Laryngorhinootologie 2015; 94(01): 39-41
DOI: 10.1055/s-0034-1395511
Gutachten+Recht
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Aus der Gutachtenpraxis: Wann sind Hörverluste im Hochtonbereich bei pantonaler Schwerhörigkeit Folge beruflicher Lärmexposition? Häufige Fehlbeurteilung von Gutachtern, Beratungsärzten und Berufsgenossenschaften

From the Expert’s Office: When is a Hearing Loss in the High Tone Range with Coexisting Hearing Loss in all Frequencies Consequence of Professional Noise Exposure? Frequent False Evaluation of Consultants, Consulting Physicians and Professional Unions
T. Brusis
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Publication Date:
08 January 2015 (online)

Einleitung

Die berufliche Lärmschwerhörigkeit zeigt anerkanntermaßen einen typischen Kurvenverlauf. Seit Jahrzehnten gilt eine Hochtonsenke (c5-Senke) als das typische Merkmal einer Lärmschwerhörigkeit. Schreitet die Schwerhörigkeit – bei ungeschützter Exposition – weiter fort, kann sich die Senke vertiefen und verbreitern. Nach jahrzehntelanger hoher Lärmexposition sind auch leichte Hörverluste im Tieftonbereich denkbar, maximal 20–30 dB. Extremer Berufslärm kann bei jahrelanger Exposition höchstens zu einer mittelgradigen Schwerhörigkeit führen. Ein solches Ausmaß ist bei den heutigen Lärmbelastungen in der Arbeitswelt jedoch nicht mehr vorstellbar [1].

Liegt aber ein Kurvenverlauf vor, der nicht mit dem Bestehen einer Lärmschwerhörigkeit vereinbar ist, dann ist von einer außerberuflichen Schwerhörigkeit auszugehen. Bei einer symmetrischen pantonalen Schwerhörigkeit handelt es sich um eine degenerative bzw. endogene Schwerhörigkeit, d. h. eine ätiologisch ungeklärte Schwerhörigkeit aus „eigener“ Ursache. In solchen Fällen ist das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit – auch nach jahrelanger erheblicher Lärmbelastung – eindeutig abzulehnen.

Wenn es aber Hinweise auf eine bifaktorielle Schwerhörigkeit gibt, muss der Gutachter versuchen, eine Abgrenzung zwischen lärmbedingter und nicht lärmbedingter Schwerhörigkeit vorzunehmen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn sich eine bifaktorielle Schwerhörigkeit eindeutig aus dem Kurvenverlauf ergibt (z. B. eindeutige Hochtonsenke, kein Schrägabfall) und zusätzlich ungewöhnliche Hörverluste im Tieftonbereich vorliegen oder wenn sich eine eindeutige Lärmschwerhörigkeit nach Ende der beruflichen Lärmbelastung (z. B. durch Arbeitsplatzwechsel oder Berentung) eindeutig verschlimmert.

In vielen Fällen ist eine solche Abgrenzung nicht möglich, entweder weil es sich eindeutig nur um eine monosymptomatische außerberufliche Schwerhörigkeit handelt oder weil es keine audiometrischen Vorbefunde gibt. In solchen Fällen neigen manche Gutachter dazu, in den Hochtonbereich gedanklich eine Hochtonsenke zu projizieren und schlagen der Berufsgenossenschaft vor, die Hörverluste im Hochtonbereich als Lärmfolge anzuerkennen. Ein solches Vorgehen ist nicht gerechtfertigt und führt in der Folge zu erheblichen Problemen bei Leistungsanträgen (z. B. bei einer Hörgeräteversorgung).

 
  • Literatur

  • 1 Brusis T. Aus der Gutachtenpraxis: Hörverluste im Tief- und Mitteltonbereich bei Lärmschwerhörigkeit?. Laryngo-Rhino-Otol 2014; 93: 197-200
  • 2 Brusis T. Aus der Gutachtenpraxis: Eine Lärmschwerhörigkeit kann sich nach Ende der Lärmexposition nicht weiter verschlimmern!. Laryngo-Rhino-Otol 2010; 89: 666-668
  • 3 Brusis T. Aus der Gutachtenpraxis: Kausalitätsprobleme bei der Abgrenzung zwischen beruflicher und außerberuflicher Schwerhörigkeit. Laryngo-Rhino-Otol 2009; 88: 45-47