Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2014; 21(06): 300-301
DOI: 10.1055/s-0034-1397309
DTG-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Brief aus Liberia

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Publication Date:
08 January 2015 (online)

 

    Liebe Mitglieder und Freunde der DTG,

    diesmal schreibe ich Ihnen aus Monrovia, Liberia, das ich nun schon zum zweiten Mal innerhalb eines Monats als Mitglied des gemeinsamen Teams der Bundeswehr und des DRK in der Ebolakrise erlebe. Während noch vor 4 Wochen alle Prognosen sehr düster und beunruhigend waren, hat sich seit Mitte Oktober doch eine erfreuliche Verbesserung der epidemiologischen Situation ergeben: Die Zahl der täglichen mittels PCR bestätigten Neuinfektionen und die Zahl der täglich von den Teams der WHO und des sehr engagiert arbeitenden lokalen Roten Kreuzes eingesammelten Toten, die dann auf sichere Art – ja , was – entsorgt?, beseitigt?, – werden (hier ist ein Wort so schrecklich wie das andere), ist rückläufig und die vielen in den letzten Wochen neu erbauten oder erweiterten Ebola-Treatment-Units stehen leer oder sind nur gering belegt; selbst die große, als ELWA 3 bezeichnete Anlage von MSF, die seit Beginn des Ausbruches hier die Hauptarbeit übernommen hatte – mit bis zu 800 Mitarbeitern und mehr als 200 Patienten täglich – ist nur gering belegt, was allen eine Atempause gewährt.

    Ob diese nur eine trügerische Unterbrechung der Dynamik des Ausbruchs ist oder ein Zeichen der echten Infektionskontrolle durch die eingeleiteten Maßnahmen, ist unklar und wird sich auch erst in den nächsten Wochen zeigen – die Befürchtung, dass noch immer Patienten in den Familien gepflegt und nach traditionellem Ritus mit intensivem Kontakt zur Leiche und damit großer Infektionsgefahr für die Beteiligten erdbestattet werden, ist noch immer groß. Allerdings zeigen jetzt auch die vielen Öffentlichkeitskampagnen – überall kleben Plakate zum Thema Ebola, sind Wandmalereien, Eimer mit Chlorlösung stehen vor allen öffentlichen Einrichtungen und überall finden Temperaturmessungen mit Distanzthermometern statt, an deren Präzision vor allem bei Messung im Freien ich so meine Zweifel habe – ihre Wirkung. Die Menschen in Monrovia lassen sich so langsam davon überzeugen, dass Ebola kein Fluch ist, keine gottgewollte Strafe und auch keine Erfindung oder Ausbringung der US-Amerikaner, um Menschenexperimente zu machen oder die Chinesen aus dem Land zu drängen – dies alles waren in der unzensierten Presse veröffentlichte Gedankenspiele, die anfangs bei vielen auf fruchtbaren Boden fielen und so eine sachliche Aufklärungskampagne erschwerten. Der deutliche Antiamerikanismus ist umso erstaunlicher, da doch so viele Liberianer enge Verbindung zu den USA und häufig auch amerikanische Pässe haben und das US-Militär hier mit enormem Aufwand Behandlungszentren und Logistikzentren mit Hubschraubern und zahlreichen Soldaten erstellt hat.

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    Eine Ansicht der Unit, die DRK und BW übernehmen sollen, ob sie noch gebraucht wird, ist unklar.
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    Manchmal gibt’s auch etwas zu lächeln – pupufree village.
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    Die inzwischen geschlossene Treatment Unit des größten Krankenhauses in Monrovia, JFK, die sehr viele nosokomiale Infektionen produzierte und völlig überlastet war.
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    Ausschleusen, der kritische Moment .... ein Bild aus der größten MSF-Einrichtung hier in Monrovia, ELWA 3 = Eternal Love for Westafrica.

    Als wir im Rahmen einer ersten Erkundung im Oktober hier ankamen, war die Stimmung in der Bevölkerung sehr gedrückt – kaum Leben in Märkten, kaum ein Lächeln oder eine Begrüßung, keine Musik in den Straßen, alle Schulen geschlossen, was noch immer so ist und dazu führt, dass die Kinder den ganzen Tag herumhängen und kaum etwas mit sich anzufangen wissen – es gibt ja auch selbst für viele Erwachsene kaum etwas zu tun, da viele Companies geschlossen sind oder ihre Aktivitäten in Liberia reduziert haben. Aber das Bild hat sich seit Ende Oktober bei rückläufigen Fallzahlen epidemiologisch deutlich zum Besseren gewandelt – und so ist es auch mit der Stimmung in der Bevölkerung, was dazu führt, dass man doch das Gefühl hat, in einer westafrikanischen lebendigen Großstadt zu sein: Die Frauen machen sich wieder hübsch, man geht wieder in die Kirche und es findet ein doch halbwegs lebendiges Handeln und Treiben in den Straßen statt. Dies ändert natürlich nichts an der Armut, dem Dreck und den wirklich bedenklichen hygienischen Bedingungen des Lebens der Menschen. Denn der Albtraum eines großflächigen, niemals in dieser Form vorgekommenen Ebolaausbruchs trifft eine Bevölkerung, die in den letzten 10 Jahren nach dem schrecklichen und grausamen Bürgerkrieg gerade begonnen hatte, sich zu erholen und etwas Fortschritt in der Entwicklung zu erleben. Auch die anderen beiden hart in Mitleidenschaft gezogenen Länder, Sierra Leone und Guinea, gehören mit Liberia zu den am wenigsten „entwickelten“ Ländern der Welt – mit Ausgaben zum Beispiel für das Gesundheitswesen in Liberia von 29 US-Dollar pro Kopf und Jahr, wovon 30 % von der Bevölkerung selbst getragen werden müssen – das von der WHO errechnete absolute Minimum dafür liegt bei 44 US-Dollar! Mit circa 1000 health care workers und 40 Ärzten im ganzen Land, von denen etwa 10 % der Ebolainfektion zum Opfer gefallen sind, ist auch in den nächsten Jahren keine geregelte medizinische Versorgung der Bevölkerung möglich; wir sollten uns verpflichtet fühlen, dem Gesundheitswesen dieser Länder außerhalb der Ebolakrise langjährig Unterstützung zu leisten; wieder ist es „Ärzte ohne Grenzen“, die dies früh erkannt haben und entsprechende Aktionen bereits beginnen. Auch habe ich eine Reihe von sehr tapferen und engagierten Ärzten und Pflegern getroffen, die oft unter sehr einfachen Isolationsbedingungen in ihren Einrichtungen ausgehalten haben oder bei internationalen Hilfsorganisationen mitarbeiten, ihr Wissen weitergeben und in den nächsten Jahren das Rückgrat der Beherrschung erneuter Ausbrüche sein werden. Sie sind eine Gruppe von Menschen, die wir anhaltend ermutigen und unterstützen sollten und sowohl die Bundeswehr als auch das DRK suchen zurzeit nach Wegen, um auch dies zu leisten.

    Ich grüße Sie diesmal aus Afrika
    Hinrich Sudeck


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    Eine Ansicht der Unit, die DRK und BW übernehmen sollen, ob sie noch gebraucht wird, ist unklar.
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    Manchmal gibt’s auch etwas zu lächeln – pupufree village.
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    Die inzwischen geschlossene Treatment Unit des größten Krankenhauses in Monrovia, JFK, die sehr viele nosokomiale Infektionen produzierte und völlig überlastet war.
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    Ausschleusen, der kritische Moment .... ein Bild aus der größten MSF-Einrichtung hier in Monrovia, ELWA 3 = Eternal Love for Westafrica.