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DOI: 10.1055/s-0034-1396535
Briefe an die Redaktion
Verantwortlicher Herausgeber dieser Rubrik:
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
28. November 2014 (online)
Zum Artikel „Beanspruchung von Knie- und Hüftgelenken“, pp 9/14
Konzept scheitert an der Praxis
Es ist den Autoren zu danken, dass sie dieses Thema „mal wieder“ auf das Tablett gebracht haben. Denn es scheint Bedarf zu geben. Wie so oft in unserem Tätigkeitsbereich scheitern wir mit biomechanischen und funktionellen Argumenten. Schon 1989 haben wir am Lehrstuhl für Orthopädie an der Universitätsmedizin Göttingen ein Nachbehandlungskonzept für Hüft-TEPs entworfen, das sich genau nach den biomechanischen Kenntnissen der Gelenkkräfte und der Kräfte richtete, die auf die Prothesenverankerung bei unterschiedlichen Tätigkeiten bzw. physiotherapeutischen Übungen wirken. Entscheidungskriterien für die Übungsauswahl sowie die Steigerung der Belastung im Gehen war nicht die Gewichtsbelastung, sondern waren die Gelenkbelastung, Wundheilung, Muskelkettenaktivierung und das Fehlen oder Vorhandensein von Schmerz und Ausweichmechanismen wie zum Beispiel Trendelenburg’sches Hinken.
An sich ein perfektes Nachbehandlungskonzept. Wir sind dennoch grandios gescheitert. Gescheitert am Nichtwollen oder auch Nichtkönnen der Operateure. Sie wollten oder konnten, trotz intensiver Schulungen, das Gedankenmodell der Wichtigkeit der Gelenkbelastung im Alltag nicht umsetzen. Sie hatten es schlicht nicht verstanden. Hinzu kam, dass es im Alltag für den Arzt wesentlich einfacher ist, dem Patienten zu sagen, er dürfe mit halbem Körpergewicht für sechs Wochen an Unterarmgehstützen belasten, als sich die aktuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Patienten anzuschauen und danach zu entscheiden. Dafür braucht es biomechanische und funktionelle Kenntnisse.
Der zweite Grund des Scheiterns war, dass die nachbehandelnden Physiotherapeuten außerhalb der Klinik diese Zusammenhänge nicht kannten. Für sie war es wesentlich einfacher, sich an den „alten“ Nachbehandlungskonzepten festzuhalten, als die aufgestellten Kriterien zu überprüfen und danach Übungsauswahl und Belastungsparameter festzulegen. Als Fachlehrer KG-Gerät sowohl in der Schule als auch bei Fortbildungskursen schlägt mir die Unkenntnis immer wieder massiv entgegen. Es existieren keine Vorstellungen dazu, was es bei TEP-Patienten für die Rotatorenmanschette der Hüfte nach arthrosebedingtem Verlust der Arbeits- und Leistungsfähigkeit und bei durch die OP weggenommenen „passiven“ Stabilisatoren (Gelenkkapsel, Bändertrichter) heißt, plötzlich das Hüftgelenk unter einer Last, die dem Mehrfachen des Körpergewichtes entspricht, zu stabilisieren. Zum Beispiel beim Bridging oder nur beim einfachen Abheben des Beines aus der Seitenlage.
Zudem erscheint es mehr als fragwürdig, dass Endoprothesenpatienten im Bewegungsbad mit Auftriebskörpern als Widerstandsgeber und mit Aquacycling „bearbeitet“ werden, im Glauben, dass die Gewichtsreduktion durch Wasser „gut“ sei. Das Gegenteil ist der Fall. Zwar ist die Gewichtsreduktion im Wasser 9/10 des Körpergewichtes. Doch durch den Wasserwiderstand und die Auftriebskräfte erhöht sich die von der Muskulatur aufzubringende Kraft um ein Vielfaches, was zu einer massiven Gelenkbelastung führt, die wir oft eigentlich nicht haben wollen.
Deshalb ist der Beitrag von Volker Sutor und Frank Diemer wichtig. Gewünscht hätte ich mir aber belastbarere und wirklich funktionelle Kriterien bei der Checkliste Kniegelenk. Es reicht nicht, Kriterien wie „ausreichende Aktivierbarkeit des M. quadriceps“ im Aktive Straight Leg Raise oder die Muskelkraft einzelner Muskeln zu nennen. Auch beim Kniegelenk und dessen muskulärer Sicherung sind Aktivierung und Arbeitsfähigkeit der gesamten kniegelenkssichernden Muskeln (Muskelketten) in echten Funktionen als Entscheidungskriterium für die Belastungssteigerung der Patienten relevant. Ein Aktive Straight Leg Raise und die isolierte Kraft des M. quadriceps sind definitiv keine funktionellen Kriterien.
Hansjörg Ehlert, PT, MT, Dozent KGG
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Zur Rechtsfrage „Darf ich als Heilpraktikerin Therapierezepte ausstellen?“, physiopraxis 9/14
Andere Rechtsauffassung
Als Landesverband von PHYSIO-DEUTSCHLAND beraten wir unsere baden-württembergischen Mitglieder tagtäglich zu der im Beitrag von Dr. Groteloh behandelten Thematik und bieten kostenfreie Seminare zum Teil- Heilpraktiker Physiotherapie an, in denen wir umfassend zu den rechtlichen Problemen referieren. Deswegen ärgert es mich, wenn in einer renommierten Fachzeitschrift für Physiotherapeuten nicht ausreichend dezidierte rechtliche Informationen gegeben werden:
Das Sozialministerium Baden-Württemberg vertritt bis heute die Rechtsauffassung, dass ein Teil-Heilpraktiker Physiotherapie weder Verordnungen für Physiotherapie ausstellen darf noch Physiotherapeuten unter Aufsicht eines Teil-Heilpraktikers Physiotherapie ohne ärztliche Verordnung physiotherapeutisch behandeln dürfen. Auch wenn die ausdrückliche Nachfrage im Ministerium, wie sich diese Rechtsauffassung begründet, bis heute unbeantwortet geblieben ist, können wir die uns schriftlich vorliegende Auffassung des Sozialministeriums, zumindest in Baden- Württemberg, nicht einfach negieren und müssen sie so kommunizieren.
Der Autor vertritt die Auffassung, dass ein Physiotherapeut, der keine Heilpraktiker- bzw. Teil-Heilpraktiker-Physiotherapie-Erlaubnis hat, außer Massagen keine Behandlungsleistungen abgeben darf, weil er sich als Physiotherapeut ansonsten wegen Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz (HeilprG) strafbar macht. Mit Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vom 26. Oktober 2009 (AZ: 3 B 39.09) treten wir dem ausdrücklich entgegen:
Das BVerwG bestätigt in seiner Entscheidung ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Baden-Württemberg vom 19. März 2009. Darin unterwirft das VGH die Tätigkeit des Masseurs und medizinischen Bademeisters ausdrücklich nicht der Erlaubnispflicht des HeilprG. Somit dürfen Masseure/medizinische Bademeister in dem von ihnen erlernten Beruf ohne ärztliche Verordnung tätig werden, ohne dabei gegen das HeilprG zu verstoßen und sich strafbar zu machen.
Ein Blick in die Ausbildungs-/Prüfungsordnung der Masseure und medizinischen Bademeister belegt nun aber, dass beide weitaus mehr Behandlungsverfahren als „Massage“ lernen und deshalb auch berechtigt sind, diese abzugeben.
Und wenn Masseure/medizinische Bademeister ohne ärztliche Verordnung mit den betreffenden Masseur-Verfahren/-Techniken behandeln dürfen, gilt das selbstverständlich auch für Physiotherapeuten – soweit die betreffenden Verfahren/Techniken Inhalt der Physiotherapie-Ausbildung sind. Und auch das sind weit mehr Verfahren/Techniken als nur die Massage.
Michael N. Preibsch, Vorsitzender PHYSIODEUTSCHLAND Baden-Württemberg
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Ein Fundus aus über elf Jahren physiopraxis wartet auf Sie.


Anmerkung des Autors
Sehr geehrter Herr Preibsch, die kurz gehaltene Darstellung in der Rubrik „Die Rechtsfrage“ spiegelt meine Rechtsauffassung wider. Zu Ihren einzelnen Punkten möchte ich Folgendes anmerken:
Unbegründete und unbegründbare Auffassungen unzuständiger Stellen berücksichtige ich nicht. Zuständig für die Ahndung von Verstößen gegen das HeilPrG sind nicht Landesministerien, sondern die Staatsanwaltschaften.
Der „Physio-HP“ ist Heilpraktiker im Sinne des HeilprG. Er darf ohne Weiteres Heilbehandlungen in seinem Bereich durchführen oder fachkundig ausführen lassen, also verordnen. Zahlungspflichten der gesetzlichen Krankenversicherung kann er damit allerdings nicht auslösen. Weder die Behandlung durch einen „Physio-HP“ noch die erbrachten Leistungen aufgrund seiner Verordnung begründen einen Verstoß gegen das HeilprG.
Bei derartigen Maßnahmen handelt sich zudem um umsatzsteuerfreie Leistungen gemäß § 4 Nr. 14 UStG, vgl. Ziffer 4.14.1 Abs. 4 UStAE vom 01. Oktober 2010 (BStBl. I Seite 846, Stand: 5. Juni 2014).
Der Hinweis auf Massagen ist beispielhaft und klarstellend zu verstehen, denn bei den Massagen dürfte es sich um den wesentlichen Anwendungsbereich handeln. Sicherlich existieren weitere Maßnahmen, die nicht als heilkundliche Verrichtungen im Sinne des HeilprG einzustufen sind. Dies spielt allerdings für die steuerlichen Aspekte keine Rolle, denn ohne Heilpraktikererlaubnis oder -verordnung sind sämtliche Leistungen grundsätzlich umsatzsteuerpflichtig. Hieran ändert sich nichts, nur weil Leistungen erbracht werden, die schon für sich genommen keine „Heilkunde“ im Sinne des HeilprG (allerdings gegebenenfalls dennoch Heilmittel im Sinne der Heilmittelrichtlinie) darstellen.
Diese Unterscheidung ist zu beachten, denn schließlich stellen beispielsweise auch (ärztlich) verordnete Massagen unabhängig davon, ob es sich hierbei überhaupt um heilkundliche Verrichtungen im Sinne des HeilprG handelt, gemäß § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen dar.
Dr. Philipp Groteloh, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht
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Wir behalten uns vor, die Briefe zu kürzen. Die Texte spiegeln die Meinung des Verfassers wider und nicht die der Redaktion.
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