Z Gastroenterol 2015; 53(10): 1204
DOI: 10.1055/s-0034-1397972
Nachruf
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nachruf auf Prof. Dr. Rudolf W. Ammann (1926–2015)

Markus M Lerch
,
Rolf Graf
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Publication Date:
21 October 2015 (online)

Am 24. Juni 2015 verstarb Prof. Dr. Rudolf (Ruedi) Ammann im Alter von 90 Jahren in seiner Heimatstadt Zürich. Der international renommierte Arzt und Wissenschaftler wurde 1994 an der Universität Zürich emeritiert und war Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten.

Ruedi Ammann wurde als drittes von vier Kindern in Zürich geboren und wuchs im gleichen Kanton auf. Nach dem Medizinstudium in Zürich und Paris legte er 1951 sein Staatsexamen ab. Zunächst trat er eine Assistenzarztstelle am Züricher Pathologischen Institut bei Hans von Meyenburg, dem Schwiegervater von Max Frisch, an. Dieser ermunterte ihn zu einem Forschungsaufenthalt an der Klinik von Henry Bockus in Philadelphia (1956–1958), einem Schüler von Max Einhorn, der nach dem 2. Weltkrieg die führende gastroenterologische Klinik und das erste Facharztweiterbildungscurriculum für Gastroenterologen in den USA etabliert hatte. Während dieses Forschungsaufenthaltes fiel die Entscheidung Gastroenterologe zu werden. Nach der Rückkehr nach Zürich beschäftigte sich Ruedi Ammann zunächst wissenschaftlich mit der Entwicklung von Pankreasfunktionstests zum Nachweis der exokrinen Pankreasinsuffizienz. An der damaligen Poliklinik für Innere Medizin baute er eine Abteilung für Gastroenterologie auf, aus der inzwischen eine eigenständige Klinik hervorgegangen ist. An der Medizinischen Fakultät wurde er 1974 zum Extraordinarius und 1988 zum ersten Ordinarius für Gastroenterologie berufen. Die Fakultät, der er zwei Jahre als Dekan diente, schilderte er seinen Kindern gelegentlich als „Haifischbecken“. Seine Forschung, die ihn international bekannt gemacht hat, befasste sich in erster Linie mit dem Fuchsbandwurm und der Pankreatitis. Bereits in den 1970er Jahren wies er auf die möglichen vaskulären Ursachen der chronischen Pankreatitis im höheren Lebensalter hin und postulierte die chronische Pankreatitis als Risikofaktor für ein Pankreaskarzinom. Letztere Hypothese belegte er an 2015 Patienten gemeinsam mit Al Lowenfels, Paul Lankisch und anderen internationalen Partnern in einer Studie, die 1993 im New Engl J of Medicine erschien. Diese Langzeitbeobachtung belegte ein kumulatives Risiko für ein Pankreaskarzinom bei Patienten mit chronischer Pankreatitis von 1,8 % nach 10 Jahren und von 4 % nach 20 Jahren und wurde inzwischen über 1400 mal zitiert. Ein weiterer „Citation classic“ ist seine über 20 Jahre angelegte Langzeitstudie an 245 Patienten mit chronischer Pankreatitis, die in Gastroenterology 1984 veröffentlicht wurde. Hier zeigte er, dass die Schmerzsymptomatik bei Patienten mit chronischer Pankreatitis in 85 % nach fünf Jahren kein klinisches Problem mehr darstellt und die Schmerzintensität mit dem Grad der exokrinen Pankreasinsuffizienz und der Pankreasverkalkung abnimmt. Die Beobachtung, dass am Pankreas operierte Patienten die gleiche Schmerzreduktion erfahren wie Patienten ohne Operation, hat ihn zu einem energischen Gegner der Pankreaschirurgie bei chronischer Pankreatitis gemacht. Diese Einschätzung fand naturgemäß bei chirurgischen Kollegen nicht nur ungeteilte Zustimmung, war aber auch bei Autoren, die im Langzeitverlauf der chronischen Pankreatitis noch starke Schmerzen bei ihren Patienten dokumentierten, nicht unumstritten. Seine histologischen Langzeituntersuchungen mit den Pathologen Günter Klöppel und Philipp Heitz, die Autopsien und Resektionspräparate nutzten, belegten, dass die schwere akute Pankreatitis auch in eine chronische Erkrankung übergehen kann. In der ersten multizentrischen europäischen Therapiestudie zu akuten Pankreatitis, die randomisiert und placebo-kontrolliert den Einsatz von Lachs-Calcitonin untersucht hat (H. Goebell et al. Scand J Gastroenterol 1979), ließ sich zwar kein Vorteil für den Einsatz des Calcitonins belegen, Ruedi Ammann gelang es aber die intravenöse Gabe des Lokalanästhetikums Procain für alle Patienten (Verum und Placebo) zur Standardbasistherapie gegen Schmerzen bei akuter Pankreatitis in das Protokoll einzufügen. Hierdurch fand dieser Ansatz im deutschen Sprachraum weite Verbreitung, blieb aber im nicht-deutschsprachigen Ausland bis heute weitgehend unbekannt. Alle seine Untersuchungen basierten auf sehr exakten klinischen Beobachtungen an einer großen Zahl treuer Patienten, die er zum Teil über Dekaden in Zürich klinisch begleitet und behandelt hatte. 1978 richtete er als Präsident den European Pancreatic Club in Zürich aus. Seine Arbeit wurde mit vielen Wissenschaftspreisen, Auszeichnungen und Ehrenmitgliedschaften geehrt. Unter anderem wurde ihm der Lifetime Achievement Award des EPC und die Ehrenmitgliedschaft der DGVS verliehen.

Seine Freizeit verbrachte Ruedi Ammann am liebsten mit seinen beiden Kindern und seiner Frau Mariann, die ihn 1959 nach einem zweiten Heiratsantrag ehelichte, obwohl sie sich als Tochter eines Hochschuldozenten geschworen hatte, nie einen Professor zu heiraten. Die gemeinsame Zeit verbrachte man am liebsten im Familienchalet auf der Planalp im Berner Oberland, ohne fließendes Wasser und Strom, dafür aber auch ohne Telefonanschluss. Er wünschte sich die Erwähnung in seinem Nachruf nie ein Natel (Handy) besessen zu haben. Neben ausgedehnten Bergwanderungen und einer Liebe zur Belletristik bemühte er sich mit großem Engagement, seinen drei Enkelkindern nicht nur das Bogenschießen, sondern auch ‚richtiges Züridütsch‘, den lokalen Dialekt, beizubringen. Nach seiner Emeritierung 1994 führte er seine Langzeituntersuchungen zur Pankreatitis fort und seine letzte Publikation erschien 2014.

Seine Lebensbilanz fasste er vor zehn Jahren wie folgt zusammen: „In großer Dankbarkeit gegenüber meiner Familie, meinen vielen Mitarbeitern, der großen Zahl treuer Kollegen und einer Vielzahl guter Freunde kann ich auf ein interessantes, facettenreiches und erfülltes Leben zurückblicken, das in vielen Beziehungen nach dem Motto meines Vaters ‚per aspera ad astra‘, über raue Wege zu den Sternen, verlief, und in dem die Göttin des Glücks, die ‚Fortuna‘, vorwiegend zu meinen Gunsten mitwirkte.“ Die Gastroenterologie verliert mir Ruedi Ammann einen passionierten Pfeifenraucher, einen ihrer führenden Pankreatologen und einen scharfsinnig kritischen Wissenschaftler.

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Rudolf W. Ammann