Aktuelle Dermatologie 2015; 41(08/09): 357-359
DOI: 10.1055/s-0034-1392785
Eine Klinik im Blickpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Frühe Nutzenbewertungen im dermatologischen Bereich

Early Benefit Assessments in the Dermatological Sphere
D. Lohrberg
Competenzzentrum Versorgungsforschung in der Dermatologie (CVderm), Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
M. Gutknecht
Competenzzentrum Versorgungsforschung in der Dermatologie (CVderm), Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
C. Blome
Competenzzentrum Versorgungsforschung in der Dermatologie (CVderm), Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
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Korrespondenzadresse

Dipl.-Pol. David Lohrberg
Competenzzentrum Versorgungsforschung in der Dermatologie (CVderm)
Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP)
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52
20246 Hamburg

Publication History

Publication Date:
27 August 2015 (online)

 

Zusammenfassung

Seit Einführung der „frühen Nutzenbewertung“ zum 1. 1. 2011 hängt der Preis neuer Arzneimittel in Deutschland davon ab, ob sie einen Zusatznutzen gegenüber bereits verfügbaren Therapien aufweisen. Nur wenn ein Zusatznutzen vorliegt, dürfen die Hersteller höhere Preise für diese Medikamente verlangen. In naher Zukunft stehen im Bereich der Psoriasis Nutzenbewertungen an, die die dermatologische Versorgungssituation in Deutschland erheblich verändern werden.


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Abstract

In 2011, Germany introduced a new form of drug benefit assessment. Since then, new drugs have to demonstrate additional benefit over comparative treatment. Only if they demonstrate an additional benefit, pharmaceutical companies may demand higher prices for their products. In the near future, three new psoriasis treatments will be subject to an early benefit assessment. The results are likely to have a profound impact on dermatological care in Germany.


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Einleitung

Mit dem am 15. 2. 2015 begonnenen Bewertungsverfahren zu Apremilast rücken zunehmend auch für die dermatologische Versorgung unmittelbar relevante Arzneimittel in den Fokus der so genannten „frühen Nutzenbewertung“ (fNB). Eingeführt wurde dieses Instrument mit dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) zum 1. 1. 2011. Seither sind die Preise, die die Pharmazeuten für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen erzielen können, an die Ergebnisse dieser Nutzenbewertung gekoppelt. Höhere Preise können die Hersteller für ihre Produkte nur dann erzielen, wenn diese einen Zusatznutzen gegenüber dem etablierten Therapiestandard aufweisen. Wird kein Zusatznutzen nachgewiesen, darf der Preis die Kosten der wirtschaftlichsten Vergleichstherapie nicht übersteigen. Mit der Einführung der fNB reformierte der Bundestag den pharmazeutischen Mark derart tiefgreifend, dass bisweilen von einer neuen „Zeitrechnung“ [1] im Arzneimittelsektor gesprochen wird.

Bisher wurden indes nur wenige Bewertungen von Medikamenten durchgeführt, die in der dermatologischen Versorgung eine Rolle spielen (Ivermectin, Ingemolmebutat). Insbesondere im Bereich der Psoriasis stehen in naher Zukunft aber wichtige Entscheidungen an (Apremilast, Ixekizumab, Secukinumab). Die frühe Nutzenbewertung ist heute das zentrale Instrument der Arzneimittelregulation in Deutschland. Die aktuellen und zukünftigen Bewertungen dermatologischer Medikamente werden daher erheblichen Einfluss auf die diesbezügliche Versorgungssituation in Deutschland haben.


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Ablauf der frühen Nutzenbewertung

Seit Einführung der frühen Nutzenbewertung hängen die Preise neuer Medikamente von ihrem Zusatznutzen gegenüber dem Therapiestandard ab. Dieser Vorteil gegenüber der so genannten „zweckmäßigen Vergleichstherapie“ wird vom Bundesgesundheitsministerium definiert als „der patientenrelevante therapeutische Effekt insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitszustands, der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Verlängerung des Überlebens, der Verringerung von Nebenwirkungen oder einer Verbesserung der Lebensqualität“ [2]. Über Ausmaß und Wahrscheinlichkeit dieses Zusatznutzens entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA).

Seit der Reform müssen Hersteller spätestens zur Markteinführung eines neuen Arzneimittels oder vier Wochen nach Zulassung für neue Anwendungsgebiete Daten zur frühen Nutzenbewertung vorlegen. Dazu erstellen sie Dossiers, in denen Studiendaten zum Zusatznutzen des Arzneimittels dargelegt werden. Diese Daten müssen dabei für einen Vergleich mit der vom G-BA festgelegten Vergleichstherapie geeignet sein.

Innerhalb von drei Monaten werden die Nutzendossiers einer wissenschaftlichen Evaluation unterzogen. In der Regel beauftragt der G-BA das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit dieser Dossierbewertung. Die Dossierbewertungen von Medikamenten zur Behandlung seltener Leiden führt der G-BA hingegen selbst durch. Die Ergebnisse der Dossierbewertungen werden daraufhin veröffentlicht und ein Stellungnahmeverfahren eingeleitet. Die Unternehmen, aber auch Dritte, wie Verbands- und Patientenvertreter sowie externe Experten, können dabei schriftlich zum Zusatznutzen Stellung nehmen. Bevor der G-BA nach drei weiteren Monaten über Ausmaß und Wahrscheinlichkeit des Zusatznutzens beschließt, führt er zudem eine mündliche Anhörung durch. Dabei werden strittige Punkte diskutiert und ggf. auch neue Daten nachgereicht. Neben Unternehmensvertretern, Personal von IQWiG und G-BA nehmen daran wiederum Patienten, Experten und Verbände teil ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Verfahrensablauf der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V (https://www.g-ba.de/downloads/17-98-3188/2012_Ablauf_FrueheNB_35a.pdf).

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Herangehensweise des IVDP

Um die Funktionsweise der Nutzenbewertung auch in der Tiefe des Verfahrens analysieren und inhaltliche Argumentationen nachvollziehen zu können, hat das Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) aus Hamburg eine „qualitative Inhaltsanalyse“ [3] der öffentlich zugänglichen Verfahrensdokumente der ersten 66 abgeschlossenen Nutzenbewertungsverfahren (Beschlussfassung des G-BA; 1. 1. 2011-31-12.2013) durchgeführt. Eines der Hautkriterien für den Zusatznutzen ist, wie bereits ausgeführt, die Lebensqualität. Der Begriff „Lebensqualität“ ist jedoch nicht universell definiert und wird auch in den regulatorischen Vorgaben zur Nutzenbewertung nicht eingegrenzt (Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung; Verfahrensordnung des G-BA). Daher wurde am IVDP mithilfe einer systematischen qualitativen Methodik von zwei Wissenschaftlern untersucht, wie Lebensqualität in der Praxis der Nutzenbewertung von den unterschiedlichen Akteuren definiert wird. Wesentliche Schritte der Analyse wurden von den Wissenschaftlern unabhängig voneinander durchgeführt, bevor im Zuge einer gegenseitigen Prüfung von Textinterpretationen und Textkürzungen („Paraphrasierung“ und „Exzerptierung“) die wesentlichen Aussageinhalte im Konsensverfahren zusammengefasst wurden. Auf diese Weise wurden sämtliche Textstellen, die sich auf den Begriff Lebensqualität bezogen (16 630 Stellen), analysiert und auf Kernaussagen verdichtet. Daraufhin wurden diese Kernaussagen in einer ebenfalls zunächst unabhängigen Auswertung und im Anschluss konsentierten Zusammenfassung mithilfe von induktiv erstellten Kategorien („Codes“) kodiert, d. h. systematisch strukturiert, indem thematisch verbundene Textstellen denselben Kategorien zugewiesen oder für neue Aspekte neue Kategorien entwickelt wurden. Auf diese Weise konnten die inhaltlichen Kernaussagen sämtlicher Textstellen in einem System von Kodierungen/Kategorien zusammengefasst und schließlich in der Gesamtschau ausgewertet werden ([Abb. 2]). In einem zweiten Schritt wurden die dabei entwickelten Kategorien und Kernaussagen anhand der im Jahr 2014 durchgeführten Nutzenbewertungen auf ihre Gültigkeit getestet. Zusätzlich wurde u. a. erhoben, in wie vielen Entscheidungen des G-BA Ergebnisse zur Lebensqualität, Mortalität, Morbidität und/oder Nebenwirkungen „tragender Grund“ für die Feststellung eines Zusatznutzens waren.

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Abb. 2 Systematik der qualitativen Methodik des IVDP.

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Rolle der Lebensqualität in der frühen Nutzenbewertung

Viele an der frühen Nutzenbewertung beteiligte Akteure legen unterschiedliche Definitionen von Lebensqualität zugrunde. Die pharmazeutischen Unternehmer verwenden tendenziell weiter gefasste Definitionen. IQWiG und G-BA fokussieren auf die Validität der zur Messung von Lebensqualität eingesetzten Instrumente und die Qualität der eingebrachten Daten. Zudem wurden viele Daten, die in den Dossiers als Aspekte von Lebensqualität dargestellt wurden, von IQWiG und G-BA aufgrund von davon abweichenden Lebensqualitäts-Definitionen nicht als solche akzeptiert. Auch vor diesem Hintergrund ist der Nachweis eines Zusatznutzens im Bereich der Lebensqualität relativ schwierig und bisher nur selten geglückt. Gleichzeitig gelang es den Pharmazeuten in nur wenig Fällen, belastbare, d. h. statistisch signifikante und klinisch relevante Daten vorzulegen. In zahlreichen Verfahren wurden zudem gar keine Lebensqualitätsdaten eingereicht. In vielen der den heutigen Zusatznutzenentscheidungen zugrundeliegenden Studien wurde Lebensqualität noch nicht erfasst [4].

Der „Endpunkt“ Lebensqualität hat erst in der jüngeren Vergangenheit an Bedeutung gewonnen. Auch vor diesem Hintergrund spielen Ergebnisse zur Lebensqualität zwar bereits eine wichtige, aber quantitativ betrachtet in Relation zu den Ergebnissen bzgl. Mortalität, Morbidität und Nebenwirkungen noch eine kleinere Rolle. Der Stellenwert der Lebensqualität wird dabei zukünftig in dem Maße steigen, in dem es gelingt, entsprechende Daten zuverlässig darzustellen. Die qualitative Analyse zeigt, dass Lebensqualitätsergebnissen generell eine potenzielle Querschnittsrolle in der frühen Nutzenbewertung zukommt. Sie sind nicht nur kraft Gesetz ein Zusatznutzenkriterium für sich, sondern werden auch zur Einordnung des Zusatznutzens bzgl. der weiteren Zusatznutzenparameter herangezogen [5]. Im dermatologischen Bereich könnte dabei eine Rolle spielen, dass hautbezogene Lebensqualitätsbeeinträchtigungen die Patienten besonders belasten.

Patientenrelevante Lebensqualität-Zusatznutzen zu belegen ist jedoch methodisch sehr anspruchsvoll, wie in einer in Kürze erscheinenden Veröffentlichung des Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) [6] gezeigt wird.


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Interessenkonflikt

C. Blome erhielt Reisekostenzuschüsse und/oder Rednerhonorare von den Firmen Janssen-Cilag und Lilly.
D. Lohrberg und M. Gutknecht geben an, keine potenzielle Interessenkonflikte zu haben.

  • Literatur

  • 1 Greiner W, Witte J. AMNOG-Report 2015. Nutzenbewertung von Arzneimitteln in Deutschland. Beiträge zur Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung (Band 8). Heidelberg: medhochzwei Verlag; 2015
  • 2 Verordnung über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a Absatz 1 SGB V für Erstattungsvereinbarungen nach § 130b SGB V (Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung – AM-NutzenV). letzter Zugriff: 05. 11. 2014; http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/am-nutzenv/gesamt.pdf
  • 3 Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse. In: Mey G, Mruck K, Hrsg. Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften; 2010
  • 4 Bullinger M, Blome C, Sommer R et al. Gesundheitsbezogene Lebensqualität – ein zentraler patientenrelevanter Endpunkt in der Nutzenbewertung medizinischer Maßnahmen. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz 2015; 58: 283-290
  • 5 Lohrberg D, Augustin M, Blome C. The definition and role of quality of life in Germany’s early assessment of drug benefit: a qualitative approach. Qual Life Res 2015; angenommen: 16. 7. 2015
  • 6 Blome C, Augustin M, Metin H et al. Four years of early benefit assessment of new drugs in Germany: a qualitative study on methodological requirements regarding quality of life data. [in Erstellung]

Korrespondenzadresse

Dipl.-Pol. David Lohrberg
Competenzzentrum Versorgungsforschung in der Dermatologie (CVderm)
Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP)
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52
20246 Hamburg

  • Literatur

  • 1 Greiner W, Witte J. AMNOG-Report 2015. Nutzenbewertung von Arzneimitteln in Deutschland. Beiträge zur Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung (Band 8). Heidelberg: medhochzwei Verlag; 2015
  • 2 Verordnung über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a Absatz 1 SGB V für Erstattungsvereinbarungen nach § 130b SGB V (Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung – AM-NutzenV). letzter Zugriff: 05. 11. 2014; http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/am-nutzenv/gesamt.pdf
  • 3 Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse. In: Mey G, Mruck K, Hrsg. Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften; 2010
  • 4 Bullinger M, Blome C, Sommer R et al. Gesundheitsbezogene Lebensqualität – ein zentraler patientenrelevanter Endpunkt in der Nutzenbewertung medizinischer Maßnahmen. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz 2015; 58: 283-290
  • 5 Lohrberg D, Augustin M, Blome C. The definition and role of quality of life in Germany’s early assessment of drug benefit: a qualitative approach. Qual Life Res 2015; angenommen: 16. 7. 2015
  • 6 Blome C, Augustin M, Metin H et al. Four years of early benefit assessment of new drugs in Germany: a qualitative study on methodological requirements regarding quality of life data. [in Erstellung]

Zoom Image
Abb. 1 Verfahrensablauf der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V (https://www.g-ba.de/downloads/17-98-3188/2012_Ablauf_FrueheNB_35a.pdf).
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Abb. 2 Systematik der qualitativen Methodik des IVDP.