Fallvorstellung
Wir berichten über einen 84-jährigen Mann (früher Zimmermann) mit bekannter stabiler
Angina pectoris. Nach akzidentieller Ingestion sowie Aspiration einer unklaren Menge
von Petroleum, welches in einer PET-Flasche gelagert war, erfolgte die Zuweisung aus
einem Regionalspital via Notfallstation auf unsere Intensivpflegestation.
Innerhalb von Stunden entwickelte der Patient linksseitige Thoraxschmerzen, Atemnot
sowie Hämoptysen. Im Regionalspital wurden eine Atemfrequenz (Af) von 20/min sowie
eine O2-Sättigung von 79 % bei Raumluft dokumentiert. Im konventionellen Thoraxröntgen fanden
sich bilaterale Unterlappen betonte Infiltrate ([Abb. 1]). 13 Stunden nach Hospitalisation wurde ein CT-Thorax durchgeführt ([Abb. 2 a–c]), wobei sich hier pleurale Plaques, Konsolidationen und Milchglas-Infiltrate fanden.
Eine chemische Pneumonitis wurde diagnostiziert. Die pleuralen Plaques wurden im Rahmen
einer vermuteten Arbeitsplatz-assoziierten Asbestexposition interpretiert.
Abb. 1 Bilaterale Unterlappen betonte Infiltrate.
Abb. 2 a Milchglas-Infiltrate im linken Oberlappen. b Infiltrate in der Lingula. c Infiltrate in beiden Unterlappen, links betont.
Bei Ankunft in unserem Spital fanden sich eine ausgeprägte Tachypnoe (Af 40/min) und
eine Tachykardie (Herzfrequenz 101/min) bei normotonen Blutdruckwerten (112/79 mmHg)
sowie subfebrile Temperaturen (37,6 °C). Eine empirisch antibiotische Therapie mit
Amoxicillin-Clavulansäure wurde begonnen, und Steroide wurden zu Beginn zusätzlich
verabreicht, da sich bereits früh ein schweres ARDS nachweisen ließ (PaO2/FiO277 mmHg) [1].
Nachdem eine kurzfristige nicht-invasive Beatmung (NIV) auf der Notfallstation zu
keiner wesentlichen respiratorischen Verbesserung führte, erfolgte die Verlegung auf
die medizinische Intensivstation. Bei fortbestehender schwerer Hypoxämie (aBGA mit
10 l O2/min via Reservoir-Maske: pH 7,46; PaO2 7,85 kPa; PaCO2 3,2 kPa; Laktat 3,2 mmol/l) wurde mit einer lungenprotektiven invasiven Beatmung [2]
[3] begonnen. Nach Abnahme von Blutkulturen sowie Bronchialsekret wurde die antibiotische
Therapie auf Tazobactam-Piperacillin gewechselt. Im Verlauf erfolgte ein erneuter
Wechsel der antibiotischen Therapie auf Meropenem bei Nachweis von Enterobacter cloacae im Bronchialsekret, respektive auf Ciprofloxacin aufgrund einer allergischen Reaktion
auf Meropenem. Danach stabilisierte sich die respiratorische Situation.
Der Patient konnte am 8. Tag extubiert werden. Jedoch kam es im Verlauf wieder zu
einer respiratorischen Verschlechterung, sodass erneut eine invasive Beatmung notwendig
war. Im Verlaufs-CT ([Abb. 3 a–c]) zeigten sich zunehmende hypodense Konsolidationen.
Abb. 3 a Zunehmende Milchglas-Infiltrate und Konsolidierung in beiden Oberlappen sowie „Crazy
Paving“. b Progrediente Milchglas-Infiltrate. c Zunehmende, dichte Konsolidationen im Mittellappen und in beiden Unterlappen.
Bei einem weiteren CT Thorax am 12. Tag ([Abb. 4 a–c]) fanden sich Nekrosen im linken Unterlappen, im Mittellappen sowie ein linksseitiger
Pleuraerguss. Die antibiotische Therapie wurde auf Levofloxacin umgestellt.
Abb. 4 a „Crazy Paving“ in beiden Oberlappen. b Linksseitiger Pleuraerguss. c Nekrose im linken Unterlappen.
Am 22. Tag verschlechterte sich die pulmonale Situation weiter ([Abb. 5 a–c]), trotz lungenprotektiver Beatmung, adäquater antibiotischer Therapie und Steroiden.
Aufgrund der ausgedehnten Befunde mit multifokaler Beteiligung nahmen wir von einer
thoraxchirurgischen Therapie Abstand. Mit Blick auf die Gesamtsituation und den Wunsch
des Patienten wurde auf eine extrakorporale Membranoxygenierung verzichtet. Der Patient
verstarb kurz darauf.
Abb. 5 a Zunehmende Konsolidationen im rechten Oberlappen. b Beginnende retikuläre Zeichnung im Mittellappen und im rechten Unterlappen, weniger
dichte konsolidierende Infiltrate. c Pneumatozelen in beiden Unterlappen, bilaterale Pleuraergüsse.
Diskussion
Eine Petroleum-Aspiration als Ursache für eine exogene Lipoidpneumonie ist selten,
und die Mortalität beträgt ungefähr 1,8 % [4]. Meist sind Kinder von der akzidentiellen Vergiftung betroffen, bei Erwachsenen
ist das Feuerschlucker-Syndrom gut bekannt [5]
[6]
[7]
[8]
[9]
[10]
[11].
Patienten präsentieren sich typischerweise mit Thoraxschmerzen, Atemnot, Fieber und
Hämoptysen [6]
[7]. Im konventionellen Röntgenbild lassen sich typischerweise pulmonale Infiltrate
ca. 24 h nach Aspiration nachweisen [11]
[12], wobei charakteristischerweise der Mittellappen bzw. die Unterlappen betroffen sind
[6]
[7]
[10]
[11]. Nekrosen, Pneumatozelen sowie das ARDS sind bekannte Komplikationen.
Petroleum-Aspiration führt zu einer akuten chemischen Pneumonitis, die pathophysiologisch
einer Alveolitis und einer Bronchiolitis entspricht. Die Hydrokarbone, die durch ihre
Länge und ihre physikalischen Eigenschaften determiniert sind, zerstören Surfactant.
Dies führt zu einem mucomembranösen Ödem und kann die alveolo-kapilläre Membran schädigen
[5]
[6]. Aufgrund der niedrigen Viskosität und der geringen Oberflächenspannung der Hydrokarbone
sind die Lungen oft diffus betroffen [5]. Dies führt zu einer lokalen Entzündung, der oft ein proliferatives oder fibrotisches
Stadium folgt [5]
[6].
Es gibt keine randomisierten klinischen Studien hinsichtlich der Therapie. Die Behandlung
ist rein supportiv. Die meisten Autoren [6]
[10]
[11] empfehlen eine prophylaktische antibiotische Therapie, da ein hohes Risiko einer
bakteriellen Superinfektion besteht. Ein Erregernachweis gelingt jedoch selten [7]. Ob es sich bei dem in diesem Fall nachgewiesenen Enterobacter cloacae lediglich um eine Kolonisation handelt oder tatsächlich um einen pathogenen Keim,
muss letztendlich offen bleiben, da es nur wenige Untersuchungen hierzu gibt. Allerdings
berichten Hennings und Kollegen [13], dass 97 von 117 beatmeten Intensivpflege-Patienten, bei denen der Erreger im respiratorischen
System nachgewiesen werden konnte, eine Pneumonie mit einer Mortalität von 24 % entwickelten,
sodass wir die unsererseits antibiotisch gewählte Therapie als gerechtfertigt ansehen.
In der Literatur ergeben sich keine Hinweise darauf, dass eine Steroidtherapie eine
Verbesserung der Prognose bringt [6]
[11]
[14], es könnte sogar sein, dass eine höhere Rate an bakteriellen Superinfektionen besteht
[10].
Da die Hydrokarbone Surfactant zerstören und dies ein Mechanismus in der Entstehung
des ARDS sein könnte, wäre eine Therapie mit Surfactant zu überdenken. Hierzu gibt
es bisher nur eine Studie an Tieren, wobei sämtliche Tiere, die Surfactant erhielten,
überlebten [15]. Kürzlich wurde über 2 Fälle [16]
[17] bei Kindern mit ARDS nach Aspiration von Hydrokarbon berichtet, bei denen Surfactant
erfolgreich eingesetzt wurde.
Es muss angemerkt werden, dass bei Erwachsenen unklar ist, ob Surfactant in dieser
Situation hilfreich sein könnte, da exogenes Surfactant bei ARDS trials [18]
[19]
[20] keine Verbesserung der Mortalität erbrachte.
Dies ist ein seltener Todesfall nach Aspiration und Ingestion von Hydrokarbonen. Der
Patient verstarb am ehesten aufgrund seines Alters, der bakteriellen Superinfektion
sowie der ausgeprägten nekrotischen Veränderungen, trotz rascher antibiotischer Behandlung
und optimaler supportiver Therapie inklusive langdauernder lungenprotektiver Beatmung.