Z Orthop Unfall 2014; 152(04): 293-296
DOI: 10.1055/s-0034-1390196
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Medizin für Menschen ohne Papiere – Neue Konzepte gegen die Angst vor dem Arztbesuch

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Publication Date:
16 September 2014 (online)

 

Ärzte und Helfer bieten Netzwerke zur medizinischen Erstversorgung von Menschen, die ohne Papiere „illegal“ hier leben. Nicht nur der Deutsche Ärztetag will mehr: Einen Zugang in die Regelversorgung auch für diese Gruppe. Neue Gerichtsurteile und politische Konzepte versprechen Bewegung im Thema.

Auch Menschen, die ohne Papiere „illegal“ leben, werden krank oder erleiden einen Verkehrsunfall. Oder, viel erfreulicher, sie bekommen Kinder. Der Besuch beim Arzt wirft dann aber immer besondere Probleme auf: „Das ist nicht einfach, wenn Sie womöglich erst mal Sprachprobleme überwinden müssen und dann klar wird, dass da jemand ohne Versichertenkarte ist, ohne Aufenthaltspapiere, und unbedingt auch noch möchte, dass die ganze Angelegenheit bitte geheim bleibt“, erzählt Dr. Ulrich Clever. Nicht nur der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesärztekammer rührt seit vielen Jahren die Trommel, dass die Versorgung dieser Menschen besser werden muss. Immerhin, seit kurzem registriert Clever etwas, was er bis vor kurzem kaum noch für möglich hielt: „Da kommt Bewegung in das Thema.“

In der Tat: Der Bundestag und Bundesrat müssen aufgrund mehrerer Gerichtsurteile das so genannte Asylbewerberleistungsgesetz reformieren. Viele Gruppen und vor allem Ärzte sehen Chancen, damit auch eine bessere Versorgungslage für diese Menschen insgesamt zu erreichen. Nichts Geringeres als den Zugang zur Regelversorgung, forderte der diesjährige Deutsche Ärztetag für Asylbewerber und – auch für Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus. Davon ist vor allem letztere Gruppe bislang meilenweit entfernt.

Wie viele Menschen hierzulande ohne gültige Aufenthaltspapiere leben, weiß keiner. Eine Abschätzung von 2011 für das Bundesamt für Flüchtlinge und Migrationswesen (BAMF) nennt die Zahl von 100 000 bis 400 000 [ 1 ]. Manche Autoren setzen die Ziffer mit einer Million an.

Kontakt haben am ehesten Menschen, die ehrenamtlich vor Ort Hilfe offerieren: „Das sind oft Akademiker, Menschen, die zum Teil ganz hervorragend angepasst hier leben“, berichtet Dr. Herbert Breker, der bei der Malteser Migranten Medizin (MMM) in Köln arbeitet (s. Interview Breker, S. 299). Vielleicht 10 % der jährlich etwa 1500 Erwachsenen Rat- und Hilfesuchenden bei MMM in Köln, zählten zur Gruppe der „Sans Papiers“ schätzt Breker [ 2 ].

Neue Flüchtlingsströme

Fest steht, das Problem dürfte noch zunehmen: Weltweit sind nach Schätzungen der EU-Kommission an die 51 Millionen Menschen auf der Flucht. Auch in Deutschland wächst die Zahl der Asylsuchenden – 109 580 Erstanträge auf Asyl registrierte das BAMF in 2013. Mitte 2014 kalkulierte die Behörde bereits mit 175 000 Anträgen für das laufende Jahr.

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Zugang zur Regelversorgung über die Gesundheitskarte. Kann sich das Bremer Modell langfristig durchsetzen? (Bild: Fotolia; Fotograf: Zerbor)

Dabei sind die Anerkennungsquoten nicht hoch. Knapp 81 000 Anträge auf Asyl entschied das BAMF 2013. 919 Menschen (1,1 %) erhielt tatsächlich politisches Asyl nach Artikel 16 Grundgesetz, knapp 10 000 (12,3 %) wurden als Flüchtlinge nach der Genfer Konvention anerkannt, weitere 11,4 % ergatterten Abschiebeverbot. Das Amt spricht von einer Schutzquote von 24,9 %. Die anderen müssen meist zurück.

Mancher entzieht sich dann durch Untertauchen einem Ausreisegesuch, andere bleiben womöglich nach Einreise mit einem Touristenvisum gleich für länger, wieder andere kommen unerkannt über die grüne Grenze.

Der Aufenthalt ohne Papiere ist „illegal“, wie auch die Rechtsanwältin Silke Rumpel im Gespräch mit der ZFOU gleich zu Beginn klarmacht (s. Interview Rumpel, S. 297). Und dennoch bietet der Staat selbst dieser Gruppe eine – zumindest theoretische – Chance auf eine gewisse medizinische Basisversorgung. Zwei widersprüchliche Grundprinzipien sind am Werk. Hier das Recht eines Staates, zu entscheiden, wer auf seinem Territorium leben darf und wer nicht. Und dort das Recht auf Gesundheit – für jeden.

Die Bundesrepublik Deutschland hat ein Menschenrecht auf Gesundheit in etlichen Internationalen Verträgen und Konventionen anerkannt. Ein „Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit“ für jeden fordert Artikel 12 des UN-Sozialpakts- von Deutschland seit 1976 unterschrieben. Schutz von Frauen vor und nach der Geburt eines Kindes sieht das UN-Übereinkommen zur Beseitigung von Diskriminierung der Frau, sehen die Europäische Sozialcharta von 1961, die EUGrundrechtecharta, das Internationale Übereinkommen zum Schutz des Kindes vor – alle von Deutschland unterschrieben. Nachzulesen ist die Synopse etwa in einem Bericht einer Bundesarbeitsgruppe Gesundheit / Illegalität beim Deutschen Institut für Menschenrechte aus dem Jahre 2008 [ 3 ]. Zusammen genommen bedeutet das: „aktiven Zugang zur gesellschaftlichen Infrastruktur der Gesundheitsversorgung“, wie der Bericht weiter festhält.

Deutschland bietet eher ein Minimum. 1993 verschärften Bundestag und Länderkammer mit dem Asylbewerberleistungsgesetz Standards für Unterkunft, Materielle Versorgung, wie auch medizinische Versorgung von Asylbewerbern und anderen Gruppen mit einem Duldungsstatus. Und auch die Gruppe derer, die ganz ohne Papiere hierzulande lebt, findet sich im Gesetz: Menschen, die sich im Bundesgebiet aufhalten, aber „vollziehbar ausreisepflichtig“ sind, haben Ansprüche auf eine medizinische Versorgung nach diesen Regeln. Geboten wird allerdings ein Versorgungsgrad, der unter dem von Sozialhilfeempfängern liegt.

Unter „Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt hält §4 des Gesetzes fest: „Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung … zu gewähren.“ Werdende Mütter haben ein Recht auf Versorgung, Betreuung, Hebammenhilfe, Arzneien, Verband und Heilmittel. Ein wenig später stellt außerdem § 6, fest, dass „Sonstige Leistungen“ der Medizin gewährt werden können, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich sind.

Das heißt im Alltag: Schmerztherapie ja, eine Übernahme der Behandlung vieler chronischer Erkrankungen eher nicht – wobei die Grenzen in Wahrheit kaum absteckbar sind, wie Praxisbeispiele in den folgenden Interviews zeigen. In der Praxis bleibt dieser gesetzlich verbriefte Minimalanspruch für Menschen ohne Papiere allerdings zumeist graue Theorie.

Wer seinen gesetzlichen Anspruch auf diese medizinische Versorgung einlösen will, muss sich bei allem, was nicht Notfall ist, erst beim Sozialamt melden. Selbst wenn sie wollten, Ärzte können für ihre Patienten Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz nicht beim Sozialamt beantragen (s. Interview Rumpel, S. 297).

Beim Sozialamt aber bleiben die Daten nicht offline auf der lokalen Festplatte. Sowohl § 11 Asylbewerberleistungsgesetz, Absatz 3, wie auch der § 87 des Aufenthaltsgesetzes legen fest, dass ein Sozialamt Hinweise über einen Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus an die Ausländerbehörde weitergeben muss. Auch ein automatischer Datenabgleich kann vorgenommen werden.

Auf eine Kurzformel gebracht: Arztbehandlung nur gegen Outing gegenüber einem Amt und damit hohes Risiko einer dann erfolgenden Abschiebung. Nur wenige Menschen wählen im Notfall diesen Weg, wie die Interviews auf den folgenden Seiten belegen. Diese Dichotomie der Gesetze und Paragraphen blockiert nach Ansicht vieler Experten das Recht auf Kostenübernahme einer ohnehin schon deutlich abgespeckten medizinischen Versorgung, die den Betroffenen eigentlich zusteht.


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Angebote kostenloser Hilfe

Bundesweit ist daher parallel in vielen Städten ein Hilfsangebot entstanden, das niederschwellig ohne Gang zu Ämtern und Behörden eine Notversorgung sicherstellen möchte – für die Betroffenen möglichst kostenfrei.

Malteser Migranten Medizin

2001 entstand in Berlin auf Initiative der Ärztin Dr. Adelheid Franz die erste Anlaufstelle der Malteser für Obdachlose, Menschen ohne Krankenversicherung, einschließlich derer ohne Aufenthaltspapiere. Mittlerweile bietet die „Malteser Migranten Medizin“ in 12 Städten im Bundesgebiet die Chance auf einen Arzttermin für Jedermann – im Zweifel auch ganz anonym. 90 000x Hilfe für Kranke, 1300x Hilfe bei Geburten seit Gründung – bilanziert MMM. Manch Basisdiagnostik und Behandlung wird aus einem Spendentopf gestemmt, bei akuten Notfällen werden Betroffene in Krankenhäuser überwiesen, wie Dr. Helmut Breker berichtet, der in Köln bei MMM Sprechstunden anbietet (s. Interview Breker, S. 299).


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Medinetze

Bonn, Berlin, Köln, Mainz, Düsseldorf oder Tübingen: Unter den Namen Medibüro oder Medinetz bieten weitere rund 30 Stellen im Bundesgebiet Betroffenen eine erste – strikt anonyme – Anlaufstelle bei Erkrankung und vermitteln ärztliche Hilfe. Das älteste Medibüro entstand 1994 in Hamburg, 1996 folgte das in Berlin. Auch diese Stellen bieten nur eine Notversorgung, wie David Saiger, Mitarbeiter beim Medibüro Berlin schildert. Zum Selbstverständnis gerade der Medibüros gehörten daher klare Forderungen an den Gesetzgeber, den Betroffenen einen Zugang zur Regelversorgung zu geben (s. Interview Saiger, S. 302). Mancherorts sind auch Ärztekammern in solche Netzwerke eingebunden. In Hannover etwa führt die Landesärztekammer eine Liste von Ärzten, die Menschen ohne Papiere kostenlos behandeln.


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Ärztliches Ethos klar definiert

Die Rolle der Ärzte ist jenseits aller Gesetze glasklar – Hilfe und nochmals Hilfe hat absoluten Vorrang. „Ärzte haben die Pflicht, einem Patienten unabhängig von seinem zivilen oder politischen Status angemessene medizinische Versorgung zukommen zu lassen, und Regierungen dürfen... das Recht...nicht einschränken“, setzt die Bundesärztekammer eine Resolution der Generalversammlung des Weltärztebundes als Präambel einer Broschüre zum Thema "Patientinnen und Patienten ohne legalen Aufenthaltsstatus in Krankenhaus und Praxis" (BÄK Auflage 11/2013), [ 4 ].

Mehr noch: Auch Ärztetage und –kammern fordern seit vielen Jahren gegenüber der Politik Verbesserungen ein. Die medizinische Versorgung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland entspricht nicht den erforderlichen medizinischen Standards und wird durch gesetzliche Regelungen behindert, formulierte bereits 2005 der 108. Deutsche Ärztetag. Die gesetzlich festgelegte Kostenübernahme durch die Sozialämter, die dann aber die Abschiebung zur Folge habe, sei keine realistische Lösung.


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Juristische Klimmzüge für Verlängerten Geheimnisschutz

Besonders über einen Dreh- und Angelpunkt ärztlicher Tätigkeit ist 2009 doch eine Chance auf eine anonyme Behandlung der Betroffenen in die Vorschriften gelangt: Die ärztliche Schweigepflicht hat über juristische Klimmzüge für einige Jahre zumindest bei Notfällen eine anonyme Behandlungsmöglichkeit eröffnet. In der Notfallambulanz nimmt eben kein Gesetz, kein Sachbearbeiter einem Arzt die Pflicht ab, sofort bestmögliche Behandlung zu starten. Die Kosten versuchten Krankenhäuser bislang im Anschluss bei den Sozialämtern zu reklamieren – unter dem wiederum juristisch komplizierten Verweis auf einen § 25 des Sozialgesetzbuches XII (s. Interview Rumpel, S. 297).

Auch auf vielfachen Druck der Ärzteschaft hin stellte die Bundesregierung dann 2009 in einer Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Drucksache 669/09) klar, dass Sozialämter Daten über den Aufenthaltsstatus eines Menschen dann nicht an die Ausländerbehörde weiterleiten dürfen, wenn sie diese von Ärzten, Krankenhäusern, medizinisch-technischen Assistenten, Hebammen, oder auch „berufsmäßig tätigen Gehilfen dieser Berufsgruppen“ bekommen. Dieser so genannte „verlängerte Geheimnisschutz“ erlaubte in Ausnahmefällen eben doch die Kostenübernahme einer Behandlung durch den Staat ohne dass jemand seine Identität aufdecken musste. Völlige juristische Klarheit herrscht allerdings selbst dabei bis heute nicht, wie Dr. Ulrich Clever erläutert (s. Interview Clever, S. 304). Und seit Oktober 2013 kommt es noch dicker. Das feinziselierte und reichlich gewundene Labyrinth an Vorschriften, die mitunter eine gewisse Versorgung auf Kosten des Steuerzahlers sicherte, ist nun Makulatur.


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Vakuum bei Kostenerstattung

Denn im Oktober 2013 hat das Bundessozialgericht in einem Urteil geklärt, dass Krankenhäuser ihre Kosten bei Menschen ohne Papiere auch bei diesen Notfällen gar nicht im Nachgang bei den Sozialämtern abrechnen können. Ein Vakuum ist entstanden, das dazu führt, dass Krankenhäuser im Zweifel auf den Kosten sitzen bleiben.

Und doch öffnet just diese Blockade bei Kosten und Abrechnungen jetzt womöglich eine Chance. Denn der Gesetzgeber muss nun das Asylbewerberleistungsgesetz aufgrund dieses und eines zweiten Gerichtsurteils novellieren. Ende 2012 hatte auch schon das Bundesverfassungsgericht die Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Gesetz als zu gering kassiert – sie müssten zumindest auf das Niveau der Sozialhilfe angehoben werden.

Nicht nur die Ärzteschaft reklamiert da mit neuem Schwung ihre Positionen:

  • Ende der Datenübermittlung von Sozial- zu Ausländerbehörden. Viele europäische Nachbarländer kennen den Datenabgleich zwischen Sozial- und Gesundheitsämtern zu den Ausländerbehörden nicht. Der Datenabgleich zwischen Sozialamt und Ausländerbehörde gehöre auch hierzulande abgeschafft, fordern die Medibüros im Gleichklang mit Ärztetagen.

  • Zugang zur Regelversorgung. Unter TOP VII, Drucksache VII-66 steht im Protokoll des letzten Deutschen Ärztetages ein Beschluss, der Sprengkraft hat: „Der 117. Deutsche Ärztetag fordert den Bundesgesetzgeber auf, Asylbewerberinnen und Asylbewerbern sowie ihnen gleichgestellte Ausländerinnen und Ausländer (zum Beispiel Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus) die gleichen Rechte bei der Gesundheitsversorgung zukommen zu lassen wie regulär Krankenversicherten.“ Auch der Caritasverband Deutschland schließt sich da bereits an. Das Gesetz habe so „hochschwellige Barrieren“ in der gesundheitlichen Versorgung gesetzt, dass Krankheitsverläufe eher verschleppt und dann umso schwerer behandelt werden könnten, erklärte Frank J. Hensel Direktor des Diözesan Caritasverbandes für das Erzbistum Köln gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt Ende März 2014.

Vor Ort bröckeln seit einigen Jahren ohnehin die vielleicht früher starren Fronten. Hannover, Freiburg, Bonn … viele Kommunen haben Runde Tische, in denen auch Mitarbeiter der Kommunen regionale Hilfsnetze koordinieren. In einigen Städten fließen zumindest einige Euro an Steuergeldern in eine medizinische Hilfe, die Betroffene nicht zwingt, ihren Status und Identität aufzudecken.

So finanziert München seit 2008 die Arbeit von Beratungsstellen mit, die darüber eine gewisse medizinische Versorgung kostenlos anbieten können. Eine eigene Stelle für interkulturelle Arbeit im Rathaus koordiniert die Aktivitäten, bei der auch die Gesundheitsämter gezielt Migranten ohne Papiere Zugang zu Impfungen bis hin zu HIV-Therapie anbieten [ 5 ].

Wichtig sei dabei, analysiert der Migrationsforscher Philip Anderson, dass auch das Ausländeramt etwa beim Umgang mit Schwangeren ohne Papiere sein Verfolgungsinteresse. „vorsichtig formuliert“, nicht an erste Stelle setze [ 6 ]. Das Konzept für das „Münchner Modell“ geht auf Empfehlungen einer 2003 von Andersen im Auftrag der Stadt erstellten Studie zurück.

Auch Frankfurt hat im Gesundheitsamt eine Koordinierungsstelle „Migration und Gesundheit“, die Ärztliche Erstversorgung im Rahmen von „Internationalen Humanitäre Sprechstunden“ anbietet – dezidiert unter dem Signum „anonym“ und „verschwiegen“ [ 7 ].


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Chipkarte für Asylbewerber und Menschen ohne Papiere

Das Land Bremen geht noch weiter. Für illegal eingereiste oder in Deutschland gebliebene Ausländer ohne Aufenthaltsstatus gibt es seit 2009 eine einfache Basisversorgung, schreibt das dortige Gesundheitsamt zu seinem Arbeitsbereich Migration und Gesundheit (8, 9). Obendrein erhalten in Bremen Asylbewerber seit 2005 eine Chipkarte der AOK, mit der sie Zugang zur Regelversorgung (!) mit Ausnahme von Psychotherapie erhalten. Das Land trägt die Kosten der Behandlung. Mittlerweile haben auch Hamburg und die Stadt Rostock dieses Modell übernommen.

Eine derartige Karte forderte nun auch der letzte Ärztetag für alle Asylbewerber bundesweit. Und für Menschen ohne Papiere könnte sie als "Anonymer Krankenschein" funktionieren. „Mit dem würden endlich Ärzte auch bei dieser Gruppe entscheiden können, welche Behandlung nötig ist und diese dann auch ohne großen Aufwand abrechnen können“, hofft Ulrich Clever (s. Interview Clever, S. 304).

Mit Niedersachsen befasst sich seit kurzem auch erstmals ein Landtag in einem Flächenstaat mit diesem Thema. Am 25. Juni 2014 hat der Landtag in Hannover in erster Lesung einen Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen beraten – „Medizinische Versorgung für Flüchtlinge in Niedersachsen sicherstellen“ (Drucksache 17/1619). Danach soll die Landesregierung prüfen, ob alle Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz im Land Niedersachsen eine elektronische Gesundheitskarte nach dem Bremer Modell erhalten. Und in zwei Modellprojekten soll das Land die Einführung eines Anonymen Krankenscheins in Göttingen und Hannover erproben.

Zumindest die erste Lesung im Hannoveraner Landtag signalisierte vorsichtige parteiübergreifende Zustimmung für das Vorhaben.

In der Tat, es kommt Bewegung in das Thema – Bessere Medizin für Menschen ohne Papiere.

Berhard Epping (BE)

Weitere Informationen zu den Beiträgen Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell finden Sie unter www.thieme-connect. de/products. Zahlen, zum Beispiel (1), verweisen auf weiterführende Links, die Sie ebenfalls im Internet finden.


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Zugang zur Regelversorgung über die Gesundheitskarte. Kann sich das Bremer Modell langfristig durchsetzen? (Bild: Fotolia; Fotograf: Zerbor)