Schlüsselwörter
Entlastung - Kniegelenksorthese - Umstellungsosteotomie - HTO - Knorpelschaden
Key words
unloading - knee brace - unloading osteotomy - high tibial osteotomy - cartilage lesion
Einleitung
Neben der direkten Knorpeltherapie wie Mikrofrakturierung (MFX) [1], Knorpel-Knochen-Transplantation (OATS) [2] oder der autologen Chondrozytentransplantation (ACT) [3] bei isolierten Knorpelschäden ist die Druckentlastung oder auch „unloading“ des
betroffenen Gelenkabschnitts der zentrale Pfeiler der gelenkerhaltenden Therapie des
Kniegelenks. Nach ACT in Kombination mit einer Beinachskorrektur mittels Open-Wedge-HTO
(HTO: high tibial osteotomy) zeigte sich eine geringere Versagensrate im Vergleich
zur isolierten ACT [4].
In biomechanischen Untersuchungen konnten Agneskirchner et al. die intraartikuläre
Druckverteilung in Kniegelenken mit verschiedenen Achsdeviationen bestimmen [5]. Bei gerader Beinachse fand sich im medialen Kompartiment ein leicht vermehrter
intraartikulärer Druck im Vergleich zum lateralen Kompartiment. Das Kräfte- und Druckverhältnis
zwischen dem medialen und lateralen Kompartiment ist entsprechend der Studien von
Agneskirchner et al. [5] und Mina et al. [6] zwischen einem mTFA (mechanischer tibiofemoraler Winkel) 0° und 4° valgus ausgeglichen.
Bei zunehmend varischer Beinachse steigert sich der Druck medial um ca. 5 % pro 1°
Achsabweichung [7]. Ebenso spielt die Bandspannung des Innenbands eine erhebliche Rolle. Agneskirchner
et al. konnten zeigen, dass nach Open-Wedge-HTO eine ausreichende Entlastung erst
nach einem Release von 50 % des Innenbands erreicht werden konnte [5].
Intraartikuläre Druckspitzen sind vor allem an den Rändern von chondralen Defektzonen
nachweisbar. Die Drucksteigerungen um Knorpeldefekte herum waren bis zu einer Größe
von 10 mm größenunabhängig. Ab einer Defektgröße von 10 mm Durchmesser oder einer
Fläche von 0,79 mm2 hingegen wurden am Rand der Defekte größenabhängige Drucksteigerungen festgestellt
[8]. Guettler et al. konnten selbst Drucksteigerungen in einem Radius von 2,2 mm um
einen Knorpeldefekt nachweisen [8]. Ein intakter Meniskus kann anfallende Druckspitzen allenfalls um kleinere Defektgrößen
bis 10 mm Durchmesser [9] absorbieren. Diesen Drucksteigerungen um größere Knorpeldefekte herum wird eine
weitere knorpelschädigende Wirkung zugeschrieben [9]. Ergänzend hierzu fand die Arbeitsgruppe um Cicuttini et al. heraus, dass vorgeschädigter
Knorpel eine schnellere Degeneration erfährt als gesunder Knorpel [10]. Brouwer et al. [11] konnten zeigen, dass alleine die Varusdeformität ein 2-fach höheres Risiko für die
Entstehung einer Gonarthrose darstellt. Besteht zudem ein Meniskusschaden wird der
Effekt des Überdrucks noch verstärkt [9]. Aus diesen beschriebenen Gründen liegt es nahe, bei knorpelchirurgischen Eingriffen
so vorzugehen wie bei der unikompartimentellen Arthrose und die auslösende oder begleitende
Achsabweichung mittels eines entlastenden Verfahrens zu behandeln. Ziel dieser Arbeit
ist es, einen Überblick über nicht operative und operative Methoden der Druckentlastung
eines Gelenkkompartiments bei knorpelchirurgischen Eingriffen (MFX, OATS, ACT) zu
geben.
Nicht operative Entlastungsverfahren
Nicht operative Entlastungsverfahren
Zu den nicht operativen Verfahren zählen die Gewichtsreduktion, Schuheinlagen und
Varus- und Valgusorthesen. Es ist in mehreren Studien belegt, dass Übergewicht einen
bedeutenden Risikofaktor für das Neuauftreten von Knorpelschäden und einer initialen
Kniegelenksarthrose darstellt [11], [12], [13]. Letztendlich sind die metabolischen Zusammenhänge neben der mechanischen Drucksteigerung
aufgrund des Körpergewichts noch nicht abschließend verstanden. Inflammatorische Zusammenhänge
scheinen bei Übergewichtigen die Entstehung eines Knorpelschadens zu begünstigen [14], [15]. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass eine Optimierung des Körpergewichts zum langfristigen
Erfolg eines Knorpeleingriffs bzw. einer Entlastung anzustreben ist oder gar als Voraussetzung
formuliert werden sollte.
Als weitere nicht operative Verfahren stehen Schuheinlagen und Orthesen zur Verfügung.
Die Anwendung von keilförmigen Schuheinlagen ([Abb. 1]) und Kniegelenksorthesen ([Abb. 2]) sind bei der unikompartimentellen Kniegelenksarthrose weit verbreitet. Keilförmige
Schuheinlagen auf der Gegenseite des ipsilateralen Knieschadens, also Keil lateral
bei einem Knorpelschaden medial, können zwar das Adduktionsmoment sowohl in der Stand-
und Abrollphase [16] wie auch beim Treppensteigen in geringem Maße reduzieren [17], ob Schuheinlagen temporär oder auch langfristig zu einer Entlastung eines Kompartiments
sinnvoll sind, ist bislang nicht geklärt [18]. Der Effekt der Kompartimententlastung ist zudem begrenzt. So konnte eine durchschnittliche
Druckreduktion bei einem 10 mm Keil von 2–7 % in vivo nachgewiesen werden [18].
Abb. 1 Einlegesohle mit lateraler Randerhöhung.
Abb. 2 MEDI® OA BRACE – valgisierende Kniegelenksorthese.
Valgisierende Orthesen hingegen erzielen eine Entlastung des medialen Kniegelenkskompartiments
in der Ganganalyse nicht nur während der Standphase, sondern auch während der Schwungphasen
[19], [20]. In vergleichenden Studien konnte gezeigt werden, dass bei medial betonter Gonarthrose
20 % der behandelten Patienten von einer valgisierenden Kniegelenksorthese profitierten,
wohingegen nur 13 % der Betroffenen von einer Besserung mittels Schuheinlagen mit
Außenranderhöhung berichteten [21]. Eine anatomische Untersuchung an 5 Leichenpräparaten konnte zeigen, dass durch
die Verwendung einer entsprechenden Orthese eine Entlastung des medialen oder lateralen
Kniegelenkskompartiments erreicht werden kann. Im Versuchsaufbau unter Kompression
mit 1500 N ergab sich unter Anlage einer Varusknieentlastungsorthese eine prozentuale
Entlastung des medialen Kompartiments von 70 % im Vergleich zur Messung ohne Orthese.
Die Entlastung des lateralen Kompartiments unter Anlage einer Valgusknieentlastungsorthese
betrug 46 % [22].
Mittels eines implantierbaren Druckmesssystems in die tibiale Komponente einer Knietotalendoprothese
konnte die Arbeitsgruppe von Kutzner et al. diese Daten bestätigen [23]. Die Entlastung hing zudem von der Orthese ab. Bei 4° bzw. 8° valgus konnte eine
Reduktion von 24 % bzw. 30 % des intraartikulären Druckes medial erreicht werden.
Beim Treppensteigen hingegen reduzierte sich die Entlastung auf 24 bzw. 26 %. Generell
ist jedoch bei den Betroffenen die Akzeptanz gering, dauerhaft eine valgisierende
Kniegelenksorthese zu tragen [19].
Operative „Unloading“-Verfahren: Umstellungsosteotomie und Druckentlastung
Operative „Unloading“-Verfahren: Umstellungsosteotomie und Druckentlastung
Als operative Verfahren zur Entlastung von geschädigten medialen Gelenkabschnitten
stehen dem Operateur mit dem arthroskopischen Release des Lig. obliquum posterior
sowie der HTO (high tibial osteotomy) und DFO (distale femur osteotomy) etablierte
Standardverfahren zur Verfügung [24], [25]. Agneskirchner et al. [5] konnten zudem die Bedeutung des medialen Releases bei der Open-Wedge-HTO zur Druckentlastung
des medialen Kniegelenkskompartiments zeigen. Eine 50 %ige Durchtrennung des medialen
Kollateralbands senkte den Druck im medialen Kniegelenkskompartiment um 12 %. Die
experimentelle, vollständige Durchtrennung des medialen Kollateralbands verringerte
den Druck im medialen Kompartiment nach Open-Wedge-HTO gar um 24 %.
Während das arthroskopische Release des Lig. obliquum posterior eine Entlastung des
medialen Kniegelenkskompartiments ohne eine Veränderung der Beinachse bewirken soll
[26], beruht das Entlastungsprinzip der Open-Wedge-HTO auf der Verschiebung der Lastachse.
Bei einer valgisierenden Open-Wedge-HTO oder valgisierenden Closed-Wedge-DFO erfolgt
die Verschiebung der Lastachse nach lateral in das vermeintlich knorpelgesunde Kniegelenkskompartiment.
Aus diesem Grund empfiehlt sich vor einer HTO oder auch einer DFO die arthroskopische
Untersuchung des Kniegelenks [27]. Ferner können bei diesem Eingriff zusätzliche Schäden wie beispielsweise Meniskusläsionen
therapiert werden [28], [29].
Bei Patienten mit unklaren Erfolgsaussichten von einer Umstellungsosteotomie bzw.
Zweifel des Patienten am Erfolg ist mittels „Brace-Test“ eine Simulierung der Entlastung
möglich. Ein ganztägiges Tragen einer valgisierend/varisierenden Orthese für 6–8 Wochen
kann eine nachfolgende Umstellungsosteotomie bereits präoperativ simulieren und somit
Aufschluss über eine erwartbare Beschwerdeerleichterung geben [30]. In einer Studie von Minzlaff et al. wurde bei 29 Patienten eine valgisierende Orthese
(Medi M4OA – s. [Abb. 2]) ganztags angepasst. Nach 6–8 Wochen wurden die Beschwerden erneut nach der VAS
bestimmt. Dabei zeigte sich eine signifikante (p < 0,001) Schmerzreduktion von VAS7
(3–9) auf VAS2 (0–7) [30]. Im Folgenden wurden 14 Patienten mittels HTO versorgt; 11 Patienten konnten postoperativ
erfasst werden. Bei 6 Patienten entsprach der VAS-Wert dem der Orthesenbehandlung,
bei 4 Patienten war der VAS-Wert geringer und bei 1 Patienten höher.
Das Prinzip der Druckentlastung im betroffenen Kompartiment durch eine valgisierende
Open-Wedge-HTO ([Abb. 3 a]) bzw. valgisierende Closed-Wedge-DFO oder durch eine varisierende Closed-Wedge-DFO
oder varisierende Closed-Wedge-HTO ist eine anerkannte Methode bei medialer respektive
lateraler Gonarthrose [31]. Essenziell ist eine detaillierte präoperative Planung, um die Deformität zu analysieren
und die Korrektur gemäß der Deformität durchzuführen. Bei zeichnerischer Planung konnte
in retrospektiven Untersuchungen eine Abweichung von 2,5° ± 3,4° im Sinne einer Unterkorrektur
gezeigt werden [32]. Mit einer hohen Intra- und Interobserverreliabilität zwischen unterschiedlicher
Software kann von einer zunehmenden Genauigkeit ausgegangen werden [33]. Bei Unterkorrektur mit unzureichender Druckentlastung im medialen Kompartiment
kann der Erfolg der Open-Wedge-HTO reduziert sein. Nach knorpelreparativen Maßnahmen
und Unterkorrektur der Open-Wedge-HTO kann zudem das gesamte Knorpelregenerat gefährdet
sein.
Abb. 3 a und b a Valgisierende Open-Wedge-HTO – mit TomoFix Platte (Synthes®, Umkirch, Deutschland).
b Valgisierende Open-Wedge-HTO – mit PEEK Power Plate (Arthrex®, Karlsfeld, Deutschland).
In vielen klinischen Untersuchungen bei medialer Gonarthrose wurde eine im lateralen
Kniegelenkskompartiment verlaufende Beinachse als ideales postoperatives Ergebnis
beschrieben. Seit der Arbeit von Fujisawa 1979, die auf arthroskopischen Befunden
von kleinen Gruppen beruht, wird vielerorts in der Behandlung der medialen Gonarthrose
die postoperative Beinachse auf 62 % (Tibiaplateaubreite, medial 0 %, lateral 100 %)
geplant. Im Falle eines fokalen Knorpelschadens und Knorpelchirurgie ist bei begleitender
HTO unserer Meinung nach die Verlegung der Beinachse über 60 % nicht erforderlich.
Wir streben intraoperativ als Schnittpunkt Tibiaplateau/mechanische Achse 55–60 %
bzw. ein mTFA von 1–2° valgus an. Bei degenerativen Veränderungen sollte hingegen
je nach Stadium ein Ziel von ca. 60–66 % bzw. ein mTFA von 2–4° erreicht werden [34]. Eine Korrektur mit einem MPTA (medialen proximalen Tibiawinkel) über 94° sollte
jedoch nicht resultieren. Bei entsprechenden Deformitäten kann daher auch eine Doppelosteotomie
(Kombination aus Open-Wedge-HTO und Closed-Wedge-DFO) zur ausreichenden Korrektur
erforderlich werden. Studienergebnisse, die diese Ansicht bestätigen, stehen noch
aus.
Nach erfolgreicher Anwendung im Tiermodell mit guten biomechanischen Eigenschaften
[35] finden zunehmend Implantate aus PEEK (Polyetheretherketon) ihre Anwendung in der
Orthopädie und Unfallchirurgie. Die Vorteile dieser Implantate sind die hohe Steifigkeit,
die Winkelstabilität und die Röntgendurchlässigkeit und damit bei der HTO die röntgenologische
Beurteilbarkeit des plattennahen Osteotomiespalts ([Abb. 3 b]). Zudem werden bei CT- und MRT-Diagnostik weniger Artefakte beschrieben. In den
klinischen Anwendungen der 1. Generation der PEEK Power Plate (Arthrex, Karlsfeld,
Deutschland) konnten jedoch die Erwartungen nicht bestätigt werden [36]. Im Vergleich zur TomoFix Platte (DePuySynthes, Umkirch, Deutschland) zeigte sich
eine höhere Komplikationsrate.
Kontraindikationen für die kniegelenknahe Umstellungsosteotomie
Kontraindikationen für die kniegelenknahe Umstellungsosteotomie
Bei der Wahl des additiven Operationsverfahrens neben der Knorpelchirurgie sollten
neben der Compliance Risikofaktoren wie Übergewicht, Zigarettenkonsum [37] sowie Defektgröße, Beinachse und Kniegelenksstabilität berücksichtigt werden. Bei
Rauchern oder beleibten Patienten sollte im Falle einer Open-Wedge-HTO das Einbringen
einer zusätzliche Spongiosaplastik in den Osteotomiespalt erwogen werden [37]. Nach einer aktuellen Untersuchung von Kohn et al. spielt das Patientenalter hingegen
eine untergeordnete Rolle [38]. Eine Retropatellararthrose oder vorderer patellarer Knieschmerz sollte bei additiver
Beinachsenkorrektur Beachtung finden. Unserer Meinung nach stellt eine retropatellare
Symptomatik keine Kontraindikation für eine additive Beinachsenkorrektur dar [34], [39].
Schlussfolgerung
Bei fokalem Knorpelschaden ist neben der Indikationsstellung für ein bestimmtes knorpelchirurgisches
Verfahren die Druckentlastung der Schlüssel zum langfristigen Erfolg. Das knorpelchirurgische
und das entlastende Verfahren sollten individuell auf die vorliegende Pathologie und
den einzelnen Patienten zugeschnitten sein ([Abb. 4]) [40]. Die Druckentlastung im Kniegelenk kann langfristig nur durch eine operative Beinachsenkorrektur
erfolgen. Schuhranderhöhungen bzw. Einlagen erreichen keine ausreichende Entlastung.
Kniegelenksorthesen können dieses Ziel erreichen, haben allerdings eine geringe Patientenakzeptanz.
Abb. 4 Behandlungsalgorithmus zur Druckentlastung am Kniegelenk (mTFA: mechanical tibial-femoral
angle; MTPA: medial proximal tibial angle; mLDFA: mechanical lateral distal femur
angle).