Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2014; 21(04): 196-197
DOI: 10.1055/s-0034-1389145
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gesundheit in den neuen globalen Entwicklungszielen nach 2015 – Welche Zukunft wollen wir?

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Publication Date:
29 August 2014 (online)

 

Mit der Millenniumsdeklaration der Vereinten Nationen im Jahr 2000 wurden erstmals konkrete globale Entwicklungsziele beschlossen, die bis 2015 erreicht sein sollten. Die 8 Millenniumentwicklungsziele (Millennium Development Goals – MDGs) lauten:

  1. den Anteil der Weltbevölkerung, der unter extremer Armut und Hunger leidet, halbieren

  2. allen Kindern eine Grundschulausbildung ermöglichen

  3. die Gleichstellung der Geschlechter fördern und die Rechte von Frauen stärken

  4. die Kindersterblichkeit verringern

  5. die Gesundheit der Mütter verbessern

  6. HIV / Aids, Malaria und andere übertragbare Krankheiten bekämpfen

  7. den Schutz der Umwelt verbessern

  8. eine weltweite Entwicklungspartnerschaft aufbauen

Die Gesundheitsziele 4 bis 6 werden trotz eindrucksvoller Fortschritte in vielen Ländern nicht erreicht werden; dies gilt insbesondere für die Senkung der Müttersterblichkeit um 3 Viertel und der Kindersterblichkeit um 2 Drittel.

Weiterführung der Ziele nach 2015

Aktuell ist die Debatte um die Weiterführung der MDGs nach 2015 in vollem Gange. Dazu hat eine von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon eingesetzte Expertengruppe (High level panel) 2013 einen Vorschlag vorgelegt. Zusätzlich hat sich im Rahmen der Umwelt- und Klimadebatte ebenfalls die Idee von globalen Zielen entwickelt. Die Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung (Konferenz Rio plus 20) hat dazu im Juni 2012 in ihrem Abschlussdokument mit dem Titel „The Future We Want“ beschlossen, ebenfalls universell gültige, globale und messbare Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) zu erarbeiten. Diese sollen auch ein Gesundheitsziel beinhalten. Beide Prozesse sollen nun auf einer UN-Vollversammlung im September 2014 zusammengeführt und ein erster gemeinsamer Entwurf erarbeitet werden. Im Vorfeld gibt es dazu zahlreiche Konsultationen und Stellungnahmen.


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Diskussion um neues Gesundheitsziel

Die wichtigsten Aspekte der Diskussion um ein neues Gesundheitsziel sollen hier kurz dargestellt werden. Alle Vorschläge beginnen mit einem weitgefassten Ziel, wie „ein gesundes Leben für Alle in jedem Lebensalter“ (Attain healthy lives for all at all ages – Vorschlag der zwischenstaatlichen Open Working Group). Die folgenden Unterschiede zeigen sich aber bei den Unterzielen.

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(Bild: shutter stock)

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MDG plus vs. allgemeine Gesundheitsversorgung

Die WHO hat mit ihrem Vorschlag, eine universelle allgemeine Gesundheitsversorgung (universal health coverage) in den Mittelpunkt eines neuen Gesundheitsziels zu stellen, einen konzeptionellen Wechsel gegenüber den bisherigen gesundheitsbezogenen MDGs vollzogen. Dafür gab es zunächst viel Unterstützung, auch von deutscher Seite, und auch gute Gründe dafür. Denn da die neuen Ziele für alle Länder und nicht nur für Entwicklungsländer relevant sein sollen, machen rein krankheitsbezogene Konzepte wenig Sinn, weil das Krankheitsspektrum einzelner Länder – und damit deren Prioritäten – sehr unterschiedlich ist.

Demgegenüber ist der universelle Zugang zu einer allgemeinen Gesundheitsversorgung eine Aufgabe aller Länder, nicht zuletzt als Ausdruck des in der UN-Sozialkonvention und anderen internationalen Verträgen niedergelegten Rechts auf Gesundheit. Dieses gilt für jede Person, die auf eine Gesundheitsversorgung angewiesen ist, unabhängig von der zugrundeliegenden Erkrankung.

Das Ziel eines universellen Zugangs erfordert, dass jedes Land seine Defizite in der Gesundheitsversorgung analysiert und entsprechende, an die lokale Situation angepasste Maßnahmen ergreift. Diese Defizite können darin bestehen:

  • dass bestimmte Gesundheitsleistungen nicht (oder nicht in akzeptabler Qualität) angeboten werden oder

  • dass manche Bevölkerungsgruppen (z. B. Migranten) von der Versorgung ausgeschlossen sind oder

  • dass wegen fehlender sozialer Sicherungssysteme hohe, selbstzutragende Kosten eine Behandlung verhindern oder zum Armutsrisiko werden.

Auf der anderen Seite stehen Organisationen wie die Bill-und-Melinda-Gates-Foundation, die auf die Erfolge und die gute Verständlichkeit und Einfachheit der bisherigen Gesundheits-MDGs verweisen. Sie befürworten, deren krankheitsbezogenes Konzept mit Ergänzungen wie die Einbeziehung nicht übertragbarer Krankheiten weiterzuführen (MDG plus).

Vorschlag der Open Working Group für neue nachhaltige globale Gesundheitsziele ab 2015

SDG 3: Gesundes Leben für alle in jedem Lebensalter

3.1 Senkung der weltweiten Müttersterblichkeit auf weniger als 70 pro 100 000 Lebendgeburten bis 2030, unterstützt durch Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheitsversorgung.

3.2 Verhinderung aller vermeidbaren Todesfälle bei Neugeborenen, Säuglingen und Kindern unter 5 Jahren bis 2030.

3.3 Beendigung der Epidemien von HIV / AIDS, Tuberkulose, Malaria und vernachlässigter Tropenkrankheiten bis 2030.

3.4 Senkung der Morbidität und Mortalität von nicht übertragbaren Krankheiten um ein Drittel durch Prävention, Behandlung und Förderung der psychischen Gesundheit und des Wohlbefinden bis 2030.

3.5 Stärkung der Prävention und Behandlung von Drogenmissbrauch, einschließlich Alkoholmissbrauch.

3.6 Halbieren der Todesfälle durch Verkehrsunfälle bis 2030.

3.7 Sicherstellung eines universellen Zugangs zur Gesundheitsversorgung (Universal Health Coverage – UHC), einschließlich eines finanziellen Risikoschutzes, eines Zugangs zu qualitativ hochwertigen Gesundheitsdienstleistungen zu sicheren, wirksamen, erschwinglichen unentbehrlichen Arzneimitteln und Impfstoffen für alle.

3.8 Deutliche Senkung der Todesfälle und Erkrankungen wegen Luftverschmutzung (innen und außen), gefährlichen Chemikalien sowie Wasser-und Bodenverschmutzung.


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Neue MDGs vs. SDGs

Der Beschluss der Rio-plus-20-Konferenz, die neuen globalen Entwicklungsziele nach 2015 „S“DGs zu nennen, stellt klar, dass – anders als bei den MDGs – Nachhaltigkeit im Mittelpunkt steht. Der Begriff SDG hat sich inzwischen durchgesetzt und ist ein Indiz dafür, dass die aktuelle post-2015-Debatte zunehmend vom Rio-plus-20-Prozess und damit vom Konzept für eine nachhaltige Entwicklung bestimmt wird. Für die Gesundheitsziele heißt das, das diese universell und damit für alle Länder relevant sind und für alle gelten und nicht – wie de facto die MDGs – nur für Entwicklungsländer. Weiterhin müssen sie den Aspekt der Nachhaltigkeit beinhalten.

Beides sind starke Argumente für eine allgemeine Gesundheitsversorgung (universal health coverage) als Gesundheitsziel, denn diese ist Teil eines Konzepts für eine weltweite soziale Absicherung und damit Voraussetzung für die soziale Dimension der Nachhaltigkeit. Darüber hinaus werden die Wechselwirkungen zwischen Gesundheit, Klima und Umwelt hervorgehoben.


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Vorschlag der zwischenstaatlichen Open Working Group

Im Rahmen der Vereinten Nationen hat im Mai 2014 eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe (Open Working Group – OWG) mit Beteiligung Deutschlands auf Grundlage der verschiedenen Vorschläge einen ersten Entwurf vorgelegt [ s. Infokasten auf dieser Seite ].

Wie oft bei einem Kompromiss, finden sich hier sowohl die alten MDGs als auch das Konzept eines universellen Zugangs sowie umweltbedingte Gesundheitsrisiken in einer Reihe wieder. Konzeptionell macht das aber wenig Sinn, denn der universelle Zugang beinhaltet natürlich den Zugang zur Prävention und Behandlung von spezifischen Erkrankungen wie HIV /AIDS und geburtshilflicher Versorgung, die hier als eigenständige Unterziele aufgeführt sind. In der Einleitung zum Entwurf der Open Working Group wird darauf hingewiesen, dass die Ziele und Unterziele weiter in der Diskussion sind und eine Kürzung und Fokussierung angestrebt wird. Es ist zu hoffen, dass in diesem Prozess erreicht wird, den universellen Zugang zu einer adäquaten Gesundheitsversorgung und damit das Recht auf Gesundheit als Prinzip in den neuen SDGs zu verankern.

Auf der UN-Vollversammlung im September soll ein erster offizieller Entwurf vorgelegt werden. Eine endgültige Abstimmung soll dann im September 2015 erfolgen. Die post-2015-Debatte geht damit in die letzte Runde und wird dabei von Organisationen der Zivilgesellschaft (VENRO) und Wissenschaft (EU-Projekt Go4Health) kommentiert und aktiv mitgestaltet.

Albrecht Jahn, Heidelberg


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(Bild: shutter stock)