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DOI: 10.1055/s-0034-1391706
Verfügbarkeit und Integration von Palliativmedizin an zertifizierten Lungenkrebszentren
Availability and Integration of Palliative Medicine at Certified Lung Cancer CentersKorrespondenzadresse
Publication History
eingereicht 03 January 2015
akzeptiert nach Revision 10 February 2015
Publication Date:
08 April 2015 (online)
Zusammenfassung
Hintergrund: Das Zertifizierungssystem für Organkrebszentren der Deutschen Krebsgesellschaft hat zum Ziel, onkologischen Patienten eine an hohen Qualitätsmaßstäben orientierte Behandlung zu ermöglichen. Bei Lungenkrebs besteht aufgrund der hohen Symptomlast ein umfangreicher palliativmedizinischer Bedarf. Mit dieser Untersuchung sollten die palliativmedizinischen Strukturen der 39 zertifizierten Lungenkrebszentren erhoben werden.
Methode: Als Messinstrument diente ein Fragebogen mit 18 Fragen, der den Zentren postalisch zugestellt wurde.
Ergebnisse: 30 Zentren haben an der Befragung teilgenommen (Rücklaufquote 77 %). In 21 Zentren war ein Arzt mit Zusatzbezeichnung Palliativmedizin angestellt, in 24 Zentren eine Pflegekraft mit Palliative-Care-Weiterbildung. 9 Zentren verfügten über eine eigene Palliativstation. Barrieren für Palliativmedizin wurden v. a. in einem Mangel an Fachkräften, der fehlenden Refinanzierung und der Sorge, Palliativmedizin könne negative Gefühle bei Patienten erzeugen, gesehen.
Schlussfolgerungen: Die palliativmedizinischen Strukturen in zertifizierten Lungenkrebszentren zeigten eine große Bandbreite. Mehrheitlich bestand Offenheit für den Ausbau der Palliativmedizin. Dennoch wurden ernstzunehmende Barrieren genannt.
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Abstract
Background: It is the aim of the certification system for Organ Cancer Centers of the German Cancer Society to ensure that oncology patients receive therapy meeting high quality standards. Lung cancer patients require comprehensive palliative care due to their high symptom load. The purpose of the present study was to identify the existing palliative care structures at 39 certified lung cancer centers.
Methods: The survey tool used was an 18-question questionnaire sent by surface mail to the respective centers.
Results: A total of 30 centers took part in the survey. A physician with the additional qualification ‘palliative care‘ was employed at 21 of the centers, a certified palliative care nurse worked at 24 centers. A palliative care unit was available at 9 centers. The cited obstacles to the delivery of palliative care included a shortage of qualified palliative care staff, a lack of refinancing, and the concern that the suggestion of palliative care might cause negative emotions in the respective patients.
Conclusions: Certified lung cancer centers had a wide range of palliative care structures. Openness to and interest in extending existing palliative care services were most commonly identified. A number of serious obstacles in achieving this goal were nevertheless cited.
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Einleitung
In Deutschland verfolgt das Zertifizierungssystem für Organkrebszentren der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) das Ziel, die Betreuung der onkologischen Patienten zu verbessern und ihnen in jeder Phase und für jeden Bereich ihrer Erkrankung eine an hohen Qualitätsmaßstäben orientierte Behandlung zu ermöglichen [1]. Aus diesem Anspruch lässt sich die Notwendigkeit zur Einbeziehung der Palliativmedizin in das Zertifizierungssystem ableiten.
Seit 2009 können sich Kliniken, die alle vorgegebenen fachlichen Voraussetzungen erfüllen, zum Lungenkrebszentrum zertifizieren lassen. Lungenkrebs ist in Deutschland die vierthäufigste Krebsneuerkrankung und die häufigste Krebstodesursache mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von nur 15 bis 19 % [2]. Im Jahr 2008 gab es in Deutschland 49 500 Neuerkrankungen und 42 500 Todesfälle. Bei Lungenkrebs-Patienten ist im Verhältnis zu anderen häufigen Tumorentitäten aufgrund der hohen Inzidenz in Verbindung mit der oft ausgeprägten Symptomlast und der limitierten Prognose von einem besonders hohen palliativmedizinischen Bedarf auszugehen. Darüber hinaus handelt es sich bei Lungenkrebs um die erste Tumorentität, für die der Nutzen einer frühen Einbeziehung der Palliativmedizin in die Behandlung wissenschaftlich belegt ist [3]. Diese Erkenntnis führte z. B. in den USA bereits zu offiziellen Empfehlungen onkologischer und pneumologischer Fachgesellschaften, Lungenkrebs-Patienten zumindest im fortgeschrittenen Stadium eine frühzeitige palliativmedizinische Mitbetreuung anzubieten [4] [5].
Die Vorgaben der DKG zur palliativmedizinischen Versorgung sind für alle Organkrebszentren, so auch für Lungenkrebszentren, identisch und lassen Spielraum zur Umsetzung und Ausgestaltung (Infobox 1).
Anforderungen an die Palliativmedizin und Hospizversorgung in Organkrebszentren
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Es sind jeweils Kooperationsvereinbarungen mit Leistungserbringern der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, palliativmedizinischen Konsiliardiensten, stationären Hospizen und Palliativstationen nachzuweisen. Regionale Versorgungskonzepte unter Nennung aller Beteiligten sind zu beschreiben.
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Ein Arzt mit Zusatzweiterbildung Palliativmedizin muss für Konsile und Tumorkonferenzen zur Verfügung stehen.
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Die Zusammenarbeit mit den Leistungsträgern der Hospiz- und Palliativversorgung ist schriftlich festzulegen.
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Die Zugangswege und die palliativmedizinische Versorgung sind zu beschreiben (SOP, Struktur und Prozess).
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Die palliativmedizinische Versorgung und die Zusammenarbeit mit den vorgenannten Institutionen sind an dokumentierten Fällen für den Betrachtungszeitraum nachzuweisen.
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Hauseigene Standards für die Begleitung von Sterbenden und ethische Leitlinien sind zu beschreiben und zu beachten.
Vor diesem Hintergrund soll anhand der vorliegenden Studie in erster Linie untersucht werden, welche palliativmedizinischen Strukturen in zertifizierten Lungenkrebszentren derzeit existieren und wie genau diese in die Patientenversorgung integriert sind. Darüber hinaus hat die Untersuchung zum Ziel, etwas über die grundlegende Einstellung zur Palliativmedizin in zertifizierten Lungenkrebszentren in Erfahrung zu bringen. Finden z. B. palliativmedizinische Themen Berücksichtigung bei Fortbildungsveranstaltungen? Gibt es Barrieren, die der palliativmedizinischen Entwicklung im Wege stehen könnten? Wird die Bedeutung der Palliativmedizin künftig zunehmen und werden bestehende Strukturen ausgebaut?
Letztlich stellt sich auch die Frage, ob die aktuellen, bislang ausschließlich auf Strukturen und Prozessen und nicht auf Ergebnisqualität beruhenden palliativmedizinischen Anforderungen an zertifizierte Lungenkrebszentren den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen gerecht werden oder ob eine Anpassung vorgenommen werden sollte.
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Methode
Eine Liste aller zertifizierten Lungenkrebszentren kann auf der Homepage der Deutschen Krebsgesellschaft oder des Institutes Onkozert® abgerufen werden [6] [7]. Mit Stand vom 1.4. 2013 waren auf der Homepage des Institutes Onkozert® 40 zertifizierte Lungenkrebszentren in 39 Kliniken ausgewiesen. Eine der Kliniken verfügte über zwei zertifizierte Standorte innerhalb der gleichen Stadt. Acht der aufgelisteten Kliniken hatten sich im Rahmen eines Kooperationsmodells jeweils zu zweit zu einem Lungenkrebszentrum an zwei zertifizierten Standorten (Kliniken) in unterschiedlichen Städten zusammengeschlossen. Untersuchungsrelevant waren die palliativmedizinischen Strukturen in jeder eigenständigen Klinik, sodass 39 Fragebögen verschickt wurden.
Die Entwicklung des Fragebogens erfolgte basierend auf einer Literaturrecherche zur Rolle der Palliativmedizin bei der Behandlung von Patienten mit Lungenkrebs und den Anforderungen im Abschnitt „Palliativversorgung“ des Erhebungsbogens für Lungenkrebszentren. Der Fragebogen enthielt 18 Fragen, unterteilt in 7 Kategorien (Größe des Zentrums, palliativmedizinische Strukturen, Tumorkonferenz, Fortbildung, Kommunikation, Perspektiven, mögliche Barrieren). Eine offene Frage am Ende des Fragebogens sollte den Zentren ermöglichen, zusätzliche Aspekte zum Thema palliativmedizinische Versorgung in Lungenkrebszentren mitzuteilen.
Die Beantwortung des Fragebogens setzte Kenntnisse entweder des Zentrumsleiters, des Netzwerkkoordinators oder eines für die Palliativmedizin beauftragten Arztes voraus. Da jedes Zentrum nur einen Fragebogen erhalten sollte, wurde der am ehesten in Frage kommende Adressat anhand von Email- oder Telefonanfragen an die Zentren, Informationen auf deren Internet-Seiten, telefonischen Auskünften des Institutes Onkozert® sowie persönlicher Kenntnisse und Kontakte ermittelt. Basierend auf diesen Recherchen erfolgte der Versand des Fragebogens bei 26 Zentren an den Netzwerkkoordinator, bei 11 Zentren an den Leiter und bei 2 Zentren an den für die Palliativmedizin beauftragten Arzt. Sofern nicht selbst Adressat des Fragebogens, wurde der Zentrumsleiter zeitgleich schriftlich über die Untersuchung informiert.
Die für die Zertifizierung von Organkrebszentren zuständige DKG erklärte sich auf Anfrage bereit, die Untersuchung durch ein Empfehlungsschreiben an die Zentren zu unterstützen, das dem eigenen Anschreiben und dem Fragebogen beigefügt wurde.
Der Rücklauf erfolgte anonym. Es wurde eine Rücksendefrist von vier Wochen festgelegt. Drei Wochen nach Versand des Fragebogens wurde ein Erinnerungsschreiben an die Zentren geschickt. Unmittelbar nach Ablauf der Rückgabefrist wurden die Adressaten der Fragebögen nochmals telefonisch um die Teilnahme an der Befragung gebeten. Alle statistischen Analysen erfolgten mittels IBM SPSS Version 21.0.
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Ergebnisse
Es wurden 30 von 39 Fragebögen aus den Zentren zurückgeschickt, was einer Rücklaufquote von 76,9 % entspricht. Ohne Berücksichtigung der offenen Schlussfrage waren 27 von 30 Fragebögen (90,0 %) vollständig ausgefüllt. Bei den drei nicht vollständig ausgefüllten Fragebögen fehlten maximal zwei Antworten.
In den einzelnen Zentren lag die Anzahl der Primärfälle im Jahr 2012 zwischen 105 und 949 Patienten (Mittelwert: 382, +/− 209 Patienten).
Palliativmedizinische Strukturen
Die Ergebnisse der Fragen zu palliativmedizinischen Strukturen der Lungenkrebszentren sind in [Tab. 1] zusammengefasst.
18 Lungenkrebszentren (60,0 %) verfügten sowohl über einen Arzt mit Zusatzbezeichnung Palliativmedizin als auch eine Pflegekraft mit Palliative-Care-Weiterbildung. 3 Lungenkrebszentren (10,0 %) hatten weder einen Arzt mit Zusatzbezeichnung Palliativmedizin noch eine Pflegekraft mit Palliative-Care-Weiterbildung angestellt.
Das Angebot zur palliativmedizinischen Konsiliar-Untersuchung erfolgte in 13 Zentren (43,3 %) im Ermessen des primär behandelnden Arztes („bei Bedarf“). 5 Zentren (16,7 %) gingen in Bezug auf palliativmedizinische Konsile strukturiert vor, entweder als Angebot an jeden Patienten zeitnah nach Erstdiagnose (3 Zentren) oder an alle Patienten im Stadium IIIb und IV (zwei Zentren). 5 Zentren (16,7 %) gaben andere Kriterien zur Durchführung palliativmedizinischer Konsile an.
10 Lungenkrebszentren (33,3 %) schätzten, dass im Jahr 2012 mehr als 50 der dem Zentrum zuzuordnenden Patienten auf einer Palliativstation behandelt worden seien. Diese Zentren verfügten mehrheitlich (6 von 10 = 60,0 %) über eine Palliativstation im eigenen Verantwortungsbereich.
20 Zentren (66,7 %) verfügten über eine Kooperationsvereinbarung mit einem lokal/regional zuständigen SAPV-Team und arbeiteten sehr eng mit diesem Team zusammen. In diesen Zentren wurden SAPV-Verordnungen vom Lungenkrebszentrum selbst ausgefüllt und die Patienten direkt an das ambulante Palliative-Care-Team übermittelt. 7 Zentren (23,3 %) verfügten zwar über eine Kooperationsvereinbarung, arbeiteten jedoch noch nicht so eng zusammen, dass eine direkte Überleitung der Patienten erfolgte. 3 Zentren (10,0 %) hatten keine Kooperationsvereinbarung und arbeiteten auch nicht mit einem SAPV-Team zusammen.
In 15 der 21 Zentren (71,4 %), die einen Arzt mit der Zusatzbezeichnung Palliativmedizin angestellt hatten, erfolgte auch dessen regelmäßige Teilnahme an der Tumorkonferenz. In vier dieser 21 Zentren (19,0 %) nahm der Palliativmediziner gelegentlich, in einem weiteren bei Bedarf teil. Eines der Zentren mit Palliativmediziner hatte die Frage nach der Teilnahme an der Tumorkonferenz nicht beantwortet. Palliativmediziner aus anderen Abteilungen der eigenen Klinik nahmen in zwei Zentren regelmäßig, in einem Zentrum gelegentlich und in vier Zentren bei Bedarf an der Tumorkonferenz teil.
22 von 28 Zentren (78,6 %) gaben an, dass die offizielle Empfehlung einer palliativmedizinischen Konsiliar-Untersuchung zum Spektrum der möglichen Therapieentscheidungen gehört, die in der Tumorkonferenz des Lungenkrebszentrums getroffen werden. In 6 Zentren (21,4 %) war ist dies nicht der Fall.
Im Vergleich gab es einzelne Zentren mit sehr gut ausgebauten Strukturen, während andere sich noch im Anfangs- oder Aufbaustadium befanden. Ein linearer Zusammenhang zwischen der Größe des Zentrums (anhand der Primärfälle im Jahr 2012) und dem Umfang palliativmedizinischer Strukturen konnte nicht festgestellt werden.
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Fortbildungen zu palliativmedizinischen Themen
20 von 30 Kliniken (66,6 %) gaben an, dass palliativmedizinische Aspekte der Behandlung von Lungenkrebspatienten bei internen wie öffentlichen Fortbildungsveranstaltungen des Lungenkrebszentrums thematisch aufgegriffen wurden. 10 Zentren (33,3 %) verneinten dies. Inhaltlich fanden sich dabei die Schwerpunkte Symptomkontrolle (z. B. Tumorschmerztherapie), onkologisch-supportive Aspekte (z. B. Ernährungsberatung), Kommunikation (z. B. Überbringen schlechter Nachrichten), Versorgungsfragen (z. B. SAPV), Tätigkeiten assoziierter Berufsgruppen (z. B. Arbeit der Psychoonkologin auf der Palliativstation) sowie allgemeine Aspekte (z. B. palliative Therapie des Lungenkarzinoms).
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Arzt-Patienten-Kommunikation
Anhand einer Likert-Skala von 0 (stimme überhaupt nicht überein) bis 10 (stimme voll und ganz überein) wurde gefragt, inwieweit die folgende Aussage Zustimmung findet: „Patienten und Angehörige würden davon profitieren, wenn die Ärzte des Lungenkrebszentrums ein strukturiertes Arzt-Patienten-Kommunikationstraining mit dem Schwerpunkt ‚Überbringung schlechter Nachrichten‛ absolvieren“. Der niedrigste angegebene Wert betrug 4, der höchste 10 (Mittelwert 8,6; Standardabweichung +/− 1,8). 16 von 30 Zentren (53,3 %) stimmten voll und ganz mit der Aussage überein.
9 von 30 Zentren (30,0 %) gaben an, dass das Absolvieren eines Arzt-Patienten-Kommunikationstrainings mit dem Schwerpunkt „Überbringen schlechter Nachrichten“ zu den festen und regelmäßig stattfindenden Fortbildungsmaßnahmen des Lungenkrebszentrums gehört. In 8 Zentren (26,7 %) fanden solche Fortbildungen nicht statt.
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Mögliche Barrieren für Palliativmedizin
Die Ergebnisse der Frage zu möglichen Barrieren für Palliativmedizin in den Lungenkrebszentren, bei der mehrere Antworten möglich waren, sind in [Abb. 1] zusammengefasst.


10 Zentren (33,3 %) antworteten im offenen Teil („Sonstige“) der Frage: Zwei Zentren wiesen auf „mangelnde Akzeptanz“ sowie „falsche Vorstellungen und Vorurteile“ gegenüber der Palliativmedizin seitens der Patienten und Angehörigen hin. Auch Wissenslücken des medizinischen Personals wurden zweimal als potenzielle Barriere erwähnt, z. B. dass die „frühzeitige Einbindung der Palliativmedizin noch nicht ausreichend in den Köpfen der Behandler etabliert“ sei. Knappe Ressourcen wurden dreimal genannt, z. B. „zu wenige Planbetten auf der Palliativstation“, die als „unzureichend“ bezeichneten regionalen Planbetten oder die nochmalige Hervorhebung der Refinanzierung von Palliativmedizin („fehlt im DRG-System“). Ein Zentrum wies auf die Rolle der Palliativmedizin als „zutiefst integraler Bestandteil der Inneren Medizin“ hin und dass die Anforderungen dieses Faches „zu den Kernkompetenzen des Thoraxonkologen gehören“. Aus einem Zentrum kam der Kommentar „Palliativmediziner-Lobby kann den Vorteil einer separaten Palliativmedizin bisher nicht belegen“.
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Perspektiven für Palliativmedizin
Anhand einer Likert-Skala von 0 (stimme überhaupt nicht überein) bis 10 (stimme voll und ganz überein) wurde gefragt, inwieweit die Aussage „Patienten mit Lungenkrebs würden vom Ausbau der palliativmedizinischen Strukturen in unserem Lungenkrebszentrum profitieren“ Zustimmung findet. Der niedrigste angegebene Wert betrug 1, der höchste 10. 11 von 30 Zentren (37 %) stimmten voll und ganz überein. Der Mittelwert für alle 30 Zentren lag bei 7,8 (Standardabweichung 2,5).
Auf die Frage „Werden Ihres Wissens nach die palliativmedizinischen Strukturen in Ihrem Lungenkrebszentrum in den nächsten 5 Jahren ausgebaut?“ antworteten 21 von 29 Zentren (70 %) mit „Ja“, 3 Zentren (10,0 %) mit „Nein“ und 6 Zentren (20 %) mit „Ich weiß es nicht“.
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Diskussion
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden die Verfügbarkeit und die Integration von Palliativmedizin in 39 nach Vorgaben der DKG zertifizierten Lungenkrebszentren untersucht.
Im deutschen Sprachraum findet sich nur eine weitere Publikation über die Untersuchung palliativmedizinischer Strukturen und Prozesse in zertifizierten Organkrebszentren: Würstlein et al. prüften anhand eines Fragebogens mit 10 Fragen die palliativmedizinischen Strukturen in 317 Brustkrebszentren [8]. Hierbei hatte sich eine stark variierende Verfügbarkeit und Integration der Palliativmedizin bei der Behandlung des metastasierten Mammakarzinoms gezeigt.
In der vorliegenden Untersuchung war die Rücklaufquote mit 77 % sehr gut, was auf ein grundsätzliches Interesse am Thema Palliativmedizin in den Zentren hindeutet. Dass 60 % der Zentren sowohl mindestens einen Palliativmediziner wie auch eine Palliative-Care-Pflegekraft angestellt haben, kann vorsichtig im Sinne eines mehrheitlichen Bewusstseins bzw. einer Offenheit für dieses Fach in zertifizierten Lungenkrebszentren interpretiert werden. Diese Ergebnisse geben jedoch keinen Aufschluss darüber, in welcher Form und Intensität die Palliativmediziner bzw. Palliative-Care-Pflegekräfte ihre spezifischen Fachkenntnisse im Lungenkrebszentrum konkret umsetzen können.
Dreiviertel der Zentren gaben an, dass Beratungen/Untersuchungen/Konsile durch einen Palliativmediziner oder ein multiprofessionelles Palliative-Care-Team fester Bestandteil des Behandlungsangebotes für Lungenkrebs-Patienten sind. Bei der am häufigsten angegebenen Variante, dass Palliativ-Konsile im Ermessen des behandelnden Arztes erfolgen, könnte eine Abhängigkeit von dessen Einstellung zur Palliativmedizin mit dem Risiko einer Unterversorgung bei persönlichen Vorbehalten resultieren. Dies wäre z. B. zu vermuten, wenn Zentren mit diesem Vorgehen bei einer hohen Anzahl an Primärfällen eine im Verhältnis geringe Zahl an Konsilen angeben. Die Angaben erschienen in der vorliegenden Untersuchung diesbezüglich jedoch plausibel und im richtigen Verhältnis zur Größe des Zentrums.
Die amerikanische Krebsgesellschaft empfiehlt, jedem Patienten mit Lungenkrebs im Stadium IV frühzeitig eine palliativmedizinische Mitbetreuung anzubieten [4]. Zum Untersuchungszeitpunkt verfolgten 5 der 30 zertifizierten Lungenkrebszentren (16,7 %), die sich an der Befragung beteiligt hatten, offenbar einen solchen Ansatz der Frühintegration, in dem nach Erstdiagnose allen Patienten bzw. allen mit Stadium IIIB und IV ein palliativmedizinisches Angebot gemacht wird. Die Frage, wie konsequent solche Konzepte in diesen Zentren umgesetzt werden, wie und von wem den Patienten dieses Angebot gemacht wird, wie viele darauf eingehen und wie die palliativmedizinische Intervention genau aussieht, kann jedoch nicht beantwortet werden und bedürfte gezielterer Untersuchungen. Im Erhebungsbogen für Lungenkrebszentren werden Kooperationsvereinbarungen mit Konsildiensten bzw. die Verfügbarkeit eines Palliativmediziners für Konsile gefordert. Ein Nachweis muss nicht erbracht werden. Dementsprechend verstoßen die 7 Zentren, die laut unseren Daten der Befragung keine Palliativ-Konsile für Lungenkrebs-Patienten anbieten, nicht zwingend gegen die Vorgaben.
Symptomlast, hohe Inzidenz und Sterblichkeit bei Lungenkrebs lassen erwarten, dass in Lungenkrebszentren ein Bedarf an palliativmedizinischen Betten gegeben ist. 93,3 % der Lungenkrebszentren verfügen gemäß der Anforderung der DKG über Kooperationsvereinbarungen mit Palliativstationen, die auch aktiv in die Patientenversorgung eingebunden sind. In neun Zentren (30 %) wird die Palliativstation sogar im eigenen Verantwortungsbereich der Lungenkrebszentren geführt, was Ausdruck des hohen palliativmedizinischen Bedarfs in der pneumologischen Onkologie sein kann. Zwei Zentren, die nach eigenen Angaben derzeit nicht mit einer Palliativstation kooperieren, erfüllen damit streng genommen nicht die Vorgaben für eine Zertifizierung. Möglicherweise liegt deren Erst-Zertifizierung noch nicht lange zurück und die Kooperationsprozesse befinden sich noch im Aufbau.
Bei der Frage nach den ebenfalls von der DKG geforderten Kooperationen mit SAPV-Teams ergibt sich ein ähnliches Bild. Während bereits etwa zwei Drittel der Lungenkrebszentren eng mit einem regionalen SAPV-Team zusammenarbeiteten, verneinten drei Kliniken eine Kooperation. Neben der bereits erwähnten Möglichkeit noch im Aufbau befindlicher Prozesse könnte dies auch mit lokalen Gegebenheiten, z. B. dort fehlenden SAPV-Leistungserbringern zusammenhängen. Dass die Zentren bei der ambulanten Palliativ-Versorgung einen hohen Bedarf sehen, spiegelt sich anhand ihrer mehrfachen Erwähnung in den Antworten auf die offene Schlussfrage wider.
Nach den Anforderungen der DKG soll in jedem Zentrum mindestens einmal pro Woche eine interdisziplinäre Tumorkonferenz stattfinden, an der die Hauptbehandlungspartner regelmäßig teilnehmen und in der alle Patienten mit Erstmanifestation oder Rezidiv eines Lungenkarzinoms prätherapeutisch vorgestellt werden müssen. Im Kapitel zur Palliativversorgung heißt es: „ein Arzt mit Zusatzweiterbildung Palliativmedizin muss für Konsile und Tumorkonferenzen zur Verfügung stehen“. Die Auswertung der Fragen zur Tumorkonferenz zeigt, dass diese Verfügbarkeit zwar in 90 % aller Zentren gewährleistet ist, die Teilnahme aber sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Mehrheitlich nehmen Palliativmediziner jedoch regelmäßig an den Tumorkonferenzen teil. In Tumorkonferenzen müssen wöchentlich zahlreiche Patienten in einem sehr begrenzten Zeitrahmen besprochen werden. Daher ist dieses Forum sicher nicht geeignet, detailliert auf palliativmedizinische Aspekte einzugehen. Dennoch ergeben sich häufig Fragestellungen in palliativer Behandlungssituation, die neben der Einleitung tumorspezifischer Maßnahmen auch Anlass für ein palliativmedizinisches Konsil sein sollten. Da alle Primärfälle in der Tumorkonferenz vorzustellen sind, könnte sie auch Ausgangspunkt einer strukturierten Einbeziehung der Palliativmedizin, z. B. im Sinne der Frühintegration im Tumorstadium IV sein.
Das Erlernen einer kommunikativen Kompetenz im Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden gehört zu den zentralen Anliegen der Palliativmedizin. Angesichts der hohen Prävalenz und der im Vergleich zu anderen häufigen Tumorentitäten schlechten Prognose müssen die behandelnden Ärzte besonders häufig schlechte Nachrichten übermitteln. Demgegenüber weisen mehrere Studien auf Defizite in der Kommunikation zwischen Patienten mit Lungenkrebs und ihren behandelnden Ärzten hin, gerade was Aufklärungsgespräche, Prognoseübermittlung und Themen am Ende des Lebens betrifft [9] [10] [11]. Darüber hinaus werden psychosoziale Belastungen, die bei Lungenkrebs nachweislich besonders ausgeprägt sind, aus Sicht der Betroffenen von den behandelnden Ärzten im Verhältnis zu körperlichen Beschwerden zu selten angesprochen [12] [13]. Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass man sich der Bedeutung dieses Themas in den meisten Zentren bewusst ist. Abgesehen von der Vorgabe, dass mit jedem Patienten ein Entlassungsgespräch zu führen ist, spiegelt sich das Thema Arzt-Patienten-Kommunikation im Erhebungsbogen für die Zertifizierung von Lungenkrebszentren nicht wider. Die in mehreren Studien nachgewiesenen Kommunikationsdefizite und das Verbesserungspotenzial für die Patientenversorgung durch entsprechende Schulungsmaßnahmen [14] sollten Anlass sein, diesem Thema bei den Anforderungen gerade an Lungenkrebszentren mehr Gewicht zu geben, z. B. durch den Nachweis entsprechender Fortbildungsmaßnahmen. In den Zentren selbst ist, wie unsere Befragung zeigte, die Bereitschaft zur Fortbildung in diesem Bereich überwiegend gegeben.
Empfehlungen zur Integration der Palliativmedizin bei der Behandlung von Lungenkrebs, wie z. B. kürzlich von der American Society of Clinical Oncology (ASCO) oder dem American College of Chest Physicians (ACCP) formuliert, haben nur dann eine Chance zur Umsetzung, wenn mögliche Barrieren in den Kliniken erkannt und ggf. beseitigt werden. 14 von 30 Zentren gaben in diesem Zusammenhang an, dass es an qualifizierten Palliativfachkräften mangele. Unklar ist, ob diese Aussage eher auf einer allgemeinen Einschätzung oder bisher vergeblichen Bemühungen beruht, geeignete Fachkräfte zu finden. Ein echter Mangel, d. h. ein deutliches Missverhältnis zwischen offenen Stellen und qualifizierten Palliativfachkräften dürfte angesichts der rasch wachsenden Zahl an Ärzten und Pflegekräften mit palliativmedizinischer Zusatzqualifikation nicht bestehen: im Jahr 2013 verfügten bereits 8218 Ärztinnen und Ärzte über die Zusatz-Weiterbildung „Palliativmedizin“ [15]. Im Pflegebereich hatten sich bis 2011 ca. 15 000 Fachkräfte im Rahmen einer durch die DGP und den DHPV anerkannten Palliative-Care Weiterbildung qualifiziert [16]. Sofern Lungenkrebszentren ihre palliativmedizinischen Strukturen ausbauen möchten, wäre zunächst naheliegend, interessiertem ärztlichen und pflegerischen Personal aus den eigenen Reihen die entsprechende Weiterbildung zu ermöglichen. Vielleicht spiegelt die häufige Nennung dieser Barriere indirekt das Problem knapper werdender finanzieller und personeller Ressourcen in den Kliniken wider. Die Weiterbildung kostet Geld, und der Zeitaufwand dafür kann aufgrund der zunehmenden Arbeitsverdichtung womöglich nicht mehr ohne Weiteres kompensiert werden.
Die von 13 Zentren genannte Antwort, dass der Palliativmedizin unzureichende Finanzierungsmöglichkeiten im Wege stehen könnten, ist aus zweierlei Gründen sehr gut nachvollziehbar: Den Kliniken entstehen durch die Vorgaben der Zertifizierung zusätzliche Kosten, die bisher im DRG-System nicht abgebildet sind, z. B. durch das verpflichtende Angebot ergänzender Therapieformen (Psychoonkologie, Ernährungsberatung, Sozialberatung), qualitätssichernde Maßnahmen (Tumorboards, Tumordokumentation) oder die ebenfalls erforderliche Teilnahme an klinischen Studien.
Für die Finanzierung palliativmedizinischer Konsil- oder Konsiliardienste ist im DRG-System die OPS 8982.0 – 3 „Palliativmedizinische Komplexbehandlung“ mit dem Zusatzentgeld ZE 60 vorgesehen. Diese nach der Behandlungsdauer gestaffelten Zusatzentgelte wurden für das Jahr 2012 um bis zu 20 % und für 2013 nochmals um bis zu 7 % gekürzt. Ob es sich hierbei um eine angemessene und ausreichende Finanzierungsbasis für palliativmedizinische Konsiliardienste handelt, ist ebenso unklar wie die Frage, ob zertifizierte Lungenkrebszentren bereits von dieser Möglichkeit Gebrauch machen.
Aktuell bieten sich den Zentren von finanzieller Seite wenige Anreize für die Etablierung oder die Weiterentwicklung palliativmedizinischer Strukturen. Selbst noch so überzeugende inhaltliche Argumente könnten dem Kostendruck, der auf den Kliniken lastet, zum Opfer fallen. Patienten mit Lungenkrebs nutzbringende Leistungen wie die palliativmedizinische Versorgung vorzuenthalten, käme jedoch einer impliziten Rationierung gleich [17]. Bei dem Problem der Finanzierung handelt es sich daher um eine reelle Barriere, die der Palliativmedizin nicht nur in Lungenkrebszentren im Wege steht.
Die in unserer Befragung zum Ausdruck kommende Befürchtung, Palliativmedizin könne bei Patienten und Angehörigen Angst oder Hoffnungslosigkeit auslösen, scheint weit verbreitet zu sein. Eine Befragung von über 150 Ärzten aus 5 Kliniken in New York, die dort überwiegend Patienten mit Lungenkrebs behandeln, brachte ähnliche Ergebnisse [18]. 48 % der Onkologen gaben an, das Palliative-Care-Team – obwohl in allen 5 Kliniken etabliert – bei weniger als 25 % ihrer Lungenkrebs-Patienten einzubeziehen. Diese Zurückhaltung wurde mehrheitlich mit der Sorge begründet, dass dieses Angebot Patienten und Angehörige ängstigen könne. Unabhängig von Palliative-Care besteht übergeordnet bei vielen Ärzten noch immer die Annahme, Gespräche über eine schlechte Prognose oder das Ende des Lebens könnten Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen und ihre Angehörigen zu sehr belasten und ihnen Schaden zufügen. Anhand der Literatur zeigt sich jedoch, dass eine sorgsame offene Kommunikation über diese Themen weder zu einer vermehrten psychischen Belastung noch zu nachlassender Hoffnung führt [19] [20].
Ebenfalls im Zusammenhang mit möglichen Barrieren wurde die Palliativmedizin von einem Zentrum als „zutiefst integraler Bestandteil der Inneren Medizin“ beschrieben, die „zu den Kernkompetenzen des Thoraxonkologen gehört“. Damit ist möglicherweise die Sorge des „Outsourcings“ palliativmedizinischen Basiswissens gemeint, das jeder Arzt unabhängig von seiner Fachrichtung beherrschen sollte. Die Aussage kann als Kritik an der dynamischen Entwicklung der Palliativmedizin hin zum eigenständigen Fach verstanden werden, die mit dem Kommentar eines weiteren Zentrums „Palliativmediziner-Lobby kann den Vorteil einer separaten Palliativmedizin bisher nicht belegen“ noch direkter zum Ausdruck kommt.
Die palliativmedizinischen Zertifizierungskriterien für Lungenkrebszentren beruhen bisher im Wesentlichen auf dem Nachweis von Kooperationsverträgen, schriftlichen Vereinbarungen, Verfügbarkeiten sowie Beschreibungen von Standards, Strukturen und Prozessen. Bestimmte Indikatoren zur Ergebnisqualität sind noch nicht enthalten. Wenn der Zertifizierungsprozess einer Optimierung der Behandlungsqualität dienen soll, bedarf es einer Anpassung der palliativmedizinischen Kriterien für Lungenkrebszentren (Infobox 2).
Vorschläge zur Förderung der Integration von Palliativmedizin im Zertifizierungsprozess
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Palliativmedizin erhält Status eines Hauptbehandlungspartners.
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Kennzahlensystem wird durch palliativmedizinische Parameter ergänzt, z. B. die Anzahl palliativmedizinischer Konsile oder SAPV-Verordnungen pro Jahr. Mindestanforderungen werden noch nicht erhoben, orientieren sich jedoch mittelfristig prozentual an der Größe des Zentrums bzw. der Anzahl der Primärfälle.
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Analog der Anforderungen an Psychoonkologie und Sozialdienst
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muss jedem Patienten im fortgeschrittenen Stadium und seinen Angehörigen niedrigschwellig die Möglichkeit einer palliativmedizinischen Beratung oder Untersuchung ort- und zeitnah angeboten werden (Nachweis erforderlich).
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ist die palliativmedizinsche Betreuung in allen Phasen der Versorgung anzubieten (Diagnose, stationär, poststationär).
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Dienstleister der palliativmedizinischen Versorgung, z. B. Konsiliardienste oder SAPV-Teams stellen regelmäßig, z. B. einmal pro Jahr, ihre Arbeit in der Tumorkonferenz oder im Qualitätszirkel vor.
In diesem Zusammenhang sollte auch die „S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer Krebserkrankung“, deren Publikation unmittelbar bevorsteht, in den Zertifizierungsprozess einfließen. Letztlich geht es nicht darum, weitere komplizierte, kostenintensive Auflagen zu machen, sondern die Zentren zu kreativen Lösungen anzuregen und nachweislich vorhandenes Verbesserungspotenzial auszuschöpfen. Die Verpflichtung, bestimmte fachliche Anforderungen und Vorgaben zu erfüllen, dürfte die finanzielle Förderung des Ausbaus palliativmedizinischer Strukturen durch Krankenhausträger, Kassen und Politik eher begünstigen als behindern.
Ungeachtet überzeugender Argumente und hochrangiger Empfehlungen fehlt es bisher an Konzepten für eine stärkere und frühzeitigere Integration von Palliativmedizin in die onkologische Behandlung. Es ist unklar, wann, wie oder durch wen palliativmedizinische Interventionen erfolgen. Verschiedene nationale und internationale Arbeitsgruppen haben Konzepte zu einem integrativen Ansatz der Palliativmedizin bei der Behandlung von Lungenkrebs-Patienten beschrieben. Besondere Aufmerksamkeit erhielt dabei die Studie von Temel et al. [3]. Die palliativmedizinische Mitbetreuung fand hier durch ein ambulantes Team aus Palliativmedizinern und spezialisierten Pflegekräften, sogenannten „advanced practise nurses“ statt. Letztere sind mit deutlich weitreichenderen Kompetenzen ausgestattet als hiesige Pflegekräfte mit „Palliative-Care-Weiterbildung“. U. a. deshalb ist eine Übertragung auf die hiesigen Strukturen nicht ohne Weiteres zulässig. Gärtner et al. analysierten retrospektiv über einen Zeitraum von zwei Jahren Konsile des „palliative care hospital support teams“ (PCST) bei Lungenkrebs-Patienten im Comprehensive Cancer Center in Köln [21]. Eine frühzeitige Einbindung wurde nicht registriert: Zum Zeitpunkt der Erstkonsultation waren die meisten Patienten bereits in einem sehr reduzierten Allgemeinzustand und litten unter sehr belastenden Symptomen. 22 % der Patienten starben innerhalb von drei Tagen nach dem ersten Kontakt mit dem PCST. Basierend auf diesen Erfahrungen entwickelte die Arbeitsgruppe für 19 Tumorentitäten „Standard Operation Procedures“ mit krankheitsspezifischen Charakteristika, deren Auftreten jeweils eine palliativmedizinische Intervention auslösen soll [22]. Die Kriterien bei Lungenkrebs-Patienten waren jede Neuerkrankung im metastasierten Stadium und jedes inoperable Rezidiv. Retrospektiv ergaben sich ein Jahr nach Einführung der „SOP“ Hinweise für eine frühere Integration des PCST [23] .
Der routinemäßige Einsatz von Screening-Instrumenten zur Erfassung körperlicher und v. a. psychosozialer Belastungen, wie im Rahmen der Zertifizierung gefordert [24], könnte auch dazu beitragen, den richtigen Zeitpunkt einer palliativmedizinischen Intervention zu erfassen. In einer Studie mit 549 Lungenkrebs-Patienten beeinflusste ein ausführliches Distress-Screening die Behandlung zumindest dahingehend, dass diese Patienten im Follow-Up nach drei Monaten signifikant weniger Schmerzen hatten [25].
Eine besondere Herausforderung des integrativen Ansatzes von Palliativmedizin besteht im Abbau möglicher Barrieren und Vorurteile. Einige wenige Antworten aus der vorliegenden Befragung deuten daraufhin, dass die sensible Frage nach Zuständigkeiten und Kompetenzen auch in Lungenkrebszentren Konfliktpotenzial bieten könnte, was bei der Entwicklung von Palliativstrukturen berücksichtigt werden muss. Dies betrifft nicht nur die Kooperation mit den primär behandelnden Ärzten und Pflegenden, sondern auch die konzeptionelle Einbeziehung weiterer, im Lungenkrebszentrum sehr eingebundener Berufsgruppen wie z. B. Psychoonkologie und Sozialarbeit.
Auch aus den Reihen der Palliativmedizin wird vor einer Verwischung der Grenzen zwischen allgemeiner und spezialisierter Palliativ-Versorgung gewarnt [26]: Zunehmende Verbreitung, Evidenz und der Ruf nach einer möglichst frühen Integration dürften nicht dazu führen, dass künftig alle palliativen Elemente der Patientenversorgung von spezialisierten Palliative-Care-Teams übernommen werden. Grundelemente der Symptomkontrolle, der psychosozialen Unterstützung und der Gesprächsführung über Therapieziele oder Prognose seien weiterhin Aufgaben der primär behandelnden Teams aller medizinischen Fachdisziplinen. Das Hinzuziehen des Palliative-Care-Teams solle komplexeren Problemstellungen vorbehalten bleiben.
Eine weitere wichtige Maßnahme besteht daher in der Einbindung palliativmedizinischer Inhalte in die Weiterbildungs-Curricula aller medizinischen Fachrichtungen. Darüber hinaus gehört es auch zu den Aufgaben multiprofessioneller Palliative-Care-Teams, palliativmedizinisches Wissen im Sinne eines Multiplikator-Effektes in alle Abteilungen einer Klinik zu tragen und an die Primärbehandelnden weiterzugeben, um zur Entstehung oder Fortentwicklung einer Palliativkultur auch in zertifizierten Lungenkrebszentren beizutragen.
Diese Studie wurde als Masterthesis im Rahmen des Masterstudiengangs Palliative Care Online an der Universität Freiburg durchgeführt.
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Interessenkonflikt
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
- 1 http://www.krebsgesellschaft.de/wub_zertifizierte_zentren_info,120890.html [zuletzt abgerufen am 9. 11. 2014]
- 2 Krebs in Deutschland 2007/2008. 8. Ausgabe. Berlin: Robert-Koch-Institut (Hrsg.) und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V. (Hrsg.); 2012
- 3 Temel J, Greer JA, Muzikansky A et al. Early Palliative Care for Patients with Metastatic Non–Small-Cell Lung Cancer. N Engl J Med 2010; 363: 733-742
- 4 Smith TJ, Temin S, Alesi ER et al. American Society of Clinical Oncology provisional clinical opinion: the integration of palliative care into standard oncology care. J Clin Oncol 2012; 30: 880-887
- 5 Walker FordD, Koch KA, Ray DE et al. Palliative and End-of-Life Care in Lung Cancer: Diagnosis and Management of Lung Cancer, 3rd ed: American College of Chest Physicians Evidence-Based Clinical Practice Guidelines Chest. 2013. 143. e498S-e512S
- 6 http://www.oncomap.de/index.php [zuletzt abgerufen am 9. 11. 2014]
- 7 http://www.krebsgesellschaft.de/wub_zertifizierung_krebszentren_lungenkrebs_liste,123705.html [zuletzt abgerufen am 9. 11. 2014]
- 8 Würstlein R, Uellenberger J, Gaertner J et al. AG Zertifizierter Brustzentren AZB. Umfrageergebnis der AGZBZ zur Palliativmedizin in den Brustzentren. Senologie 2012; 9: A180
- 9 Nelson JE, Gay EB, Berman AR et al. Patients rate physician communication about lung cancer. Cancer 2011; 117: 5212-5220
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- 11 Gabrijel S, Grize L, Helfenstein E et al. Receiving the diagnosis of lung cancer: patient recall of information and satisfaction with physician communication. J Clin Oncol 2008; 26: 297-302
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- 13 Sanders SL, Bantum EO, Owen JE et al. Thornton, AA, Stanton, AL. Supportive care needs in patients with lung cancer. Psychooncology 2010; 19: 480-489
- 14 Nehls W, Gabrijel S, Kiss A et al. Communication skills training significantly improves lung cancer patientʼs understanding. J Palliat Care Med 2014; 4
- 15 https://www.gbe-bund.de/stichworte/BUNDESAERZTEKAMMER.html [zuletzt abgerufen am 14.01.2015]
- 16 http://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/Artikel_HM__Palliativstrukturen_2011-11-28.pdf [zuletzt abgerufen am 14.01.2015]
- 17 Schmacke N. Wird Palliativmedizin rationiert?. Forum 2012; 27: 337-338
- 18 Smith CB, Nelson JE, Berman AR et al. Lung cancer physiciansʼ referral practices for palliative care consultation. Ann Oncol 2012; 23: 382-387
- 19 Wright AA, Zhang B, Ray A et al. Associations between end-of-life discussions, patient mental health, medical care near death, and caregiver bereavement adjustment. JAMA 2008; 300: 1665-1673
- 20 Smith TJ, Dow LA, Virago E et al. Giving honest information to patients with advanced cancer maintains hope. Oncology (Williston Park) 2010; 24: 521-525
- 21 Gaertner J, Wolf J, Scheicht D et al. Implementing WHO recommendations for palliative care into routine lung cancer therapy: a feasibility project. J Palliat Med 2010; 13: 727-732
- 22 Gaertner J, Wolf J, Hallek M et al. Standardizing integration of palliative care into comprehensive cancer therapy – a disease specific approach. Support Care Cancer 2011; 19: 1037-1043
- 23 Gaertner J, Wolf J, Frechen S et al. Recommending early integration of palliative care – does it work?. Support Care Cancer. 2012; 20: 507-513
- 24 http://www.onkozert.de/lungenkrebszentren.htm [zuletzt abgerufen am 14.01.2015]
- 25 Carlson LE, Waller A, Groff SL et al. Screening for distress, the sixth vital sign, in lung cancer patients: effects on pain, fatigue, and common problems-secondary outcomes of a randomized controlled trial. Psychooncology 2013; 22: 1880-1888
- 26 Quill TE, Abernethy AP. Generalist plus specialist palliative care-creating a more sustainable model. N Engl J Med 2013; 368: 1173-1175
Korrespondenzadresse
-
Literatur
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