Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2014; 24(05): 231-232
DOI: 10.1055/s-0034-1390473
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das soziale Netzwerk als Co-Akteur im Rehabilitationsprozess

14. Rehabilitationswissenschaftliche Symposium, Halle (Saale) 2013The Social Network as Co-player in the Rehabilitation Process14th Symposium for Research in Rehabilitation, Halle (Saale) 2013
W. Mau
1   Institut für Rehabilitationsmedizin, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
,
U. C. Smolenski
2   Institut für Physiotherapie, Universitätsklinikum Jena
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Publication Date:
24 October 2014 (online)

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Prof. Dr. med. W. Mau
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Prof. Dr. med. U. C. Smolenski

Die vielfältigen Aufgaben und Prozesse der Rehabilitationsleistungen berücksichtigen das komplexe Ineinandergreifen von physischen, psychologischen und sozialen Vorgängen. Sie orientieren sich dabei an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation. Die ICF ermöglicht den ganzheitlichen Blick auf die verschiedenen Aspekte und Bedingungen der Beeinträchtigungen und Ressourcen der Menschen, die insbesondere infolge von chronischen Krankheiten von Einschränkungen der Teilhabe bedroht oder bereits betroffen sind. Unter den ICF-Kontextfaktoren sind die förderlichen und hinderlichen Umweltfaktoren und darunter die sozialen Beziehungen mit zu bedenken und nicht selten von zentraler Bedeutung für den Rehabilitationserfolg, der als gelungene Interaktion zwischen Individuum und Umwelt verstanden werden kann. Umso bemerkenswerter ist, dass die sozialen Beziehungen insbesondere in der Rehabilitationsforschung zu somatischen Indikationen bisher wenig beachtet werden [1] [2] [3]. Ihre motivierende und unterstützende, aber auch potenziell kontraproduktive Funktion z. B. bzgl. gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen und Krankheitsbewältigung von chronisch Kranken ist zu untersuchen. Im besten Fall kann das soziale Netzwerk der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden als „Mitarbeiter im Genesungsprozess“ verstanden werden und damit eine wichtige Funktion im Versorgungsnetz ausüben [4]. Zahlreiche Studien belegen, dass positive soziale Interaktionen und insbesondere soziale Unterstützung (direkt oder indirekt) mit einer besseren gesundheitlichen Anpassung einhergehen und zu einem gesünderen Lebensstil beitragen [5]. Insofern kann das soziale Netzwerk als „soziale Ressource“ des Rehabilitanden verstanden werden, welches sowohl während, als auch nach der Rehabilitation eine wesentliche Rolle bei der Verstetigung des Rehabilitationserfolges spielt [4]. Aufgabe der Forschung ist die Aufklärung dieser Wechselwirkungen, damit auf dieser Basis das soziale Netzwerk nicht nur bei den psychischen und Abhängigkeitserkrankungen, bei denen dies schon eine größere Verbreitung gefunden hat, sondern auch bei den vordergründig somatischen Indikationen vermehrt und gezielt im Rehabilitationsprozess einbezogen wird.

Vor diesem Hintergrund wurde am 8. November 2013 in Halle (Saale) das 14. Rehabilitationswissenschaftliche Symposium der Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (GfR) e.V., des Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften Sachsen-Anhalt/Thüringen (SAT) und des Rehabilitationswissenschaftlichen Verbundes Berlin, Brandenburg und Sachsen (BBS) unter dem Thema „Das soziale Netzwerk als Co-Akteur im Rehabilitationsprozess“ veranstaltet.

Einige Beiträge des Symposiums konnten für dieses Schwerpunktheft zusammengestellt werden. Sie verdeutlichen exemplarisch die Vielfalt der rehabilitativen Kontexte, in denen soziale Beziehungen von Bedeutung sind. Dabei kommen Ergebnisse der Grundlagenforschung, diagnostische Instrumente für Forschung und Praxis und klinisch relevante Indikationsbereiche der Rehabilitation von Erwachsenen sowie Kindern und Jugendlichen zur Darstellung.

F. Neyer stellt grundlegende Ergebnisse der Forschung zur Gestaltung sozialer Beziehungen in der Adoleszenz und im Erwachsenenalter vor. Dabei werden insbesondere die Wechselwirkungen zwischen Persönlichkeitsentwicklung, sozialen Netzwerken und Beziehungserfahrungen adressiert. Netzwerkinterventionen (z. B. Mobilisierung von Unterstützung, Beratung von Bezugspersonen) müssen beim Individuum ansetzen und persönlichkeitsgerecht gestaltet werden. Damit eröffnet der Beitrag neue Perspektiven der Rehabilitation mit Berücksichtigung der dynamischen Interaktion zwischen Persönlichkeit und sozialem Netzwerk der Betroffenen.

Im Beitrag von M. Linden wird die Zuordnung der sozialen Beziehungen in den Abschnitten Aktivitäten und Teilhabe sowie Umweltfaktoren der ICF dargestellt. Verschiedene Instrumente zum sozialen Netzwerk und zur sozialen Unterstützung werden vorgestellt. Der ICF-basierte Fragebogen Multidimensionaler Sozialkontaktkreis (MuSK) bildet Struktur und Qualität des gesamten sozialen Netzes in der Selbst- und Fremdeinschätzung ab. Dabei werden sowohl unterstützende als auch belastende Beziehungselemente deutlich und ins Verhältnis zu einander gesetzt. Ergebnisse aus der Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen werden vorgestellt.

J. Lamprecht und KollegInnen untersuchen die Bedeutung sozialer Beziehungen für die Lebensqualität von Rehabilitandinnen mit Brustkrebs. Mithilfe des egozentrierten Netzwerkgenerators werden vertiefend die wichtigsten konkreten Personen zur Stärkung der Ressourcen und Lebensqualität der Betroffenen identifiziert.

Ob soziale Ungleichheiten in der Rehabilitation von Kindern und Jugendlichen von Bedeutung sind, ist bisher unklar. Eine Studien von N. Schumann und KollegInnen mit Befragung von Eltern der Kinder und Jugendlichen, die an stationären Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in Mitteldeutschland teilgenommen haben, untersucht, ob der soziale Status mit der Eigeninitiative und Häufigkeit von Rehabilitationsmaßnahmen sowie dem Gesundheitszustand zusammenhängt.

Wir hoffen, dass dieses Schwerpunktheft dazu beiträgt, dass das soziale Netzwerk der Patienten und Rehabilitanden in Forschung und Praxis der Rehabilitation stärkere Beachtung findet und daran orientierte individuelle rehabilitative Strategien zu nachhaltigen Erfolgen führen.

Prof. Dr. med. W. Mau
Prof. Dr. med. U. C. Smolenski