Aktuelle Urol 2014; 45(04): 261-262
DOI: 10.1055/s-0034-1389227
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zystitis – Unkomplizierte Zystitis – doch nicht so einfach?

Contributor(s):
Elke Ruchalla

N Engl J Med 2013;
369: 1883-1891
Further Information

Publication History

Publication Date:
28 August 2014 (online)

 

Eine akute, unkomplizierte Zystitis gehört zu den häufigsten Erkrankungen, die Frauen zum Arzt führen. Bis zu ihrem 32. Lebensjahr hat etwa die Hälfte aller Frauen mindestens eine Blasenentzündung durchgemacht. Nahezu ausschließlich wird der Mittelstrahlurins zur Kultur herangezogen, um den Erreger und die erregerspezifische Antibiose zu bestimmen. Inwieweit die Ergebnisse der Kultur aus dem Mittelstrahlurin zu interpretieren sind, hat nun eine Studie aus den USA untersucht.
N Engl J Med 2013; 369: 1883–1891

mit Kommentar

Von 2002 – 2012 wurden 226 Frauen mit symptomatischer Zystitis im Alter zwischen 18 und 49 Jahren in 2 amerikanischen Zentren in die Studie aufgenommen. Nur Patientinnen mit unkomplizierter Zystitis wurden untersucht.

Jede Frau lieferte nach ausführlicher Anleitung eine Probe Mittelstrahlurin ab, anschließend wurde mittels eines Katheters eine Urinprobe als Referenzstandard entnommen. Beurteilt wurden Art und Anzahl der isolierten Erreger in Mittelstrahlbzw. Katheterurin und daraus der positive Vorhersagewert eines Bakterienwachstums im Mittelstrahlurin für das Vorhandensein des Erregers im Katheterurin berechnet.

Insgesamt 202 Mittelstrahlurin / Katheterurin-Paare konnten ausgewertet werden. Nahezu alle Proben des Mittelstrahlurins zeigten ein Bakterienwachstum (99 %), gegenüber 74 % der Katheterurinproben. Positiv für mindestens ein typisches Uro-Pathogen (gramnegative Stäbchen, Enterokokken, Streptokokken der Gruppe B, Staphylococcus saprophyticus) waren:

  • 142 Proben des Katheterurins (70 %), davon 4 mit mehr als einem typischen Pathogen

  • 157 Proben des Mittelstrahlurins (78 %), davon 35 mit mehr als einem typischen Pathogen

Wachstum von E.coli aus dem Mittelstrahlurin war auch schon bei geringer Keimzahl (≥ 102 koloniebildende Einheiten [KBE]) hochgradig prädiktiv für das Vorhandensein von E. coli auch im Katheterurin, mit einem positiven prädiktiven Wert von 93 %. grampositive Erreger im Mittelstrahlurin, wie B-Streptokokken oder Enterokokken, lieferten dagegen keine zuverlässige Aussage über die tatsächliche Besiedelung der Blase, auch wenn Keimzahlen bis zu 105 KBE herangezogen wurden.

Wurden im Mittelstrahlurin Enterokokken und / oder B-Streptokokken (41 Episoden) isoliert, konnte im Katheterurin in 61 % der Fälle (25 Episoden) E. coli nachgewiesen werden.

Fazit

Bei einer akuten, unkomplizierten Zystitis prämenopausaler Frauen liefern Proben des Mittelstrahlurins insgesamt keine zuverlässige Aussage über das Vorhandensein – oder Fehlen – eines tatsächlichen Uropathogens, folgern die Verfasser. Nur das Wachstum von E. coli deutet mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine tatsächliche Infektion der Blase hin, grampositive Erreger scheinen häufig eher eine Kontamination als Auslöser der positiven Urinkultur zu haben.

Kommentar

Ergebnisse hoch relevant

Ambulant erworbene Harnwegsinfektionen gehören zu den häufigsten Infektionen. Entsprechend einer kanadischen Studie liegt die jährliche Inzidenz mikrobiologisch bestätigter ambulant erworbener HWI bei 17,5/1000 Einwohner, wobei das relative Risiko für Frauen etwa 6-mal so hoch wie für Männer ist [ 1 ]. Lässt man die 9 % Patienten aus den Heimen und die 18 % Patienten, die mit einer HWI hospitalisiert wurden, in dieser Studie unberücksichtigt, dann wären auf Deutschland hochgerechnet jährlich knapp 900 000 Frauen betroffen. Solche epidemiologischen Studien sind wertvoll. Da sie aber nur auf mikrobiologischen Ergebnissen beruhen, beinhalten sie nicht nur die akute unkomplizierte Zystitis bei Frauen in der Prämenopause, auf die sich die Untersuchung von Hooton et al. bezieht, sondern sie schließen auch Patientinnen mit asymptomatischer Bakteriurie und andere HWI-Formen ein. Trotzdem dürfte die Zahl der Frauen in dieser Altersklasse mit unkomplizierter Zystitis den größten Anteil ausmachen. Es ist schon verwunderlich, dass bei der hohen Anzahl Betroffener immer noch Diskussionsbedarf bezüglich des besten diagnostischen Vorgehens besteht. Deshalb sind die Ergebnisse dieser Studie hoch relevant.

Die Autoren verweisen auf frühe Untersuchungen in den 40er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, in denen durch Quantifizierung der Bakteriurie versucht wurde, zwischen tatsächlicher HWI und bakterieller Kontamination zu unterscheiden. Damit wurde die „signifikante Bakteriurie“ fast dogmengleich in die tägliche klinische Versorgung aber auch Forschung eingeführt. Die asymptomatische (signifikante) Bakteriurie galt zumeist als Vorläufer einer symptomatischen Infektion und nicht als Kolonisation, die in der Regel keiner Behandlung bedarf, ja sogar u. U. im Sinne der bakteriellen Interferenz symptomatische Infektionen verhindern kann, also für den Patienten auch nützlich sein kann [ 2 ].

Schon früh haben die Urologen darauf hingewiesen, dass beim Mittelstrahlurin häufig falsch positive Bakteriurien (Kontaminationen) diagnostiziert werden. Dieser Urin sei nur brauchbar, wenn die Patientin genau über die Technik aufgeklärt und der Urin unter Aufsicht gewonnen wurde, was auch so in der vorliegenden Studie praktiziert wurde. Ansonsten empfahlen sie den Einmalkatheterismus bei der Frau, der aber nur von speziell ausgebildeten und geübten Ärzten sowie Personal entnommen werden sollte. Ansonsten sollte bei zweifelhaften Befunden die Blasenpunktion durchgeführt werden [ 3 ]. Über die K-Frage gab es aber bei jedem Kongress heftige Diskussionen.

Zu wenig Beachtung fanden die Untersuchungen der Gruppe um Walter Stamm in Seattle [ 4 ], die das Konzept der „signifikanten Bakteriurie“ dadurch in Frage stellten, dass bereits kleine Keimzahlen von bis zu 100 Keimen / ml uropathogener E. coli eine Zystitis auslösen können. Diese Keimzahlen werden aber in der Routine gar nicht erfasst und werden in der Regel als „kein Wachstum“ befundet. In guten klinischen Studien wurden daraufhin für die Zystitis die „signifikanten“ Keimzahlen auf 104/ml oder noch besser auf 103/ ml abgesenkt, wozu aber spezielle mikrobiologische Verfahren notwendig wurden. Damit entwickelte sich die klinische Routine und die klinische Forschung weiter auseinander, was aus meiner Sicht auch dazu führte, dass der praktizierende Arzt in der Regel auf die Mikrobiologie ganz verzichtete, zumal die empirische Antibiotikatherapie sehr einfach und cum grano salis auch erfolgreich war.

Der besondere Wert der vorliegenden Studie liegt nun darin, dass der Fetisch „Keimzahl“ fast vollständig ad absurdum geführt wird und der / die relevanten Erreger in den Vordergrund gestellt werden. Die Untersuchung zeigt zwar genau wie die früheren Untersuchungen, dass mit dem Einmalkatheterismus weniger falsch positive Bakteriurien (Kontaminationen) diagnostiziert werden, dass aber beim Nachweis pathogener Erreger sowohl die Keimzahl als auch die Begleitflora unerheblich sind. Zumindest gilt dies für E. coli. Für andere gramnegative Erreger ergibt sich zwar ein ähnlicher Trend – die Anzahl der Untersuchungen genügt aber nicht den statistischen Anforderungen für eine solche Feststellung. Ähnliches könnte auch für S. saprophyticus gelten. Bei anderen grampositiven Bakterien, z. B. Enterokokken, Streptokokken der Gruppe B, sind Kontaminationen häufig. Sie sollten nur bei Monoinfektionen mit hoher Keimzahl in die Wertung eingeschlossen werden.

Es mag verwundern, dass trotz sehr niedriger Keimzahlbestimmung (bis 10 Keime pro ml) bei nur 74 % der Patientinnen im Katheterurin wenigstens ein mikrobiologisches Isolat gefunden wurde. Haben somit 26 % der Patientinnen keine bakterielle Zystitis? Nach der anfänglichen Hochrechnung dürfte es sich pro Jahr dabei um mehrere 100 000 Patientinnen in Deutschland handeln. Bei ihnen wäre demnach keine Antibiotikatherapie angezeigt, obwohl in der Studie alle zumindest eines und 97 % der Patientinnen mehr als eines der 3 klassischen Symptome (Schmerzen beim Wasserlassen, Pollakisurie, imperativer Harndrang) für eine akute Zystitis aufwiesen. Bei diesen Patientinnen könnte in ca. 5 % der Fälle eine isolierte Urethritis vorliegen, die mit dem M-Urin erfasst würde. Des Weiteren kommen spezifische Infektionen mit Chlamydien, Gonokokken oder Mykoplasmen infrage, die bei entsprechender Anamnese spezielle mikrobiologische Verfahren notwendig machen. Zu Recht diskutieren die Autoren aber auch nicht infektiöse Ursachen, da auch die klassischen Symptome nicht infektionsspezifisch sind. Statt Antibiotika wären hier antiinflammatorische Substanzen besser angebracht.

Fazit

Für das klinische Vorgehen bei Patientinnen in der Prämenopause mit Symptomen, die für eine akute Zystitis sprechen, ergeben sich aufgrund der Studie folgende Konsequenzen / Überlegungen:

  1. Etwa ein Viertel der Patientinnen hat gar keine bakterielle Zystitis und sollte deshalb nicht empirisch mit Antibiotika behandelt werden. Andere Behandlungsmodalitäten müssen hier bedacht und untersucht werden.

  2. Ob MU oder Katheterurin untersucht wird, ist unerheblich; ebenso ist die Keimzahl unerheblich. Bei qualitativem Nachweis von E. coli und entsprechenden Beschwerden, kann eine bakterielle Zystitis / Urethritis angenommen werden. Entsprechend der Studie betrifft dies etwa 65 % der Patientinnen.

  3. Für die verbleibenden ca. 10 % der Patientinnen (keine bzw. keine E. coli-Bakteriurie) sind beim Vorliegen gramnegativer Erreger wahrscheinlich ähnliche Überlegungen wie bei E. coli erlaubt. Bei grampositiven Bakterien sollte nur bei Monoinfektionen mit hohen Keimzahlen und entsprechenden Beschwerden eine bakterielle Zystitis diskutiert werden.

  4. Ein solches differenziertes Vorgehen ist aber nur praktikabel, wenn entsprechend empfindliche mikrobiologische Schnellmethoden für die Routine entwickelt werden. Hier besteht dringend Forschungs- und Handlungsbedarf.

Prof. Dr. Kurt G. Naber, Straubing


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Prof. Dr. Kurt G.Naber


ist apl. Professor für Urologie an der Technischen Universität München

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  • Literatur

  • 1 Laupland KB, Ross T, Pitout JD et al. Community-onset urinary tract infections: a population-based assessment. Infection 2007; 35: 150-153
  • 2 Wagenlehner FME, Naber KG et al. Asymptomatic bacteriuria – shift of paradigm. Editorial. Clin Inf Dis 2012; 55: 778-780
  • 3 Naber KG, Werkmann M. Materialgewinnung und -verarbeitung zur bakteriologischen Untersuchung bei urologischen Infektionen. in: Michaelis R, Hofstetter A, (Hrsg.) Mikrobiologie in der Urologie. München: Futuramed; 1988: 11-44
  • 4 Stamm WE, Counts GW, Running KR et al. Diagnosis of coliform infection in acutely dysuric women. N Engl J Med 1982; 307: 463-8

  • Literatur

  • 1 Laupland KB, Ross T, Pitout JD et al. Community-onset urinary tract infections: a population-based assessment. Infection 2007; 35: 150-153
  • 2 Wagenlehner FME, Naber KG et al. Asymptomatic bacteriuria – shift of paradigm. Editorial. Clin Inf Dis 2012; 55: 778-780
  • 3 Naber KG, Werkmann M. Materialgewinnung und -verarbeitung zur bakteriologischen Untersuchung bei urologischen Infektionen. in: Michaelis R, Hofstetter A, (Hrsg.) Mikrobiologie in der Urologie. München: Futuramed; 1988: 11-44
  • 4 Stamm WE, Counts GW, Running KR et al. Diagnosis of coliform infection in acutely dysuric women. N Engl J Med 1982; 307: 463-8

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