Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Artikel der vorliegenden Ausgabe haben einen überwiegend reise- und tropenmedizinischen
Bezug. Auch die Assistance- und Schifffahrtmedizin beschäftigen sich mit Menschen,
die trotz unterschiedlichsten Krankheitsbildern eines gemeinsam haben: Sie sind nicht
zu Hause. Es geht hier also nicht um Einheimisches.
Es lohnt immer wieder, sich Selbstverständliches ins Bewusstsein zu rufen, denn bei
näherer Betrachtung wäre Gesundheitsschutz im Ausland ja kein nennenswertes Problem.
Nun gut, es gibt entlegene Regionen, zu denen auch die hohe See gehört, in der eine
zeitnahe, adäquate medizinische Versorgung mit grundsätzlichen Schwierigkeiten verbunden
ist. Aber wenn wir von Schwierigkeiten in der medizinischen Versorgung in bestimmten
Gebieten der Welt sprechen, so meinen wir damit weniger die Abgeschiedenheit, sondern
leider eher die Unterentwicklung und damit vorherrschende Versorgungsstandards, die
gemessen an dem Gewohnten inakzeptabel sind.
Man kann mit großer Sicherheit annehmen, dass die Kommunikationsversorgung nach modernen,
globalen Standards in den Ländern unserer Erde deutlich besser ist als die Gesundheitsversorgung.
Wir nehmen das als selbstverständlich hin, obwohl es nicht zwingend logisch ist. Dort
wo Wissen über Datennetze und Fähigkeiten entlang internationaler Fluglinien rasch
verbreitet werden kann, wäre zu erwarten, dass der medizinische Standard in seiner
globalen Verfügbarkeit dem der Kommunikationsstandards entspricht. Dies zumal Gesundheit
ja mindestens ebenso wichtig wie der Kommunikationsaustausch ist. Tatsächlich ist
heutzutage für den Reisenden das Thema Kommunikation durch schlichtes Einpacken von
Notebook und Mobiltelefon gewöhnlich erledigt, während die Gesundheit umfangreicherer
Vorkehrungen bedarf, nicht nur aus klimatisch- geografischen Gründen, sondern oftmals
auch unter eben jenen Aspekten der Qualität und Verfügbarkeit der medizinischen Versorgung
vor Ort.
Der Vergleich der Standards macht deutlich, wie eng und untrennbar die Qualität der
medizinischen Versorgung mit der gesamtgesellschaftlichen Situation in einem Land
verknüpft ist. Es genügen eben nicht ein paar Funkmasten, Serverfarmen und Kabelstränge
sowie die Befolgung einer kulturfreien technischen Bedienungslogik, um die Versorgung
zu gewährleisten. Vielmehr bedarf es vorrangig geordneter staatlicher Strukturen und
vor allen Dingen des Friedens. Denn es geht ja nicht nur um die Behandlung von Erkrankten
sondern vielfältige Maßnahmen der Prävention, bei denen eher andere Wissenschaftsdisziplinen
denn die Medizin gefragt sind, um im Ergebnis einen nachhaltigen Gesundheitsschutz
zu gewährleisten.
Da die Welt nun mal so ist, wie sie ist, bleibt der mehrgleisige Ansatz, den auch
die Beiträge in diesem Heft reflektieren, auf absehbare Zeit unausweichlich. Die Medizin
hochentwickelter Länder muss vor Ort die Folgen der Unterentwicklung mildern helfen
und sich um eine Verbesserung der Situation bemühen, gleichzeitig aber auch Maßnahmen
treffen, um ihr Klientel als Reisende vor den Risiken eben dieser Unterentwicklung
zu bewahren. Dabei wird man auf genauso absehbare Zeit auch akzeptieren müssen, dass
es Menschen gibt, die Zugang zu zeitgemäßer Bandbreite ohne gleichzeitigen Zugang
zu vergleichbar entwickelter medizinischer Versorgung haben.
Mit freundlichen Grüßen aus Kiel
Ihr Dr. Stefan Neidhardt