Schlüsselwörter
Stammzellen - Tissue Engineering - Knochen - Knorpel
Key words
stem cells - tissue engineering - bone - cartilage
Einleitung
Muskuloskeletale Erkrankungen stellen die weltweit häufigste Ursache chronischer Schmerzen
und dauerhafter Behinderungen dar. Sie betreffen hunderte Millionen Patienten und
ihr medizinisches und sozioökonomisches Ausmaß ist enorm. Während bei älteren Patienten
degenerative Erkrankungen die wesentliche Krankheitslast ausmachen, führen bei den
jungen Patienten in erster Linie die Folgen von Unfällen und Verletzungen zu dauerhaften
Behinderungen, Funktionsausfällen und zu Erwerbsunfähigkeit. Um dem steigenden Bedarf
in der Patientenversorgung nicht nur medizinisch, sondern auch
wissenschaftlich gegenüberzutreten, wurde das vergangene Jahrzehnt zur „Decade of
the Bone and Joint“ ernannt [1]. Nicht zuletzt dadurch hat das Forschungsinteresse in diesem Bereich über die letzten
Jahre hinweg stark zugenommen. Obwohl diese Dekade seit 2010 offiziell vorüber ist,
setzt sich dieser Trend weiter fort, und immer mehr Arbeitsgruppen widmen sich der
Grundlagenforschung im Bereich der muskuloskeletalen Erkrankungen [2].
Heutzutage bietet das neu geschaffene Feld der regenerativen Medizin vielversprechende
Lösungsansätze zur Behandlung von Problemen, die durch den Substanz- oder Funktionsverlust
des Stütz- und Bewegungsapparats entstehen [3]. Im Rahmen des sog. „Tissue Engineering“, also der In-vitro-Züchtung von biologischem
Organ- oder Gewebeersatz zur späteren Implantation, wird häufig vom sog. „Triangle
Concept“ gesprochen. Dieser Begriff bezeichnet die Kombination der 3 Grundfaktoren
des Tissue Engineering, also einem Trägermaterial (oder „Scaffold“), mehreren
Wachstumsfaktoren und den Stammzellen. Daneben wird auch die alleinige Anwendung von
stammzellhaltigen Zellsuspensionen, Knochenmarkkonzentrationen oder isolierten und
aufgereinigten Stammzellen zunehmend experimentell untersucht.
Die verschiedenen Stammzelltypen
Die verschiedenen Stammzelltypen
Der Begriff „Stammzelle“ umfasst mehrere Arten von Zellen, die aus unterschiedlichen
Herkunftsgeweben stammen und bez. ihres regenerativen Potenzials variieren. Daher
ist eine genauere Definition dieses Begriffs sowie die Vorstellung der Eigenschaften
und Grenzen der unterschiedlichen Zelltypen, die unter diesem Begriff zusammengefasst
werden, notwendig [4].
Mesenchymale Stammzellen (MSCs)
Die Regeneration aller Gewebe des Stütz- und Bewegungsapparats geht von einem gemeinsamen
Pool an Vorläufer- oder Stammzellen aus. Gemäß ihrem Herkunftsgewebe und ihrem Potenzial
zur Differenzierung in verschiedene Gewebearten wurden diese Zellen mit verschiedenen
Bezeichnungen versehen. Alle verwendeten Bezeichnungen, wie z. B. „Bone marrow derived
stem cells“ (BMSCs), „postnatale skeletale Stammzellen“ (SSCs), „mesenchymale Stammzellen“,
„marrow stromal cells“ (MSCs) oder „multipotente adulte Vorläuferzellen“ [5], [6],
beschreiben Zellpopulationen, die einander zwar sehr ähnlich, aber dennoch nicht identisch
sind. Daher muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass es „die“ Stammzelle des
Bewegungsapparats nicht gibt und dass alle adulten Stammzellpopulationen stets multiklonale
Mischkulturen sind, die sich merklich voneinander unterscheiden [7].
Die mesenchymalen Stammzellen wurden erstmals im Jahre 1966 von Friedenstein et al.
in einem Isolat aus dem Knochenmark von Ratten identifiziert. In diesem Isolat fanden
die Forscher Zellen, welche sich anhaltend vermehren konnten und sich zu knochenbildenden
Zellen differenzieren ließen [8]. Doch die MSCs verfügen über weitere Eigenschaften, die sie zu einem interessanten
Forschungsobjekt im Bereich der regenerativen Medizin machen [9]. So lassen sie sich bspw. unter definierten Bedingungen in verschiedene Gewebearten
differenzieren, darunter Knochen, Fett, Knorpel, Bindegewebe und Muskulatur [10], [11], sind aber als multipotente Zellen in ihrer Differenzierung bereits weitgehend (jedoch
vermutlich nicht exklusiv) auf mesenchymale Gewebe festgelegt. Sie kommen im Stroma
fast aller Gewebe sowie im peripheren Blut vor, jedoch werden sie hauptsächlich aus
dem Knochenmark isoliert. Obwohl sie im Knochenmark nur einen sehr geringen Anteil
der kernhaltigen Zellen ausmachen (0,01–0,001 %), können sie dank ihrer Adhärenz an
Zellkulturplastik, ihrer Fähigkeit zur Selbsterneuerung und ihrer proliferativen Aktivität
relativ einfach und mit hoher Effizienz isoliert und expandiert werden. MSCs unterliegen
zumindest in Kultur einer „Seneszenz“, da ihre Proliferation nach einigen Passagen
zum Erliegen kommt und sie nach protrahierter Kultur ihre Differenzierungsfähigkeit
verlieren.
Um MSCs von anderen Stromazellen und von hämatopoetischen Stammzellen des Knochenmarkes
sicher unterscheiden zu können, wurden verschiedene Oberflächenmarker (sog. „Clusters
of Differentiation“, CDs) definiert. MSCs fehlt der hämatopoetische Marker „Protein
Tyrosin Phosphatase Rezeptor Typ C“ (PTPRC, CD45), sie weisen jedoch das, ebenfalls
mit dem Endothelgewebe assoziierte, „Interzelluläre Adhäsionsmolekül 1“ (ICAM-1, CD54)
sowie das aktivierte „Leukozyten-Zell-Adhäsionsmolekül“ (ALCAM, CD166) [12] und den Wachstumsfaktorrezeptor „Endoglin“
(CD105) auf [13]. Weitere typische Oberflächenmarker sind u. a. CD29, CD44, CD73 und CD90. Diese
Marker sind so spezifisch, dass einige von ihnen, neben der Plastikadhärenz und der
Differenzierbarkeit, zu den „Minimalanforderungen“ an MSCs gezählt werden [14]. MSCs verfügen außerdem über die Fähigkeit, Zellen des Immunsystems zu regulieren
und auf diese Weise die Immunantwort lokal zu unterdrücken [15]. Sie verfügen über die Rezeptoren für zahlreiche Zytokine und können mit anderen
Zellen des
Immunsystems parakrin kommunizieren [16]. Diese Eigenschaft ermöglicht nicht nur ihren Einsatz als Therapeutikum bei Autoimmunerkrankungen,
sondern ist auch von besonderer Bedeutung für die Frakturheilung, wo erst durch das
Einwandern von MSCs die inflammatorische Phase in die regenerative Phase übergehen
kann [17], [18].
Embryonale Stammzellen (ESCs)
MSCs bleiben, wenn auch in abnehmender Zahl, im Organismus lebenslang verfügbar und
werden daher als „adulte“ Stammzellen bezeichnet. Ihnen gegenüber stehen die embryonalen
Stammzellen (ESCs). Die pluripotenten oder gar omnipotenten ESCs wurden erstmalig
1981 aus Mausembryonen gewonnen. Im Jahre 1998 wurden sie dann erstmals aus menschlichen
Embryonen isoliert. Die ESCs sind in ihrer Differenzierung noch nicht festgelegt und
können sich noch in die 3 Zellschichten Ektoderm, Mesoderm und Endoderm differenzieren
[19], [20].
Sie proliferieren ohne Anzeichen einer Zellalterung und sind damit in Kultur quasi
„unsterblich“. Auch für ESCs wurden, neben ihrer Herkunft sowie ihrer Proliferations-
und Differenzierungskapazität, bestimmte Oberflächenmarker (SSEA3, SEA4, TRA-1–60,
TRA-1–81 und ALP) als typische Erkennungsmerkmale definiert [20]. Dank dieser Eigenschaften stellen die ESCs einen vielversprechenden Zelltyp für
die Anwendung in der gesamten regenerativen Medizin dar. Ihr Einsatz ist somit nicht
auf den muskuloskeletalen Bereich beschränkt. Ihrer klinischen
Anwendung stehen jedoch hauptsächlich juristische Probleme und ethische Vorbehalte
gegen ihre Herkunft und ihre Herstellung aus potenziell implantierbaren und lebensfähigen
menschlichen Embryonen im Wege. Zudem ist ein autologer Zelltransfer auf potenzielle
Patienten unmöglich, da die Zellen in der frühesten Embryonalphase gewonnen werden
müssen. Ein allogener Transfer birgt jedoch die aus der hämatopoetischen Stammzelltransplantation
bekannten Schwierigkeiten bez. der Immunkompatibilität. Aktuell sind weitere Bemühungen
zur Stabilisierung des Phänotyps von differenzierten
ESCs notwendig, um das Risiko einer ungesteuerten De- und Redifferenzierung mit Bildung
von Teratomen und malignen Tumoren weiter zu minimieren.
Induzierte pluripotente Stammzellen (iPSCs)
Die phänotypische Stabilität einer differenzierten Zelle im Organismus ist i. d. R. sehr
hoch, aber dennoch nicht endgültig. Im Jahr 2006 gelang es erstmals, einen adulten
Mausfibroblasten mittels spezifischer Transkriptionsfaktoren in Kultur auf das Stadium
der Pluripotenz „zurückzusetzen“ [21]. Die so erzeugten Zellen haben als „induzierte pluripotente Stammzellen“ (iPSCs)
seither sehr großes Forschungsinteresse geweckt. Kurze Zeit später konnte das Verfahren
in modifizierter Form auch auf humane Zellen übertragen werden [22]. Die auf diese Art und Weise generierten iPSCs besitzen die typischen Oberflächenmerkmale
von ESCs. Im Gegensatz zu letzteren können iPSCs jedoch patientenspezifisch, also
autolog, generiert werden. Zudem ist die Entnahme der Ausgangszellen unkompliziert
und ethisch kaum bedenklich. Inwieweit funktionelle Unterschiede zwischen beiden Zelltypen
bestehen, wird aktuell noch untersucht [23]. Trotz Unterschieden auf Genebene, Proteinebene und in der Epigenetik, scheinen
sich iPSCs und ESCs aber in den wesentlichen Funktionen
Proliferation und Differenzierung weitgehend zu gleichen. Dies bringt jedoch für beide
Zelltypen auch ähnliche Probleme in der phänotypischen Stabilisierung der Zellen mit
sich.
Während die Forschung an ESCs durch ethische und juristische Schwierigkeiten und ihre
Anwendung durch immunologische Limitationen stark eingeschränkt ist, bieten iPSCs
einen sehr vielversprechenden Ansatz für eine klinische Anwendung, sofern alle Sicherheitsbedenken
gelöst werden können [24]. MSCs haben ihrerseits bereits den Sprung in die klinische Anwendung geschafft [25].
Trotz der Einführung von MSCs in die Klinik gilt es, eine Reihe von wissenschaftlichen
Faktoren zu berücksichtigen. So hat sich bspw. herausgestellt, dass sich wahrscheinlich
nicht jeder MSC-Zelltyp eines Organs gleichwertig in den jeweiligen gewünschten Zelltyp
eines anderen Organs differenzieren lässt. Außerdem konnte gezeigt werden, dass MSCs
einem Alterungsprozess unterliegen [26], [27], [28]. Insbesondere die MSCs älterer Patienten scheinen einen Alterungsprozess zu durchlaufen,
der auch
für die verzögerte Regeneration von Organen bei diesen Patienten verantwortlich sein
könnte. So haben wir kürzlich zeigen können, dass 5-Azazytidine, ein DNA-Methyltransferase-Inhibitor
(DNMT-Inhibitor), der zur Behandlung von Tumoren eingesetzt wird, nicht nur die Proliferation
alter MSCs, sondern auch deren Pluripotenz verbessert und somit deren osteogene Differenzierung
erhöht [29]. Auf diese Weise könnte der Heilungsprozess bei älteren Patienten verbessert bzw.
beschleunigt werden.
Anwendung am Knochen
Frakturheilung und Pseudarthrosen
Pseudarthrosen und gestörte Frakturheilung stellen einen potenziellen Anwendungsbereich
für stammzellbasierte Therapien dar [30]. Der aktuelle Goldstandard für die Behandlung von Pseudarthrosen ist die autologe
Spongiosa- oder Knochentransplantation, die letztlich nichts anderes als eine autologe
Stammzelltransplantation im bestmöglichen Scaffold, nämlich dem eigenen Knochen, ist.
Der Schritt zur Verwendung von Stammzellpräparaten in Form von Knochenmarkaspirat
ist entsprechend naheliegend. Bereits im Jahre 1989 wurde eine Arbeit über die
Verwendung von Knochenmarkaspirat zur Behandlung von Pseudarthrosen publiziert [31], und im Jahre 1991 wurde gezeigt, dass die Wirkung von Knochenmarkaspirat mit jener
von autologer Spongiosa vergleichbar sein kann [32]. Im Jahre 2005 wurde im Rahmen einer Studie mit 60 Patienten die Wirksamkeit der
Therapie atropher Pseudarthrosen der Tibia mittels perkutaner Injektion eines aufbereiteten
Knochenmarkkonzentrats bewiesen [33]. Im Jahre 2009 kam eine randomisiert kontrollierte Studie mit 64
Patienten zu ähnlich guten Ergebnissen. Im Rahmen der letztgenannten Studie wurden
die Zellen vor der Replantation ex vivo kultiviert und differenziert [34]. Auch in der primären Frakturheilung könnten MSCs gezielt injiziert werden, um eine
Anreicherung von Knochenzellen im Frakturbereich zu erzielen und die Knochenheilung
zu verbessern [35]. Analog zu großen Knochendefekten wäre auch bei der verzögerten Frakturheilung eine
Kombination der Stammzellen mit Trägermaterialien und Wachstumsfaktoren sinnvoll und
möglich,
jedoch fehlt es an ausreichend guten und kontrollierten klinischen Studien, um die
vermutete Wirksamkeit dieser Therapie endgültig beweisen zu können [36].
Knochendefekte
Aufgrund der geringen Anzahl an Behandlungsoptionen, liegt die Behandlung von Knochendefekten
durch Tissue Engineering oder Stammzelltransplantationen nahe [37]. Nicht nur in der muskuloskeletalen Chirurgie, sondern auch in der Neurochirurgie
und in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, stellen Knochenbrüche als Folge von Trauma,
Tumor und Infektion, oder iatrogen nach gescheiterter Osteosynthese oder Gelenkersatz,
eine klinische Herausforderung dar [38]. Auch in diesen Bereichen ist die autologe Spongiosaplastik der
aktuelle Goldstandard. Die Menge an verfügbarem Knochen ist jedoch limitiert und die
Entnahme komplikationsbehaftet [39]. Die als mögliche Alternative geltende Distraktionsosteogenese sieht sich jedoch
mit den gleichen Schwierigkeiten konfrontiert [40]. Seit mehr als 10 Jahren werden nunmehr die Möglichkeiten und das hohe Potenzial
der Stammzelltherapie und des stammzellbasierten Tissue Engineering für den Bereich
der Knochendefekte propagiert [41]. Da die Biomechanik nun im Rahmen der
Knochenheilung ebenfalls Berücksichtigung finden soll, wird aus dem klassischen „Triangle
Concept“ das „Diamond Concept“ [42]. Neben sehr vielen In-vitro-Studien wurden auch bereits zahlreiche Studien an verschiedenen
Tiermodellen, Knochen und Scaffolds mit und ohne Wachstumsfaktoren, wie z. B. [43], [44], [45], [46], publiziert. Die Anwendung am Menschen bleibt jedoch weiterhin auf eine geringe
Anzahl an Fällen beschränkt, sodass kaum
klinische Daten verfügbar sind. Wie mehrere vergleichende Untersuchungen bereits zeigen
konnten, ist die Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Tierversuchen in die klinische
Praxis jedoch nur in sehr geringem Umfang möglich [47].
Die wahrscheinlich erste Anwendung des Knochen-Tissue-Engineering am Menschen wurde
im Jahre 2001 von Quarto et al. durchgeführt [48]. Dabei wurde 4 Patienten im Rahmen einer kleinen Fallstudie ein mit Stammzellen
besiedelter Hydoxylapatitzylinder (HA-Zylinder) implantiert. Diese Stammzellen waren
nach 5 bis 7 Monaten eingeheilt und zeigten auch während der Nachbeobachtungszeit
mit einer Länge von 7 Jahren keine Komplikationen [49]. Im gleichen Jahr wurde erstmals eine Finger phalanx durch ein Stück Knochen, welches
mittels Tissue Engineering hergestellt worden war [50], ersetzt. Darüber hinaus wurden bereits 3 Einzelfallberichte über den Einsatz von
zellbesiedelten HA-Konstrukten zur Knochenregeneration nach Tumorresektion [51] und eine Einzeldarstellung eines verheilten Knochendefekts des Radius nach dem Einsatz
einer mit Wachstumsfaktoren und Zellen beladenen Matrix [52] veröffentlicht. Außerdem liegen bereits mehrere Beschreibungen des erfolgreichen
Einsatzes von mit Stammzellen besiedelten
Trikalziumphosphatkonstrukten zur Rekonstruktion großer Schädeldefekte (6 × 7 cm)
vor [53].
Eine der bekanntesten Anwendungen des Knochen-Tissue-Engineering, auch dank der Berichterstattung
in der Laienpresse, stammt aus dem Bereich der Kieferchirurgie [54]. 2004 berichtete die Fachzeitschrift „The Lancet“ über die Rekonstruktion eines
fast 7 cm langen knöchernen Defekts des Unterkiefers nach Tumorresektion mittels eines
durch Tissue Engineering hergestellten Knochenersatzes. Als Scaffold diente dabei
ein Titankäfig, der mit HA, Wachstumsfaktoren und MSCs beladen und danach als vaskularisiertes
Transplantat nach 7 Wochen in den
M. latissimus des Patienten implantiert wurde. Nach einem initial guten klinischen
Ergebnis traten jedoch im weiteren Verlauf Komplikationen auf, die durch Infekte ausgelöst
wurden. Außerdem erfolgte ein Bruch des Implantats. Der Patient verstarb schließlich
nach etwa eineinhalb Jahren an einem kardialen Ereignis. Insgesamt liegt im Bereich
der Kieferchirurgie eine umfangreichere klinische Evidenz vor als in anderen medizinischen
Bereichen. So zeigte bspw. eine der seltenen randomisiert kontrollierten Studien mit
insgesamt 24 Patienten eine schnellere Regeneration von
Kieferknochendefekten durch den Einsatz von mit Stammzellen besiedelten Biomaterialien
im Vergleich zur konventionellen, gelenkten Knochenregeneration [55].
Als wesentliche Limitation bei der Herstellung großer, zellbasierter Knochenkonstrukte
wird die fehlende Vaskularisierung angeführt [56]. Bisher ist es noch nicht gelungen, in vitro eine funktionierende Gefäßstruktur
zu züchten, geschweige denn eine solche Struktur in ein Knochenkonstrukt zu integrieren.
Der Einsatz von Endothelzellen oder entsprechenden Wachstumsfaktoren soll hier Abhilfe
schaffen. Jedoch wurde diese Methode bisher noch nicht in der Klinik getestet.
Osteogenesis imperfecta
Eine frühe klinische Anwendung von MSCs am Menschen war die Transplantation von MSCs
bei Kindern mit schwerer Osteogenesis imperfecta. Bei unheilbaren Krankheiten mit
möglicherweise letalem Ausgang ist die Schwelle zur Nutzung neuer Therapien häufig
geringer, was die frühen klinischen Versuche bei dieser seltenen Erkrankung begründen
mag. Bereits im Jahre 1999 wurde eine Fallserie von 3 Patienten publiziert, die eine
allogene Knochenmarktransplantation erhalten hatten. Dabei wurde postuliert, dass
sich die in den Transplantaten enthaltenen MSCs zu Osteoblasten
differenzierten und dass ein geringer Teil dieser Zellen in den Empfängerknochen eingebaut
wurde. Klinisch wurden eine Verbesserung der Knochendichte, eine gesteigerte Wachstumsrate
und eine Reduktion der Frakturhäufigkeit festgestellt [57]. All diese Effekte blieben während des gesamten Beobachtungszeitraums von knapp
3 Jahren bestehen. Später wurde anhand weiterer Fallbeispiele die In-utero-Transplantation
von MSCs vorgestellt [58]. Aber auch 14 Jahre später beschränken sich die Anwendungen dieser
Transplantationstechnik weiterhin auf sehr kleine Studien und Fallserien [59]. Zudem zeigen neuere Ergebnisse dieser Anwendung sehr beispielhaft, wie unklar der
eigentliche Wirkmechanismus der Zelltransplantation bei der Osteogenese ist: Im Knochenmark
wird der überwiegende Anteil mononukleärer Zellen von nicht adhärenten Zellen gebildet,
die keine MSCs im engeren Sinne darstellen. Dennoch scheinen diese Zellen als Osteoblasten
im Knochen zu inkorporieren, während die eigentlichen MSCs hauptsächlich durch die
Sekretion regulatorischer Substanzen
und durch die Interaktion mit anderen Zellen eine positive Wirkung auf den Knochen
ausüben [60]. Diese Problematik der unklaren Wirkweise von MSCs besteht auch bei anderen Anwendungen
solcher Zellisolate.
Knochennekrosen
Die aseptische Knochennekrose des Femurkopfs ist wahrscheinlich jene Indikation zur
Stammzelltherapie am Knochen, die bisher klinisch am besten untersucht worden ist
[61]. In einer frühen Studie aus dem Jahre 2002 mit fast 200 Probanden wurde festgestellt,
dass der Einsatz von Knochenmarkaspirat zu guten Ergebnissen mit einer Heilungsrate
von > 90 % nach durchschnittlich 7 Jahren führt, sofern die Behandlung bereits in
einem frühen Stadium des Knochendefekts erfolgte [62]. Allerdings wurde diese Studie ohne
Kontrollgruppe durchgeführt. Im Jahre 2008 wurde im Rahmen einer retrospektiven Untersuchung
an 87 Patienten festgestellt, dass durch die Durchführung einer Entlastungsbohrung
in Kombination mit der Implantation von MSCs und dekalzifizierter Knochenmatrix eine
Heilungsrate von > 75 % nach 24 Monaten erreicht und somit ein gutes Heilungsergebnis
erzielt werden konnte [63] (Review in [61]). Im Jahre 2009 wurde in einer weiteren Studie gezeigt, dass die Anwendung eines
konzentrierten Knochenmarkaspirats nach einer
Nachbehandlungszeit von 27 Monaten eine Erfolgsrate von 80 % aufweist [64]. Jedoch verfügte auch diese Studie nicht über eine Kontrollgruppe. In einer neueren
Studie mit 38 Probanden führte eine Dekompression mit anschließendem Einbringen eines
mit MSCs und Wachstumsfaktoren beladenen Xenografts zu einer Heilungsrate von > 85 %
nach 4 Jahren [65]. In einer weiteren Studie mit 15 Patienten führte eine Dekompression mit Transplantation
von autologem Knochen und MSCs zu einer Heilungsrate von 80 % nach 24 Monaten [66].
Wenn man jedoch in der Evidenz der analysierten klinischen Studien über Level IV hinauskommen
möchte, wird allerdings auch bei der Osteonekrose die Auswahl geeigneter Studien geringer.
So wurden bspw. im Jahre 2004 die Ergebnisse einer randomisierten und kontrollierten
Studie an 18 Gelenken publiziert, in der eine Dekompression allein mit einer Dekompression
mit anschließendem Einbringen von konzentriertem Knochenmarkaspirat verglichen wurde.
Nach 24 Monaten verfügte die mit Knochenmark behandelte Gruppe über eine signifikant
bessere Funktion und Schmerzreduktion sowie über
ein geringeres Progredienzrisiko [67]. In der vielleicht besten Studie zum Thema Osteonekrose wurde in 100 Patienten randomisiert
und kontrolliert die Dekompression alleine mit der Implantation ex vivo expandierter
MSCs verglichen. 60 Monate nach der OP führte die Anwendung von MSCs zu einer signifikanten
Verbesserung der Funktion, zu einer wesentlichen Schmerzreduktion sowie zu einer Minimierung
des Risikos eines Kollapses des Femurkopfs [68].
Osteoporose
Ob bei der Osteoporose ein Mangel an oder eine Dysfunktion der Stammzellen zur Pathogenese
beiträgt, ist bislang noch nicht hinreichend untersucht worden [69]. Die Rolle der MSCs bei der Entstehung der Osteoporose sowie ihr mögliches Potenzial
in der zellbasierten Krankheitstherapie wurde jedoch bereits propagiert [70], [71], [72]. Es ist bekannt, dass osteoporotische Frakturen aufgrund einer Funktionsstörung
der Osteoblasten und der Osteoklasten deutlich langsamer
heilen als die Frakturen gesunder Knochen. Dieser Umstand führt dazu, dass sich die
Versorgung osteoporotischer Knochenbrüche sehr anspruchsvoll gestaltet [73]. Zwar sind bereits Tiermodelle für die Osteoporose verfügbar, jedoch entwickeln
Versuchstiere, wie z. B. ovariektomierte Ratten oder Schafe, eine Osteoporose, die
in ihrer Pathogenese der menschlichen Erkrankung nicht vollends entspricht [74]. In einer einzelnen Studie wurden bei 8 Osteoporosepatienten nach der Anwendung
allogener mononukleärer
Nabelschnurblutzellen erhöhte IGF-1-Serumspiegel und daraus folgend eine Verbesserung
der Knochendichte beobachtet [75]. Soweit wir wissen, existieren aber bisher noch keine Studienergebnisse über die
systematische Anwendung von MSCs zur Therapie der Osteoporose beim Menschen. In den
kommenden Jahren muss sich die Anwendung von Stammzellen zur Knochenregeneration unter
besser definierten und kontrollierten Bedingungen in randomisierten und kontrollierten
Studien beweisen, um das ihr zugeschriebene Potenzial zu bestätigen [7].
Knorpel
Arthrose, traumatische Läsionen
Die Transplantation ex vivo expandierter Gelenkchondrozyten zusammen mit einer Trägermatrix
in Knorpeldefekte des Kniegelenks stellte die erste erfolgreiche Anwendung von Tissue
Engineering dar [76]. Die Herstellung von Knorpelersatz aus körpereigenen Chondrozyten und einer Gelmatrix
als Trägermaterial in vitro hat sich unter der Bezeichnung „matrixassistierte autologe
Chondrozytenimplantation“ als erste echte Tissue-Engineering-Anwendung fest in der
klinischen Praxis etabliert [73]. Diese Methode ist jedoch trotz ihrer
weiten Verbreitung weiterhin umstritten. Diese Prozedur ist bei der Reparatur mehrheitlich
traumatischer Knorpelläsionen jüngerer Patienten indiziert. Dabei wird ein kleines
Stück Knorpel aus einem nichttragenden Bereich des Gelenks entnommen. Danach erfolgt
ein Verdau des Knorpels und eine Expansion der Zellen. In einer 2. Operation werden
die Zellen zusammen mit einer Matrix aus Biomaterial in den Defektbereich transplantiert
[77]. Diese als (matrixgekoppelte) autologe Chondrozytenimplantation ([M]ACI) bekannte
Methode wurde vor über 20 Jahren
in die klinische Praxis eingeführt [78] und gilt heutzutage als etabliert. Sie ist jedoch aufgrund schlechter Langzeitergebnisse
in klinischen Studien weiterhin umstritten [79], [80].
In den Implantaten kann es sowohl zu einer Dedifferenzierung der implantierten Chondrozyten
zu einem faserigeren Knorpel als auch zu einer abschließenden Differenzierung mit
Kalzifizierung kommen. Beides führt zu einer Verringerung der Gelenkfläche. Darüber
hinaus müssen die Morbidität an der Entnahmestelle und die Komorbiditäten der beiden
operativen Verfahren berücksichtigt werden. Die Resultate der ACI sind bei traumatischen
Läsionen deutlich besser als bei degenerativen. Bei den weitaus häufiger auftretenden
degenerativen osteoarthritischen Defekten ist der
darunterliegende Knochen ebenfalls betroffen, wodurch das Einwachsen und die Versorgung
des künstlich hergestellten Knorpels gefährdet sind. Aufgrund dieser Einschränkungen
konzentrierte sich die wissenschaftliche Aufmerksamkeit in letzter Zeit ebenfalls
auf die Verwendung von MSCs zur Knorpelregeneration [81], [82], [83].
In zahlreichen verschiedenen Tiermodellen wurden MSCs aus unterschiedlichen Quellen
bereits genutzt, um Knorpeldefekte zu regenerieren (ausführliches Review z. B. in
[84]). Eine Anwendung am Menschen ist bisher nicht über vereinzelte Fallberichte [85] und kleine Versuchsgruppen ohne Kontrollgruppe nicht hinausgekommen [86] und Berichte über systematische, kontrollierte Anwendungen fehlen in der Literatur.
Doch schon eine simple Injektion von MSCs in ein arthrotisches Knie soll z. B. eine
deutliche Verbesserung von Gelenkfunktion und Schmerzen bewirken [87] bzw. die schmerzfreie Laufstrecke verbessern können [88].
Ähnlich wie bei den Studien über genetische Knochenerkrankungen wurde die Effizienz
von MSCs bei der Förderung der Wiederherstellung des Gelenkknorpels bereits in einigen
Publikationen nachgewiesen. Dabei wurden in Kollagengel eingebettete MSCs in die Kniegelenke
von Patienten mit Gelenkknorpeldefekten transplantiert [89]. Außerdem wurde gezeigt, dass die Transplantation von MSCs zu signifikanten klinischen
Verbesserungen bei der Regeneration des Gelenkknorpels führen [85]. Allerdings sind die Mechanismen, die der
Wiederherstellung des Knorpels zugrunde liegen, weiterhin unbekannt. Die transplantierten
MSCs haben sich vielleicht zu Chondrozyten differenziert, aber es besteht ebenfalls
die Möglichkeit, dass die MSCs lösliche Faktoren produzieren, mit denen sie die Differenzierung
anderer Zellen aus dieser Mikroumgebung zu Gelenkknorpel induzieren. Bisher wurde
jedoch noch kein routinemäßig verfügbares Handelsprodukt auf Basis dieser Methode
entwickelt. Insbesondere die phänotypische Stabilität der differenzierten MSCs stellt
dabei weiterhin eine große Schwierigkeit dar [90], [91].
Sehnen und Muskeln
Sehnenrupturen, Tendinitis
Ebenso wie zahlreiche andere muskuloskeletale Organe entstehen Sehnen und Muskeln
aus dem Mesenchym [92]. Die embryonale Sehnenentwicklung erfolgt anfangs muskelunabhängig. Für die vollständige
Entfaltung von Funktion und Form benötigt sie jedoch einen adäquaten mechanischen,
zuggerichteten Stimulus [93], [94], sowohl durch biomechanische Zugbeanspruchung als auch durch das longitudinale Wachstum
der Knochen [95]. Anschließend entwickeln sich die Muskeln aus den
Muskelprogenitorzellen. Für das Tissue Engineering werden bevorzugt MSCs aus dem Knochenmark
verwendet: Sie besitzen ein großes Differenzierungspotenzial, können in großen Mengen
gewonnen und relativ unkompliziert aus dem Beckenkamm der Patienten entnommen werden.
In tierexperimentellen Studien wurden MSCs bereits zur Defektheilung der Sehne [96] und des Muskels [97] implantiert. Bislang konnte jedoch in vitro noch keine Methode für die tenogene
Differenzierung mittels Wachstumsfaktoren etabliert werden. Es ist bekannt,
dass, neben BMP-12 und Scleraxis, einige Faktoren, wie z. B. PDGF-BB, TGF-β, IGF-1
oder EGF, eine entscheidende Rolle während dieser Differenzierung spielen. Allerdings
ist der genaue Kommunikationsmechanismus dieser Faktoren untereinander, der zur Bildung
einer funktionierenden Sehne führt, weiterhin unbekannt. In vivo zeigten erste Versuche,
dass mit MSCs besiedelte Sehnengewebe scheinbar besser regenerieren, wenn sie mit
Kollagen-Gel-Scaffolds kombiniert werden [96], [98]. Neben einer besseren Sehnenregeneration
führte die Verwendung von Kollagen-Scaffolds zu höheren Ausreißkräften im Vergleich
zu jenen Sehnen, die nicht mit MSCs behandelt wurden [91], [98]. Neben der Verwendung von Kollagen experimentieren verschiedene Arbeitsgruppen aktuell
mit Polylaktid- und Polyglykosidpolymeren, die einfach zu handhaben sind und auch
in Kombination mit Electrospinning-Methoden verwendet werden können [99], [100], [101].
Rechtliche Aspekte in Deutschland
Rechtliche Aspekte in Deutschland
Der Einsatz von Stammzellen zur Heilung von Patienten ist in Deutschland durch das
Arzneimittelgesetz (AMG) und durch eine Vielzahl von Regularien der Europäischen Union
geregelt. Eine umfangreiche Beratung zu diesem Thema kann und soll vor Verwendung
dieser Zellen beim Paul-Ehrlich-Institut (www.pei.de) eingeholt werden. In erster
Linie wird zwischen Arzneimitteln für neuartige Therapien, sog. „advanced therapy
medicinal products“ (ATMPs), und Nicht-ATMPs unterschieden. ATMPs sind im AMG § 4 b
Abs. 3 geregelt und bedürfen eines speziellen Zulassungsverfahrens, bevor sie am
Menschen angewendet werden dürfen. Für den täglichen Gebrauch in der Klinik sind daher
die Nicht-ATMPs von besonderer Bedeutung. Zu dieser Kategorie gehören alle Zellen
und Gewebe, die nicht substanziell bearbeitet worden sind. Der Begriff der substanziellen
Bearbeitung ist in einem Leitfaden des Paul-Ehrlich-Instituts zur Zulassung von ATMPs
geregelt [102]. Als nicht substanzielle Behandlungen von Zellen gelten das Schneiden, Zerreiben,
Formen, Zentrifugieren, Einlegen in antibiotische oder antimikrobielle Lösungen, Sterilisieren,
Bestrahlen,
Separieren, Konzentrieren, Reinigen, Filtern, Lyophilisieren, Einfrieren und Kryopräservieren.
Substanzielle Bearbeitungen sind hingegen Veränderungen des Gewebes sowie seine Kultivierung,
Expansion und genetische Modifikation. Gewebe und Zellen, die auf eine der 4 vorgenannten
Arten und Weisen bearbeitet wurden, gehören somit zur Gruppe der ATMPs. Somit unterliegen
iPSCs und MSCs, die in der Kulturschale vermehrt werden, dem speziellen Genehmigungsverfahren
für ATMPs. Außerdem sind MSCs, die für das Tissue Engineering genutzt werden, um später
einem Patienten implantiert zu
werden, somit ebenfalls als ATMP zu bezeichnen. Der Umgang mit Stammzellen, die von
einem Spender entnommen werden, um später bei einem Patienten appliziert zu werden
und die nicht zur Kategorie der ATMPs gehören, ist in AMG § 20 b und § 20 c geregelt.
Auch diese Zellen bedürfen eines Genehmigungsverfahrens einschließlich der Anmeldung
eines von einem Arzt geleiteten Entnahmezentrums mit geeigneten Räumen sowie mit einem
Herstellungs- und Qualitätsleiter. Hierbei sind die entsprechenden GMP-Richtlinien
zu beachten. Diese Ausführungen betreffen bspw. ebenfalls die Etablierung
einer Knochenbank. Die Anwendung von Patientenmaterial, welches unmittelbar autolog
wieder im Patienten appliziert werden soll, bedarf keiner besonderen Erlaubnis, solange
bspw. die Spongiosa-/Beckenkammentnahme oder das Veneninterponat den OP nicht verlässt.