Aktuelle Rheumatologie 2015; 40(06): 443
DOI: 10.1055/s-0035-1548750
Editorial
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Nichtmedikamentöse Therapie rheumatischer Erkrankungen

Non-drug Therapy for Rheumatic Diseases
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Publication Date:
15 December 2015 (online)

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Prof. Dr. med. habil. Gernot Keyßer

Die Rheumatologie hat sich in den letzten Jahren in vielen Punkten gewandelt. Neue Erkenntnisse zu konventionellen Basistherapien wie MTX, die Einführung der Biologika und die Ausrichtung der Behandlung auf definierte und validierte Erfolgskriterien haben dazu beigetragen, dass die Krankheitslast und das Ausmaß akkumulierter Schäden bei Patienten mit entzündlichen Gelenkerkrankungen signifikant zurückgegangen sind.

Diese Erfolge verschoben auch die Wichtung einzelner Seiten der antirheumatischen Therapie. Die Häufigkeit mancher operativer Eingriffe ging in der letzten Dekade deutlich zurück, allen voran die Zahl der Synovektomien. Häufigkeit und Dauer von Krankenhausaufenthalten von Rheumapatienten sanken ebenfalls messbar. Ein relevanter Anteil von Patienten mit entzündlichen Gelenkerkrankungen erreicht heute allein mit einer medikamentösen Therapie eine Vollremission und nimmt weder Schmerztherapien noch in wesentlichem Ausmaß physikalische Maßnahmen in Anspruch.

Auf der anderen Seite haben nicht-medikamentöse Komponenten der Rheumatherapie ihre Bedeutung nicht verloren. Patienten wollen immer häufiger den Behandlungsprozess aktiv mitgestalten. Die Ansprüche von Rheumapatienten an die Ergebnisse einer Therapie sind parallel mit den Möglichkeiten gestiegen. An die Stelle des Wunsches nach Schmerzlinderung und nach einem erträglich gestalteten Krankheitsprozess ist der Wunsch nach vollständiger Teilhabe am sozialen und Erwerbsleben getreten. Der moderne Begriff des „Patient reported outcome“ (PRO) illustriert, dass der persönliche Eindruck des Patienten von seinem eigenen Befinden und von der Verträglichkeit und Wirksamkeit seiner Medikamente eine wichtige Komponente des Therapieerfolgs darstellt. Das Bestreben des Patienten, die Therapie aktiv mit zu gestalten, richtet sich oft auf Fragen der Lebensweise und Ernährung, auf Fragen der körperlichen Fitness. Daher sind eine qualifizierte Ernährungsberatung und eine kompetente, auf die Aktivität des Patienten gerichtete physiotherapeutische Betreuung wichtige und zeitgemäße Instrumente der Krankheitsbewältigung.

Dazu kommt, dass die Analyse der Komorbidität von Rheumapatienten in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht hat. Die Erkenntnis hat sich durchgesetzt, dass entzündliche Gelenkerkrankungen einen eigenständigen Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen bilden und Herz- und Kreislauferkrankungen bei Rheumatikern anders – oft komplizierter – verlaufen können. Eine Betreuung der Betroffenen ist nur vollständig, wenn diese Facetten im Therapiekonzept Berücksichtigung finden. Dies geschieht z. B. durch die Betonung körperlicher Ertüchtigung (und damit der kardiovaskulären Leistungsfähigkeit) durch aktive Physiotherapie, durch Trainings- und Fitnessprogramme. Auch die Sicherung der Gehfähigkeit durch qualifizierte Schuhzurichtungen trägt zum Erhalt der Mobilität bei und verringert das Gefäßrisiko. Im gleichen Sinne muss eine Ernährungsberatung auf die Prophylaxe von Begleiterkrankungen abzielen.

Moderne Medizin kann manchmal Ängste erzeugen. Mediziner, denen unter Zeitdruck eine umfassende Aufklärung des Patienten nicht gelingt, Medikamente mit fremdklingenden Namen und langen, manchmal beängstigenden Beipackzetteln: Das weckt in manchem Patienten die Sehnsucht nach einer einfachen Medizin mit nachvollziehbarem theoretischen Gerüst und sanften Heilmitteln. Vielfältige Angebote in Illustrierten, im Internet und von mehr oder weniger qualifizierten Spezialisten versprechen „Heilung“ ohne Nebenwirkungen, oft auf pflanzlicher Basis und ohne „Chemie“. Dem Patienten hier erprobte und wirksame Methoden anzubieten, ist die Aufgabe einer seriösen Naturheilkunde, die in der Hand des Kundigen sehr erfolgreich sein kann. Daher ist auch dieser Zweig der Medizin eine wichtige Komponente der nichtmedikamentösen Behandlung rheumatischer Krankheiten.

Die Versorgung von Rheumakranken ist in diesem Land in regionalen, kooperierenden Rheumazentren organisiert. Dies geschah immer auch in dem Bestreben, Spezialisten für die wichtigen nichtmedikamentösen Therapieverfahren in das Behandlungsteam einzubinden. Nur mit ihnen gelingt eine umfassende, die Prognose der Betroffenen verbessernde Betreuung von Rheumakranken.

Ihr
Gernot Keyßer