Aktuelle Urol 2014; 45(06): 434-435
DOI: 10.1055/s-0034-1397280
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Uroonkologie des Harntrakts – Spätrezidive nach Urothelkarzinom der Blase

Contributor(s):
Antonie Post

J Urol 2014;
191: 1256-1261
Further Information

Publication History

Publication Date:
16 December 2014 (online)

 

Spätrezidive nach radikaler Zystektomie sind selten, sodass nur wenige Daten zu Verlaufsvorhersage oder Langzeitergebnisse bei diesen Patienten verfügbar sind. Die risikoadaptierte Patientenberatung und Entwicklung von Überwachungsleitlinien ist somit schwierig. Eine groß angelegte Studie aus den USA hat nun den Langzeitverlauf von Harnblasenkrebspatienten nach radikaler Zystektomie in Bezug auf Spätrezidive (> 5 Jahre postoperativ) untersucht.
J Urol 2014; 191: 1256–1261

mit Kommentar

Brian Linder, Mayo Clinic Minnesota / USA, et al. untersuchten in ihrer retrospektiven Studie 2091 Patienten mit Blasenkrebs, die sich zwischen 1980 und 2006 in der Mayo Klinik einer radikalen Zystektomie unterzogen hatten. Die Operationen führten verschiedene Chirurgen in Standardtechnik durch, aufgrund der langen Studienzeit variierte dabei jedoch der Umfang der Lymphknotenresektion.

Die Autoren analysierten die folgenden klinisch-pathologischen Parameter:

  • Alter

  • Geschlecht

  • ECOG-Leistungsstatus (Index zur Lebensqualität der Eastern Cooperative Oncology Group)

  • Tabakkonsum

  • Status der Resektionsränder

  • Tumorstadium (UICC: TNM-Klassifikation maligner Tumoren)

  • Lymphknotenbeteiligung

  • Art der Harnableitung

  • Chemotherapie (neoadjuvant / adjuvant)

  • Zeitraum bis zum Auftreten eines Rezidivs

  • Lokalisation des Rezidivs

Rezidive unterschieden die Autoren nach Lokalisation im verbliebenen Urothel (Harnröhre und / oder oberer Harntrakt) oder nicht urothelial (Lymphknoten, viszerales Fettgewebe oder Weichteilgewebe). Ein frühes Rezidiv definierten sie als Wiederauftreten eines Tumors innerhalb von 5 Jahren, ein spätes nach ≥ 5 Jahren. Aufgrund des retrospektiven Designs der Studie war die postoperative Nachbeobachtung nicht standardisiert. Im Allgemeinen empfahlen die behandelnden Ärzte, dass in den ersten beiden Jahren nach der radikalen Zystektomie das Follow-up vierteljährlich stattfinden soll, halbjährlich in den 2 darauffolgenden Jahren und anschließend jährlich.

In einem medianen Follow-up-Zeitraum von 16,6 Jahren erlitten von 2091 Patienten 35,8 % (n = 750) ein Früh- und 3,9 % (n = 82) ein Spätrezidiv. Der gesamte Zeitraum bis zum Wiederauftreten eines Tumors nach radikaler Zystektomie betrug im Mittel 1 Jahr.

Früh- vs. Spätrezidiv

Jüngeres Alter bei Operation, nicht muskelinvasiver Primärtumor und Befall der prostatischen Harnröhre waren signifikant mit einem erhöhten Spätrezidiv-Risiko assoziiert.


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Rezidiv-Lokalisation

Ein erneutes Auftreten des Tumors im verbliebenen Urothel war häufiger bei Patienten mit Spätrezidiv (47,4 vs. 25,3 % mit Frührezidiv). Patienten mit urothelialem Rezidiv waren mit einer höheren Wahrscheinlichkeit männlich (87 vs. 80 %, p = 0,03) und hatten seltener ein fortgeschrittenes Tumorstadium (pT3/4-Tumor, 13 vs. 56 %, p < 0,0001) sowie seltener eine Invasion der Lympknoten (8 vs. 26 %, p < 0,0001).


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Überleben

Patienten mit Spätrezidiv hatten eine Rückfallzeit von im Mittel 7,4 Jahren. Das postoperative Follow-up dieser Kohorte betrug im Mittel 17,5 Jahre. Während dieser Zeit starben 64 Patienten, 45 infolge von Blasenkrebs. Im Vergleich zu Patienten mit früherem Rezidiv, erhielten solche mit Spätrezidiv häufiger eine Chemotherapie (49 vs. 24 % mit Frührezidiv), aber seltener eine Folgeoperation (51 vs. 76 %, p = 0,0003).

Das krebsspezifische Überleben 5 Jahre nach Rezidiv lag bei Patienten mit Spätrezidiv bei 37 %, mit Frührezidiv dagegen bei 17 % (p < 0,001). Patienten mit Rezidiv im verbliebenen Urothel hatten eine bessere Prognose. Deren 5-Jahres-Überleben nach Rezidiv lag bei 67 % vs. 19 % bei Patienten mit einem Rezidiv in nicht urothelialen Geweben. Das krebsspezifische Mortalitätsrisiko war signifikant erhöht bei Patienten mit einem höheren Alter beim Eingriff, einem muskelinvasivem Tumor und einem Rezidiv in nicht urothelialen Geweben. Die Zeit bis zum Rezidiv war dagegen nicht mit dem krebsspezifischen Sterberisiko assoziiert (Patienten mit Frührezidiv vs. mit Spätrezidiv, p = 0,38).

Fazit

Laut der aktuellen Studie ist das Risiko, ein Spätrezidiv zu erfahren, erhöht, wenn die Patienten bei der radikalen Zystektomie jünger sind, ein nicht muskelinvasives Urothelkarzinom haben und ein Befall der prostatischen Harnröhre vorliegt. Interessanterweise sei die Zeit bis zum Wiederauftreten eines Tumors nicht mit dem anschließenden Sterberisiko assoziiert, so die Autoren. Die Erkenntnisse aus der aktuellen Studie könnten genutzt werden, um die Patienten engmaschiger zu überwachen und neue, risikoadaptierte Leitlinien zu entwickeln.


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Kommentar

Einmal Blasenkarzinom – immer Blasenkarzinom?

Es gibt wenige urologische Studien, die über den Langzeitausgang einer größeren Gruppe von Patienten mit Blasenkarzinom berichten können. Die vorliegende Studie ist die größte Langzeitstudie von Blasentumorpatienten nach Zystektomie. Nach einem medianen Beobachtungszeitraum von knapp 17 Jahren hatten etwa 40 % (832/2091 Patienten) ein Rezidiv, 82/832 Patienten oder 10 % davon ein Spätrezidiv (mehr als 5 Jahre Intervall zwischen Operation und Diagnose), und wiederum ein Viertel davon – etwa 1 % – nach mehr als 10 Jahren.

Ein derart langer Zeitraum eines Patienteneischlusses führt – bedingt durch wechselnde Chirurgen, operative Techniken, sich ändernde Richtlinien perioperativer Behandlung und Nachsorge sowie der über einen langen Zeitraum lückenhafte Kontakt zu den Patienten – zu einer nicht zu vernachlässigenden Heterogenität der Studiengruppe und Informationslücken. Allerdings werden dadurch aber auch vorsichtige Vergleiche beispielsweise über Lokalisation (z. B. Lymphknoten bei eingeschränkter Lymphadenektomie) oder den bei diesen Langzeitrezidiven nicht signifikant vorteilhaften Einsatz perioperativer Chemotherapie möglich.

Lokalisation der Spätrezidive

Bevorzugte Lokalisationen waren neben der prostatischen Harnröhre der obere Harntrakt, Lymphknoten und viszerale Organe. Der im Vergleich zu frühen Rezidiven höhere Anteil an wiederkehrenden Tumoren im verbleibenden Urothel ist wohl mit dem Ableben von Patienten mit aggressiven Primärtumoren in den ersten Jahren zu erklären. Patienten mit weniger aggressiven Tumorlokalisationen findet man eben erst in den darauffolgenden Jahren. Trotzdem fand sich nach mehr als 5 Jahren die Mehrzahl der Rezidive außerhalb des urotheltragenden Harntrakts. Zwei Drittel davon wiederum waren zum Zeitpunkt der Diagnose symptomatisch.

Ähnlich lässt sich auch der signifikant höhere Anteil jüngerer Patienten in der Spätrezidiv-Gruppe erklären, die weniger häufig an Begleiterkrankungen vor Auftreten eines Rezidivs versterben. Das wenige aggressive Potenzial des Spätrezidivs lässt sich auch am signifikant höheren 5-Jahres-Überleben (37 versus 17 %) erkennen. Dass nicht urotheliale Tumoren sich auch bei späterem Auftreten aggressiver verhalten entspricht der Pathophysiologie des Primärtumors.

Schwer verständlich ist das Auftreten von Metastasen von ursprünglich aggressiven Primärtumoren nach 5, 10 oder gar 20 Jahren. Es könnte sich hierbei um bisher unbekannte immunologische Phänomene, um Aktivierung urothelialer mutierter Stammzellen oder einem spät auftretendem „second hit“ mit Inaktivierung von Suppressorgenen durch Mutation im verbleibenden Allel mehrere Jahre nach vorangegangener Deletion handeln [ 1 ], [ 2 ].

Fazit für die Klinik

Da immerhin 10 % aller Rezidive nach mehr als 5 Jahren, bei jüngeren Patienten und mit einer größeren Chance für ein Langzeitüberleben auftreten, scheint eine regelmäßige, lebenslange urologische Nachbeobachtung gerechtfertigt. Da aber zwei Drittel der Patienten zum Zeitpunkt des Auftretens eines Rezidivs symptomatisch waren, scheint eine routinemäßige CT- oder MRT-Untersuchung nach mehr als 5 Jahren nach urothelialen Blasentumoren nicht gerechtfertigt. Die jährliche klinische Untersuchung zusammen mit Urinzytologie und Sonografie von Harntrakt, Retroperitoneum und Bauchorganen sollte nach den vorliegenden Daten die Mehrzahl der Rezidive ohne Strahlenbelastung und ohne Kostenexplosion diagnostizieren können.

Die hier beschriebenen Spätrezidive zeigen unbekannte Phänomene auf. Man wird in der Zukunft mehr Augenmerk auf die peri- und postoperative Diagnostik des verbleibenden Urothels, dem äußerst restriktiven Abweichen von einer vollständigen Prostataresektion und den Einbau von Immuntherapie in das Behandlungskonzept legen müssen.

Prof. Dr. Arnulf Stenzl, Tübingen


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Prof. Dr. Arnulf Stenzl


ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Tübingen

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  • Literatur

  • 1 Kluth LA, Black PC, Bochner B et al. Prognostic and prediction tools in bladder cancer: a comprehensive review of the literature. Eur Urol 2014; in press
  • 2 Xylinas E, Cha EK, Khani F et al. Association of Oncofetal Protein Expression with Clinical Outcomes in Patients with Urothelial Carcinoma of the Bladder. J Urol 2014; 191: 830-841

  • Literatur

  • 1 Kluth LA, Black PC, Bochner B et al. Prognostic and prediction tools in bladder cancer: a comprehensive review of the literature. Eur Urol 2014; in press
  • 2 Xylinas E, Cha EK, Khani F et al. Association of Oncofetal Protein Expression with Clinical Outcomes in Patients with Urothelial Carcinoma of the Bladder. J Urol 2014; 191: 830-841

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