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DOI: 10.1055/s-0035-1550298
Antibiotische Selbstbehandlung einer Reisediarrhö steigert Risiko – Unerwünschte Souvenire: ESBL-bildende Enterobacteriaceae
Publication History
Publication Date:
27 April 2015 (online)
Kantele A, Lääveri T, Mero S et al. Antimicrobials increase travelers’ risk of colonization by extended-spectrum betalactamase-producing enterobacteriaceae. Clin Infect Dis 2015; 60: 837–846
Thema: Multiresistente Bakterien, die als Kommensalen auf unserer Haut oder Schleimhaut siedeln, stellen in aller Regel beim Gesunden keine Bedrohung dar. Die Situation kann sich aber ändern, zum Beispiel wenn die natürliche Barrierefunktion von Haut und Schleimhäuten unterbrochen wird und/oder aufgrund von anderen Erkrankungen/Therapien die Immunabwehr geschwächt wird. Dieses Problem ist in unseren heimischen Krankenhäusern seit langer Zeit bekannt, Bundeskanzlerin Merkel hat den Kampf gegen multiresistente Erreger sogar auf die Agenda des kommenden G7-Gipfels im Juni auf Schloß Elmau gesetzt.
Doch multiresistente Erreger spielen nicht nur in unserem hoch spezialisierten Gesundheitssystem eine Rolle, in dem eine antibiotische Behandlung eher zu früh als zu spät eingesetzt wird. In den letzten Jahren wurde in einer zunehmenden Zahl wissenschaftlicher Untersuchungen gezeigt, dass multiresistente Erreger auch in Gebieten mit insgesamt unzureichender gesundheitlicher Versorgung auf dem Vormarsch sind. Bereits in der Vergangenheit konnte die Einschleppung von Bakterien mit Antibiotikaresistenzen international Reisenden zugeordnet werden (Beispiel New-Delhi-Metallobetalaktamase).
Welche Bedeutung also haben importierte Antibiotikaresistenzen in der Reisemedizin – nicht nur für den Individualreisenden, sondern auch für eine potenzielle Zirkulation in Gesundheitseinrichtungen hierzulande?
Projekt: Zu diesem Thema hat Anu Kantele von der Universität Helsinki eine aufschlussreiche Studie im Journal Clinical Infectious Diseases publiziert. Sie schloss 526 finnische Reisende in die Studie ein, um Stuhlproben vor und nach Reisen außerhalb Skandinaviens in Bezug auf das Vorhandensein von ESBL- oder karbapenemasebildender Enterobacteriaceae zu vergleichen.
Ergebnis: Bei keinem der 430 Reiserückkehrer, bei denen vor Abreise keine entsprechenden Bakterien im Stuhl nachweisbar waren, konnte eine Neubesiedelung mit Karbapenemasebildnern festgestellt werden.
Hingegen fanden sich bei 90 Rückkehrern (21 %) ESBL-bildende Keime. Als besonderer Risikofaktor für eine ESBL-Besiedlung stellte sich das Auftreten einer Reisediarrhö beziehungsweise eine antibiotische Behandlung auf Reisen heraus. Mit 37 % ESBL-Besiedlung war das Risiko sogar am höchsten bei solchen Reisenden, bei denen beide Risikofaktoren vorhanden waren, Reisenden also, die wegen einer Reisediarrhö ein Antibiotikum eingenommen hatten.
Das Risiko für den Erwerb eines ESBL-bildenden Keimes war mit Abstand am größten in Südasien beziehungsweise Südostasien: Bei aus diesen Regionen Zurückkehrenden fanden sich bei 80 % beziehungsweise 69 % ESBL-positive Bakterien im Stuhl, wenn aufgrund einer Reisediarrhö eine antibiotische Behandlung erfolgt war. Aber auch bei Reiserückkehrern aus Subsahara-Afrika ließ sich nach antibiotischer Behandlung einer Reisediarrhö immerhin noch bei fast jedem dritten (28 %) ein ESBL-Keim nachweisen.


Diese Zahlen mahnen, vorsichtig, wenn nicht zurückhaltend mit dem Verschreiben von Antibiotika zur notfallmäßigen Selbsttherapie bei Reisedurchfall umzugehen. Eine unkomplizierte Reisediarrhö lässt sich beim ansonsten Gesunden praktisch immer durch supportive Maßnahmen beherrschen, die insbesondere wenn Mitreisende zugegen sind auch in aller Regel angewandt werden können. Antibiotika zur notfallmäßigen Selbstbehandlung sollten bevorzugt Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen empfohlen werden, gehören in jedem Fall tief in den Reisekoffer gepackt, eine entsprechende Aufklärung ist unabdingbar. Alarmzeichen für eine komplizierte Reisediarrhö sind blutige Stühle (Achtung: gegen Amöbenruhr helfen übliche Reisediarrhö-Antibiotika nicht), das gleichzeitige Auftreten von Fieber (Achtung: Malaria ausschließen) und Beschwerden einer ausgeprägten Enteritis. Für keine der üblicherweise rezeptierten Antibiotika wie Ciprofloxacin oder Azithromycin kann eine Unbedenklichkeit hinsichtlich der Selektion von multiresistenten Keimen ausgestellt werden.
Die Thematik multiresistente Keime wird zukünftig sicherlich auch in der Reisemedizin verstärkt Aufmerksamkeit erfahren (müssen). In einer kürzlich publizierten multizentrischen Untersuchung aus Deutschland bestätigten sich Anu Kanteles Befunde insofern, als dass bei Reisenden nach Asien, Afrika und Südamerika die gastrointestinale Besiedlung mit ESBL-Bildnern anstieg, von knapp 7 % (vor Abreise) auf über 30 % (in zuvor ESBL-negativen Reisenden) [ 1 ]. Neben den klassischen Reisendenpopulationen Touristen, Geschäftsreisende und sogenannten VFRs (Visiting Friends and Relatives) wird dabei wohl auch Migranten und insbesondere dem sogenannten Medizintourismus eine wichtigere Bedeutung zukommen. In letzterem Fall sind nicht selten die Reisenden selbst insofern von Infektionen mit multiresistenten Keimen betroffen, dass sich an (günstig) im Ausland erworbene medizinische Leistungen langwierige und kostspielige antiinfektive Behandlungen im Heimatland anschließen.
PD Dr. Jakob P. Cramer, Hamburg/Zürich
Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit
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Literatur
- 1 Lübbert C, Straube L, Stein C et al. Colonization with extended-spectrum beta-lactamase-producing and carbapenemase-producing Enterobacteriaceae in international travelers returning to Germany. Int J Med Microbiol 2015; 305: 148-156
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Literatur
- 1 Lübbert C, Straube L, Stein C et al. Colonization with extended-spectrum beta-lactamase-producing and carbapenemase-producing Enterobacteriaceae in international travelers returning to Germany. Int J Med Microbiol 2015; 305: 148-156


