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DOI: 10.1055/s-0034-1389222
Hämorrhagische Zystitis – Risikofaktoren im Kindesalter
Publication History
Publication Date:
28 August 2014 (online)
Die hämorrhagische Zystitis, mit diffusen intravesikalen Blutungen und daraus resultierende Hämaturie sowie Schmerzen vonseiten der unteren Harnwege, ist zwar selten, aber eine Reihe von Risikofaktoren prädisponiert für die Erkrankung. Die Schweregrade werden normalerweise nach dem System von Droller eingeteilt, dabei ist aber unklar, ob und ggf. wie die vorbestehenden Risikofaktoren die Schwere der Zystitis beeinflussen. Edward Riachy und seine Kollegen haben das untersucht.
J Urol 2014; 191: 186–192
mit Kommentar
Ältere Kinder, bei denen eine Knochenmark- oder periphere Stammzelltransplantation vorangegangen ist, weisen ein erhöhtes Risiko für eine hämorrhagische Zystitis und zugleich für einen erhöhten Schweregrad des Befunds auf. Zu diesem Ergebnis kommen die Mitarbeiter des Memorial Sloan-Kettering Cancer Centers, die die Daten aller zwischen Januar 1986 und Juli 2010 in ihrem Zentrum behandelten Kinder in ihre retrospektive Auswertung aufgenommen haben.
Insgesamt 6119 pädiatrische Patienten waren in diesem Zeitraum wegen einer Reihe vornehmlich maligner Erkrankungen therapiert worden, bei 97 von ihnen (1,6 %) war eine hämorrhagische Zystitis aufgetreten. Bei 9 Patienten lag ein Schweregrad 1 nach Droller vor, mit einer mittleren Dauer von 3 Tagen. Bei 42 Patienten fand sich ein Schwergrad 2, der im Mittel 12 Tage andauerte, bei 31 Patienten ein Schwergrad 3 (mittlere Dauer 33 Tage) und bei 15 Patienten ein Schweregrad 4, im Mittel über 123 Tage.


Dabei waren die Kinder, bei denen sich eine hämorrhagische Zystitis entwickelte, im Mittel signifikant älter als Kinder ohne diese Komplikation (12,2 vs. 10,5 Jahre). In der multivariaten Analyse waren ein Alter über 5 Jahre (gegenüber jüngeren Kindern; Odds Ratio [OR] für Kinder < 5 Jahren 0,21), eine allogene Knochenmarkoder Blutstammzelltransplantation (gegenüber einer autologen Transplantation; OR 2,85) und eine Radiotherapie des Beckens (gegenüber keiner solchen Radiotherapie; OR 59,2) signifikante Risikofaktoren für das Auftreten der Erkrankung.
Der Verlauf war bei jüngeren Kindern (< 5 Jahren) weniger schwer (44,4 % mit Grad-1-Zystitis vs. 6,7 % mit Grad 4), bei Vorliegen von humanem Polyomavirus 1 im Urin schwerer (84,6 % bei Grad 4 vs. 22,2 % bei Grad 1), allerdings wurde nicht routinemäßig auf das Virus hin untersucht (Befunde für 78 von 97 Patienten). Stammzelltransplantationen waren zwar mit einem höheren Schwergrad verbunden, jedoch zeigte sich hier kein Unterschied für die Art der Transplantation (autolog oder allogen). Ebenso fand sich keine Beziehung zwischen der Schwere der hämorrhagischen Zystitis und positiven Bakterienbefunden im Urin, zusätzlicher Ganzkörperbestrahlung bei Stammzelltransplantation, dem Einsatz von Mesna zur Prävention der Zystitis, einer vorangegangenen Beckenbestrahlung und Art der eingesetzten Zytostatika.
Ein höherer Schwergrad der Zystitis war mit einer länger anhaltenden Symptomatik verbunden sowie mit erhöhten Kreatinin- und Harnstoffkonzentrationen in der Nachbeobachtungszeit. Ebenso kam es häufiger zu Komplikationen wie Hydronephrose, akutem Nierenversagen und Blasenperforation, wenn die Zystitis schwerer ausgeprägt war.
Eine Reihe von Risikofaktoren prädisponiert für das Auftreten einer hämorrhagischen Zystitis bei Kindern, die wegen einer onkologischen Erkrankung behandelt werden, folgern die Autoren. Dabei sind vor allem ältere Kinder (> 5 Jahre) und Kinder mit allogener Stammzelltransplantationen gefährdet. Auch das humane Polyomavirus 1 scheint ein Risikofaktor, der allerdings hier nicht systematisch untersucht worden war, das sollten zukünftige Studien testen. Die optimale Prävention und Behandlung dieser teilweise dauerhaft behindernden Komplikation, v. a. bei schwer ausgeprägten Fällen, müssen weiter untersucht werden.
Weiterentwicklung der Prävention wünschenswert
Eine hämorrhagische Zystitis ist definiert als Hämaturie in Kombination mit LUTS, d. h. dysurischen Beschwerden, Pollakisurie und Drang, und bedeutet dass andere Blutungsquellen, wie z. B. vaginale Blutungen, generalisierte Blutungsdiathesen, bakterielle oder pilzbedingte Infektionen, ausgeschlossen sind. Der Schweregrad der hämorrhagischen Zystitis wird in Graden von 1–4 angegeben [ 1 ]:
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Grad 1: Mikrohämaturie
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Grad 2: Makrohämaturie
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Grad 3: Makrohämaturie mit kleinen Koageln
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Grad 4: schwere Makrohämaturie mit interventionspflichtiger blutungsbedingter Obstruktion.
Eine hämorrhagische Zystitis stellt eine häufige Komplikation insbesondere bei Kindern mit einer Knochenmarktransplantation dar. Die Inzidenz beträgt je nach Studie und abhängig von den verwendeten Kriterien und Klassifikationen zwischen 10–70 %.
In der vorliegenden Arbeit wurden retrospektiv aus einer Datenbank pädiatrisch onkologische Fälle untersucht. Bei den Kindern (0–21 Jahre), bei denen das Risiko einer hämorrhagischen Zystitis bestand, wurde präventiv eine Hyperhydration mit 3000 ml / m2 als kontinuierliche Infusion bzw. Mesna (bindet den urotheltoxischen Metaboliten Acrolein) verabreicht, wenn das Protokoll Cyclophosphamid oder Ifosfamid enthielt. Bei Thrombozytenzahlen unter 50 000 wurden ggf. Thrombozyten-Konzentrate transfundiert.
Im Beobachtungszeitraum erhielten 6119 Patienten eine Chemotherapie, eine Knochenmark- oder periphere Blutstammzelltransplantation oder eine Radiatio des Beckens. Die zugrunde liegenden Erkrankungen sind ebenso wie weitere Demografiedaten und Angaben zur Behandlung einem Link zu entnehmen: aplastische Anämie (5 Kinder), schwere kombinierte Immundefizitsyndrome (2) und myelodyplastische Syndrome (34); Neuoblastom im Stadium IV (729), Rhabdomyosarkom (267), Ewing-Sarkom (178), andere solide Tumorentitäten (3036). Die akute lymphatische Leukämie trat in 502, die akute myeloblastische Leukämie bei 337 Kindern, andere Leukämiearten in 315 Fällen auf.
Insgesamt ergeben sich 5321 Diagnosen; in welchem Verhältnis diese Zahl zu den 6119 Patienten der retrospektiven Untersuchung steht, wird nicht erläutert. 97 Patienten (1,6 %) entwickelten eine hämorrhagische Zystitis 2,7 Monate (± 4,9 Monate) nach Induktion einer Knochenmark- oder peripheren Blutstammzelltransplantation oder 12,4 Monate (± 18,9 Monate) nach beendeter Bestrahlung. Dabei trat mit 43,3 % am häufigsten eine hämorrhagische Zystitis Grad 2 auf (42 Patienten).
Bei Kindern unter 3 Jahren zeigte sich eine hämorrhagische Zystitis seltener als bei älteren Kindern. Sie kam bei Mädchen weniger häufiger vor als bei Jungen und verlief bei Kindern unter 5 Jahren weniger schwerwiegend. Cyclophophasphamid oder Busulfan führten häufiger zu einer hämorrhagischen Zystitis, wohingegen für ifosfamid- oder cisplatinhaltige Protokolle keine Verbindung mit einer hämorrhagischen Zystitis nachgewiesen werden konnte. Das Risiko war ferner nach allogener Knochenmark- und peripherer Blutstammzelltransplantation höher als bei Patienten, die mit autologen Zellen transplantiert werden konnten; die Art der Transplantation (allogen vs autolog) beeinflusste aber den Schweregrad nicht. Ferner führte eine Radiation des Beckenareals zu einer erhöhten hämorrhagischen Zystitisrate.
Urin von 78 der 97 hämorrhagischen Zystitispatienten wurde auf das BK-Virus, ein Doppelstrang-DNA-Polyomavirus, untersucht. Dabei gab es einen positiven Virusnachweis in:
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84,6 % der Patienten mit einer Grad 4
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76,9 % mit einer Grad 3
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43,3 % mit einer Grad 2-Klassifikation.
Bei 15 Kindern (davon 1 Kind jünger als 5 Jahre) musste operativ interveniert werden (2 Nephrostomien zur Harnableitung und eine Zystektomie). Sieben Patienten entwickelten ein akutes Nierenversagen und 10 Kinder verstarben an ihrer primären Tumorerkrankung im Mittel 646 Tage nach Sistieren der Hämorrhagie, während bei 2 Patienten zum Zeitpunkt des Todes noch eine aktive hämorrhagische Zystitis bestand. Die Ausbildung einer besonders schwerwiegenden hämorrhagischen Zystitis Grad 4 ist signifikant assoziiert mit einem höherem Patientenalter, einer Knochenmark- oder peripheren Blutstammzelltransplantation und dem Nachweis einer BK-Viruslast im Urin.
Während eine forcierte Diurese durch Hyperhydrierung ggf. in Kombination mit kontinuierlichen Blasenspülungen, anticholinerge Begleitmedikationen zur Spasmolyse, eine adäquate Schmerzmedikation, sowie kontrollierte Gerinnungsparameter die Komplikation einer hämorrhagische Zystitis Grad 1–3 in der Regel relativ gut beherrschen lassen, ist die Entwicklung einer 4.-gradigen Ausprägungsform eine sehr ernste Komplikation, die mit einer hohen erkrankungsspezifischen Mortalität assoziiert ist. Dies konnten andere publizierte Serien ebenfalls zeigen [ 2 ], sodass die Entwicklung einer hochgradigen hämorrhagische Zystitis von signifikanter prognostischer Relevanz auch für den Krankheitsverlauf der zugrunde liegenden Tumorentität ist.
Das BK-Virus nimmt in der Komplikation einer schwerwiegenden hämorrhagischen Zystitis eine besondere Rolle ein. Mehrere Untersucher konnten zeigen [ 3 ], dass Kinder, die im Rahmen ihrer onkologischen Therapie eine hämorrhagische Zystitis entwickelten in mehr als 80 % BKVirus-DNA im Urin ausscheiden. Eine therapeutische Konsequenz, z. B. die Gabe von Cidofovir, einem Virustatikum, das die virale DNA-Polymerase zahlreicher DNA-Viren hemmt, ist aktuell nicht ausreichend belegt, könnte aber zukünftig als intravesikale Instillation eine vielversprechende Option darstellen.
Der angegebene und den allgemeinen urologischen Empfehlungen folgende Behandlungsalgorithmus ist in aller Regel ausreichend für Patienten mit einer hämorrhagischen Zystitis Grad 1–3. Die nach wie vor schwer zu behandelnde hämorrhagische Zystitis Grad 4 ist darüber hinaus auch tumorbedingt mit einer ungünstigen Prognose verbunden.
Neben einer besseren Identifikation individuell gefährdeter Kinder ist die Weiterentwicklung einer suffizienten Prävention wünschenswert. Neben der multifaktoriellen Genese bedarf insbesondere der Status der BK-Virurie wie -Virämie in der Pathogenese der Entwicklung einer hämorrhagischen Zystitis weiterer Klärung und könnte im Verlauf sowohl prognostische als auch therapeutische Behandlungsansätze bieten. Intravesikale Instillationstherapien mit unterschiedlichen Agenzien (Silbernitrat, Formalin, Prostaglandinen, Pentosanpolysulfaten etc.) sind bei Kindern kaum untersucht und nur unter besonderer Zurückhaltung einzusetzen.
Dr. Iris Rübben, Essen
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Literatur
- 1 Droller MJ et al. Prevention of cyclophosphamide-induced hemorrhagic cystitis. Urology 1982; 20: 256-258
- 2 Decker DB et al. Pediatric hemorrhagic cystitis. J Ped Urol 2009; 254
- 3 Kloos RQH et al. Hemorrhagic cystitis in a cohort of pediatric transplantations: Incidence, treatment, outcome, and risk factors. Biol Blood Marrow Transplant 2013; 19: 1254
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Literatur
- 1 Droller MJ et al. Prevention of cyclophosphamide-induced hemorrhagic cystitis. Urology 1982; 20: 256-258
- 2 Decker DB et al. Pediatric hemorrhagic cystitis. J Ped Urol 2009; 254
- 3 Kloos RQH et al. Hemorrhagic cystitis in a cohort of pediatric transplantations: Incidence, treatment, outcome, and risk factors. Biol Blood Marrow Transplant 2013; 19: 1254



