Aktuelle Dermatologie 2015; 41(08/09): 360-362
DOI: 10.1055/s-0034-1392784
Eine Klinik im Blickpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Messung des patientenrelevanten Nutzens in der Dermatologie

Measuring Patient-Relevant Benefit in Dermatology
C. Blome
Competenzzentrum Versorgungsforschung in der Dermatologie (CVderm), Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
M. Augustin
Competenzzentrum Versorgungsforschung in der Dermatologie (CVderm), Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
M. Gutknecht
Competenzzentrum Versorgungsforschung in der Dermatologie (CVderm), Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
,
M. L. Schaarschmidt
Competenzzentrum Versorgungsforschung in der Dermatologie (CVderm), Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg
› Author Affiliations
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Korrespondenzadresse

Dr. Christine Blome
Competenzzentrum Versorgungsforschung in der Dermatologie (CVderm)
Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP)
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52
20246 Hamburg

Publication History

Publication Date:
27 August 2015 (online)

 

Zusammenfassung

Die Erhebung des Nutzens aus Patientensicht spielt eine immer größere Rolle in Forschung und klinischer Praxis. Der Patientennutzen kann prospektiv (vor und nach einer Behandlung) anhand der gesundheitsbezogenen Lebensqualität gemessen werden – oder retrospektiv als Nutzeneinschätzung nach der Behandlung. Für beide Ansätze der Nutzenerfassung liegen validierte Fragebögen für den Einsatz in der Dermatologie vor, die in diesem Artikel beispielhaft vorgestellt werden.


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Abstract

Measuring treatment benefit from the patients’ perspective becomes increasingly important, both in research and clinical practice. Patient benefit can be assessed either prospectively (before and after treatment) with questionnaires on health-related quality of life – or retrospectively with the patients evaluating benefit after treatment. For both approaches, validated questionnaires have been developed for use in dermatology, examples for which are presented in this article.


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Der Erfolg einer dermatologischen Behandlung wird traditionell anhand vom Arzt erhobener Daten bestimmt, etwa dem „Psoriasis Area and Severity Index“ (PASI) [1] oder der Größe der Wundfläche. Diese arztberichteten Indikatoren mögen zwar vergleichsweise objektiv sein, stimmen aber in vielen Fällen nicht mit dem patientenberichteten Nutzen überein [2] – die Auswirkungen einer Therapie auf das Leben eines Patienten hängen schließlich nicht allein von der Besserung des Hautbefundes ab, sondern auch von individuellen Präferenzen und Lebensumständen. Daher wird zunehmend Wert auf eine Nutzenbestimmung aus Patientensicht gelegt, sei es in der klinischen Praxis, in der Forschung oder bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach AMNOG [3]. Die Nutzenmessung erfolgt anhand standardisierter Fragebögen, sogenannter Patient Reported Outcomes (PROs).

Prinzipiell lassen sich zwei Möglichkeiten der Nutzenmessung aus Patientensicht unterscheiden: die prospektive und die retrospektive Erhebung. Bei einer prospektiven Erhebung wird die Lebensqualität der Patientin vor und nach Intervention erhoben; aus der Differenz wird auf den Nutzen der Behandlung geschlossen. Bei einer retrospektiven Erhebung hingegen wird die Patientin direkt nach eingetretenen Verbesserungen gefragt; die Erhebung erfolgt somit erst nach der Intervention.

Beide Ansätze der Nutzenerfassung haben jeweils Vor- und Nachteile [4]. So mögen Patienten die Fragen bei einer prospektiven Erhebung jeweils unterschiedlich interpretieren, sodass die erhobenen Werte nicht mehr vollständig vergleichbar sind. Bei einer retrospektiven Erhebung hingegen müssen sie sich an ihren früheren Zustand erinnern, um das Ausmaß der Änderung einzuschätzen; dies ist aufgrund von Erinnerungsverzerrungen nicht immer zuverlässig möglich. Während der Nutzen in der klinischen Forschung überwiegend prospektiv gemessen wird, bietet sich eine retrospektive Erhebung besonders dann an, wenn die Therapiebewertung durch die Patienten im Vordergrund steht – etwa in der Versorgungsforschung oder in der klinischen Praxis.

Im Folgenden stellen wir Instrumente vor, die von der Arbeitsgruppe „Lebensqualität und Patientennutzen“ (Competenzzentrum Versorgungsforschung in der Dermatologie [CVderm], Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) zur prospektiven und retrospektiven Messung des Patientennutzens entwickelt wurden.

Retrospektive Nutzenmessung: Der Patient Benefit Index

Mit dem Patient Benefit Index (PBI) kann erhoben werden, inwieweit die individuellen Behandlungsziele jedes Patienten erreicht wurden. Kern des PBI ist eine Liste potenzieller Therapieziele, die auf Basis qualitativer Patientenbefragungen entwickelt wurden. Diese Ziele bewertet der Patient vor der Behandlung hinsichtlich ihrer Wichtigkeit und nach der Behandlung hinsichtlich ihrer Erreichung – Letzteres stellt die eigentliche, retrospektive Nutzenbewertung dar. Aus den Angaben kann für jeden Patienten ein gewichteter Gesamtnutzenwert berechnet werden [5].

Der PBI liegt in einer Lang- und einer Kurzversion für Patienten mit chronischen Hauterkrankungen vor (PBI-S und PBI 2.0). Darüber hinaus wurden zahlreiche spezifische Versionen für die Nutzenermittlung bei bestimmten Diagnosen entwickelt, z. B. chronische Wunden (PBI-W), Vitiligo (PBI-V) oder Lymphödeme (PBI-L). Für jede PBI-Version wurden bzw. werden Gütekriterien wie Reliabilität, Validität, Änderungssensitivität und Verständlichkeit empirisch ermittelt, und die Instrumente wurden in zahlreiche Sprachen übertragen. Kürzlich wurden auch Fragebögen zur Nutzenmessung bei nicht-dermatologischen Erkrankungen (Multiple Sklerose; rheumatoide Arthritis) entwickelt und befinden sich aktuell in der Validierungsphase.


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Prospektive Nutzenmessung: Fragebögen zur Lebensqualität

Für eine prospektive Messung des Patientennutzens in der Dermatologie wurden in unserer Arbeitsgruppe verschiedene Fragebögen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität entwickelt. In diesen Bögen geben Patienten das aktuelle Ausmaß ihrer Beeinträchtigung durch die Hauterkrankung an, wobei körperliche, psychische, soziale und behandlungsbedingte Aspekte abgedeckt werden.

Beispielhaft genannt seien hier der NAPPA-QOL, der spezifisch die Lebensqualität bei Patienten mit Nagelpsoriasis erfasst (www.nappa-online.com), sowie der Wound-QoL, ein Kurzfragebogen zur Lebensqualität von Menschen mit chronischen Wunden (www.wound-qol.com). Für beide Instrumente wurden Validierungsarbeiten veröffentlicht ([Tab. 2]); die Bögen kommen aktuell in der klinischen Routine sowie in internationalen Arzneimittelstudien zum Einsatz. Die Übertragung dieser Fragebögen in andere Sprachen erfolgt zum Teil durch das CVderm selbst, zum Teil aber auch durch Arbeitsgruppen in den jeweiligen Ländern (u. a. Schweden, Türkei, Brasilien, China).

Eine Übersicht der wichtigsten Instrumente, die am CVderm – z. T. in Zusammenarbeit mit anderen Forschungszentren – entwickelt wurden, findet sich in den [Tab. 1] und [Tab. 2]. Ergänzt wird dies durch unsere Forschung zum Patientennutzen, etwa zur Frage möglicher Verzerrungen beim Ausfüllen eines Fragebogens oder zur Veränderung von Therapiezielen im Laufe einer Behandlung ([Abb. 1]).

Tab. 1

Versionen des Patient Benefit Index (PBI) zur Messung des patientenrelevanten Behandlungsnutzens (Auswahl).

Diagnose

PBI-Version

Anzahl Items

Publikationen bzw. Stand der Validierungsstudien

Hauterkrankungen (diagnoseübergreifend, Langversion)

PBI-S

25

  • Augustin M et al. Arch Dermatol Res 2009; 301: 561 – 571

  • Blome C et al. Arch Dermatol Res 2011; 303: 11 – 17

  • Augustin M et al. J Dtsch Dermatol Ges 2008; 6: 113 – 120

  • Feuerhahn J et al. Arch Dermatol Res 2012; 304 (6): 433 – 441

Hauterkrankungen (diagnoseübergreifend, Kurzversion)

PBI 2.0

12

  • Blome C et al. Gesundheitsökonomie und Qualitätsmanagement 2010; 15: 236 – 240

  • Validierungsarbeit in Einreichung

Allergische Rhinitis

PBI-AR

25

  • Franzke N et al. Allergy 2011; 66: 665 – 670

Allergische Rhinitis (Version für Kinder)

PBI-AR-K

19

  • Manuskript in Vorbereitung

Altershaut

PBI-AH

20

  • Manuskript in Einreichung

Chronisches Handekzem

PBI-HE

23

  • Blome C et al. Contact Dermatitis 2009; 61: 39 – 45

Chronische Wunden

PBI-W

22

  • Augustin M et al. Wound Repair Regen 2012; 20: 8 – 14

Kosmetische Indikationen

PBI-K

24

  • Augustin M et al. Dermatology 2009; 218: 255 – 259

Lymphödem

PBI-L

23

  • Blome C et al. Eur J Vasc Endovasc Surg 2013; 47: 100 – 107

Multiple Sklerose

PBI-MS

27

  • Validierungsstudie in Durchführung

Nagelpsoriasis

NAPPA-PBI

24

  • Augustin M et al. Br J Dermatol 2014; 170: 591 – 598

Periphere arterielle Verschlusskrankheit

PBI-pAVK

12

  • Validierungsstudie in Durchführung

Pruritus

PBI-P

27

  • Blome C et al. Br J Dermatol 2009; 161: 1143 – 1148

Rheumatoide Arthritis

PBI-Rheuma

20

  • Validierungsstudie in Durchführung

Vitiligo

PBI-Vit

26

  • Augustin M et al. Dermatology 2008; 217: 101 – 106

Tab. 2

Fragebögen zur Erhebung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität in der Dermatologie (Auswahl).

Diagnose

Name des Fragebogens

Anzahl Items

Publikationen bzw. Stand der Validierungsstudien

alle Diagnosen bzw. gesunde Probanden

FLQA-core (FLQA: Freiburger Lebensqualitätsassessment)

28

  • Augustin M et al. Eur J Dermatol 2004; 14: 107 – 113

Chronische Wunden

FLQA-wk

24

  • Augustin M et al. Int Wound J 2010; 7: 493 – 501

Chronische Wunden

Wound-QoL

17

  • Blome C et al. Wound Repair Regen 2014; 22: 504 – 514

  • Augustin M et al. Wound Medicine 2014; 5: 4 – 8

Lympherkrankungen (Langversion)

FLQA-I

83

  • Augustin M et al. Vasa 2005; 34: 31 – 35

Lympherkrankungen (Kurzversion)

FLQA-Ik

30

  • Publikation in Vorbereitung

Nagelpsoriasis

NAPPA-QOL

20

  • Augustin M et al. Br J Dermatol 2014; 170: 591 – 598

Periphere arterielle Verschlusskrankheit

QOLPAD

12

  • Validierungsstudie in Durchführung

Venenerkrankungen

FLQA-v

81

  • Augustin M et al. Vasa 1997; 26: 291 – 301

Venenerkrankungen (Kurzversion)

FLQA-VS-10

10

  • Augustin M et al. Wound Medicine 2015; 8: 31 – 35

Zoom Image
Abb. 1 Aktivitäten der Arbeitsgruppe „Lebensqualität und Patientennutzen“ am CVderm.

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Interessenkonflikt

C. Blome ist Mitautorin der meisten hier genannten Fragebögen. Sie erhielt Reisekostenzuschüsse und/oder Rednerhonorare von den Firmen Janssen-Cilag und Lilly.
M. Augustin hat honorierte Beratungen vorgenommen und/oder Vorträge gehalten für 3M, Bayer Healthcare, Beiersdorf, Birken, Bode, B. Braun, BSN, BVmed, Coloplast, DAK, Diabet concept, Gerromed, GlaxoSmithKline, Johnson & Johnson, Lohmann & Rauscher, Medi, Medovent, Mölnlycke, Sanofi-Aventis, Smith & Nephew, Spirig, Schülke & Mayr, Söring, Sorbion, Systagenix, Urgo.
M. Gutknecht und M. L. Schaarschmidt geben an, keine potenziellen Interessenkonflikte zu haben.


Korrespondenzadresse

Dr. Christine Blome
Competenzzentrum Versorgungsforschung in der Dermatologie (CVderm)
Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP)
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52
20246 Hamburg


Zoom Image
Abb. 1 Aktivitäten der Arbeitsgruppe „Lebensqualität und Patientennutzen“ am CVderm.