Effizienz der antibakteriellen Prophylaxe bei HWI belegt
Die RIVUR-Studie (Randomized Intervention for children with VesicoUreteral Reflux)
wurde konzipiert, um die Effektivität einer antibakteriellen Infektionsprophylaxe
bei Kindern mit VUR zu prüfen, die durch eine Harnwegsinfektion (HWI) aufgefallen
sind. Initiiert wurde die Studie durch das National Institute of Diabetes and Digestive
and Kidney Disease (http://www.rivur.net) [
1
].
Meilensteine auf dem Weg zu risikoorientierter Prophylaxe
Die jetzt abgeschlossene RIVUR-Studie ist die vorläufig letzte einer ganzen Serie
von randomisierten Studien zur Frage der antibakteriellen Prophylaxe von Harnwegsinfektionen
(‣ Tab. [
1
]).
Obwohl seit Jahrzehnten in der Praxis eingesetzt, war die Effektivität einer antibakteriellen
Langzeit-Infektionsprophylaxe in den letzten Jahren zunehmend angezweifelt worden
[
2
]–[
5
]. Die dürftige Studienlage bei Kindern war Anlass für zahlreiche kritische Analysen,
in denen die Effektivität der antibakteriellen Infektionsprophylaxe infrage gestellt
wurde [
2
], [
3
], [
6
]–[
8
]. Die Ergebnisse von 4 prospektiven Studien bei Kindern mit und ohne VUR, die alle
zwischen 2006 und 2008 erschienen sind [
9
]–[
12
], ließen in der Tat keinen signifikanten Einfluss auf die Rezidivhäufigkeit erkennen
[
13
].
Erst die schwedische Refluxstudie erbrachte bei Kindern im Alter von 1–2 Jahren mit
dilatierendem VUR Grad III und IV einen Wirksamkeitsnachweis der Prophylaxe.
Auch die placebokontrollierte australische PRIVENT-Studie prüfte den Einfluss einer
antibakteriellen Infektionsprophylaxe mit TMP / SMZ auf die Häufigkeit von Rezidiven
[
14
]. In der Behandlungsgruppe erlitten 13 % der Kinder eine symptomatische HWI, während
in der Placebo-Gruppe bei 19 % der Patienten eine HWI auftrat. Diese Reduktion des
Infektionsrisikos durch die Prophylaxe um 6 Prozentpunkte war unabhängig von Alter,
Geschlecht, Zahl vorangegangener HWI und Reflux-Status. Die „number needed to treat“
war 14.
RIVUR- Studie schafft weitere Klarheit
Die vorliegenden Ergebnisse der bislang größten prospektiven, randomisierten Doppelblindstudie
zu dieser Fragestellung weisen nun erneut einen eindeutigen Einfluss der antibakteriellen
Infektionsprophylaxe auf die Häufigkeit symptomatischer Harnwegsinfektionen nach.
Die „Number needed to treat“ lag in dieser Studie bei 8.
Kein Einfluss auf die Rate pyelonephritischer Narbenbildung
Durch die australische PRIVENT-Studie konnte nicht eindeutig beantwortet werden, inwieweit
durch eine antibakterielle Infektionsprophylaxe die Rate neuer Parenchymnarben beeinflusst
wird – dies war kein primäres Zielkriterium. Die Autoren vermuteten jedoch, dass der
Einfluss nach den vorliegenden Ergebnissen vernachlässigbar gering sein dürfte [
15
].
Die vorliegende Studie bestätigt nun diese Vermutung. Unter den gegebenen Studienbedingungen
kam es in beiden Studiengruppen bei etwa 8 % zu Narbenbildungen. Obwohl also deutlich
mehr fieberhafte HWI in der Placebo- als in der Verum- Gruppe auftraten, schien dies
keine Bedeutung für die Narbenentstehung zu haben.
Die schwedische Refluxstudie dagegen zeigte für Mädchen mit VUR Grad III und IV, dass
unter reiner Beobachtung trotz frühzeitiger Akuttherapie in mehreren Fällen neue Parenchymdefekte
erkennbar wurden, unter Prophylaxe jedoch keinerlei neue Parenchymnarben auftraten
[
16
].
Zum Problem der Compliance
Die Compliance mit der Medikation wurde in der RIVUR-Studie lediglich durch persönliche
Befragung kontrolliert. Knapp 75 % der Eltern gaben an, in zumindest 75 % der Beobachtungsperiode
die Medikation verabreicht zu haben; 85 % hatten die Prophylaxe in mindestens 50 %
der Beobachtungsperiode appliziert. In der Placebo-Gruppe ist die Compliance unerheblich;
in der Behandlungsgruppe jedoch erhöht sich mit jeder versäumten Dosis das Infektionsrisiko.
Wie häufig dies wirklich der Fall war, bleibt auch in dieser Studie verborgen.
Gerade die Compliance ist jedoch ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Vorbeugung
von HWI. Für die alltäglichen Praxis zeigte eine kürzliche Studie in einer Population
von mehr als 5000 Kindern und Jugendlichen, die eine antibakterielle Infektionsprophylaxe
mit TMP / SMZ oder Nitrofurantoin erhalten hatten, eine annähernd kontinuierliche
Patientencompliance bei lediglich 40 % [
17
]. Für manch einen Befürworter der operativen Refluxtherapie wird dies nach wie vor
ein Argument sein, trotz der vorliegenden Studienergebnisse an dem Erfolg der antibakteriellen
Prophylaxe in der „realen Welt“ zu zweifeln und stattdessen eine frühzeitige operative
Korrektur des VUR zu empfehlen [
18
].
Aktualisierte Leitlinien müssen die Daten der RIVUR-Studie als Evidenzgrundlage einbeziehen
Die vielbeachteten AAP-Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von HWI erschienen im
August 2011, die der AUA zum Refluxmanagement im Jahr 2010 [
19
], [
20
].
In den AAP-Leitlinien wird eine antibakterielle Prophylaxe nicht empfohlen; es gibt
dazu in dieser Leitlinie im Unterschied zur vorangegangenen Guideline jedoch auch
kein ausdrückliches Statement. Zum Zeitpunkt der Publikation erschien die Datenlage
zur antibakteriellen Infektionsprophylaxe noch zu ambivalent, als dass sich die Leitlinienkommission
der AAP grundsätzlich gegen sie ausgesprochen ätte. Sehr ausführlich beschäftigte
sich die Kommission stattdessen in ihrem „Technical Report“ mit der antibakteriellen
Infektionsprophylaxe beim VUR. So wurde die bis dahin fehlende Evidenz für ihren Nutzen
als eines der Argumente gegen die obligatorische Durchführung der Refluxprüfung nach
fieberhafter HWI angeführt [
21
]. Dieses Argument wird durch die vorliegende Studie entkräftet.
Im Gegensatz zu den AAP-Leitlinien legte sich die American Urology Association (AUA)
in ihrer Leitlinie zum Management des VUR auf die Empfehlung einer antibakteriellen
Infektionsprophylaxe nach einmaliger HWI bei Säuglingen unter einem Jahr fest [
22
]. Für ältere Kinder gilt in der AUA-Leitlinie die Empfehlung einer Prophylaxe bei
HWI und VUR bei gleichzeitig bestehenden Blasenfunktionsstörungen. Eine Prophylaxe
wird als Option jedoch auch für solche Kinder offengehalten, die keine Blasenfunktionsstörung
aufweisen [
22
]. Dieses Vorgehen wird durch die Ergebnisse der RIVUR-Studie unterstützt.
Konsequenzen für die Praxis
Die antibakterielle Infektionsprophylaxe hat – wie die 3 großen randomisierten Studien
der letzten 5 Jahre einschließlich der RIVUR-Studie zeigen – nach wie vor einen hohen
Stellenwert in der Refluxtherapie.
Es gilt nun, diejenigen Kinder zu identifizieren, die den größten Nutzen von ihr haben.
Zu ihnen gehören offensichtlich insbesondere Kinder mit rezidivierenden Pyelonephritiden,
hochgradigem VUR und Blasenfunktionsstörungen.
Es besteht weiterer Forschungsbedarf
Sämtliche randomisierte, kontrollierte Studien der letzten Jahre, in welchen die Effektivität
der antibakteriellen Prophylaxe auf die Rezidivrate von Harnwegsinfektionen geprüft
wurde, verwendeten Trimethoprim / Sulfamethoxazol. Es ist bekannt, dass E. coli gegenüber
TMP weltweit eine zunehmende Resistenz entwickeln, sodass nach Alternativen gesucht
werden muss [23]. Nitrofurantoin könnte eine solche Alternative sein. Eine entsprechende
Überlegenheitsstudie gegenüber TMP (mit und ohne SMZ) steht derzeit aus.
PD Dr. Rolf Beetz, Mainz