Aktuelle Urol 2014; 45(05): 348-349
DOI: 10.1055/s-0034-1393914
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prostatakarzinom – Langzeitwirksamkeit und – sicherheit von Degarelix

Contributor(s):
Elke Ruchalla

Urology 2014;
83: 1122-1128
Further Information

Publication History

Publication Date:
02 October 2014 (online)

 

Der GnRH-Antagonist (GnRH: Gonadotropin-Releasing-Hormon) Degarelix ist in den USA und Europa zur Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms zugelassen. Die prospektive 1-Jahres-Studie CS21 hat 2 Dosierungen von Degarelix (160 bzw. 80 mg) gegen den GnRH-Agonisten Leuprorelin getestet und Vorteile für Degarelix gefunden. Am Ende von CS21 konnten Teilnehmer beider Studienarme die Behandlung mit Degarelix in der offenen Langzeit-Extensionsphase (CS21A) fortsetzen. Ergebnisse daraus stellen nun Wissenschaftler der teilnehmenden Zentren und des Herstellers vor.
Urology 2014; 83: 1122–1128

mit Kommentar

Degarelix ist auch über 5 Jahre gut verträglich, und Wirksamkeitsvorteile aus der 1-Jahres-Studie scheinen auch langfristig erhalten zu bleiben. Das meinen David Crawford und seine Kollegen, die insgesamt 386 Patienten in die Extensionsphase aufgenommen haben. Die Patienten aus dem früheren Degarelix-Arm setzten die Therapie zunächst mit der gleichen Erhaltungsdosis fort (160 bzw. 80 mg; n = 26 bzw. n = 125), nach behördlicher Zulassung nur der 80-mg-Dosis wurde später darauf umgestellt. Teilnehmer aus dem vorherigen Leuprorelin-Arm erhielten zunächst Degarelix 240 mg und dann 1-mal monatlich randomisiert im Verhältnis 1:1 160 mg bzw. 80 mg (n = 66 bzw. n = 69); auch hier wurde die 160-mg-Dosierung später auf 80 mg reduziert. Die Studie wurde mit maßgeblicher Beteiligung von Ferring Pharmaceuticals, Saint-Prex / Schweiz, durchgeführt.

Beurteilt wurden als primärer Endpunkt die Sicherheit und Verträglichkeit von Degarelix über weitere 4 Jahre, sekundäre Endpunkte umfassten die Konzentrationen von Testosteron und prostataspezifischem Antigen (PSA). Eine PSA-Progression war dabei definiert als ein Anstieg der Konzentration um mindestens 50 % gegenüber dem Minimalwert und um mindestens 5 ng / ml bei 2 aufeinander folgenden Messungen mit einem Intervall von mindestens 2 Wochen.

Insgesamt 163 Patienten (42 %) schlossen die Extensionsphase ab: 60 aus dem ursprünglichen Degarelix-Arm und 54, die von Leuprorelin auf Degarelix gewechselt hatten. Nach einer medianen Degarelix -Expositionsdauer von 57 Monaten fanden sich insgesamt keine neuen, unerwarteten Nebenwirkungen. Unerwünschte Wirkungen, die bei mindestens 5 % der Patienten auftraten, umfassten vor allem Reaktionen an der Injektionsstelle, mit Schmerzen, Rötungen und Schwellungen. Diese Reaktionen traten vor allem bei der ersten Injektion auf (240-mg-Dosis) und nahmen im Verlauf ab. Sonstige unerwünschte Ereignisse hingen mit dem Androgenentzug zusammen, wie Hitzewallungen (bei 30 %) und Gewichtszunahme (bei 9 %). Ebenso traten Fieber, Schüttelfrost und Konzentrationserhöhungen der Lebertransaminasen auf.

40 Patienten starben während der Studie, alle Todesfälle wurden als nicht oder wahrscheinlich nicht mit Degarelix zusammenhängend eingestuft.

Die Verminderung der Testosteronkonzentration auf Kastrationsniveau blieb auch über die weiteren 4 Jahre erhalten (median ≤ 0,5 ng / ml), ohne Unterschied zwischen den Patienten, die von Beginn an Degarelix erhalten hatten, und denjenigen, die zunächst mit Leuprorelin behandelt worden waren. Ebenso blieben die PSA-Konzentrationen niedrig, im Median unter 2 ng / ml. Eine PSA-Progression fand sich am Ende von CS21A bei 46 Patienten der ehemaligen Degarelix-Gruppe, die 240 mg/80 mg erhalten hatten, und bei 49 der Crossover-Gruppe, wiederum ohne Unterschied zwischen den beiden Armen. Dabei errechneten die Wissenschaftler für die Crossover-Patienten über die Extensionsphase ein gegenüber dem 1. Jahr abnehmendes Risiko für eine PSA-Progression.

Fazit

Degarelix wird gut toleriert und kann auch langfristig die Testosteronkonzentration bei Werten im Bereich des Kastrationsniveaus halten. Da Progressionen bei Patienten mit Prostatakarzinom mit einer ineffektiven Testosteron-Suppression einhergehen können, ist dieser Befund möglicherweise von klinischer Bedeutung, meinen die Autoren. Die Aussagekraft der Studie wird eingeschränkt durch die fehlende direkte Vergleichsgruppe für die Crossover-Patienten, darüber hinaus stellt die PSA-Konzentration lediglich einen Surrogat-Endpunkt dar. Um Vorteile im Hinblick auf Gesamtüberlebensraten zu finden, ist die Nachbeobachtungsdauer bislang zu kurz.

Kommentar

Zufriedenstellendes Verträglichkeitsprofil

Der GnRH-Antagonist, Degarelix, stellt eine Alternative zu den traditionellen LHRH-Agonisten dar. Seit 2009 ist Degarelix durch die EMA zugelassen und in der Folge konnte vor allem die prospektive CS21-Studie eine “Nicht-Unterlegenheit” gegenüber Leuprorelin bzgl. Testosteronund PSA-Suppression sowie eine signifikante Verbesserung des PSA-freien Überlebens / Versterbens darlegen. Dieses Studienprotokoll war in seiner Aussage vor allem durch die Überwachungszeit von lediglich einem Jahr limitiert. Dieses kurze Follow-up ist insbesondere kritisch zu bewerten, da die Patienten meist länger als ein Jahr eine Androgensuppression erfahren [ 1 ].

Nun wurden die aktuellen Langzeitergebnisse dieser Studie in „Urology“ von Crawford et al. veröffentlicht. Bei der Studie (CS21A) handelt es sich um eine offene, multizentrische Erweiterungsstudie über 4 Jahre. Die untersuchten Degarelix- Patienten erhielten ihre angestammte Degarelix-Therapie weiter, die LHRH-Agonist- Patienten konnten in den GnRH-Arm wechseln. Die primären Endpunkte stellten die Sicherheit und Toleranz ausgedrückt als Therapienebenwirkungen (=“adverse events”, AE) unter Langzeit-GnRH-Therapie dar. Als sekundäre Endpunkte wurden die Testosteron- / PSA Suppression und das PSA-freie Überleben / Versterben betrachtet. Die mediane GnRH-Therapiedauer betrug 57,1 Monate (12,8–72,4). Mit dem Wissen der publizierten Vorergebnisse ist die Aussage der Arbeit wenig überraschend: Die Langzeitanwendung erscheint sicher und die Testosteron- / PSA-Suppression nachhaltig.

Dennoch gibt es einige Punkte, auf die es hinzuweisen gilt:

  1. Lediglich 48 bzw. 40 % der Patienten, die bereits entweder das GnRH bzw. LHRH erhielten, konnten das Studienprotokoll beenden. Obwohl die Autoren darauf hinweisen, dass jeweils lediglich 17 bzw. 23 % aufgrund von Nebenwirkungen die Therapie abbrachen, ist dieser Anteil der sogenannten „drop outs“ wirklich eindrucksvoll hoch.

  2. Das Nebenwirkungsprofil des GnRH-Präparats unterschied sich im Langzeitverlauf kaum von den 1-Jahresergebnissen: Jeder 3. Patient litt unter lokalen Beschwerden am Injektionsort (1-Monatsspritze) im Sinne von Schmerzen, Rötung oder Schwellung bzw. beklagte Hitzewallungen. Bei jedem 10. Patient kam es zu einer Gewichtszunahme und weniger als jeder 10. Patient litt unter Fieber und Schüttelfrost.

  3. Bezüglich der Ergebnisse des PSA-freien Überlebens wurde die Risikoverminderung, die mit einer weiterführenden GnRH-Therapie assoziiert war, berechnet. Erneut gilt es darauf hinzuweisen, dass nach 52 Monaten lediglich 115 Männer auswertbar waren, von denen wiederum 60 bzw. 55 GnRH bzw. LHRH vortherapiert waren. Diese Zahlen werden in der Subanalyse der Männer mit einem PSA Wert > 20 ng / ml noch einmal geringer. Tatsächlich bleibt zu bezweifeln, ob diese Erweiterungsstudie überhaupt ausreichende statistische Power aufweist, um diese Unterschiede konklusiv zu belegen.

Insgesamt bleibt festzustellen, dass der GnRH-Antagonist, Degarelix, ein zufriedenstellendes Verträglichkeitsprofil bei 5-jähriger Einnahme aufweist. Patienten müssen vor allem durch die monatliche Injektion mit lokalen Hautreaktionen, Hitzewallungen, Fieber und Schüttelfrost rechnen – diese Symptome ändern sich im Langzeitverlauf nicht. Zudem scheint die Testosteron- / PSA-Suppression auch im Langzeitverlauf suffizient. Aufgrund der weiteren zunehmenden Evidenz bzgl. kardiovaskulärer und renaler unerwünschter Nebenwirkungen kann die Langzeiteinnahme von Degarelix gegenüber LHRH Agonisten von Vorteil sein – dies muss jedoch im Langzeitverlauf in weiteren randomisierten Studien konklusiv bestätigt werden [ 2 ]–[ 5 ].

PD Dr. Felix Chun, Hamburg


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PD Dr. Felix Chun


ist Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Urologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

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  • Literatur

  • 1 Klotz L, Boccon-Gibod L, Shore ND et al. The efficacy and safety of degarelix: a 12-month, comparative, randomized, open-label, parallel-group phase III study in patients with prostate cancer. BJU Int 2008; 102: 1531-1538
  • 2 Gandaglia G, Sun M, Hu JC et al. Gonadotropin-releasing hormone agonists and acute kidney injury in patients with prostate cancer. Eur Urol 2014; DOI: 10.1016/j.eururo.2014.01.026.
  • 3 Lapi F, Azoulay L, Niazi T et al. Androgen deprivation therapy and risk of acute kidney injury in patients with prostate cancer. JAMA 2013; 310: 289-296
  • 4 Albertsen PC, Klotz L, Tombal B et al. Cardiovascular morbidity associated with gonadotropin releasing hormone agonists and an antagonist. Eur Urol 2014; 65: 565-573
  • 5 Jespersen CP, Nørgaard M, Borre B. Androgen-deprivation therapy in treatment of prostate cancer and risk of myocardial infarction and stroke: a nationwide Danish population-based cohort study. Eur Urol 2014; 65: 704-709

  • Literatur

  • 1 Klotz L, Boccon-Gibod L, Shore ND et al. The efficacy and safety of degarelix: a 12-month, comparative, randomized, open-label, parallel-group phase III study in patients with prostate cancer. BJU Int 2008; 102: 1531-1538
  • 2 Gandaglia G, Sun M, Hu JC et al. Gonadotropin-releasing hormone agonists and acute kidney injury in patients with prostate cancer. Eur Urol 2014; DOI: 10.1016/j.eururo.2014.01.026.
  • 3 Lapi F, Azoulay L, Niazi T et al. Androgen deprivation therapy and risk of acute kidney injury in patients with prostate cancer. JAMA 2013; 310: 289-296
  • 4 Albertsen PC, Klotz L, Tombal B et al. Cardiovascular morbidity associated with gonadotropin releasing hormone agonists and an antagonist. Eur Urol 2014; 65: 565-573
  • 5 Jespersen CP, Nørgaard M, Borre B. Androgen-deprivation therapy in treatment of prostate cancer and risk of myocardial infarction and stroke: a nationwide Danish population-based cohort study. Eur Urol 2014; 65: 704-709

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