RSS-Feed abonnieren
DOI: 10.1055/s-0034-1398002
Neonataler Diabetes mellitus – Klinisches Management profitiert von frühzeitiger genetischer Testung
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
10. November 2015 (online)
Hintergrund: Bei etwa einem von 100 000 Kindern wird innerhalb der ersten 6 Lebensmonate ein neonataler Diabetes mellitus diagnostiziert. Das individuelle therapeutische Vorgehen variiert hierbei in Abhängigkeit vom zugrunde liegenden genetischen Subtyp dieser heterogenen Erkrankung. Die unterschiedlichen phänotypischen Manifestationen dieser Störung sind auf 21 verschiedene Genmutationen und eine DNA-Methylierungsanomalie zurückzuführen. Mit Hilfe der modernen DNA-Sequenzierungstechnologien, die die simultane Analyse einer Vielzahl von Genen ermöglichen, kann der für die Erkrankung ursächliche Gendefekt schnell und effektiv identifiziert werden. Die britische Arbeitsgruppe des „Institute of Biomedical and Clinical Science“ an der Universität von Exeter hat untersucht, inwiefern eine frühzeitige genetische Diagnostik das klinische Management von Patienten mit Neugeborenendiabetes beeinflusst.
Methoden: Im Rahmen einer internationalen Kohortenstudie wurden zwischen 2000 und 2013 1020 Kinder (571 Jungen, 449 Mädchen) mit einer Krankheitsmanifestation innerhalb der ersten 6 Lebensmonate bezüglich des zugrunde liegenden Gendefekts untersucht. Hierbei kamen die Sequenzierung nach Sanger, die Next-Generation-Sequencing-Technologie sowie die Methylierungsanalyse des Genlocus 6q24 zum Einsatz.
Ergebnisse: Bei 840 Kindern (82 %) konnte der kausale Gendefekt identifiziert werden. Bei den Kindern konsanguiner Eltern wurden signifikant häufiger rezessive Genmutationen detektiert als bei den Kindern nicht konsanguiner Eltern (158/195; 81 % vs. 81/645; 13 %; p < 0,0001). In nicht konsanguinen Familien wurden vorwiegend heterozygote dominante Mutationen gefunden (457/645; 71 %). Mutationen der Kaliumkanal-Gene wurden bei 390 Patienten detektiert (nicht konsanguine vs. konsanguine Familien: 46 vs. 12 %; p < 0,0001). Bei den Kindern konsanguiner Eltern wurde am häufigsten (56/230; 24 %) eine Mutation des für das Wolcott-Rallison-Synrom ursächlichen Gens EIF2AK3 detektiert. Das mediane Zeitintervall zwischen der Diabetesmanifestation und der genetischen Testung nahm während des Studienzeitraums von > 4 auf < 3 Monate ab. Kinder mit früher bzw. später genetischer Diagnosestellung hatten deutliche Unterschiede hinsichtlich der phänotypischen Ausprägung der Erkrankung. So ließen sich beispielsweise bei den spät getesteten Kindern mit Wolcott-Rallison-Syndrom signifikant häufiger bereits nicht-diabetische Krankheitsmanifestationen nachweisen als bei den zeitnah untersuchten Kindern (p < 0,0001).
Das beschriebene Testverfahren, so die Autoren, stellt einen Paradigmenwechsel beim Management genetisch heterogener Erkrankungen dar. Während bisher genetische Tests lediglich zur Bestätigung der klinischen Diagnose herangezogen werden konnten, erlaubt die moderne, breit angelegte genetische Testung eine Diagnose der kausalen Mutation vor dem Auftreten krankheitsspezifischer Symptome, ermöglicht eine frühzeitige Prädiktion des klinischen Krankheitsverlaufs und erleichtert das therapeutische Management der betroffenen Patienten. So kann beispielsweise bei Kindern mit einer Mutation der Kaliumkanal-Gene, der häufigsten Ursache für einen Neugeborenendiabetes, durch eine Umstellung der medikamentösen Therapie von Insulin auf die hochdosierte orale Gabe von Sulfonylharnstoffen eine deutliche Verbesserung der Blutzuckerkontrolle sowie der neurologischen Begleitsymptome erreicht werden.
Dr. Judith Lorenz, Künzell
#