Dialyse aktuell 2015; 19(04): 223
DOI: 10.1055/s-0035-1552993
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ein Pro-Contra-Gespräch mit Prof. Paolo Raggi und Prof. Markus Ketteler – Sevelamer: Ab wann ist die Behandlung indiziert?

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Publication Date:
19 May 2015 (online)

 
 

Prof. Markus Ketteler, Coburg

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Prof. Paola Raggi, Toronto (Kanada)

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? Herr Prof. Ketteler, mit welchen Phosphatbindern würden Sie einen nicht dialysepflichtigen CKD-Patienten mit erhöhten Phosphatwerten behandeln?

Prof. Markus Ketteler: CKD-Patienten würde ich derzeit nur behandeln, wenn sie eine manifeste Hyperphosphatämie aufweisen, sonst nicht. Daten von Block et al. [ 1 ] und Hill et al. [ 2 ] zeigen, dass Patienten nicht von einer frühzeitigen Therapie profitierten. Bei hohen Phosphatwerten würde ich aber natürlich behandeln und als Erstlinientherapie auch mittlerweile eher zu kalziumfreien Präparaten neigen.

? Es ist etwas verwunderlich, dass Sie Patienten erst behandeln, wenn sie eine manifeste Hyperphosphatämie aufweisen… FGF-23 steigt als Frühmarker der gestörten Phosphatretention doch bereits eher an. Sollte man da nicht intervenieren?

Ketteler: Ich bin ein großer Fan von Makoto Kuro-o, der 2013 ein schönes Paper in „Nature Reviews Nephrology“ [ 3 ] veröffentlicht hat, das jedoch noch als rein hypothetisch zu bewerten ist. Darin schlägt er vor, FGF-23 zu messen und nur daran die Phosphatbindertherapie auszurichten. Seine Begründung: FGF-23 sei ein Surrogatparameter für die Phosphatbeladung pro Nephron – und je höher diese ist, desto toxischer sei dies für das Tubulointerstitium. Er führt an, dass phosphatgetriggerte, intratubulär gebildete sog. „Kalzium-Protein-Partikel“ (CPP) direkt die Tubuli schädigen und hohe Phosphatwerte somit auch die CKD-Progression vorantreiben. Dieser Prozess würde bereits mit dem Anstieg des FGF-23 und nicht erst mit dem Phosphatanstieg beginnen. Ich halte diese Theorie für potenziell plausibel, sie muss aber im Rahmen von RCTs beweisen werden.
In Bezug auf die Situation bei Dialysepatienten zeigte beispielsweise die EVOLVE-Studie [ 4 ], dass Patienten mit niedrigerem oder signifikant abgesenktem FGF-23 die beste Prognose hatten. Ich glaube, das FGF 23 zukünftig ein wichtiger Marker sein wird und mit Phosphatbindern wie Sevelamer können wir FGF-23 ebenfalls senken. Aber im Moment fehlt noch die klinische Evidenz dafür, dass, wie und v. a. ab welchem Spiegelbereich und in welchem CKD Stadium wir FGF-23 behandeln sollten.

? Wie sehen Sie das als Kardiologe, Herr Prof. Raggi? Wie wichtig ist die frühe Behandlung oder Prävention der Hyperphosphatämie im Hinblick auf das kardiovaskuläre Risiko?

Prof. Paolo Raggi: Ich denke, es ist offensichtlich, dass die Hyperphosphatämie – zumindest epidemiologisch betrachtet – negative Effekte hat und mit vaskulären Schäden sowie einem Anstieg der Gesamtmortalität assoziiert ist. Einige neuere Studien [ 5 ] legen das auch für die Allgemeinbevölkerung nahe, sogar normale bis hochnormale Werte waren risikoassoziiert. Ich denke zwar nicht, dass man bei der nierengesunden Bevölkerung die Phosphatwerte medikamentös senken sollte, stattdessen kann man mit Aufklärung arbeiten, sodass die Menschen weniger Phosphat zu sich nehmen. CKD-Patienten sind aber kardiovaskuläre Hochrisikopatienten – deswegen glaube ich, sollte man die Phosphatbindertherapie so früh wie möglich beginnen. Das zeigte auch die INDEPENDET-1-Studie [ 6 ], in der Patienten mit Phosphatbindern behandelt wurden, die noch keine Hyperphosphatämie entwickelt hatten. Das Ergebnis kennen wir und es spricht für eine frühe Intervention!

? Wie erklären Sie sich die positiven Effekte von Sevelamer auf die Gefäßgesundheit und auch auf die Mortalität, die in vielen Studien beobachtet wurden. Ist es allein die „Kalziumfreiheit“?

Ketteler: Meiner Ansicht nach ist das noch völlig unklar. Es mag daran liegen, dass wir die Patienten nicht zusätzlich mit Kalzium beladen. Es könnte aber auch an den vielen bekannten pleiotropen Eigenschaften liegen, an der Lipidsenkung, der Senkung des Harnsäurespiegels oder der Inflammationsparameter. Nicht zuletzt könnte auch die mit der Medikation verbundene FGF-23-Senkung eine Rolle spielen. Um das zu beantworten, müsste man eine Vergleichsstudie zwischen Sevelamer und einem kalziumfreien Phosphatbinder ohne diese vermeintlichen pleiotropen Effekte durchführen.

? Es gibt neben der Hyperphosphatämie noch andere Risikofaktoren. Welche sind das und wie schätzen Sie deren Stellenwert ein?

Raggi: Es gibt unzählig viele Faktoren, die die Morbidität und Mortalität von CKD-Patienten beeinträchtigen. Malnutrition, Inflammation, auch der Abfall von Klotho und der Anstieg von FGF-23, was den Alterungsprozess vorantreiben könnte …
Ketteler: Daher erscheint es sinnvoll, zwischen modifizierbaren und nicht modifizierbaren Risikofaktoren zu unterscheiden. Phosphat ist ein Faktor, auf den wir Einfluss nehmen können, ebenso die Mangelernährung. Da sollten wir also zunächst ansetzen.

! Vielen Dank für dieses Gespräch!

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main.
Das Interview führte Dr. Bettina Albers, Weimar.


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  • Literatur

  • 1 Block GA, Wheeler DC, Persky MS et al. Effects of phosphate binders in moderate CKD. J Am Soc Nephrol 2012; 23: 1407-1415
  • 2 Hill KM, Martin BR, Wastney ME et al. Oral calcium carbonate affects calcium but not phosphorus balance in stage 3-4 chronic kidney disease. Kidney Int 2013; 83: 959-966
  • 3 Kuro-o M. Klotho, phosphate and FGF-23 in ageing and disturbed mineral metabolism. Nat Rev Nephrol 2013; 9: 650-660
  • 4 EVOLVE Trial Investigators. Chertow GM, Block GA, Correa-Rotter R et al. Effect of cinacalcet on cardiovascular disease in patients undergoing dialysis. N Engl J Med 2012; 367: 2482-2494
  • 5 Kendrick J, Kestenbaum B, Chonchol M. Phosphate and cardiovascular disease. Adv Chronic Kidney Dis 2011; 18: 113-119
  • 6 Di Iorio B, Bellasi A, Russo D. INDEPENDENT Study Investigators. Mortality in kidney disease patients treated with phosphate binders: a randomized study. Clin J Am Soc Nephrol 2012; 7: 487-493

  • Literatur

  • 1 Block GA, Wheeler DC, Persky MS et al. Effects of phosphate binders in moderate CKD. J Am Soc Nephrol 2012; 23: 1407-1415
  • 2 Hill KM, Martin BR, Wastney ME et al. Oral calcium carbonate affects calcium but not phosphorus balance in stage 3-4 chronic kidney disease. Kidney Int 2013; 83: 959-966
  • 3 Kuro-o M. Klotho, phosphate and FGF-23 in ageing and disturbed mineral metabolism. Nat Rev Nephrol 2013; 9: 650-660
  • 4 EVOLVE Trial Investigators. Chertow GM, Block GA, Correa-Rotter R et al. Effect of cinacalcet on cardiovascular disease in patients undergoing dialysis. N Engl J Med 2012; 367: 2482-2494
  • 5 Kendrick J, Kestenbaum B, Chonchol M. Phosphate and cardiovascular disease. Adv Chronic Kidney Dis 2011; 18: 113-119
  • 6 Di Iorio B, Bellasi A, Russo D. INDEPENDENT Study Investigators. Mortality in kidney disease patients treated with phosphate binders: a randomized study. Clin J Am Soc Nephrol 2012; 7: 487-493

 
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