Geburtshilfe Frauenheilkd 2015; 75(3): 215-217
DOI: 10.1055/s-0034-1396227
Aktuell diskutiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Pränatalmedizin. Pränatale Diagnostik von Chromosomenstörungen vor dem Hintergrund der aktuellen Gesetzgebung

Peter Schmidt
,
Cindy Hörmansdörfer
,
Jochen Frenzel
,
Alexander Scharf
Further Information

Korrespondenz

PD Dr. Peter Schmidt
Frauenarztpraxis Bahnhofstraße, Wolfenbüttel

Publication History

Publication Date:
14 April 2015 (online)

 

Neue Screening-Tests zur Erkennung pränataler Aneuploidien drängen derzeit auf den Markt, ohne dass jedoch von den Vertreibern hinreichend auf gesetzliche Lücken und versicherungsrechtliche Fallstricke hingewiesen wird, die sich im Haftungsfall für den niedergelassenen Frauenarzt ergeben können. Im Folgenden sollen die wichtigsten derzeit gültigen Gesetzesinhalte vorgestellt werden, die direkte Auswirkung auf die tägliche Arbeit in der Schwangerenvorsorge haben. Die Liste der angeführten Gesetze und Richtlinien ist nicht abschließend, und es obliegt jedem Arzt, sich stets über die aktuell geltenden Rechtsbestimmungen zu informieren.


#

In den letzten Jahrzehnten wurden die Methoden auf dem Gebiet des pränatalen Aneuploidiescreenings fortlaufend weiterentwickelt. Dies bezieht sich zum einen auf eine kontinuierliche Verbesserung der Algorithmen des Ersttrimesterscreenings auf der Grundlage der sonografischen Nackentransparenzmessung (NT) und der biochemischen Bestimmung von freiem β-hCG und PAPP-A. Zum anderen halten neue Verfahren, wie die nicht-invasiven Pränatalen Tests (NIPT) auf der Basis der Amplifizierung zellfreier fetaler DNA (cell-free fetal DNA, cffDNA), Einzug in das Portfolio der angebotenen Testverfahren.

Mit Inkrafttreten des Gendiagnostikgesetzes am 1. 2. 2010 hat die Gesetzgebung die Betreuung von Schwangeren in den Frauenarztpraxen nachhaltig beeinflusst. Hierin wurden Fortbildungen vorgeschrieben, die in der Zwischenzeit von den meisten Frauenärzten wahrgenommen wurden. Des weiteren hat sich der Aufklärungsinhalt von vorgeburtlichen Tests auf Chromosomenstörungen erheblich ausgeweitet. Exakte Vorgaben durch das Gendiagnostikgesetz (GenDG) wurden dabei vom Gesetzgeber bewusst offen gelassen und das Robert Koch-Institut (RKI) mit der Bildung einer Gendiagnostik-Kommission (GEKO) gemäß § 23 GenDG zur konkreten Ausgestaltung beauftragt. In unregelmäßig veröffentlichten Richtlinien werden einzelne Punkte sukzessive präzisiert. Gegenwärtig sind 10 solcher Richtlinien herausgegeben worden.

Im Folgenden sollen die wichtigsten derzeit gültigen Gesetzesinhalte vorgestellt werden, die direkte Auswirkung auf die tägliche Arbeit in der Schwangerenvorsorge haben. Die Liste der angeführten Gesetze und Richtlinien ist selbstverständlich nicht abschließend, und es obliegt jedem Arzt, sich stets über die aktuell geltenden Rechtsbestimmungen zu informieren.

Allgemeine Anforderungen an Beratungsinhalte zu pränatalen Tests

Vor jeder genetischen Untersuchung ist gemäß § 9 GenDG (Aufklärung) eine Patientenberatung durchzuführen sowie eine Einwilligung einzuholen. Die hierzu korrespondierende GEKO-Richtlinie über die Anforderungen an die Qualifikation zur und Inhalte der genetischen Beratung, in Kraft getreten am 11. 7. 2011, präzisiert, dass nicht nur darüber informiert werden muss, welche Untersuchung erfolgen soll, sondern insbesondere auch, dass die jeweiligen Testleistungszahlen benannt werden müssen. Es wird folglich ausdrücklich gefordert, die Patienten über Sensitivität, Spezifität, positiven/negativen prädiktiven Wert und die Bedeutung falsch positiver und falsch negativer Resultate zu informieren. Jedoch kann die Vermittlung derartiger komplexer statistischer Zusammenhänge in der praktischen Umsetzung eine nicht unerhebliche Hürde bedeuten, sodass die Inhalte nicht in jedem Fall verstanden werden. Das Verständnis ist allerdings zwingende Voraussetzung für eine rechtsgültige Einverständniserklärung der Patientin (informed consent).

Darüber hinaus wird in der 8. Mitteilung der GEKO vom 12. 3. 2014 festgelegt, dass als Qualifikationsvoraussetzung in der Richtlinie der GEKO über die Anforderungen an die Qualifikation zur und Inhalte der genetischen Beratung gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 2a und § 23 Abs. 2 Nr. 3 GenDG (im Folgenden: Richtlinie Genetische Beratung) bei Beratung vor einer NT-Messung der „kleine Genetikkurs = 8-Stunden-Kurs“ ausreicht (Richtlinie Genetische Beratung, Abschnitt VII.4.4.), wohingegen für die NIPT der „große Genetikkurs = 72-Stunden-Kurs“ erforderlich ist (Richtlinie Genetische Beratung, Abschnitt VII.3.4.). In der Konsequenz bedeutet dies, dass Nichtinhaber des 72-Stunden-Kurses keine NIPT anbieten dürfen.


#

Spezielle Anforderungen an die NT-Messung

Die Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission (GEKO) für die Anforderungen an die Durchführung der vorgeburtlichen Risikoabklärung sowie an die insoweit erforderlichen Maßnahmen zur Qualitätssicherung gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 5 GenDG in der Fassung vom 12. 4. 2013 legt die Regeln zur kontinuierlichen Qualitätssicherung und Audits fest. Danach muss gemäß Abschnitt V.5.1 die ärztliche Person ihre Resultate einer unabhängigen, regelmäßigen Qualitätssicherung aller (!) Prozesse unterziehen. Dies bezieht ausdrücklich nicht nur die Ultraschalluntersuchung bei der NT-Messung mit ein, sondern auch laboratoriumsmedizinische Untersuchungen, den Algorithmus sowie die Gesamtperformance. Im Falle der Ultraschallmessung ist die Messwertverteilung zu dokumentieren und jährlich auszuwerten. Sind systematische Fehler in der Ultraschalldiagnostik erkennbar, soll erneut ein praktisches Training durchgeführt werden.

Zum einen dürfte es schwer sein, externe Untersuchungen wie die Laborwertbestimmungen oder die von den verschiedenen Herstellern nicht veröffentlichten Algorithmen zu validieren. Zum anderen ist es für den einzelnen Arzt nahezu unmöglich, die Gesamtperformance der NT-Messung zu beurteilen. Ob hierfür der Verweis auf internationale Literatur ausreicht, bleibt an dieser Stelle offen. Auch die übrigen Punkte sind in der Realität nur sehr schwer umzusetzen. Was bleibt, ist die zwingende Verpflichtung zu einer regelmäßigen, im Hinblick auf das konkrete Zeitintervall nicht weiter ausdefinierten, externen Begutachtung der Ultraschallbilder. Dies kann sowohl über www.firsttrimester.net als auch die Fetal Medicine Foundation (FMF) London kostenlos erfolgen oder gegen Gebühren bei der FMF-Deutschland. Des weiteren ist die jährliche Überprüfung der eigenen Messwertverteilung vorzunehmen und sinnvollerweise zu dokumentieren.


#

Spezielle Anforderungen an die Durchführung der NIPT

Die NIPT ist rechtlich deutlich komplexer gefasst, da verschiedene Teilkomponenten über unterschiedliche Gesetze und Richtlinien geregelt werden. Hierzu zählen

  • das Medizinproduktegesetz (MPG),

  • die 98/79/EG (EU-Richtlinie für In-vitro-Diagnostika),

  • die DIN EN ISO 13485 (harmonisierte europäische Norm für Qualitätsmanagement bei Medizinprodukten),

  • die DIN EN 13612 (nicht harmonisierte europäische Norm für Testleistungsbewertung),

  • die DIN EN ISO 62304 (harmonisierte europäische Norm für Software) und

  • das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG).

Unabhängig hiervon regelt das Gendiagnostikgesetz die Anforderungen für die NIPT. In § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 GenDG werden 4 Forderungen genannt, die zwingend einzuhalten sind:

  1. Die genetischen Analysen müssen nach dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft und Technik durchgeführt und hierfür ein System der internen Qualitätssicherung eingerichtet werden.

  2. Es muss über ein für die entsprechenden Tätigkeiten qualifiziertes Personal verfügt werden.

  3. Die Anforderungen an die Aufbewahrung und Vernichtung der Ergebnisse der genetischen Analysen nach § 12 sowie an die Verwendung und Vernichtung genetischer Proben nach § 13 müssen eingehalten und hierfür die erforderlichen organisatorischen und technischen Maßnahmen getroffen werden.

  4. Die erfolgreiche Teilnahme an geeigneten externen Qualitätssicherungsmaßnahmen muss nachgewiesen werden.

Unter In-Verkehr-Bringen von Medizinprodukten versteht die Gesetzgebung in Bezug auf die NIPT die Durchführung der eigentlichen gentechnischen Laboranalyse. Davon abgegrenzt wird der Anbieter einer NIPT, der im Sinne des GenDG als der beratende und die Untersuchung veranlassende Frauenarzt verstanden wird.

Nach § 11 Abs. 2 GenDG darf das Ergebnis der genetischen Analyse nur der ärztlichen Person mitgeteilt werden, welche die genetische Analyse in Auftrag gegeben hat. Eine zusätzliche Aufbereitung und Auswertung, die bspw. nach Firmenangaben beim Panoramatest in Essen durchgeführt wird, „ist nach dem Inhalt der Regelung des § 11 Abs. 2 GenDG nicht vorgesehen“ (Stellungnahme des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vom 25. Juli 2014).

Nach § 9 Medizinproduktegesetz ist eine CE-Kennzeichnung für Medizinprodukte zwingend vorgeschrieben. Da die eigentliche Laboranalyse beim Panorama- und Harmonytest in den USA und damit außerhalb der EU erfolgt, wird das Medizinprodukt außereuropäisch in Verkehr gebracht. Dadurch wird auch ohne CE-Kennzeichnung keine Ordnungswidrigkeit nach § 13 Medizinproduktebetreiberverordnung (MPBetreibV) begangen.

Jeder Frauenarzt, der einen NIPT veranlasst, gilt als verantwortlicher Arzt im Sinne des § 7 Abs. 2 GenDG. Die Auswahl des von ihm zu beauftragenden Labors fällt damit in seine Verantwortung. Sofern es sich hierbei um ein europäisches Labor handelt und entsprechend eine CE-Kennzeichnung vorliegt, kann sich der Frauenarzt auf die Überprüfung durch eine staatlich benannte Stelle berufen. Andernfalls hat er dafür Sorge zu tragen, sicherzustellen und nachzuweisen (§ 5 Abs. 2 GenDG), dass die oben genannten Anforderungen nach § 5 Abs. 1 S. 2 Ziff. 1 bis 4 GenDG vollständig erfüllt werden.

In der praktischen Konsequenz bedeutet dies, dass der deutsche Frauenarzt das Labor in den USA, das er mit der Genanalyse beauftragt hatte, regelmäßig überwachen und auditieren müsste. Dies ist ohne Frage in der Praxis nicht zu leisten. Zwar kennt der Abs. 7 GenDG bez. der Straf- und Bußgeldvorschriften keinen Tatbestand im Zusammenhang mit der Auswahl des gentechnischen Labors, im Falle von Haftungsfragen können die genannten Forderungen allerdings Bedeutung erlangen. In einer Stellungnahme von der HDI Haftpflichtversicherung heißt es entsprechend, dass die Versicherung „Tests nicht versichern will, bei denen die Laborleistung (Auswertung) im [außereuropäischen] Ausland (hier USA) erbracht wird“. Andere Haftpflichtversicherungen werden dies ähnlich einschätzen, da der beauftragende Frauenarzt die aktuellen geltenden Rechtsbestimmungen missachtet, wenn er eine NIPT in den USA ohne Kontrolle durchführen lässt. Hierbei ist es im Übrigen unerheblich, ob die verwendeten Teströhrchen ein CE-Kennzeichen tragen, da die gesamte Prozesskette als In-vitro-Diagnostikum nach 98/79/EG zu zertifizieren ist. Hersteller können sich die Zertifizierung erleichtern, indem sie CE-gekennzeichnete Teilkomponenten einsetzen. Durch die Kennzeichnung müssen diese Komponenten dann nicht erneut überwacht werden, da sie ja bereits die CE-Kennzeichnung tragen und damit dokumentieren, dass sie den regulatorischen Anforderungen genügen. Wenn beim Praenatest also Röhrchen verwendet werden, die nicht CE-gekennzeichnet sind, obliegt es LifeCodexx als Inverkehrbringer sicherzustellen und nachzuweisen, dass die eingesetzten Röhrchen den Anforderungen genügen. Da der Test als Ganzes zertifiziert ist, kann sich der Frauenarzt darauf verlassen, dass auch alle notwendigen Teilkomponenten im Sinne des Medizinproduktegesetzes anwendbar sind.


#

Fazit

Letztendlich bleibt es immer in der Verantwortung des testanbietenden Frauenarztes, dafür Sorge zu tragen, dass die gesetzlichen Anforderungen bei der Durchführung pränatalmedizinischer Testverfahren vollständig erfüllt sind. Bei CE-zertifizierten Produkten kann der Frauenarzt auf die erfolgte Nachweiserbringung gegenüber der staatlich benannten Stelle vertrauen. Eine fehlende CE-Kennzeichnung der gesamten Prozesskette führt im Haftungsfall zur Beweispflicht des Frauenarztes, ob und inwieweit das von ihm zur Anwendung gebrachte Testverfahren den regulatorischen Anforderungen genügt. Gleichzeitig droht der Verlust der Haftpflichtdeckung. Dem Testset beigefügte schriftliche Erklärungen können bestenfalls als Versprechen zur Konformität mit dem GenDG gelten. Die Sicherstellung der Einhaltung der erklärten Inhalte verbleibt aber in jedem Fall in der Verantwortung des beauftragenden Frauenarztes. Auf der Internetseite zum Panoramatest heißt es: „kein CE Kennzeichen, ist das problematisch?“. Die Antwort muss lauten: nicht für das Labor, aber für den Frauenarzt.


#
#

PD Dr. Peter Schmidt

Zoom Image

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass in Bezug auf das Manuskript kein Interessenkonflikt besteht.

Korrespondenz

PD Dr. Peter Schmidt
Frauenarztpraxis Bahnhofstraße, Wolfenbüttel

Zoom Image