Aktuelle Urol 2014; 45(03): 178-179
DOI: 10.1055/s-0034-1383481
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Urolithiasis – Plättchenhemmer vor Ureteroskopie absetzen?

Contributor(s):
Elke Ruchalla

Urology 2013;
82: 773-779
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Publication History

Publication Date:
16 June 2014 (online)

 

Viele Patienten nehmen zur Prävention von kardiovaskulären Ereignissen Acetylsalicylsäure, Thienopyridine bzw. Kombinationen ein. Ein Absetzen der Medikamente kann mit einem deutlich erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Ereignisse verbunden sein. Trotzdem wird die Notwendigkeit vor operativen Eingriffen diskutiert. Ob die Gerinnungshemmertherapie bei einer Ureteroskopie zur Laser-Lithotripsie von Harnsteinen unterbrochen werden muss, hat eine Gruppe aus den USA untersucht.
Urology 2013; 82: 773–779

mit Kommentar

Die Fortsetzung einer Gerinnungshemmertherapie führt bei Patienten, die sich einer elektiven Ureteroskopie und Laser- Lithotripsie wegen einer Urolithiasis unterziehen, nicht zu einer erhöhten Blutungsrate. Zu diesem Schluss kommen Nicholas Toepfer und seine Kollegen, die insgesamt 646 Patienten in ihre retrospektive Studie aufgenommen haben. Alle Studienteilnehmer wurden zwischen Juli 2005 und Oktober 2010 mit einer Ureteroskopie plus Holmium:YAG-Laser-Lithotripsie behandelt. Dabei nahmen

  • 137 Patienten Acetylsalicylsäure (ASS) ein,

  • 17 Patienten Clopidogrel (13 von ihnen zusätzlich ASS)

  • 22 Patienten Warfarin (11 von ihnen zusätzlich ASS).

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Multiple Harnblaseninfektsteine am Blasenboden. Im Vordergrund sieht man eine Holmiumlaserfaser zur Desintegration. (Bild: Liske P, Lahme S. Urolithiasis. In: Wille S, Heidenreich A, Hrsg. Atlas der diagnostischen Endourologie. Stuttgart: Thieme; 2009)

Diese insgesamt 176 Patienten bildeten die Studiengruppe. Die restlichen 470 Patienten ohne entsprechende Medikation bzw. mit Absetzen einer solchen Medikation mind. 5 Tage vor dem Eingriff (n = 14) stellten die Kontrollgruppe dar.

Beurteilt wurden die Komplikationen in den beiden Gruppen, darunter die Notwendigkeit für einen Zweiteingriff wegen blutungsbedingt schlechter Sicht, Bildung therapiebedürftiger Blutgerinnsel in den ableitenden Harnwegen, Harnwegsinfektionen, nicht beherrschbare Schmerzen und kardiovaskuläre Ereignisse (Myokardinfarkt, Schlaganfall, tiefe Beinvenenthrombose,Lungenembolie) sowie Tod innerhalb von 30 Tagen nach der Intervention.

Komplikationen bei fortgesetzter Einnahme nicht häufiger

Perioperative Komplikation waren insgesamt selten, und ihre Häufigkeit unterschied sich nicht zwischen den beiden Gruppen. Zur Bildung von größeren Blutgerinnseln kam es bei 2 Patienten der Kontrollgruppe und bei einem Patienten unter ASS. Intra- oder postoperative Bluttransfusionen waren in keinem Fall erforderlich, und kein Patient der Gruppe mit fortgesetzter antithrombotischer Therapie musste innerhalb von 30 Tagen wegen einer schweren Blutung in die Klinik eingewiesen werden. Eine ungeplante Zweit-Ureteroskopie war notwendig bei 34 (7,2 %) Patienten der Kontrollgruppe, bei 11 (8,0 %) Patienten unter ASS und bei einem Patienten (5,9 %) unter Clopidogrel. Zwei Patienten starben im perioperativen Verlauf, beide gehörten der Kontrollgruppe an. Die Todesursache war in einem Fall ein Myokardinfarkt, im anderen Fall eine Urosepsis.

Fazit

Zumindest für die Laser-Lithotripsie bei Ureteroskopie ist das Absetzen einer gerinnungshemmenden Therapie nicht erforderlich, meinen die Autoren. Eine prospektive, randomisierte Studie (im Hinblick auf Stoppen oder Fortführen der Therapie) wäre notwendig, um weitere Klarheit zu bringen. Derzeit ist jedenfalls das undifferenzierte Absetzen der betreffenden Medikamente nicht sinnvoll, in Anbetracht der Tatsache, dass in diesen Fällen ein „prothrombotischer Rebound“ mit erhöhten kardiovaskulären Komplikationsraten und Todesfällen beschrieben ist. In Zweifelsfällen sollte der Untersucher den behandelnden Kardiologen des Patienten zu Rate ziehen.


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Kommentar

Es muss nicht immer prospektiv sein

Die Anzahl an Patienten, die wegen einer Thrombose oder einer kardiovaskulären Erkrankung antikoagulative Medikamente einnehmen, steigt kontinuierlich. Das vorübergehende Absetzen der antikoagulativen Medikation kann zur Steigerung kardialer Komplikationen führen, insbesondere bei Patienten nach Stenteinlage in die Koronargefäße. Das perioperative Absetzen von Aspirin führt in 10 % der Fälle zu einem akuten kardiovaskulären Ereignis [ 1 ].

Die Nephrolithiasis ist die häufigste Stoffwechselerkrankung in der Urologie. Von den 3 Therapieverfahren der Wahl sind die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL) und die perkutane Nephrolitholapaxie (PNL) unter einer antikoagulativen Therapie kontraindiziert. Das minimalinvasivste Verfahren stellt die Ureterorenoskopie (URS) dar, und die Autoren versuchen mit ihrer Studie, die Frage der Sicherheit und Machbarkeit einer URS unter antikoagulativer Therapie im Vergleich zur unbeeinflussten Gerinnung zu beantworten. Wegen der Häufigkeit der klinischen Situation, ist die Beantwortung dieser Frage für den Urologen von großem Interesse.

Stärken und Schwächen der Studie

Zu den Stärken der Studie zählt die Anzahl der behandelten Patienten von insgesamt 646 Patienten. Davon erhielten 470 Patienten als Kontrollgruppe keine perioperative antikoagulative Therapie. Von den 176 Patienten unter antikoagulativer Therapie war der überwiegende Anteil unter einer Aspirin-Monotherapie, aber auch 24 Patienten unter einer Doppeltherapie mit Aspirin plus Warfarin oder Clopidrogel. Diese Verteilung entspricht dem klinischen Alltag und kann somit auch als Stärke der Arbeit hervorgehoben werden. Eine weitere Stärke der Arbeit ist darin zu sehen, dass die Patienten von nur 2 Operateuren über den Zeitraum von 5 Jahren operiert worden sind, dies entspricht 129 Operationen pro Jahr oder 65 Operationen pro Operateur und Jahr. Dies ist eine ernstzunehmende Frequenz und die Therapieergebnisse belegen die Expertise der Operateure.

Eine Schwäche der Arbeit ist ihr retrospektiver Ansatz. Aus anderen klinischen Situationen ist belegt, dass eine retrospektive Analyse der Daten zu einem Bias der Ergebnisse führen kann. Aus diesem Grund fordern die Autoren am Ende ihrer Arbeit auch die Durchführung einer prospektiven, randomisierten Studie zur definitiven Klärung dieser Fragestellung. Dieser häufig in Publikationen zu findende Satz erscheint mir wie ein bedingter Reflex. Muss wirklich jede klinische Fragestellung im Rahmen einer prospektiven, randomisierten Studie letztendlich beantwortet werden? Oder reichen nicht auch derart gut durchgeführte retrospektive Untersuchungen in Kombination mit anderen prospektiven, randomisierten Studien zu vergleichbaren oder schwereren Operationen zur Beantwortung der Frage aus – zuzüglich der klinischen Erfahrung?

Bisherige Datenlage

Wie oben erwähnt, existiert derzeit keine prospektive, randomisierte Studie zu diesem Thema, die höherwertig wäre. Die vergleichbar aktuellste Studie stammt aus dem Jahr 2008. In der Untersuchung aus Cleveland wurden retrospektiv im Rahmen einer Matched-Pair-Analyse die periund postoperativen Ereignisse von 37 Patienten mit antikoagulativer Therapie (ASS, Clopidrogel, Warfarin) denen eines Kollektivs mit vergleichbaren Parametern gegenübergestellt [ 2 ]. Bei allen Patienten erfolgte eine Holmium:YAG-Laser-Lithotripsie mittels flexibler URS bei 10 Watt, sowohl im Ureter als auch im Nierenhohlsystem. Die Visualisierung war in beiden Gruppen gleich und wurde nicht – wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre – durch die antikoagulative Therapie verschlechtert. Der mediane postoperative Blutverlust war in der Behandlungsgruppe zwar signifikant größer, lag jedoch absolut gesehen mit einem Wert von 0,6 im Vergleich zu 0,2 mg / dl in einem klinisch irrelevanten Bereich. Kein Unterschied fand sich im Hinblick auf die erzielten Steinfreiheitsraten oder die peri- und postoperativen Komplikationswahrscheinlichkeiten.

Fazit

Bei Patienten mit Nephrolithiasis, bei denen eine antikoagulative Therapie nicht unterbrochen werden kann, ist die Behandlung der Wahl die ureterorenoskopische Steinextraktion ohne Qualitätsverlust.

Prof. Gerd Lümmen, Troisdorf


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Prof. Gerd Lümmen


ist Chefarzt der Urologischen Abteilung am St.-Josef-Hospital, Troisdorf

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Multiple Harnblaseninfektsteine am Blasenboden. Im Vordergrund sieht man eine Holmiumlaserfaser zur Desintegration. (Bild: Liske P, Lahme S. Urolithiasis. In: Wille S, Heidenreich A, Hrsg. Atlas der diagnostischen Endourologie. Stuttgart: Thieme; 2009)