Pneumologie 2014; 68(06): 433-434
DOI: 10.1055/s-0034-1377126
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wirksamkeit von Umweltzonen in der ersten Stufe: Analyse der Feinstaubkonzentrationsänderungen (PM10) in 19 deutschen Städten

D. Köhler
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Dieter Köhler
Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft
Pneumologie, Allergologie,
Beatmungs- und Schlafmedizin
Annostr. 1
57392 Schmallenberg

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
10. Juni 2014 (online)

 

Pneumologie 2014; 68: 173–186

Vor einigen Jahren war die (scheinbar) erhöhte Mortalität durch Feinstaub ein großes politisches Thema, das schließlich zu neuen europaweiten Rechtsverordnungen mit Umweltzonen geführt hat. In einer aktuellen Analyse haben Morfeld, Groneberg und Spallek die Wirksamkeit von Umweltzonen auf die Änderung der Feinstaubkonzentration in 19 deutschen Städten untersucht. Eine aufwendige, sorgfältig durchgeführte Analyse, die nur einen marginalen Effekt der Gesetzesänderung gezeigt hat.


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Aber unabhängig von diesen Ergebnissen, gibt es das Feinstaub-Problem überhaupt? Vieles spricht dafür, dass es die größte Seifenblase der Wissenschaft der letzten Jahre ist. Das Erstaunliche dabei ist, dass man es mit den Regeln des gesunden Menschenverstandes eigentlich erkennen kann. Über 50 Studien weltweit mit Bestimmung der Partikelmasse unter 10 µm bzw. insbesondere unter 2,5 µm haben ein gering erhöhtes Risiko bezüglich Gesamtmortalität bzw. eines für kardiovaskuläre und respiratorische Erkrankungen ergeben. Diese Ergebnisse stammen von untersuchten Personen, die näher an staubbelasteten Orten wohnen im Vergleich zu einem Kollektiv, das weiter entfernt lebte. Das relative Mortalitätsrisiko, vor allem für den Feinstaub unter 2,5 µm, war diskret erhöht und lag bei etwa 1,015 ([Abb. 1]).

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Abb. 1

Manche Studien zeigten eine Dosisabhängigkeit, bei manchen war das Risiko unabhängig von der Feinstaubkonzentration gleich hoch. Die Auswertung dieser epidemiologischen Studien erfordert eine komplizierte Mathematik, die nur wenige Insider beherrschen. In fast allen Studien hat man versucht, das relative Risiko mit dem Rauchverhalten bzw. anderen sozialen Einflussfaktoren zu adjustieren. So liest man es immer und nimmt es als wissenschaftliche Tatsache hin. Aber hier genau liegt das Problem. Das relative Risiko der Begleitfaktoren (Confounder), die auf die Mortalität Einfluss nehmen, ist gerade bezüglich des größten Einflussfaktors Rauchen um mehrere 10er Potenzen größer im Vergleich zur primären Messgröße. [Abb. 2] und [Abb. 3] zeigen das anschaulich. Das Risiko des Passivrauchens ist etwa 100-fach größer ([Abb. 2]) und das des Aktivrauchens noch mal Faktor 10 größer ([Abb. 3]). In den Abbildungen ist die ursprüngliche Grafik aus [Abb. 1] maßstabsgerecht dargestellt. Sie verschwindet in der [Abb. 2] und [Abb. 3] nahezu in der Strichstärke der X-Achse.

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Abb. 2
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Abb. 3

Das relativ niedrige Risiko der Feinstaubbelastung zeigt, dass man die epidemiologische Studie bzgl. des Rauchens auf eine Genauigkeit von deutlich unter 1 Prozent adjustieren müsste. So etwas ist praktisch ausgeschlossen. In epidemiologischen Studien ist man froh, wenn ein Risiko, das nur mittels Fragebogen erfasst wird, auf etwa 10 bis 20 Prozent adjustiert werden kann.

Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass einfach die unterschiedliche Sozialstruktur bzw. die Angabe des Rauchverhaltens allein den Effekt des Feinstaubs auf die Mortalität erklärt. Personen, die zur Straßenseite hin an dicht befahrenen Straßen wohnen, stellen einfach eine andere Sozialstruktur dar, als wenn sie weiter entfernt leben. Selbst in einem Wohnblock an der Straße sind die Mieten zur lauten Straßenseite hin niedriger als zum Hinterhof.

Argumentiert wird gerne, dass man mit Feinstaub auch bestimmte physiologische Effekte experimentell nachweisen kann. Diese sind aber allesamt ermittelt worden mit definierten Randbedingungen ohne größere Störeinflüsse. Zudem sind die Effekte marginal.

Eine weitere offensichtliche Ungereimtheit fällt auf. Bei Feinstaub spricht man von Konzentrationen von um 50 Mikrogramm/m³. Die berufliche Staubbelastung mit nachgewiesener Berufserkrankung wie beispielsweise Silikose liegt ca. 100-fach höher, etwa im Bereich von einigen Milligramm/m3, und der Zigarettenrauch im Hauptstrom liegt dazu noch mal Faktor 10 000 höher bei etwa 500 Gramm/m³ (sic!). Zigarettenrauch ist so hoch konzentriert, dass er zur Inhalation mit Nebenluft verdünnt werden muss, denn sonst wäre er zu stark irritativ.

Feinstaub ist auch nicht mit gesundheitsschädlichem Smog gleichzusetzen. Hier sind die Konzentrationen an Partikeln mehr als 10-fach höher, und es kommen noch toxische Gase hinzu, wie NOx, Ozon und SO2.

Man fragt sich, warum diese offensichtlichen Argumente in der wissenschaftlichen Szene nicht diskutiert werden. Kenner der Materie wissen dieses natürlich, vermeiden jedoch meist die öffentliche Diskussion, um ihre Forschungsförderung nicht zu gefährden. Dieses Phänomen findet man leider zunehmend in der medizinischen Forschung. Auf Dauer entfernt man sich immer mehr von dem „was der Fall ist“ (nach Ludwig Wittgenstein).


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Prof. Dr. med. Dieter Köhler
Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft
Pneumologie, Allergologie,
Beatmungs- und Schlafmedizin
Annostr. 1
57392 Schmallenberg


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Abb. 1
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Abb. 2
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Abb. 3