Dialyse aktuell 2015; 19(01): 21-22
DOI: 10.1055/s-0035-1546352
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zukunft der Dialyse – Welche Auswirkungen haben Veränderungen bei Patienten und Ärzten?

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Publication Date:
09 February 2015 (online)

 
 

In den letzten Jahren hat sich die Situation zur Behandlung dialysepflichtiger Patienten in Deutschland sowohl aus Sicht der betroffenen Menschen als auch aus Sicht der behandelnden Nephrologen deutlich gewandelt. Obwohl keine verlässlichen Daten aufgrund aktuell unvollständiger Erfassungen – insbesondere aufgrund der fehlenden Erfassungen im Bereich der Krankenhausdialyse – vorliegen, ist doch davon auszugehen, dass ca. 90 000 Patienten jährlich ein Nierenersatzverfahren benötigen.

Hochrechnungen des Berliner IGES Institutes im Auftrag der Firma Baxter [ 1 ] ergaben, dass diese Zahl bis zum Jahre 2020 auf ca. 100 000 ansteigen könnte. Diese Zahlen wurden allerdings vom Verband der Nierenzentren sehr infrage gestellt, da anhand der aktuellen Zahlen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) [ 2 ] in den Jahren von 2008–2010 lediglich ein Anstieg der berichteten Fälle von 72 000 auf rund 82 000 zu verzeichnen war. Seit dem Jahre 2010 ist die Zahl der berichteten Fälle auf diesem Niveau stabil. Zusätzlich zeigte sich, dass die Zahl der neuen, in das Dialyseprogramm aufgenommenen Patienten von 5516 im Jahre 2010 auf 4624 im Jahre 2013 abgenommen hat. Lediglich der Anteil der Patienten mit über 75 Lebensjahren blieb stabil bei knapp über 35 %.

Daten müssen zusammengetragen werden

Da ein bundesweites Register fehlt und die Zahlen auf Daten beruhen, die die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) aus den Abrechnungsdaten in den Regionen zusammenträgt und damit z. B. auch sog. Gastdialysen enthalten sind, liegt die tatsächliche Patientenzahl vermutlich niedriger. Tatsächlich kann ein Patient leicht zu mehreren abgerechneten Fällen führen – im einfachsten Fall, wenn er ad hoc eine andere Dialysepraxis aufsucht. In keine dieser Erhebungen gehen zum jetzigen Zeitpunkt die an den Krankenhäusern erbrachten Dialysebehandlungen ein.

Die Zahl der Dialyseeinrichtungen ist demgegenüber mit rund 430 in den letzten Jahren nahezu konstant geblieben. Die überwiegende Anzahl der ambulanten Patienten werden in privaten Praxen von niedergelassenen Ärzten behandelt. Ca. 10 % der Dialysepatienten werden dabei nach Zahlen, die v. a. der Industrie vorliegen, aktuell in Zentren industrieller Anbieter (Fresenius Medical Care, Dia-Vita, Diaverum, B.Braun-Avitum) dialysiert. Die Zahl der ambulanten Dialyseeinrichtungen, die zusammen mit oder über einen sog. industriellen Anbieter die Dialyse anbieten, hat insbesondere nach Ankündigung der Absenkung der Sachkostenpauschale deutlich zugenommen.


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Herausforderung Nachwuchs

Gerade in dem Bereich der niedergelassenen Kollegen bestehen zudem die Herausforderungen, junge Kollegen nicht nur als Angestellte, sondern als Partner zu gewinnen. Die Erwartungen vieler Hochschulabgänger an ihr berufliches Leben ist heute geprägt von einer deutlich abnehmenden Bereitschaft, die berufliche Tätigkeit gegenüber Familie und Freizeit zu priorisieren. Nicht nur aufgrund des höheren Anteils an Frauen, sondern insgesamt unter den jungen Medizinern, besteht immer häufiger der Wunsch nach Teilzeitarbeit oder Unterbrechungen der Karriere zugunsten von Kindern und Familie. Dies geht mit einer eher geringeren Bereitschaft einher, wirtschaftlich aktuell ein schwer zu kalkulierendes Risiko, z. B. durch die Übernahme einer Dialysepraxis, einzugehen. Letzteres wiederum beeinflusst das bisher gängige Modell der Altersversorgung vieler niedergelassener Nephrologen, das weitestgehend auf der Weitergabe der Praxis basiert.


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Neue Rahmenbedingungen

Zusammenfassend haben wir eine stagnierende bzw. nur leicht steigende Anzahl von chronisch dialysepflichtigen Patienten in Deutschland mit einem überwiegenden Zuwachs im Bereich der alten bis sehr alten Patienten und hier nach [ 3 ] eine Zunahme der Frauenzahl (Abb. [ 1 ]).

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Abb. 1 Prozent Männer und Frauen an der Dialyse nach Alter (Quartal 4/2013).
nach [ 3 ]

Parallel dazu haben wir sich langsam verändernde Strukturen auf Seiten der Ärzte mit einer Zunahme der Zahl vor allem weiblicher Facharztabsolventen (mit entsprechend anderen Erwartungen/Erfordernissen an die berufliche Situation). Dieser demografischen Entwicklung muss sowohl vonseiten der Nephrologie, als auch vonseiten der Kostenträger, Rechnung getragen werden.

Auch die Gesellschaft sollte diesbezüglich informiert werden, da zusätzlich mit dem stattgehabten Skandal im Bereich der Transplantation ein deutlicher Rückgang der Zahl an Nierentransplantationen in den letzten 2 Jahren zu verzeichnen war. Damit kann die Nierentransplantation – als eine weitere und beste Form der Nierenersatztherapie – zunehmend seltener angeboten werden. Dieser Rückgang bedeutet für die Patienten auf der Warteliste, dass sie zunehmend länger warten müssen, auf der Warteliste sterben oder nicht mehr transplantabel sind. Und auch die Patienten, die neu auf die Warteliste aufgenommen werden sollen, müssen die Situation mit ihren behandelnden Ärzten sorgfältig besprechen. Auf der Warteliste zu stehen, bedeutet eine nicht unerhebliche psychische Belastung, da der Patient immer auf Abruf ist. Die Zahl der Anmeldungen auf die aktive Warteliste hat in den letzten beiden Jahren ebenso wie die der Transplantationen nachgegeben (Abb. [ 2 ]).

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Abb. 2 Die Zahl der Anmeldungen auf die aktive Warteliste ist in Deutschland in den letzten beiden Jahren gesunken.
nach [ 4 ]

Diesen veränderten Versorgungsbedürfnissen gilt es Rechnung zu tragen. Individuelle, auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnittene Versorgungskonzepte sowie eine sektorübergreifende Koordination und Vernetzung aller Beteiligten sind mehr denn je gefordert.


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Sachkosten

Die Kosten der Dialysebehandlung sind nur zu einem kleineren Anteil ärztliche Honorare. Dem stehen hohe Sachkosten und weitere, zusätzlich durch Verordnungen entstehende Leistungsausgaben wie z. B. Arzneimittel, Heil- und Hilfsmittel sowie Krankentransporte gegenüber.

Zu den wichtigsten Produkten im Dialysemarkt zählen Dialysatoren, Hämo-dialysegeräte, Konzentrate und Dialyselösungen sowie Produkte für die Peritonealdialyse. Fresenius Medical Care ist im Dialyseproduktgeschäft mit einem Marktanteil von rund 33 % weltweit das führende Unternehmen, gefolgt von Baxter mit 19 % und Gambro mit 12 %. Somit versorgen diese 3 Hersteller ca. 64 % des Marktes, gemessen am Umsatz. Die Anteile der übrigen mehrheitlich japanischen Anbieter liegen jeweils im einstelligen Prozentbereich [ 5 ].

Die hohen Sachkosten für die gesetzliche Krankenversicherung sorgen für eine regelmäßige Diskussion zur angemessenen Erstattungshöhe, da der konzentrierte Markt bei lange eingeführten Produkten erfahrungsgemäß Spielraum für sinkende Herstellungskosten bietet und die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) entsprechend ihres Wirtschaftlichkeitsauftrages im Interesse der Versicherten gezwungen ist, jedes Effizienzpotenzial zu nutzen. Dies führte 2013 zu einem deutlichen Absenken der Sachkostenpauschale für Dialysebehandlungen und hat in Deutschland eine breite Diskussion sowohl bei betroffenen Patienten als auch bei Dialyseanbietern ausgelöst.


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Lösungen

Da die Nierenersatztherapie in Deutschland als zentrales Element die ärztliche Kompetenz und Leistung vorsieht und dieser Wirkungsbereich nicht gefährdet werden darf, benötigen Nephrologen zukünftig noch umfangreichere begleitende Unterstützung im Hintergrund, um sich vordringlich ihrer eigentlichen Kernaufgabe, der Patientenversorgung, nachhaltig widmen zu können. Dies wird in Zukunft aus Sicht vieler Beteiligten nur durch eine sehr viel stärkere Verzahnung zwischen stationären und ambulanten Nephrologen und durch eine Einbeziehung auch nicht ärztlicher Berufsgruppen in die Dialysebehandlung möglich sein.

Die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) hat diesen Entwicklungen bereits Rechnung getragen und sich innerhalb der Gesellschaft mit Themen wie z. B. „Initiative Nierentransplantation – 6-Punkte Programm (in Absprache mit den Patientenverbänden)“, „Themendiskussion: Delegation ärztlicher Leistungen in der Dialyse (in Absprache mit den Fachpflegeverbänden)“, Gründung der Kommission Frau und Niere und Initiierung eines Zertifizierungsprogrammes für Nephrologische Schwerpunktkliniken sowie nephrologische Schwerpunktabteilungen (http://www.dgfn.eu/aerzte/zertifizierung.html) an viele der auf die Nephrologen zukommenden Probleme herangewagt und entsprechende Lösungsansätze erarbeitet.

Prof. Dr. Christiane Erley, Berlin


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Abb. 1 Prozent Männer und Frauen an der Dialyse nach Alter (Quartal 4/2013).
nach [ 3 ]
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Abb. 2 Die Zahl der Anmeldungen auf die aktive Warteliste ist in Deutschland in den letzten beiden Jahren gesunken.
nach [ 4 ]