Schlüsselwörter
Bauchtrauma - Kinder - konservative Chirurgie - Milzruptur - Leberruptur
Key words
abdominal trauma - children - non-operative management - spleen injury - liver injury
Einleitung
Unfälle sind die häufigste Todesursache im Kindesalter. Mitursächlich für letale Verläufe
können abdominelle Organverletzungen sein, die bei 2–5 % aller Unfälle im Kindesalter
vorkommen. Unfallursachen für die – in Mitteleuropa nahezu immer stumpfen Bauchtraumata
– sind alterstypische Stürze, Sport- oder Verkehrsunfälle. Als typischer Unfallmechanismus
muss die Lenkerverletzung bei roller- oder fahrradfahrenden Kindern hervorgehoben
werden. Aufgrund der sicherheitsrelevanten Weiterentwicklung des Materials nimmt die
Prävalenz dieses Unfallmechanismus kontinuierlich ab, stellt jedoch mit ca. 20 % nach
wie vor die häufigste isolierte Unfallursache dar. Bei unklaren Unfallmechanismen
müssen nichtakzidentelle Verletzungen im Rahmen von Misshandlungen ausgeschlossen
werden, bei denen in 8 % das Abdomen beteiligt ist [1]. Das Alter der durch Misshandlung intraabdominell verletzten Kinder wird mit 2,5–3,7
Jahren deutlich niedriger angegeben als das der übrigen unfallverletzten Kinder [2].
Die am häufigsten verletzten intraabdominellen Organe sind Milz, Leber und Niere mit
je ca. 30 % [3]. Anatomische Besonderheiten des wachsenden Kindes machen Milz und Leber verletzungsanfälliger
als beim Erwachsenen. Die Organe sind aufgrund ihrer Lage und Größe weniger durch
die Rippen geschützt, häufig besteht ein geringeres Fettpolster und weniger umgebende
Muskulatur. Aufgrund des höheren Flüssigkeitsgehalts kommt es früher zum Bersten der
Organe. Hinzu kommt, dass Vorerkrankungen für eine Verletzung prädisponieren können.
Die Behandlung der isolierten Milz- und Leberverletzungen hat in den letzten 2 Jahrzehnten
einen grundlegenden Paradigmenwechsel erfahren. Unter evidenzbasierten Behandlungsrichtlinien
lässt sich heute ein Großteil der Patienten im Wachstumsalter mit isolierten Milz-
und Leberverletzungen konservativ behandeln, die Mortalitätsrate wurde hierdurch erheblich
gesenkt [4]. Für die Behandlung von mehrfachverletzten Kindern liegen keine Behandlungsrichtlinien
vor, das Vorgehen muss individuell festgelegt werden. Der vorliegende Artikel konzentriert
sich auf das diagnostische Vorgehen sowie die Therapie von isolierten Milz- und Leberverletzungen
im Kindesalter.
Diagnostik
Die primäre Diagnostik bei Verdacht auf Verletzungen von Milz oder Leber richtet sich
nach dem Gesamtverletzungsbild. Findet sich ein hämodynamisch stabiler Patient mit
umschriebenen Verletzungszeichen, stehen die im Folgenden beschriebenen bildgebenden
Verfahren mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen sowie entsprechenden Kontroversen
zur Verfügung [5]. Unabhängig davon ist es unstrittig, dass bei polytraumatisierten Patienten ein
Trauma-Scan (hochauflösende Spiralcomputertomografie) im Rahmen der Notfallversorgung
notwendig ist [6], [7].
Sonografie
Die Sonografie wird typischerweise initial als standardisierte „focused abdominal
sonography for trauma“ (FAST) durchgeführt und erreicht auch beim Kind Spezifitätswerte
bis 99 %, die Sensitivität ist jedoch eingeschränkt. Werte aus veröffentlichten Studien
variieren [8], [9], [10]: Ein systematischer Review mit Metaanalyse ergab eine Sensitivität von 56,5 % [11]. Dies illustriert, dass auch bei fehlender freier intraabdomineller Flüssigkeit
eine Verletzung der parenchymatösen Bauchorgane vorliegen kann. Eine unauffällige
FAST stellt damit kein relevantes Entscheidungskriterium über das weitere Vorgehen
dar [12]. Mit einer vollständigen sonografischen Untersuchung lässt sich die Sensitivitätsrate
auf > 90 % steigern, trotzdem verbleiben falsch-negative Befunde ([Abb. 1 a]), die ausschließlich mit der Computertomografie (CT) korrigiert werden können ([Abb. 1 b]). Höhergradige Verletzungen ([Abb. 1 c]) weisen typischerweise eine deutliche Echogenitätsanhebung auf und eine Klassifikation
analog des CTs kann gelingen ([Abb. 1 d]).
Abb. 1 a bis d Patient A mit zweitgradiger Milzverletzung nach Sturz von einem Klettergerüst. In
der Sonografie (a) zeigte sich ein homogenes Milzparenchym, die Verletzung kommt nicht zur Darstellung,
es konnte jedoch freie Flüssigkeit mit einzelnen Binnenechos dargestellt werden, worauf
die Schnittbildgebung (b) indiziert wurde, bei der die zweitgradige Milzläsion diagnostiziert wurde. Patient
B wurde nach Treppensturz mit der Grad-IV-Läsion vorgestellt. In der Sonografie (c) zeigten sich im Milzhilusbereich eine keilförmige Echogenitätsanhebung sowie reichlich
freie Flüssigkeit mit Binnenechos. Im CT (d) kam der Perfusionsausfall von ca. einem Drittel des Milzparenchyms und das ausgedehnte
Hämatom zur Darstellung.
Der Sensitivitätsunterschied zwischen Sonografie und CT könnte sich in naher Zukunft
unter Verwendung von Kontrastmitteln in der Ultraschalldiagnostik (CEUS – contrast
enhanced ultrasound) egalisieren. Eine aktuelle retrospektive Studie an einem gemischt
pädiatrischen/erwachsenen Kollektiv konnte eine Sensitivität von 99 % aufzeigen [13]. Aktuell ist die Verwendung des Kontrastmittels bei Kindern noch „off label“, die
Forderung nach zeitnahen weiteren Studien und einer „Zusammenarbeit für eine schnelle
Anwendung in der klinischen Praxis“ werden jedoch geäußert [14]. Voraussetzung für eine alleinige sonografische Diagnostik bleibt jedoch die präzise
Klassifikation der Verletzung (s. u.).
Computertomografie
Die CT erreicht bei Leber- und Milzverletzungen Sensitivitätswerte von nahezu 100 %
[15]. Mit dieser Untersuchung lassen sich subkapsuläre Hämatome, parenchymale Blutungen
und Gefäßbeteiligungen sicher differenzieren. Zusätzlich können die intra- und extrahepatischen
Gallenwege der Leber beurteilt werden. Der entscheidende Vorteil der CT liegt in der
kurzen Untersuchungsdauer von nur wenigen Minuten und in der exakten Bestimmung des
Verletzungsgrads ([Tab. 1] und [2]) sowie der damit verbundenen therapeutischen Schlussfolgerungen. Die Indikation
zur CT muss dennoch kritisch gestellt werden, da Kinder aufgrund des höheren Entartungsrisikos
pro Dosis Strahlung generell einem höheren Risiko unterliegen [16], [17]. In diesem Zusammenhang zeigen Daten aus mehreren pädiatrischen Traumazentren der
USA, in denen die CT typischerweise zur Basisdiagnostik beim Abdominaltrauma zählt
[18], eine hohe Rate (bis zu 75 %) an Normalbefunden [5]. Hershkovitz et al. fordern daher, dass CT-Untersuchungen auf Patienten mit passender
Unfallanamnese und symptomatischen Befunden beschränkt werden [19].
Tab. 1 Klassifikation der Milzverletzungen nach der American Association for the Surgery
of Trauma.
Grad
|
Verletzungsmuster
|
I
|
subkapsuläres Hämatom: nicht zunehmend, < 10 % der Oberfläche betreffend Lazeration: Kapseleinriss, nicht blutend, < 1 cm tief
|
II
|
subkapsuläres Hämatom: nicht zunehmend, 10–50 % der Oberfläche betreffend, intraparenchymatös,
< 2 cm Durchmesser Lazeration: Kapseleinriss, blutend, 1–3 cm tief ohne Verletzung von Trabekelgefäßen
|
III
|
subkapsuläres Hämatom: zunehmend, > 50 % der Oberfläche betreffend, aktiv blutend
oder intraparenchymatöses Hämatom, > 2 cm Durchmesser Lazeration: > 3 cm tief oder mit Verletzung von Trabekelgefäßen
|
IV
|
Hämatom: intraparenchymale Ruptur, aktiv blutend Lazeration: segmentale oder hiläre Gefäßdestruktion mit ausgedehnter Devaskularisation
(> 25 % der Milz)
|
V
|
Lazeration: vollständige Destruktion der Milz Gefäße: Verletzung der Hilusgefäße mit Devaskularisation der Milz
|
Tab. 2 Klassifikation der Leberverletzungen nach der American Association for the Surgery
of Trauma.
Grad
|
Verletzungsmuster
|
I
|
subkapsuläres Hämatom: stationär, < 10 % der Oberfläche betroffen Lazeration: Kapseldefekt, stationär, nicht blutend, < 1 cm Parenchymtiefe
|
II
|
subkapsuläres Hämatom: stationär, intraparenchymatös, 10–50 % der Oberfläche betroffen,<2 cm
Durchmesser Lazeration: Kapseldefekt, blutend, 1–3 cm Parenchymtiefe, 2–10 cm Länge
|
III
|
subkapsuläres Hämatom: > 50 % der Oberfläche betroffen oder rupturiertes subkapsuläres
Hämatom, aktiv blutend, intraparenchymatöses Hämatom > 2 cm oder rasch zunehmend Lazeration: > 3 cm Parenchymtiefe
|
IV
|
Hämatom: rupturiertes intraparenchymatöses, frisch blutendes Hämatom Lazeration: Parenchymriss 25–50 % eines Leberlappens
|
V
|
Lazeration: Parenchymriss > 50 % eines Leberlappens vaskulär: juxtahepatische Venenverletzung der retrohepatischen V. cava inferior oder
großer Lebervenen
|
VI
|
vaskulär: Leberzerreißung
|
Tab. 3 Empfohlene Richtlinien zur Ressourcenauslastung bei isolierten Milz- und Leberverletzungen
bei Kindern [31].
Verletzungsgrad im CT
|
I
|
II
|
III
|
IV
|
Tage auf Intensivstation
|
keiner
|
keiner
|
keiner
|
1
|
Krankenhausaufenthaltsdauer (Tage)
|
2
|
3
|
4
|
5
|
Bildgebung vor Entlassung
|
keine
|
keine
|
keine
|
keine
|
Bildgebung nach Entlassung
|
keine
|
keine
|
keine
|
keine
|
Sportkarenz in Wochen
|
3
|
4
|
5
|
6
|
Idealerweise sollten CT-Untersuchungen bei Kindern mit gewichtsadaptierten Low-Dose-Protokollen
angefertigt werden, um eine maximale Dosisreduktion zu erzielen [20], [21]. Hierbei finden heutzutage monophasische Kontrastmittel-Multislice-Spiral-CT-Untersuchungen
Anwendung, die durch eine initial langsame Kontrastmittelinfusion zur Aufsättigung
charakterisiert sind, gefolgt von einer 2. schnellen Kontrastmittelgabe. Damit können
die verschiedenen Gewebearten gleichermaßen kontrastiert und gleichzeitig Gefäßstrukturen
in einer einzigen Untersuchungssequenz abgebildet werden. Trotz Dosismodulationsprogrammen
ist die Strahlenbelastung ca. 100–300-mal höher als bei einer konventionellen Röntgen-Abdomen-Untersuchung.
Labordiagnostik
Der entscheidende Laborparameter in der Notfalldiagnostik ist das Hämoglobin. Neben
dem Vorteil seiner einfachen Bestimmbarkeit spielt er als Verlaufsparameter eine bedeutende
Rolle in der Therapie. Der Hämatokritwert lässt Rückschlüsse auf Verdünnungseffekte
zu. Als spezifische Parameter gelten die Leberenzyme Glutamat-Oxalacetat-Transaminase
(GOT) und Glutamat-Pyruvat-Transaminase (GPT). Ihre Erhöhung auf Werte > 400 U/l für
die GOT und > 250 U/l für die GPT korrelieren mit der Verletzungsschwere der Leber,
die bei den angegebenen Grenzwerten auch bildmorphologisch in der CT zu finden ist
[22]. Somit kann die Labordiagnostik bei der Indikationsstellung zur CT helfen, darüber
hinaus dienen die Transaminasen als wichtiger Verlaufsparameter. Weitere zu bestimmende
Parameter sind direktes und indirektes Bilirubin, Gamma-Glutamyl-Transferase (GGT)
und alkalische Phosphatase (AP). Für die Milz gibt es keine spezifischen Parameter.
Weitere diagnostische Verfahren
Die Magnetresonanztomografie (MRT) ist aufgrund des hohen Zeitaufwands und der Notwendigkeit
einer Narkose, um Bewegungsartefakte zu reduzieren, in der Notfallsituation problematisch
[23]. Sie kann jedoch sekundär in ausgewählten Fällen zur Klärung von spezifischen Fragestellungen
zum Einsatz kommen. So eignet sich die Magnetresonanz-Cholangiopankreatikografie (MRCP)
zur Darstellung der Gallenwege bei Verdacht auf Verletzung derselben. Unter Verwendung
eines hochspezifischen MR-Kontrastmittels (Primovist®, Dinatriumgadoxetat, Bayer Vital
GmbH, Leverkusen), welches zu 30 % von den Hepatozyten aufgenommen und zur Hälfte
biliär ausgeschieden wird, ist eine noch bessere Abgrenzung der Gallenstrukturen im
Vergleich zur herkömmlichen MRCP möglich [24]. Neben den rein bildgebenden Verfahren bietet die endoskopisch-retrograde Cholangiopankreatikografie
(ERCP) zusätzlich die Möglichkeit interventioneller Eingriffe inklusive des Stentings
verletzter Gangstrukturen. Im Kindesalter ist hierfür allerdings eine Narkose obligat
und die Verfügbarkeit von kindgerechten Geräten ist in vielen Häusern begrenzt.
Die diagnostische Peritoneallavage ist den bildgebenden Verfahren schon durch die
Tatsache unterlegen, dass sie eine Verletzung nicht direkt einem Organ zuordnen kann.
Weiter ist sie invasiv, benötigt eine Narkose und besitzt ein Verletzungsrisiko für
intraabdominelle Strukturen. Zuletzt ist sie nicht entscheidend für das therapeutische
Vorgehen und findet deshalb heute praktisch keinerlei Anwendung mehr. Gleiches trifft
für die diagnostische Laparoskopie zu, die in den bestehenden Kompressionsmechanismus
der intakten Bauchdecke eingreift und damit die Grundlage einer konservativen Therapie
zerstört. Das Etablieren einer laparoskopischen Übersicht auf ein verletztes Organ
während einer hämodynamisch relevanten Blutung ist zudem technisch nur schwer vorstellbar.
Dennoch favorisieren einige Autoren die explorative Laparoskopie bei hämodynamisch
stabilen Patienten [25] und sehen auch therapeutische Interventionsmöglichkeiten [26], die allerdings im Konflikt zu den evidenzbasierten Behandlungsrichtlinien hämodynamisch
stabiler Patienten stehen. Somit dürfte die Laparoskopie beim Kind mit adominellen
Verletzungen nur speziellen Situationen wie der Darm- oder Pankreasruptur oder im
Einzelfall bei penetrierenden Verletzungen vorbehalten sein.
Nicht operatives Management bei Milz- und Leberverletzungen
Nicht operatives Management bei Milz- und Leberverletzungen
Die Therapie von Milz- und Leberverletzungen im Kindesalter hat einen grundlegenden
Paradigmenwechsel erfahren. So erkannte Wansborough aus dem Kinderkrankenhaus Toronto
bereits in den 1940er-Jahren, dass eine Milzverletzung keine absolute Indikation zur
Splenektomie darstellt und eine intraabdominelle Blutung bei geschlossener Bauchdecke
durch Selbstkompression sistieren kann. Die Erstbeschreibung einer erfolgreichen konservativen
Therapie von Milzrupturen bei 12 Kindern erfolgte im Jahre 1968 von Simpson [27]. Über 4 Jahrzehnte hat sich seither ein gravierender Therapiewandel vollzogen und
den Begriff des „non-operative management“ (NOM) nunmehr für alle verletzten parenchymatösen
Bauchorgane geprägt. Für Milz- und Leberverletzungen erschienen zahlreiche Publikationen
mit steigenden Prozentzahlen für konservative Behandlungen, am deutlichsten in den
designierten amerikanischen „Kindertraumazentren“ [28], [29]. Evidenzbasierte Daten lieferten schlussendlich Stylianos et al. 2000 [30]. Die Autoren evaluierten zunächst in einer Multicenterstudie den Ist-Status der
Behandlung. Aus der Analyse der Ergebnisse etablierten sie Behandlungsrichtlinien,
deren Wirksamkeit sie im Weiteren beweisen konnten [31]. Dieses in der Kindermedizin etablierte Vorgehen hat inzwischen auch in der Erwachsenentraumatologie
Einzug gehalten [32], [33], [34], [35].
Grundvoraussetzung für die Entscheidung zur konservativen Therapie ist einerseits
eine erhaltene Restperfusion des verletzten Organs und andererseits ein hämodynamisch
stabiler Patient. Somit können grundsätzlich nur Milz-/Leberverletzungen Grad I–IV
nach der amerikanischen OIS konservativ behandelt werden. Komplette Devaskularisationen
oder Gefäßstielabrisse (OIS > IV, [Tab. 1] und [2]) müssen operativ versorgt werden. Die hämodynamische Stabilität des Patienten wird
durch Infusionstherapie, Katecholamingaben und die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten
erreicht, bezüglich derer nur Empfehlungen, allerdings keine definierten Leitlinien
existieren. Nach diesen Empfehlungen sollte die Transfusionsmenge 25 ml/kg Körpergewicht
innerhalb der ersten 2 Stunden oder 40 ml/kg Körpergewicht innerhalb der ersten 24
Stunden nicht überschreiten. Blutdruck und Puls sind kontinuierlich, der Hämoglobinwert
engmaschig zu kontrollieren. Sonografische Kontrollen, um Verlaufsdynamiken freier
intraabdomineller Flüssigkeiten zu beurteilen, sollten posttraumatisch in kurzen Abständen
(empfohlen werden 4- bis 6-stündliche Abstände) durchgeführt werden. Im weiteren Verlauf
sind bildgebende Kontrollen nur bei Änderung der klinischen Symptomatik erforderlich.
Abgerundet wird das nichtoperative Vorgehen durch Bettruhe und initiale Nahrungskarenz
bis zur sicheren Stabilisation des Kreislaufzustands. Stylianos inkludierte in seine
Veröffentlichungen von 2002 und 2005 konkrete Empfehlungen ([Tab. 3]) zum konservativen Management bez. der Notwendigkeit eines Aufenthalts auf Intensivstation,
der Dauer des Krankenhausaufenthalts und des Sportverbots [4], [31]. Jüngere prospektive Studien legen nahe, dass die empfohlene Liegedauer und Immobilisation
weiter verkürzt werden kann [36]. Inwieweit diese Erfahrungen aus dem amerikanischen Umfeld in Mitteleuropa mit anderen
poststationären Gegebenheiten umsetzbar ist, muss noch evaluiert werden.
Ein Parameter für die Erfolgswahrscheinlichkeit der konservativen Therapie existiert
bei Kindern nicht. In der Erwachsenenliteratur finden sich Hinweise, dass ein „contrast
blush“, eine Ansammlung von Kontrastmittel innerhalb oder in der Umgebung des verletzen
Organs, die Wahrscheinlichkeit für das Versagen des NOM erhöht [37]. Bei Kindern konnte sich dieser prognostische Faktor nicht bestätigen [38], [39].
Die Komplikationsrate bei der konservativen Therapie von Milz- und Leberverletzungen
ist niedrig. Bei der gelegentlich auftretenden Superinfektion von Hämatomen ist i. d. R. eine
antibiotische Therapie ausreichend. In Einzelfällen ist die CT-gesteuerte Anlage einer
Abszessdränage indiziert. Im Falle eines unserer Patienten wurden nach primär komplikationsloser
NOM der Milzruptur bei Fieber, Schmerzen und erhöhten Entzündungsparametern 850 ml
Sekret dräniert. Des Weiteren ist die Ausbildung von Pseudoaneurysmata bekannt, die
Inzidenz ist mit 5,4 % bei der Milz und 1,7 % bei der Leber beschrieben und typischerweise
liegen Verletzungen Grad III oder höher vor [40]. Diese Phänomene verursachen i. d. R. keine Beschwerden und fallen in elektiven
Verlaufsbildgebungen auf ([Abb. 2]). In der Erwachsenenliteratur finden sich Berichte von erfolgreichen Embolisationen
dieser posttraumatischen Pseudoaneurysmata [41]. Bei Kindern scheint die Rate an Spontanremissionen jedoch höher und die Wahrscheinlichkeit
einer Blutungskomplikation niedriger als beim Erwachsenen zu sein, sodass die Notwendigkeit
einer elektiven Embolisation infrage gestellt werden muss [42]. Die typischerweise asymptomatischen und selbstlimitierenden Verläufe dieser Bildbefunde
haben die Diskussion über den Sinn von bildgebenden Nachuntersuchungen entfacht. Ihre
Notwendigkeit wird kontrovers diskutiert [40], [43]. Zweizeitige bzw. verzögerte Verletzungen, die Bildung von Pseudoaneurysmata sowie
die posttraumatische Splenose (Streuung von Milzgewebe mit Implantation in atypischer
Lage) sind häufig die Rechtfertigungsgründe für eine Verlaufsbildgebung. Wie oben
beschrieben, sind beim Nachweis von Pseudoaneurysmata wie auch bei Splenosen keine
therapeutischen Konsequenzen erforderlich. Huebner et al. werteten die Daten von 1083
Kindern aus und fanden keine zweizeitige Ruptur. Sie folgerten, dass die Inzidenz
extrem niedrig sei und keine Rechtfertigung für Routinescreenings darstellen [44]. Stylianos schloss sich dieser Empfehlung an und empfahl keine Routinekontrollen
nach Krankenhausentlassung ([Tab. 3]) [31]. Bei Patienten, die posttraumatisch über eine Beschwerdesymptomatik klagen, ist
– unabhängig vom Zeitpunkt – eine gezielte Diagnostik durchzuführen.
Abb. 2 a bis c Die 6-jährige Patientin nach Pferdesturz entwickelte im Rahmen der konservativen
Therapie ein Pseudoaneurysma der Lebersegmentarterie VII, welches sowohl sonografisch
(a) als auch in der axialen (b) und koronaren (c) CT zur Darstellung kommt. Der Befund wurde ausschließlich sonografisch kontrolliert
und bildete sich innerhalb von 3 Monaten spontan zurück.
Operative Therapie
Milz
Das Versagen des NOM, bedingt durch die hämodynamische Dekompensation des Patienten,
offenbart sich meist innerhalb von 24 Stunden nach Trauma. Im gemeinsamen Patientenkollektiv
von Tübingen und Karlsruhe finden sich 61 Patienten mit Milzruptur ([Tab. 4]; 2005 bis 2014). Hiervon bedurften 7 Patienten einer operativen Therapie. Die hämodynamische
Instabilität zeigte sich bei 1 Patienten bereits im Schockraum, bei 3 Patienten innerhalb
der ersten 6 Stunden und bei weiteren 6 Patienten innerhalb der ersten 24 Stunden.
Spätere Dekompensationen durch eine zweizeitige Ruptur sind selten. Das häufig beschriebene
Phänomen tritt in der Realität aufgrund der stabileren Organkapsel bei Kindern sehr
selten auf.
Tab. 4 Gemeinsames Patientenkollektiv der Zentren Tübingen und Karlsruhe 2005–2014.
|
Milzverletzungen
|
Leberverletzungen
|
Anzahl
|
61
|
49
|
davon polytraumatisierte Patienten
|
15
|
15
|
Unfallursache
|
|
|
Verkehrsunfälle Fahrradsturz Sturz aus großer Höhe Pferdetritt andere
|
16 14 10 2 19
|
11 10 9 6 13
|
Organ Injury Scale (OIS)
|
|
|
I II III IV
|
5 20 21 15
|
4 12 18 15
|
nicht operatives Management (NOM)
|
54 (88 %)
|
46 (94 %)
|
Interventionen
|
Splenektomie n = 4 Teilsplenektomie n = 2 Kapselnaht n = 1
|
Initial Packing, dann Blutstillung Leberoberfläche bei Second Look n = 2 sekundäre Hemihepatektomie bei Ruptur des Ductus hepaticus dexter n = 1
|
Komplikationen
|
Abszess n = 1
|
Pseudoaneurysma n = 1
|
Ist die operative Revision bei einer Milzverletzung unumgänglich, müssen 2 Gefäßversorgungstypen
der Milz unterschieden werden: Der Bifurkationstyp kommt mit 84 % am häufigsten vor,
der Trifurkationstyp wird mit 16 % angegeben. Es ist zu beachten, dass aus den 2 oder
3 Aufzweigungen der A. lienalis insgesamt 6 Endarterien hervorgehen, die funktionell
für die Versorgung eines jeweils zugehörigen Milzsegments verantwortlich sind und
somit eine Teilresektion möglich machen. Im Falle zentraler Gefäßligaturen kann die
Perfusion durch meist vorhandene Oberpolgefäße oder Gefäße aus dem Omentum minor aufrechterhalten
bleiben [3].
Bei oberflächlichen Einrissen – ob solitär oder multipel – ist nach Verfügbarkeit
die Anwendung von Nd-YAG- oder Infrarotlasern, Hämostyptika oder Tissucol-Gewebekleber
denkbar. Weiter können Kaspelnähte durchgeführt werden oder ein komprimierendes Vicrylnetz
(„mesh wrapping“) appliziert werden. Bei multiplen tiefen Einrissen sollte über mehrere
Segmentresektionen das Belassen einer Restmilz von mindestens 20–30 % der ursprünglichen
Organgröße angestrebt werden, um eine ausreichende Milzfunktion zu gewährleisten [3]. Erneut illustrieren die eigenen Daten ([Tab. 4]), dass situationsbedingt ein Verbluten des Patienten in letzter Instanz nur durch
die Organentnahme/Splenektomie als „Ultima Ratio“ zu verhindern ist. Von den o. g.
7 Patienten, die trotz aller Stabilisierungsmaßnahmen hämodynamisch instabil blieben
bzw. wurden, konnte eine milzerhaltende Therapie nur in 3 Fällen durch Kapselnaht
(n = 1) und Teilsplenektomie (n = 2) realisiert werden.
Nach posttraumatischer Splenektomie ist das Risiko eines OPSI-Syndroms („overwhelming
post-splenectomy infection“) 50-fach erhöht, wobei die Gefahr bei den unter 2-jährigen
Patienten als nochmals höher eingeschätzt wird [34]. Ein letaler Ausgang dieser durch Haemophilus influenzae, Neisseria meningitides, Pneumokokken oder andere Erreger ausgelösten Sepsiserscheinung wird mit 50–80 %
angegeben. 70 % aller OPSI treten innerhalb der ersten 2–3 Jahre nach Splenektomie
auf, daher ist eine Pneumokokken-, Meningokokken- und Haemophilusimpfung nach 2–4
Wochen sowie eine orale antibiotische Prophylaxe mit Penicillin V über 3 Jahre obligat
[45]. Eine etwaige Autotransplantation von Milzgewebe scheint eine gewisse Erholung der
Milzfunktionen möglich zu machen, aber weder die Filter- noch die immunologische Funktion
kann komplett wiederhergestellt werden [46], [47].
Um die Rate an erfolgreich organerhaltend behandelten Patienten weiter zu steigern
und somit die immunologische Organfunktion zu erhalten, wurde das Therapiespektrum
um die selektive interventionelle Angioembolisation erweitert. In der Erwachsenenmedizin
ist die Methode inzwischen verbreitet, die Kriterien für ihre Indikation sind jedoch
nicht einheitlich. Sie wird als Alternative zum NOM beschrieben [48], bei Verletzungen > Grad III nach OIS [49], [50] sowie bei Pseudoaneurysmata oder AV-Fisteln [51]. Bei Kindern ist das Verfahren beschrieben, die Veröffentlichungen sind Erfahrungsberichte
aus einzelnen Kohorten. Auch in diesen Berichten variieren die Vorgehensweisen bez.
der Indikationsstellung: Teilweise wurde eine Embolisation primär bei in der CT sichtbarem
Kontrastmittelaustritt indiziert [52], [53], teilweise erfolgte sie sekundär bei kontinuierlicher Blutung [54], [55]. Technisch erfolgt überwiegend die selektive Embolisation der proximalen Milzarterie.
Zur Anwendung kommen sowohl Coils (Tornado coils, VortX platinum coils) als auch resorbierbare
Gelatineschwämme (absorbable gelatin sponge torpedoes or slurry). Der Rehabilitationsprozess
von embolisierten Patienten unterscheidet sich von rein konservativ behandelten Patienten.
Ben-Ishay beschrieb ein Postembolisationssyndrom mit im Verlauf auftretender Leukozytose,
Fieber und Bauchschmerzsymptomatik. Die Symptome zeigten sich selbstlimitierend, verlängerten
jedoch den Aufenthalt auf Intensivstation sowie im Krankenhaus im Vergleich zu Patienten
mit NOM [54]. Die immunologische Funktion nach Embolisation scheint erhalten, sodass keine Immunisierung
durchgeführt werden muss [53], [56]. Zusammenfassend legen die wenigen vorhandenen Daten nahe, dass die Angioembolisation
die Erfolgsrate des NOM auch bei Kindern weiter steigern kann. Die Technik sollte
Bestandteil einer interdisziplinären Versorgung von pädiatrischen Patienten sein [57].
Leber
Bei parenchymatösen Leberverletzungen ist die Indikation zur notfallmäßigen operativen
Therapie – wie oben beschrieben – die hämodynamische Instabilität des Patienten. Grundsätzlich
sind die oben beschriebenen operativen Techniken zur Blutstillung auch im Bereich
der Leber gültig. Darüber hinaus stellt die primäre chirurgische Rekonstruktion bei
Leber- und Gallenwegsverletzungen nicht die Therapie der ersten Wahl dar, da sie oft
mit langen Operationszeiten, einem hohen Blutverlust und daraus resultierenden Massentransfusionen
einhergeht. Es resultieren Hypothermie, Koagulopathie und Azidose, welche Morbidität
und Mortalität deutlich erhöhen. Ziel ist stattdessen die Umsetzung eines multidisziplinären
patientenorientierten Therapieplans. Im 1. Schritt („damage control surgery“) wird
eine verkürzte explorative Laparotomie durchgeführt, um die massive Parenchymblutung
in der Technik des „abdominal packing“ zu stoppen. Lässt sich der Kreislauf des Patienten
hiermit stabilisieren, so schließt sich eine 2. Phase der intensivmedizinischen Therapie
an. Es wird die Normothermie wiederhergestellt, Gerinnungsfaktoren substituiert und
die Sauerstoffsättigung so optimiert, dass eine 2. Operation zur definitiven Rekonstruktion
der intraabdominellen Verletzung geplant werden kann. In dieser Phase kann zuvor über
den Einsatz der angiografischen Embolisation sowie über endoskopische Verfahren und
Stentungen nachgedacht werden. Meist schließt sich die 3. Phase im Sinne einer Second-Look-Operation
an, in welcher die definitive chirurgische Rekonstruktion von Gefäß- oder Parenchymverletzungen
realisiert wird.
Die Leberchirurgie ist aufgrund der arteriellen und portalvenösen Blutversorgung sowie
Galleableitung generell höchst anspruchsvoll und inkludiert – auch nach Verletzungen
– alle anatomischen Resektionsverfahren sowie vaskulären Rekonstruktionen. Voraussetzung
für jede Resektion ist eine vollständige Mobilisation der Leber mit Durchtrennung
des Lig. triangulare sinistrum et dextrum, Lig. teres hepatis und Lig. falciforme,
um eine ausreichende Übersicht zu gewinnen. Zur Vermeidung eines intraoperativen Verblutens
muss das Pringle-Manöver sowie die totale vaskuläre Isolation (Tourniquet der supra-
und infrahepatischen V. cava) beherrscht werden. Zuletzt kann der Einsatz der Herz-Lungen-Maschine
notwendig werden, unter welcher eine Organexplantation mit Ex-situ-Rekonstruktion
von Gefäßen und nachfolgender Organreplantation durchgeführt werden kann. Ultima Ratio
ist die Hepatektomie mit Anlage eines portokavalen Shunts und sekundärer Lebertransplantation
[58].
Verletzungen der Gallenblase und der extrahepatischen Gallengänge bedürfen der notfallmäßigen
individuellen Therapie, da sie quasi immer im Rahmen von Mehrfachverletzungen mit
Leber-, Portalvenen- und/oder Duodenalverletzungen vorkommen. Sie können vereinzelt
aber auch beim hämodynamisch stabilen Patienten sekundär durch Zunahme der intraperitonealen
freien Flüssigkeit diagnostiziert werden. Gallenblasenperforationen werden mittels
Cholezystektomie behandelt. Bei Läsionen der extrahepatischen Gallengänge besteht
die Möglichkeit der primären Rekonstruktion oder der Anlage einer biliodigestiven
Anastomose. In Einzelfällen kann eine temporäre externe Dränage und Nahrungskarenz
zu einem Spontanverschluss eines Leckes aus dem Ductus hepaticus dexter führen [59]. In einem Fall aus dem eigenen Kollektiv konnte eine interventionell-radiologische
Stenteinlage eine Leckage nicht abdichten. Bei komplettem Zerbersten des Ductus hepaticus
dexter ([Abb. 3]) war letztendlich nur eine Hemihepatektomie möglich – wie sie üblicherweise auch
bei Rupturen des linken Hauptgallengangs, zentralen intraparenchymatösen Gangverletzungen
oder ausgeprägten parenchymatösen Lebergewebezerstörungen indiziert ist. In Erwachsenenkollektiven
wird die Inzidenz von therapiebedürftigen Gallenleckagen nach stumpfer Leberverletzung
mit ca. 5 % beschrieben. Hierbei stellt die ERCP die Therapie der Wahl dar, die neben
der Stenteinlage eine Papillotomie inkludiert [60]. Bei Kindern berichteten Kulaylat et al. über ein erfolgreiches Stenting in 11 Fällen,
allerdings mit gleichzeitiger laparoskopischer Dränageneinlage. Der Gallefluss sistierte
nach durchschnittlich 3 Tagen [61].
Abb. 3 Intraoperatives Bild eines 7-jährigen Jungen nach Lenkertrauma im Rahmen eines Fahrradsturzes.
Der Junge war allzeit hämodynamisch stabil gewesen, Bluttransfusionen waren nicht
notwendig. In den Kontrollsonografien fiel eine stetig zunehmende Menge an freier
Flüssigkeit auf. Zugrundeliegend war die Ruptur des Ductus hepaticus dexter.
Zusammenfassung
Verletzungen von Milz und Leber im Kindesalter weisen eine hohe Variation in Unfallursachen
sowie Verletzungsschwere auf und erfordern einen komplexen diagnostischen und therapeutischen
Algorithmus. Die konservative Therapie von Milz- und Leberverletzungen ist etabliert,
bei höhergradigen Verletzungen, hämodynamisch instabilen Patienten und bei Vorliegen
von Begleitverletzungen ist eine operative Therapie jedoch ggf. notwendig. Die Evaluation,
Diagnostik und Therapie von verletzten Kindern sollte interdisziplinär in einem ausgewiesenen
kindertraumatologischen Zentrum erfolgen. Die Ergebnisse in einem pädiatrischen Traumazentrum
sind nachweislich besser [62], [63], [64]. Gestützt wird diese Aussage durch die Tatsache, dass in randomisierten Umfragen
Kenntnisse zu den aktuellen evidenzbasierten Therapierichtlinien im Kindesalter in
deutlicher Überzahl verneint werden [62]. Innerhalb des pädiatrischen Traumateams muss ein Spezialist für Kinderunfälle zur
Verfügung stehen, der die anatomischen Besonderheiten und typischen Unfallmechanismen
kennt, der differenziert Diagnostik anweisen kann und der über das operative Spektrum
zur Versorgung eines verblutenden Patienten genauso verfügt wie über das der rekonstruktiven
Leberchirurgie.