Einleitung
Nach wie vor stellt der Lungenkrebs weltweit die am häufigsten zum Tode führende Krebserkrankung
dar [1]. Die späte Diagnosestellung ist beim Lungenkarzinom ein relevantes Problem, sodass
die Notwendigkeit einer Früherkennung unumstritten ist. Die hierzu größte Studie wurde
im November 2011 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt: Die Daten der National Lung
Cancer Screening Trial (NLST) zeigten, dass durch die Anwendung eines jährlichen Screenings
mit Niedrigdosis-Computertomografie (LCDT) eine 20%-ige relative Reduktion der Lungenkrebsmortalität
erzielt werden kann [2]. Die Daten wurden ausgiebig diskutiert und führten zu einer ersten Stellungnahme
deutscher Fachgesellschaften [3].
Hintergrund
Die Notwendigkeit eines effektiven Screenings für Lungenkrebs ist unbestritten. Initial
wurden hierzu das klassische Röntgenbild sowie die Sputumzytologie untersucht [4], in mehreren Studien konnte jedoch gezeigt werden, dass diese Verfahren im Screening
keinen Nutzen für das Risikokollektiv haben. Mit Entwicklung der Niedrigdosis-Computertomografie
(LCDT) wurden erste nicht randomisierte Screening-Studien weltweit initiiert, in denen
gezeigt wurde, dass mit dieser Technik Frühkarzinome detektiert werden können, sodass
randomisiert-kontrollierte Studien notwendig wurden [5]
[6].
Die erste hierzu publizierte Studie, die National Lung Cancer Screening Trial (NLST),
kam aus den USA [2]. In dieser wurden 53 445 aktive oder frühere Raucher entweder mit einer LDCT oder
mit einer konventionellen Röntgenaufnahme je einmal jährlich über drei Jahre untersucht.
Es konnte gezeigt werden, dass mittels der Anwendung der LDCT die lungenkrebsspezifische
relative Mortalität um 20 % gesenkt werden konnte, aber auch die absolute Todesrate
wurde um 7 % signifikant gesenkt. In der LDCT-Gruppe starben 13 von 1000 Teilnehmern
an Lungenkrebs, in der Kontrollgruppe 17 von 1000, entsprechend einer absoluten Reduktion
um 0,04 %. Betrachtet man jedoch alle Teilnehmer, die die komplette Studie durchlaufen
haben, so wurde bei 39 % der Teilnehmer ein Rundherd gefunden, wobei 96 % dieser Befunde
als nicht maligne Veränderungen diagnostiziert wurden.
Aus Europa sind bisher 3 kleinere Studien zu diesem Thema publiziert worden, die dänische
Lung Cancer Screening Trial Study (DLCST, 4100 Patienten) [7] und zwei italienische Studien (DANTE, 2400 Patienten [8] und MILD, 1700 Patienten [9]). Im Gegensatz zur NLST wird dabei im Vergleichsarm keine jährliche Röntgenuntersuchung
des Thorax durchgeführt. In keiner dieser Studien war eine signifikante Reduktion
an Lungenkrebstoten im mittels LDCT überwachten Arm gezeigt worden, es zeigte sich
jedoch eine mit der NLST vergleichbare Anzahl von detektierten Frühkarzinomen. Gründe
für ein Nichterreichen der Mortalitätssignifikanz waren in allen Studien die unzureichende
Patientenanzahl.
Derzeit ist das „BC-Screening“ auf Patientenwunsch o. ä. bei symptomlosen Risikopatienten
von der Röntgenverordnung nicht als rechtfertigende Indikation gedeckt [10].
Aktuell laufende Screeningstudien
Aktuell laufende Screeningstudien
Derzeit werden der UK Lung Cancer Screening Trial (UKLS), die Nelson-Studie sowie
die LUSI-Studie durchgeführt. Letztere ist die derzeit einzige randomisierte deutsche
Screeningstudie [11]. Mit Überlebensdaten dieser Studien ist frühestens 2015 zu rechnen, die Daten der
UKLS-Studie werden 2018 präsentiert werden. Daten aus der Nelson-Studie werden 2015
erwartet. Die niederländisch/belgische Studie schloss 7653 Patienten ein und verglich
Screening mittels LDCT gegen kein Screening. Im Gegensatz zu NLST wurde hier eine
Volumetrie der Rundherde durchgeführt.
Wertung der Studienlage
Die große US-amerikanische Studie (NLST) kann sicher als Meilenstein angesehen werden,
da klar gezeigt werden konnte, dass mit der Anwendung von Niedrigdosis-Computertomografie
die lungenkrebsspezifische, aber auch die Gesamt-Mortalität gesenkt werden können.
Infolge dieser Daten haben mehrere amerikanische Fachgesellschaften bereits ihre Empfehlungen
ausgesprochen, dass asymptomatische Raucher oder Ex-Raucher in einem Altersrange von
55 – 74 Jahren mit einem Tabakkonsum von mind. 30 pack-years einem Screening zugeführt
werden sollten. Nichtsdestotrotz müssen die Daten kritisch gesehen werden und mögliche
Risiken betrachtet werden. An der Umsetzung dieser Erkenntnisse für das deutsche Gesundheitssystem
arbeiten die Fachgesellschaften und das Bundesamt für Strahlenschutz.
Problem der Probandenselektion
Problem der Probandenselektion
Streng genommen ist derzeit das Screening aufgrund der NLST-Daten nur bei Rauchern
oder Ex-Rauchern in einem Alter von 55 bis 74 Jahren mit einer Raucheranamnese von
mehr als 30 pack-years untersucht, die das Rauchen höchstens 15 Jahre vor Screening-Einschluss
beendet haben. Liest man die Empfehlungen der unterschiedlichen amerikanischen Gesellschaften,
werden diese Daten aufgrund mathematischer Modelle bereits ausgeweitet. So wird ein
Screening inzwischen auch bei Personen im Alter von > 50 Jahren empfohlen, sofern
noch ein anderer Risikofaktor, z. B. COPD, vorliegt [12]
[13]. In einer weiteren Auswertung der NSLT-Daten zeigt sich, dass die Anzahl der unnötig
untersuchten Probanden sicher davon abhängt, wie das Krebsrisiko angesetzt wird. Dies
beeinflusst sowohl die Zahl der „number needed to screen“ wie auch die Zahl der falsch-positiven
Resultate. Kovalchik et al. [14] konnten so zeigen, dass mit entsprechender Adaption die Anzahl der Befunde deutlich
variiert werden kann. In der NLST beträgt die Anzahl der Patienten, die in einem Screeningprogramm
untersucht werden müssen, um einen BC-bedingten Todesfall zu verhindern, 320 (“number
needed to screen to prevent one death from lung cancer”).
Hieraus folgt, dass zusätzliche Risikofaktoren ermittelt werden und in Empfehlungen
eingehen müssen. Es bedarf der Berücksichtigung wahrscheinlich auch nationaler Gegebenheiten.
So konnten Heuvers et al. [15] zeigen, dass in einer derzeit in Rotterdam laufenden Studie nur 30 % der dortigen
Lungenkrebsfälle die Ein- und Ausschlusskriterien der NLST-Studie erfüllten. Somit
wären 70 % seiner Kandidaten nicht eingeschlossen worden, und seine Studie hätte nur
eine 6 %ige Reduktion der Mortalität erreicht.
Risiko des Screenings
Ein großes Problem stellt die falsch-positive Rate der LDCT dar, die neben der psychischen
Belastung auch die Risiken der Abklärungsdiagnostik nach sich zieht. In der NLST ergab
sich aufgrund der falsch-positiven Rate die Notwendigkeit einer invasiven Abklärung
in 25 Fällen pro 1000 LDCT. Es kam dann in 3 Fällen zu schweren Komplikationen infolge
invasiver Diagnostik. Hier bedarf es einer Festlegung, wie mit welchen Herden in welcher
Risikosituation umgegangen wird. In der Nelson- und UKLS-Studie werden Algorithmen
zur Abklärung mit dem Ziel vorgegeben, die Anzahl von unnötigen Verlaufs-CTs und auch
unnötigen Biopsien zu minimieren. Die Wertigkeit dieser Algorithmen kann erst nach
Publikation der Studien beurteilt werden.
Ein weiterer offener Punkt ist die ionisierende Strahlung, die durch die jährliche
CT appliziert wird. Insbesondere bei bedenkenloser lebenslanger Fortsetzung eines
Screeningprogramms können relevante kumulative Strahlendosen zustande kommen [16]. Da echte real-life Daten dazu nicht verfügbar sind, muss man sich künftig auch
dieser Diskussion stellen. In geeigneten Zentren kann die MRT als strahlenfreie Alternative
erwogen werden [17], die Risiken der falsch-positiven Befunde und deren Abklärung sind allerdings ähnlich
wie bei der LDCT.
Letztlich ist das Hauptrisiko des Bronchialkarzinoms bekannt und grundsätzlich vermeidbar.
Im Falle fortgesetzten Rauchens kann ein Screeningprogramm eine Raucherentwöhnung
behindern und ggf. kontraproduktiv hinsichtlich Kosten- [18] und Risikoentwicklung wirken [19].
Umsetzung
In der NLST wie auch in der Nelson-Studie wurden die Teilnehmer an hochspezialisierten
Zentren untersucht. Wenn ein entsprechendes Screening in Deutschland implementiert
werden würde, wird die Frage aufkommen, ob dies in jeder radiologischen Praxis als
KV-Leistung durchgeführt werden darf oder ob hier spezifische Rahmenbedingungen festzulegen
sind. So wie dies für die initiale Diagnostik zu bedenken ist, muss dies sicher noch
stärker für die daraus resultierende invasive Abklärung diskutiert werden. Betrachtet
man erneut die NLST-Daten, zeigt sich, dass die Mortalität durch ein operatives Vorgehen
bei ca. 1 % lag [2]. In Zentren, in denen die Lunge nur selten operiert wird, ist allerdings von einer
Mortalität zwischen 3 – 5 % auszugehen [20]. Somit stellt sich auch hier die Frage, ob Patienten, die einen auffälligen Befund
im CT aufweisen, „überall“ oder nur in ausgewiesenen Zentren behandelt werden sollten.
Im Sinne der Patienten ist die Fokussierung auf erfahrene Institutionen wie z. B.
die Lungenkrebszentren der Deutschen Krebsgesellschaft zu empfehlen [21].
Zusammenfassung
Angesichts der Datenlage sollte man sich den kürzlich publizierten Empfehlungen der
European Lung Cancer CT Screening Trial Investigators (EUCT) anschließen und ein flächendeckendes
Screening mit Niedrigdosis-Computertomografie (LCDT) in einer Risikopopulation aktuell
noch nicht empfehlen. Die derzeit laufenden europäischen Studien, deren Ergebnisse ab Ende 2015
publiziert werden, sollten uns wichtige zusätzliche Informationen geben für eine bessere
Identifikation der Risikopopulation, sollten differenziertere Empfehlungen für den
Abklärungsalgorithmus von gefundenen Rundherden geben, aber auch bessere Empfehlungen,
wie bezüglich der bioptischen Abklärung vorzugehen ist.
Zusammenfassend behalten die bereits 2011 getätigten Aussagen der Fachgesellschaften
[3] weiterhin ihre Gültigkeit, nach denen ein flächendeckendes Screening in einer Risikopopulation
derzeit nicht empfohlen wird. Im Falle eines individuellen Wunsches nach einer Früherkennungsmaßnahme
muss die Raucherentwöhnung im Vordergrund stehen. Ein ausführliches Aufklärungsgespräch
mit der betreffenden Person unter Diskussion der hohen Wahrscheinlichkeit von Kontrolluntersuchungen
wegen gefundener Auffälligkeiten, der unnötigen Beunruhigung aufgrund unklarer Befunde,
ggf. notwendiger Eingriffe und Operationen aufgrund falsch-positiver Befunde, dem
Gefühl der falschen Sicherheit und der Einhaltung einer strikten Qualitätssicherung
für den gesamten Prozess von der Aufklärung über Untersuchung, Befundung bis zur Empfehlung
weiterführender Maßnahmen ist zu führen. Wenn nach dem ausführlichen Beratungsgespräch
die asymptomatische Person weiterhin auf einer Screening-CT-Untersuchung besteht,
sollte diesem Wunsch auch im Einzelfall nicht entsprochen werden, da eine CT gegenwärtig
bei Symptomfreiheit nicht gerechtfertigt ist.