Liebe Mitglieder und Freunde der DTG,
diesmal schreibe ich Ihnen aus Monrovia, Liberia, das ich nun schon zum zweiten Mal
innerhalb eines Monats als Mitglied des gemeinsamen Teams der Bundeswehr und des DRK
in der Ebolakrise erlebe. Während noch vor 4 Wochen alle Prognosen sehr düster und
beunruhigend waren, hat sich seit Mitte Oktober doch eine erfreuliche Verbesserung
der epidemiologischen Situation ergeben: Die Zahl der täglichen mittels PCR bestätigten
Neuinfektionen und die Zahl der täglich von den Teams der WHO und des sehr engagiert
arbeitenden lokalen Roten Kreuzes eingesammelten Toten, die dann auf sichere Art –
ja , was – entsorgt?, beseitigt?, – werden (hier ist ein Wort so schrecklich wie das
andere), ist rückläufig und die vielen in den letzten Wochen neu erbauten oder erweiterten
Ebola-Treatment-Units stehen leer oder sind nur gering belegt; selbst die große, als
ELWA 3 bezeichnete Anlage von MSF, die seit Beginn des Ausbruches hier die Hauptarbeit
übernommen hatte – mit bis zu 800 Mitarbeitern und mehr als 200 Patienten täglich
– ist nur gering belegt, was allen eine Atempause gewährt.
Ob diese nur eine trügerische Unterbrechung der Dynamik des Ausbruchs ist oder ein
Zeichen der echten Infektionskontrolle durch die eingeleiteten Maßnahmen, ist unklar
und wird sich auch erst in den nächsten Wochen zeigen – die Befürchtung, dass noch
immer Patienten in den Familien gepflegt und nach traditionellem Ritus mit intensivem
Kontakt zur Leiche und damit großer Infektionsgefahr für die Beteiligten erdbestattet
werden, ist noch immer groß. Allerdings zeigen jetzt auch die vielen Öffentlichkeitskampagnen
– überall kleben Plakate zum Thema Ebola, sind Wandmalereien, Eimer mit Chlorlösung
stehen vor allen öffentlichen Einrichtungen und überall finden Temperaturmessungen
mit Distanzthermometern statt, an deren Präzision vor allem bei Messung im Freien
ich so meine Zweifel habe – ihre Wirkung. Die Menschen in Monrovia lassen sich so
langsam davon überzeugen, dass Ebola kein Fluch ist, keine gottgewollte Strafe und
auch keine Erfindung oder Ausbringung der US-Amerikaner, um Menschenexperimente zu
machen oder die Chinesen aus dem Land zu drängen – dies alles waren in der unzensierten
Presse veröffentlichte Gedankenspiele, die anfangs bei vielen auf fruchtbaren Boden
fielen und so eine sachliche Aufklärungskampagne erschwerten. Der deutliche Antiamerikanismus
ist umso erstaunlicher, da doch so viele Liberianer enge Verbindung zu den USA und
häufig auch amerikanische Pässe haben und das US-Militär hier mit enormem Aufwand
Behandlungszentren und Logistikzentren mit Hubschraubern und zahlreichen Soldaten
erstellt hat.
Eine Ansicht der Unit, die DRK und BW übernehmen sollen, ob sie noch gebraucht wird,
ist unklar.
Manchmal gibt’s auch etwas zu lächeln – pupufree village.
Die inzwischen geschlossene Treatment Unit des größten Krankenhauses in Monrovia,
JFK, die sehr viele nosokomiale Infektionen produzierte und völlig überlastet war.
Ausschleusen, der kritische Moment .... ein Bild aus der größten MSF-Einrichtung hier
in Monrovia, ELWA 3 = Eternal Love for Westafrica.
Als wir im Rahmen einer ersten Erkundung im Oktober hier ankamen, war die Stimmung
in der Bevölkerung sehr gedrückt – kaum Leben in Märkten, kaum ein Lächeln oder eine
Begrüßung, keine Musik in den Straßen, alle Schulen geschlossen, was noch immer so
ist und dazu führt, dass die Kinder den ganzen Tag herumhängen und kaum etwas mit
sich anzufangen wissen – es gibt ja auch selbst für viele Erwachsene kaum etwas zu
tun, da viele Companies geschlossen sind oder ihre Aktivitäten in Liberia reduziert
haben. Aber das Bild hat sich seit Ende Oktober bei rückläufigen Fallzahlen epidemiologisch
deutlich zum Besseren gewandelt – und so ist es auch mit der Stimmung in der Bevölkerung,
was dazu führt, dass man doch das Gefühl hat, in einer westafrikanischen lebendigen
Großstadt zu sein: Die Frauen machen sich wieder hübsch, man geht wieder in die Kirche
und es findet ein doch halbwegs lebendiges Handeln und Treiben in den Straßen statt.
Dies ändert natürlich nichts an der Armut, dem Dreck und den wirklich bedenklichen
hygienischen Bedingungen des Lebens der Menschen. Denn der Albtraum eines großflächigen,
niemals in dieser Form vorgekommenen Ebolaausbruchs trifft eine Bevölkerung, die in
den letzten 10 Jahren nach dem schrecklichen und grausamen Bürgerkrieg gerade begonnen
hatte, sich zu erholen und etwas Fortschritt in der Entwicklung zu erleben. Auch die
anderen beiden hart in Mitleidenschaft gezogenen Länder, Sierra Leone und Guinea,
gehören mit Liberia zu den am wenigsten „entwickelten“ Ländern der Welt – mit Ausgaben
zum Beispiel für das Gesundheitswesen in Liberia von 29 US-Dollar pro Kopf und Jahr,
wovon 30 % von der Bevölkerung selbst getragen werden müssen – das von der WHO errechnete
absolute Minimum dafür liegt bei 44 US-Dollar! Mit circa 1000 health care workers
und 40 Ärzten im ganzen Land, von denen etwa 10 % der Ebolainfektion zum Opfer gefallen
sind, ist auch in den nächsten Jahren keine geregelte medizinische Versorgung der
Bevölkerung möglich; wir sollten uns verpflichtet fühlen, dem Gesundheitswesen dieser
Länder außerhalb der Ebolakrise langjährig Unterstützung zu leisten; wieder ist es
„Ärzte ohne Grenzen“, die dies früh erkannt haben und entsprechende Aktionen bereits
beginnen. Auch habe ich eine Reihe von sehr tapferen und engagierten Ärzten und Pflegern
getroffen, die oft unter sehr einfachen Isolationsbedingungen in ihren Einrichtungen
ausgehalten haben oder bei internationalen Hilfsorganisationen mitarbeiten, ihr Wissen
weitergeben und in den nächsten Jahren das Rückgrat der Beherrschung erneuter Ausbrüche
sein werden. Sie sind eine Gruppe von Menschen, die wir anhaltend ermutigen und unterstützen
sollten und sowohl die Bundeswehr als auch das DRK suchen zurzeit nach Wegen, um auch
dies zu leisten.
Ich grüße Sie diesmal aus Afrika
Hinrich Sudeck