Einleitung
Beim Pyoderma gangraenosum (PG) handelt es sich um eine chronische, ulzerierende,
neutrophile Dermatose unklarer Genese. Neuere Untersuchungen zu möglichen assoziierten
Erkrankungen legen den Schluss nahe, dass, in absteigender Häufigkeit, eine Anämie,
endokrinologische Erkrankungen z. B. im Sinne eines metabolischen Syndroms, maligne
Grunderkrankungen, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Niereninsuffizienz und
seltener auch rheumatoide Erkrankungen als Kofaktoren zugrunde liegen können und bei
der Diagnostik und Therapie berücksichtigt werden sollten [1]. Nach Powell et al. können insgesamt 4 klinische Varianten voneinander unterschieden
werden: die klassische ulzerative, pustulöse, bullöse, und eine superfizielle Form
[2]
[3]. Die letztere Form gehört dabei zu den am seltensten beschriebenen klinischen Manifestationsformen
und scheint auch nach früheren Erkenntnissen nicht mit anderen Erkrankungen assoziiert
zu sein [4]. Im Gegensatz zu den übrigen Formen treten die Läsionen beim superfiziellen Pyoderma
gangraenosum (SPG) isoliert oder disseminiert auf, sind eher schmerzlos und klinisch
durch ein gut vaskularisiertes, sauberes Granulationsgewebe und das Fehlen des typischen
unterminierten Randes charakterisiert. Auch histologisch unterscheidet sich das klassische
PG vom SPG. Beim SPG fehlen fast immer Zeichen einer Vaskulitis und der suppurativ-abszedierenden
Veränderungen am Rand der Ulzerationen. Im Gegensatz dazu wird ein Granulationsgewebe
mit einer dreischichtigen granulomatösen Entzündungsreaktion in der oberen Dermis
bestehend aus neutrophilen Granulozyten, Zelltrümmern und gelegentlich Hämorrhagien,
umrandet von Histiozyten und Riesenzellen vom Fremdkörpertyp, als am ehesten „typisch“
bezeichnet [4].
Anamnese
Ein 39-jähriger Patient stellte sich aufgrund seit einem Jahr zunehmender, multipler,
flacher Ulzerationen an allen Extremitäten und Pusteln am Rücken vor. Insgesamt berichtete
er über eine beginnende Symptomatik seit dem 30. Lebensjahr, wobei die Krankheitsaktivität
insbesondere in den letzten 3 Jahren zugenommen hätte. Zuvor sei er bei V. a. eine
vegetierende Impetigo contagiosa regelmäßig mit Antibiotika behandelt worden, worunter
es zunächst zu kurzfristigen Besserungen gekommen sei. Bereits drei Jahre zuvor wurde
er hautfachärztlich bei V. a. ein Pyoderma gangraenosum mittels Azathioprin (1 mg/kgKG)
erfolglos über 9 Monate behandelt. Weiterhin bestand anamnestisch in der Jugend eine
langjährige Akne vulgaris und leichtgradige Akne inversa (axillär links und inguinal
rechts), weswegen er über ca. 2 Jahre bis zum 19. Lebensjahr Isotretinoin erhielt.
Klinischer Befund
An den Armen und Beinen fanden sich multiple, wenige Millimeter bis 2 cm durchmessende
flache Ulzerationen mit z. T. erhabenem Randwall, am Rücken und auch vereinzelt am
vorderen Stamm disseminierte Papeln und Pusteln auf erythematösem Grund ([Abb. 1 a, b], [Abb. 2]).
Abb. 1 a, b Flache Ulzerationen am rechten Arm und Brustbereich.
Abb. 2 Disseminierte, akneiforme Papeln und Pusteln am Rücken.
Labor und apparative Diagnostik
Labor und apparative Diagnostik
ANA/ENA/Doppelstrang-DNA-Antikörper/pANCA: negativ
Rheuma-Faktor/Auto-Antikörper gegen zyklisches citrulliniertes Peptid: negativ
Elisa mit rekombinantem Desmoglein 1 und 3, Auto-Antikörper gegen Desmocollin 1 und
indirekte Immunfluoreszenz auf Affenösophagus und NaCl-separierter humaner Spalthaut
und direkte Immunfluoreszenz: negativ
Im Normbereich bzw. negativ waren: Blutbild, Differenzialblutbild, Lebertransaminasen,
Kreatinin CRP, BSG, Elektrolyte, Kalzium, Magnesium, Kreatininkinase, Immunglobuline
quantitativ und Immunfixation, zellulärer Immunstatus (durchflusszytometrisch) sowie
Antistreptolysin-Titer, Quantiferon-Test, Hepatitis B- und HIV-Serologie.
2-Phasen-Skelett-Szintigrafie: kein Hinweis auf eine Arthritis.
Röntgen des Thorax und Abdomen-Sonografie: Normalbefunde
Gelenksonografie des Kniegelenkes: minimaler Gelenkerguss von 3 mm, ohne Synovialisproliferation
und ohne Hyperperfusion.
Pathergie-Phänomen nach intrakutaner Injektion von Kochsalzlösung (UKE Hamburg, 2011):
positiv
Mikrobiologie
Im Abstrich fanden sich an mehreren Lokalisationen Staphylokokkus aureus (mäßig) und Staphylokokkus epidermidis. Kulturell kein Pilznachweis.
Histopathologie
Das histopathologische Bild einer Stanzbiopsie einer pustulösen Läsion am Rücken zeigte
eine Ulzeration bis zur papillären Dermis mit einer umgebenden granulozytären Entzündungsreaktion
und in weiteren Abschnitten vereinzelt mehrkernigen Riesenzellen. Veränderungen i. S.
einer Vaskulitis lagen nicht vor. In der PAS-Färbung fand sich kein Anhalt für Mikroorganismen.
Kein Hinweis auf Fremdkörpermaterial.
Therapie und Verlauf
Aufgrund der diagnostischen Schwierigkeiten begannen wir ebenfalls unter der Vorstellung
einer Staphylodermie zunächst eine systemische antibiotische Therapie, worunter es
nach initialer Besserung rasch zu einem Rezidiv kam. Wir favorisierten nun daher ein
multilokuläres SPG. Nach Ausschluss möglicher zugrundeliegender assoziierter Erkrankungen
begannen wir eine immunsuppressive Systemtherapie mit Prednisolon (initial 120 mg/Tag,
entsprechend 1,3 mg/kg KG) und Ciclosporin A (initial 4 mg/kg KG). Lokal behandelten
wir die Ulzera mit antiseptischen Cremes und topischem, hochpotentem Glukokortikoid
sowie modernen Wundauflagen. Nach einem Monat unter reduzierter Prednisolondosis (< 1 mg/kg
KG) kam es zu einem Anstieg der Nierenretentionsparameter, die auch unter halbierter
Ciclosporindosis persistierten und einen Abbruch der Therapie erforderlich machten.
Zwischenzeitlich besserte sich das klinische Bild unter dieser Behandlung bereits
signifikant. Bei nachfolgender reduzierter Erhaltungsdosis des systemischen Glukokortikoids
auf 15 mg/Tag kam es im weiteren Verlauf jedoch innerhalb weniger Tage zu einer Befundprogredienz
mit neuen Ulzerationen. Daraufhin wurde eine erneute Systemtherapie mit Azathioprin
in optimaler Dosierung von 2,5 mg/kg KG über 2 Monate durchgeführt, die jedoch ohne
Wirksamkeit blieb. Im gleichen Zeitraum erfolgte auch eine Eskalation der Prednisolondosis
bis 80 mg/Tag mit schrittweiser Reduktion auf 20 mg/Tag. Es folgten im Weiteren zwei
Gaben von Infliximab in Kombination mit drei Zyklen einer intravenösen Dexamethason-Pulstherapie
von 100 mg an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Diese, sowie die folgenden Therapien
mit intravenösen Immunglobulinen (2 Zyklen à 2 g/kg KG) in 4-wöchigen Abständen und
im Anschluss Mycophenolsäure über nahezu 2 Monate – beide jeweils in Kombination mit
niedrig-dosiertem, oralem Prednisolon – blieben ohne sichtbares Therapieansprechen.
Interessanterweise entwickelte der Patient am Beginn der Therapie mit Infliximab an
der Injektionsstelle der Venenverweilkanüle eine nach wenigen Tagen rasch progrediente
kleine Ulzeration in der Armbeuge im Sinne eines sog. Pathergiephänomens.
Wir entschlossen uns daraufhin zur Gabe von Ustekinumab als weiteres Biologikum, welches
dreimalig in den Wochen 0, 4 und 12 verabreicht wurde. Die Prednisolondosis war mittlerweile
auf eine Dosis von 2,5 mg/Tag reduziert worden und konnte nach der zweiten Gabe Ustekinumab
ohne Zeichen einer Nebenniereninsuffizienz vollständig abgesetzt werden. Etwa 3 Wochen
nach der ersten Gabe von Ustekinumab äußerte der Patient erstmals v. a. morgendliche
und belastungsabhängige Gelenkschmerzen der großen Gelenke, insbesondere der Hüft-,
Knie- und Sprunggelenke, im Verlauf auch der Hand- und Fingergelenke. Eine Morgensteifigkeit
bestand nicht. Auch unter nichtsteroidalen Antiphlogistika in Kombination mit Opioidanalgetika
und kurzzeitig verabreichten oralen Glukokortikoiden besserte sich die Schmerzsymptomatik
zunächst kaum. Die Arthralgien intensivierten sich jeweils massiv wenige Tage nach
den weiteren Injektionen von Ustekinumab, klangen aber in Woche 11 größtenteils ab,
sodass, bei mittlerweile nahezu abgeheiltem Hautbefund, auch die geplante dritte Gabe
Ustekinumab erfolgte. Laborchemisch blieben die Entzündungsparameter jedoch unauffällig
und der Verdacht auf die erstmalige Manifestation einer (rheumatoiden) Arthritis bestätigte
sich weder serologisch noch mittels einer Skelettszintigrafie. Die Gelenkschmerzen
persistierten über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten mit gleicher Intensität
weiter, während der sehr gute Hautbefund im gleichen Zeitraum stabil blieb.
Diskussion
Ein eindeutiges autoimmunes bzw. -inflammatorisches Muster, z. B. durch zirkulierende
Autoantikörper, autoreaktive T-Zellen oder mutationsbedingte Defekte des angeborenen
Immunsystems mit periodischen Entzündungsreaktionen, konnte für das PG bislang nicht
nachgewiesen werden. Dennoch wird die Theorie einer Autoimmunerkrankung zumindest
dadurch unterstützt, dass zahlreiche Komorbiditäten aus dem rheumatologischen Formenkreis
in Begleitung hierzu auftreten können. Neben der mit 9,3 – 11,4 % relativ häufig beobachteten
rheumatoiden Arthritis finden sich z. B. auch Lupus erythematodes, systemische Sklerodermie,
Wegnersche Granulomatose, Dermatomyositis und Sjögren-Syndrom in gelegentlicher Assoziation
zum PG [1]
[9]. Die wohl bemerkenswerteste Erkrankung ist das PAPA-Syndrom. Das Akronym beinhaltet
die Symptome: 1. pyogene Arthritis, 2. Pyoderma gangraenosum und 3. Akne. Diese seltene autosomal-dominante Erkrankung wird durch eine Mutation im Prolin-Serin-Threonin-Phosphatase-interagierenden
Protein-1-Gen (PSTPIPI; auch bekannt als das CD2-binding-Protein 1, CD2BP1) auf dem
Chromosom 15q24-25.1 verursacht. Die Ausbildung aller klinischen Symptome findet sich
dabei nicht immer bei jedem Patienten und wird in der Literatur auch nacheinander
in unterschiedlicher Sequenz beschrieben; so ist z. B. auch eine Patientin mit nachgewiesener
heterozygoter Punktmutation im PSTPIPI-Gen publiziert worden, die bei multilokulärem
PG lediglich eine Akne in der Kindheit aufwies. In den Fällen mit Gelenkbeteiligung
handelt es sich meist um eine nichtaxiale, pyogene, seronegative und selbstlimitierende
Oligoarthritis der Gelenke der Extremitäten (z. B. Hände, Ellenbögen, Knie, Sprunggelenke),
welche im weiteren Verlauf von den Hautmanifestationen abgelöst wird. Infolge der
Mutation kommt es zu einer Erhöhung der IL-1ß- und TNF-α-Plasmaspiegel im Vergleich
zu gesunden Kontrollen. Nach Verständnis dieses Pathomechanismus konnten klinisch
bereits TNF-α- und IL-1-Antagonisten mit guter Wirksamkeit in Hinblick auf Arthritis
und PG eingesetzt werden. Eine erst kürzlich publizierte Variante des PAPA-Syndroms,
ohne jedoch bislang nachgewiesene gleichartige Mutation, stellt das PASH-Syndrom dar,
bei der anstatt der Arthritis eine Akne inversa (suppurative Hidradenitis) auftritt [10]
[11].
Laut Literatur kann, wegen des indolenten Verlaufs, beim SPG eine immunsuppressive
Lokaltherapie mit Glukokortikoiden oder Tacrolimus in Kombination mit einem antiseptischen
Regime versucht werden. Dennoch wird in vielen Fällen, wie auch unser Bericht zeigt,
eine systemische immunsuppressive Therapie notwendig. Beschrieben sind, neben den
klassischen Immunsuppressiva wie oralen Glukokortikoiden, Ciclosporin A, Azathioprin
und Mycophenolatmofetil in letzter Zeit auch zunehmend dokumentierte Erfolge unter
TNF-α-Antagonisten, Interleukin-1-Rezeptor-Antagonisten, immunmodulierende Ansätze
mit intravenösen Immunglobulinen (IVIG) oder auch die Inhibition der TH1- und TH17-Immunantwort
durch Ustekinumab [5]
[6]. Erst kürzlich konnte die dominierende Rolle von IL-23, welches aus TH17-Zellen
stammt, in Läsionen von PG nachgewiesen werden. Ustekinumab wiederum kann durch Bindung
an die p40-Untereinheit von IL-12 und IL-23 die Aktivierung von TH1- und TH17-Zellen
hemmen und unterbindet somit den wohl entscheidenden IL-23/TH17-Arm der Immunantwort
des PG [6]
[7].
Nachdem bei unserem Patienten eine zunächst aussichtsreiche Therapie mit Ciclosporin
aufgrund einer Verschlechterung der Nierenfunktion abgebrochen werden musste und die
folgenden immunsuppressiven Therapien sowie IVIG frustran verliefen, entschieden wir
uns zu einem Therapieversuch mit Ustekinumab. Bis ein klinisches Ansprechen vermerkt
werden konnte, dauerte es ca. 8 – 10 Wochen ab der Erstgabe. Ungünstigerweise entwickelte
er bereits kurz vor der zweiten Gabe massive Arthralgien der großen Gelenke, begleitet
von einer moderaten Weichteilschwellung an den Knie- und Fingergelenken. Aufgrund
des zeitlichen Bezugs und v. a. der Symptomzunahme nach der zweiten und dritten Gabe
ist diese Kausalität sehr wahrscheinlich anzunehmen. Alternativ ist auch ein Zusammenhang
mit dem PAPA(PASH)-Syndrom prinzipiell denkbar, wobei wir bislang keine Mutationsanalyse
durchführten.
Eine Erstmanifestation einer Arthritis unter der Therapie mit Ustekinumab ist bei
Patienten mit Psoriasis vulgaris erst kürzlich publiziert worden. Bei den beschriebenen
Patienten begannen die Symptome entweder, wie in unserem Fall, in den großen Gelenken
oder auch, Psoriasis-typischer, in den Interphalangealgelenken der Hände jeweils mit
Morgensteifigkeit bis zu einer Stunde. Der Zeitpunkt der Symptomatik war hierbei ebenso
wenig kongruent und schwankte von drei Tagen bis zu 15 Wochen nach Therapiebeginn
und sistierte meist spontan zwischen 3 Tagen bzw. 10 Wochen und 5 Monaten nach Beendigung
der Ustekinumab-Gabe. Gleichartige paradoxe Induktionen einer Psoriasis-Arthritis
und Psoriasis sind bereits unter einer Anti-TNF-α-Therapie beschrieben worden und
wurden durch ein gestörtes Gleichgewicht zwischen der Expression von TNF-α und Interferon-α
oder IL-2 erklärt. Auch bei Ustekinumab kommt es zu einem partiellen TNF-α-Inhibitionseffekt
durch die Hemmung von IL-12, was sich wiederum hemmend auf die Produktion von TNF-α
und Interferon-γ auswirkt [7]
[8].
Auch wenn in unserem Fall weder apparativ noch serologisch eine Arthritis festgestellt
werden konnte, sind die klinischen Symptome und der Verlauf dafür dennoch suggestiv.
Möglicherweise wurden durch die antiphlogistische Therapie mit nichtsteroidalen Antiphlogistika
und oralen Glukokortikoiden im Vorfeld der Diagnostik die Entzündungsreaktionen bereits
erfolgreich behandelt und blieben in der apparativen Diagnostik sensitivitätsbedingt
unentdeckt. In Hinblick auf die Hautsymptomatik konnte der Patient dennoch bereits
von den drei verabreichten Gaben Ustekinumab profitieren, da es zu einer kompletten
Abheilung über sechs Monate kam und auch im folgenden Nachbeobachtungszeitraum von
fünf Monaten lediglich einzelne kleine Ulzerationen beobachtet werden konnten. Ob
es sich um ein PAPA-Syndrom oder das paradoxe Auftreten einer Polyarthritis der großen
Gelenke unter Ustekinumab handelt, bleibt in unserem Fall zunächst offen.