seinen LSD-Abusus. Trotz seiner konsequenten
Abstinenz entwickelte er HPPD. Unter Einnahme von Sertralin kam es zu einer initialen
Verschlechterung des HPPD. Nach 4-wöchiger Einnahme (100 mg/die) besserte sich die
Symptomatik deutlich.
|
Lerner AG et al. [55]
|
1997
|
Naltrexon
|
Keine Angaben
|
Kasuistik
|
Bei 2 jungen Männern mit LSD-induziertem HPPD konnte unter Gabe von Naltrexon (50 mg/die)
eine dramatische Besserung beobachtet werden. Unter anhaltender Remission konnte Naltrexon
nach 2 Monaten ganz abgesetzt werden.
|
Lerner AG et al. [56]
|
2000
|
Clonidin
|
Multipler Substanzkonsum
|
Kasuistik
|
8 Patienten wurden 2 Monate mit Clonidin (0,075 mg/die) behandelt, wobei eine partielle
Besserung des mutmaßlich LSD-induzierten HPPD erreicht werden konnte.
|
Lerner AG et al. [57]
|
2001
|
Clonazepam
|
Keine Angaben
|
Kasuistik
|
2 ambulant behandelte Patienten mit LSD-induziertem HPPD wurden erfolgreich mit Clonazepam
behandelt. Diese hatten auf vorausgehende Therapie mit niedrig dosierten typischen
Antipsychotika nicht angesprochen.
|
Aldurra G & Crayton JW [58]
|
2001
|
Olanzapin,
Fluoxetin
|
Multipler Substanzkonsum
|
Kasuistik
|
Ein 17-jähriger Erwachsener mit wöchentlichem LSD-Konsum über 4,5 Jahre entwickelte
nach 5 Monaten anhaltender Abstinenz HPPD. Unter Gabe von Risperidon kam es zu einem
massiven Rückfall. Die Umsetzung der Medikation auf Fluoxetin und Olanzapin besserte
die Symptomatik deutlich.
|
Lerner AG et al. [59]
|
2002
|
Risperidon
|
Schizophrenie
|
Kasuistik
|
Während einer 6-Monate-Follow-up-Beobachtung unter Risperidon (2 – 3 mg/die) kam es
bei zwei jungen Männern zu einer Remission der visuellen Wahrnehmungsstörung.
|
Lerner AG et al. [60]
|
2003
|
Clonazepam
|
Komorbide Angststörung
|
Kasuistik
|
16 Patienten mit typischer HPPD wurden 2 Monate mit Clonazepam 2 mg/die behandelt.
Die Patienten berichteten eine deutliche Besserung im Lauf der Therapie mit Clonazepam.
Die Besserung persistierte im weiteren 6-Monate-Follow-up.
|
Espiard ML et al. [32]
|
2005
|
Olanzapin,
Risperidon,
Sertralin
|
Soziale Phobie,
Depression
|
Kasuistik
|
18-jähriger Pat. mit HPPD entsprechend DSM-IV-Kriterien nach mehrjährigem Cannabiskonsum.
Nach Psilocybinkonsum (40 Pilze) persistierende Symptomatik. Unter Olanzapin (5 mg/die)
kam es zur Verschlechterung der Symptomatik. Umsetzung auf Risperidon (2 mg/die) und
Sertralin (150 mg/die) führte nach 6 Monaten zur vollständigen Remission.
|
Hermle L et al. [35]
|
2012
|
Lamotrigin
|
Generalisierte Angststörung,
rezidivierende Depression,
emotional instabile
Persönlichkeitsstörung,
posttraumatische Belastungsstörung
|
Kasuistik
|
33-jährige Frau mit seit 13 Jahren bestehender HPPD-Symptomatik.
Unter Gabe von Lamotrigin in aufsteigender Dosierung (200 mg/die) konnte im Lauf von
12 Monaten eine deutliche Besserung erreicht werden.
|
Hermle L et al. [63]
|
2013
|
Lamotrigin
|
Postraumatische Belastungsstörung, rezidivierende Depression
|
Kasuistik
|
36-jähriger Mann mit typischem HPPD seit dem 18. Lebensjahr.
Unter Gabe von Lamotrigin in aufsteigender Dosierung (200 mg/die) konnte im Lauf einer
Dauertherapie nach 7 Monaten eine anhaltende Besserung der HPPD-Symptomatik erreicht
werden.
|
Lerner AG et al. [70]
|
2014
|
Clonazepam
|
Cannabiskonsum, sporadisch MDMA, Kokain und LSD
|
Kasuistik
|
Zwei Männer im Alter von 26 und 24 Jahren berichteten, dass nach Konsum von synthetischen
Cannabinoiden (SCS) erstmals Panikattacken auftraten. Trotz sofortigen Absetzens der
SCS entwickelte sich bei beiden Patienten ein HPPD. Unter Behandlung mit Clonazepam
(1,25 mg/die) kam es zu einer anhaltenden Remission. Nach 2 Monaten wurde auf Wunsch
des Patienten Clonazepam ausschleichend abgesetzt, wobei erneut Nachbilder auftraten.
Nach weiteren 3 Monaten kam es zu einer weitgehenden Vollremission.
|
Lerner AG & Le-Ran S [71]
|
2015
|
Psychotrope Medikation wurde verweigert
|
„Alice-in-Wonderland-Syndrom“ (AIWS)
|
Kasuistik
|
26-jähriger Mann, der nach LSD-Konsum persistierend Mikropsie, Makropsie, Pelopsie
und Teleopsie berichtete. 5 Jahre zuvor hatte er am Wochenende und in den Ferien gelegentlich
Cannabis geraucht. Nach 1 Jahr remittierte das AIWS vollständig.
|
Im Fall eines 36-jährigen Patienten mit 18 jähriger Vorgeschichte eines HPPD bildeten
sich nach Einleitung einer Behandlung mit Lamotrigin die komplexen visuellen Wahrnehmungsstörungen
innerhalb von 12 Monaten weitgehend zurück [35]
[63].
Nachdem im Tiermodell für den Natrium- und den spannungsabhängigen Calciumkanal-Blocker
neben der Hemmung des erregenden Neurotransmitters Glutamat ein neuroprotektiver Effekt
gezeigt werden konnte [64], wäre Lamotrigin im Hinblick auf seine gute Verträglichkeit bei HPPD mit therapieresistentem
jahrelangen Verlauf eine rational gut begründbare Therapieoption.
Flashback und Fahrtüchtigkeit
Flashback und Fahrtüchtigkeit
Das Bundesverfassungsgericht hat sich 2002 im Zusammenhang mit Cannabiskonsum und
Fahrerlaubnis mit dem Thema Flashback auseinandergesetzt und kam zu folgender Entscheidung:
Die in der Literatur umstrittene Frage, ob der Konsum von Haschisch überhaupt mit
einem Flashback-Risiko verbunden ist, bedarf keiner Klärung. Selbst wenn dies der
Fall sein sollte, so wäre das Risiko eines nicht vorhersehbaren plötzlichen Verlusts
der Fahrtüchtigkeit als sehr gering einzuschätzen. Nach Mitteilung der hierzu um Stellungnahme
gebetenen Bundesregierung und der Landesregierungen sowie sachkundiger Dritter waren
bislang nur sehr wenige Fälle bekannt geworden, in denen Anlass zu der Annahme bestand,
eine Verkehrsgefährdung könnte möglicherweise auf den Echorausch eines Verkehrsteilnehmers
zurückgeführt werden (BVerfG am 20. Juni 2002).
Diskussion
In den diagnostischen Instrumentarien DSM-5 und ICD-10 finden sich fragwürdige Definitionen
von Flashback und HPPD, deren klinische Relevanz und deren Ätiologie unterschiedlichen
hypothetischen Erklärungsmodellen zugeordnet werden. Die von Holland und Passie [24] beschriebenen 25 ätiologischen Ansätze lassen vermuten, dass bisher wenig gesicherte
wissenschaftliche Belege über die Ursachen und die Therapie von Flashback-Phänomenen
und HPPD vorliegen. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass die in der ICD-10 beschriebene
kurze Zeitdauer die Erforschbarkeit dieser flüchtigen Phänomene sehr erschwert. Übereinstimmend
mit verschiedenen Autoren ist festzuhalten, dass die von Abraham und Mitarbeitern
definierten visuellen Störungen nicht mit dem Terminus „Flashback“ gleichgesetzt werden
dürfen [23]
[24]
[71].
Die im DSM-5 definierte „Hallucinogen Persisting Perceptual Disorder“ basiert ausschließlich
auf den von Abraham [37] untersuchten LSD-Konsumenten, deren psychiatrische Vorgeschichten weitgehend unberücksichtigt
blieben. Die diagnostischen Kriterien von HPPD im DSM-5 (292.89) sind hinsichtlich
Symptomausprägung und Verlauf im Vergleich zu den diagnostischen Kriterien von „Flashback“
nach ICD-10 (F1x.70) völlig unterschiedlich definiert. Die in der Literatur seit der
Erstbeschreibung vielfach beschriebenen Flashback-Phänomene sind durch die in der
Regel sehr kurze Dauer (Sekunden oder Minuten), durch ihre häufig unerwartete Wiederholung
früherer Rauscherlebnisse während einer Intoxikation mit Halluzinogenen oder anderen
psychoaktiven Substanzen charakterisiert. Neben der häufig unkontrollierten illegalen
Anwendung verschiedener Drogen tragen möglicherweise auch die LSD-typische lange Wirkungsdauer
(8 – 12 Stunden) und die damit zusammenhängende Destabilisierung des Ich-Bewusstseins
zur Auslösung von HPPD bei. Die von Halpern et al. [27] und Studerus et al. [33] sorgfältig kontrollierten retrospektiv und prospektiv durchgeführten Untersuchungen
machen den günstigen Einfluss eines beschützenden „Settings“ deutlich, das Angstreaktionen
mit Verlust der Ich-Kontrolle entgegenwirkt.
Die Beobachtung, dass Flashback-Phänomene durch eine Vielzahl von psychoaktiven Substanzen
mit unterschiedlichem Wirkmechanismus induziert werden können, spricht dafür, dass
keine substanzspezifische und wahrscheinlich auch keine rezeptorspezifische Ätiologie
dieser Phänomene zugrunde liegt. Vielmehr scheint ein „ergotropes“ oder „trophotropes“
Exzitationssyndrom die wesentliche Voraussetzung der Möglichkeit von kurzzeitigen
Flashbacks zu sein [50]. In dieser Richtung kann auch die Ätiologie von Flashbacks im Gefolge von „Posttraumatischen
Stresszuständen“ gedeutet werden, da in diesen Fällen belastende „life events“ bzw.
ein „ergotroper“ Erregungszustand Flashbacks in Gang setzen können.
Bei der Vielfalt ätiologischer Ansätze bezüglich eines HPPD ergibt sich in den letzten
60 Jahren kein einheitliches Erklärungsmodell, sondern es muss eine von Fall zu Fall
unterschiedliche multifaktorielle Ätiopathogenese eines HPPD angenommen werden. Wie
die in [Tab. 4] beschriebenen Fälle zeigen, dürften vor allem die zugrunde liegenden psychiatrischen
Komorbiditäten (kombinierte Persönlichkeitsstörung, intrapsychische Reaktionsmuster
auf psychische Traumatisierung, Lerneffekte, Ich-Schwäche, chronisch schädlicher polyvalenter
Substanzkonsum, z. B. Alkohol, Cannabis, Kokain, sowie noch weitere unbekannte psychophysische
Vulnerabilitäten) als Variablen infrage kommen. [24]
[34].
Insbesondere Patienten mit traumatisierenden Erfahrungen und mit multipler Substanzkonsumstörung
manifestieren am häufigsten monate- bis jahrelang andauernde HPPD-Verläufe. Entsprechend
scheinen sich neurobiologische und psychotraumatische Ursachenfaktoren mit der Triggerwirkung
von LSD wechselseitig verstärkend zu kombinieren.
Viele Fallberichte wiesen darauf hin, dass Cannabis, Alkohol und Psychostimulanzien
HPPD triggern oder bedeutsam verschlechtern können [65]
[66]
[68]. Traumatisch erlebte „Bad Trips“ hängen häufig mit polytoxikomanem Substanzkonsum
in sozial belastender Umgebung zusammen und können zu schweren psychischen Störungen
und im Einzelfall zu HPPD führen.
Es bleibt insbesondere unklar, ob die in [Tab. 4] beschriebenen „erfolgreichen“ Behandlungen tatsächlich auf die Pharmakotherapie
oder auf den Spontanverlauf zurückzuführen sind. Nach Abraham soll es bei etwa der
Hälfte der Fälle mit HPPD innerhalb weniger Monate auch unter Verzicht auf eine Pharmakotherapie
zu einer Spontanremission kommen [68].
Halluzinogen-assoziierte Rauscherfahrungen können intensive Erinnerungen bewirken,
die durch psychologische (z. B. Hypnose, Meditation) und psychophysiologische sowie
umweltbezogene Trigger (z. B. Stimmungsinduktion durch Stress, Hyperventilation, Schlafentzug,
Musik, Dunkelheit) sowie durch heterogene pharmakologische Assoziationsträger (z. B.
Cannabis, MDMA, Ketamin, LSD) ein „ergotropes“ Erregungsniveau mit unerwartetem oder
bewusst angestrebtem Flashback auslösen können. Unter dem Einfluss halluzinogener
Substanzen und bei einem emotional stark belastenden Psychotrauma kann es zu zustandsabhängigen Lernprozessen kommen. F. H. Frankel verglich aus historischer Perspektive anhand von 55 Literaturquellen
substanzinduzierte Flashbacks mit Psychotrauma [74]. In den überprüften Fallberichten war die Beschreibung von Flashbacks in Bezug auf
Echtheit der visuellen Wahrnehmung sehr unterschiedlich. Zumindest schienen die Inhalte
der Flashbacks eher das Produkt der individuellen Phantasie als des objektiven Gedächtnisses zu
sein [74]. Selbstschilderungen und Selbstdiagnosen von Flashback-Phänomenen sind daher mit
Skepsis zu betrachten.
Was einen Zusammenhang zwischen Flashback-Phänomenen und veränderten Wachbewusstseinszuständen
(VWB) betrifft, so ist Dittrich [72] zuzustimmen, dass VWB eine Struktur mutueller Ähnlichkeiten bilden und unabhängig
von der Art ihrer Auslösung einen gemeinsamen invarianten Kern haben. So können ähnliche
Erfahrungen, wie sie unter Flashbacks vielfach berichtet wurden, auch unter sensorischer
Deprivation, Reizüberflutung, Hypnose, Meditation, hypnagogen und hypnopompen Zuständen auftreten.
Die in der Regel sehr kurz dauernden psychoaktiven Stimuli können nur einen auf wenige
Stunden begrenzten Flashback auslösen, was diesen von der überwiegenden Mehrzahl psychiatrischer
Störungsbilder klar unterscheidet.
Die klassifikatorische Gleichsetzung von Flashback-Pänomenen und HPPD ist nach ICD-10
und DSM-5 aufgrund der unterschiedlichen diagnostischen Merkmale und des völlig unterschiedlichen
Zeitverlaufs nicht mehr gerechtfertigt.
Es ist davon auszugehen, dass Flashback-Phänomene und HPPD als Nachwirkung von Halluzinogenkonsum
durch individuell unterschiedliche Ätiologien gekennzeichnet sein können. Neben HPPD-assoziiertem
Halluzinogenkonsum dürften Alkohol, der Konsum anderer illegaler Drogen, insbesondere
psychiatrische Komorbidität mit psychotraumatischen Erlebnissen in unterschiedlicher
individueller Gewichtung in einem Ursachengefüge zusammenwirken.