physiopraxis 2014; 12(04): 16-20
DOI: 10.1055/s-0034-1375580
physiowissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Internationale Studienergebnisse


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Publication Date:
17 April 2014 (online)

 

Lumbaler Bandscheibenvorfall – Besser unters Messer?

Was ist bei einem LWS-Prolaps mit Radikulopathie effektiver: eine Diskektomie oder eine konservative Therapie? Diese Frage wollten amerikanische Wissenschaftler in einer Studie mit dem Kürzel „SPORT“ (Spine Patient Outcomes Research Trial) beantworten. Sie fand zwischen 2000 und 2004 in Kooperation mit 13 interdisziplinären Wirbelsäulenpraxen statt und hatte ein Follow-up von acht Jahren.

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Abb. beerkoff/shutterstock.com

Die Untersuchung umfasste sowohl einen randomisierten Studienzweig als auch einen beobachtenden, bei dem die Patienten selbst die Form der Therapie wählten. An der Studie teilnehmen konnten Patienten, bei denen mittels eines MRT oder CT eine zu ihren klinischen Symptomen passende Bandscheibenhernie festgestellt worden war. Die Teilnehmer waren im Schnitt 42 Jahre alt, hatten seit mindestens sechs Wochen Zeichen einer lumbalen Radikulopathie und waren potenzielle Kandidaten für eine Diskektomie.

Die Operation bestand aus einer standardisierten offenen Diskektomie mit Dekompression der betroffenen Nervenwurzel. Das empfohlene Minimum an konservativer Therapie sollte aktive Physiotherapie, Beratung, Eigenübungen für zu Hause und nichtsteroidale Antiphlogistika beinhalten.

Die Autoren konnten nach acht Jahren 778 von insgesamt 1.244 Teilnehmern (63 %) der Studie erneut befragen. Sie stellten fest, dass insgesamt 66 % davon innerhalb des Follow-up eine Diskektomie und 34 % eine konservative Therapie erhalten hatten. Therapiewechsel gab es in beiden Gruppen. Den Effekt der Therapien evaluierten die Autoren mittels zweier Fragebögen – des SF-36 (Funktionsfähigkeit) und des Oswestry Disability Index (ODI; Alltagseinschränkungen). Zusätzlich gaben die Patienten Auskunft bezüglich der selbst eingeschätzten Verbesserung ihres Zustands, der Arbeitsfähigkeit, der Zufriedenheit und des Ischialgie-Leidensdrucks.

Beide Gruppen verbesserten sich deutlich in allen Parametern. Die Verbesserungen fanden vor allem innerhalb der ersten sechs Monate statt. In der „Intention-to-treat“-Analyse schnitt die Diskektomie in den SF-36- und ODIWerten etwas und in den zusätzlich abgefragten Ergebnissen signifikant besser ab als die konservative Therapie. Da es viele Gruppenwechsler gab, wurde auch eine „As-treated“- Analyse durchgeführt. Diese verdeutlichte den Vorteil der Diskektomie noch etwas mehr.

GLOSSAR

Intention-to-treat-(ITT-)Analyse
Bei der ITT-Analyse werden die Patienten in der Gruppe analysiert, der sie durch die Randomisierung zugeteilt worden sind. Ob sie nach der Randomisierung beispielsweise in eine andere Therapiegruppe wechseln, die Therapie abbrechen, die Vorgaben nicht erfüllen etc., spielt für die Analyse keine Rolle. Die ITT-Analyse sollte gemäß den internationalen Richtlinien, insbesondere der „Good Clinical Practice“, als primäre Analyseform gewählt werden.

As-treated-(AT-) Analyse
Bei der As-treated-Analyse (AT) wird ein Studienteilnehmer bei der Datenanalyse der Behandlungsgruppe zugerechnet, deren Therapie er tatsächlich beziehungsweise zuletzt erhalten hat. Bei dieser Analyse wird jedoch das Zufallsprinzip durchbrochen, sodass es zu einer statistischen Verzerrung der Ergebnisse kommen kann.

Laut der Autoren lassen die Einschlusskriterien eine Generalisierung für Patienten, bei denen keine klaren Zeichen für eine Radikulopathie vorliegen, nicht zu. Sie bezeichnen zudem die Heterogenität der konservativen Therapie als limitierenden Faktor der Studie.

smo

Spine 2014; 39: 3–16


Kommentar – Achtung Therapiewechsler

Es ist an sich eine gute Botschaft für Physiotherapeuten, dass konservative Therapie die Symptome von Patienten verbessern kann, die potenzielle Kandidaten für eine Diskektomie sind.

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Zwischen den Gruppen, die die Therapieform wechselten, gab es jedoch signifikante Unterschiede bezüglich ihrer Merkmale: Diejenigen, die zur konservativen Therapie wechselten, waren älter, hatten ein höheres Einkommen, waren weniger unzufrieden mit ihren Symptomen, hatten ihre Diskushernie eher auf einem hochlumbalen Level, präferierten häufiger nicht operative Therapie, empfanden ihre Beschwerden zu Beginn eher nicht als verschlechternd und gaben einen geringeren Schmerz und Behinderungsgrad an. Diejenigen, die zur Operation wechselten, waren zu Beginn unzufriedener mit ihren Symptomen, schätzten ihre Beschwerden am Anfang der Studie eher als verschlechternd ein, präferierten häufiger die Operation als Therapieoption und hatten eine schlechtere Basislinie bezüglich der physischen Funktion und der selbst eingeschätzten Behinderung.

Aufgrund dieser Ergebnisse könnte es sinnvoll sein, einen konservativen Therapieversuch vor allem bei denjenigen Patienten mit hochlumbalen Diskushernien zu wagen, auf die folgende Parameter zutreffen:

  • > Die Beschwerden verschlechtern sich präoperativ nicht.

  • > Schmerzen und Behinderungsgrad sind insgesamt eher niedrig.

  • > Der Patient steht unter keinem ökonomischen Druck.

Stephanie Moers


280.506 – Patienten ...

... wurden im Jahr 2012 in deutschen Krankenhäusern an der LWS, dem Os sacrum oder dem Os coccygis operiert. Damit waren Eingriffe in diesem Bereich die dritthäufigsten – nach Darmoperationen sowie arthroskopischen Interventionen am Gelenkknorpel und den Menisken.

Gesundheitsberichterstattung des Bundes; 2012


Mediale Epikondylopathie – (Kinesio-)Tape verbessert lediglich Kraftsinn

Sportlern mit einer medialen Epikondylopathie fällt es schwer, einen Ball oder Schläger zu halten. Hsiao-Yun Chang und ihr Team von der medizinischen Universität in Taichung (Taiwan) untersuchten nun, ob ein Kinesiotape diese Sportler unterstützen könnte. In ihrer klinischen Studie zeigte das Tape jedoch keinen Effekt auf die Greifkraft, sondern lediglich auf den Kraftsinn.

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Abb. Aspen Photo/shutterstock.com

Für ihre Studie rekrutierten die Forscher 27 männliche junge Baseballspieler im Alter zwischen 18 und 21 Jahren, von denen die Hälfte eine mediale Epikondylopathie hatte. Die Wissenschaftler untersuchten deren maximale Greifkraft sowie den Kraftsinn unter jeweils drei Konditionen:

  • > ohne Tape

  • > mit einem Kinesiotape (der Acrylkleber ist wellenartig aufgebracht)

  • > mit einem Plazebo-Kinesiotape (ohne wellenartige Struktur des Klebers)

Sowohl das Kinesiotape als auch das Plazebo-Kinesiotape brachten Chang und ihre Kollegen gemäß des Anlageprotokolls von Dr. Kase auf die Handgelenkflexoren am volaren Unterarm an. Die maximale Greifkraft ermittelten die Wissenschaftler in einer standardisierten Position mittels eines Dynamometers. Für die Untersuchung des Kraftsinns sollten die Probanden unter visueller Kontrolle mit 50 % ihrer maximalen Kraft zugreifen. Danach hatten sie drei Versuche, diesen Zielwert ohne visuelles Feedback zu erreichen.

Das Ergebnis: Sowohl bei den Gesunden als auch bei denjenigen mit Epikondylopathie machte es bei der Messung der Greifkraft keinen Unterschied, ob sie ein Plazebo-Tape, ein „echtes“ Tape oder kein Tape am Unterarm hatten. Hinsichtlich des Kraftsinns schnitten aber alle Probanden mit Tape besser ab als ohne. Ein Tape am Unterarm – ob mit oder ohne Wellen – scheint demnach den Kraftsinn zu verbessern. Wie lange dieser Effekt nach Anlage des Tapes bestehen bleibt, wird aus dieser Studie nicht ersichtlich.

smo

Int J Sports Med 2013; 34: 1003–1006

Der Kraftsinn

ist …

… eine von drei zur Bewegungswahrnehmung notwendigen Fähigkeiten. Er ermöglicht es, die für die Bewegung notwendige Intensität der Muskelaktivierung wahrzunehmen und anzupassen. Die anderen beiden Sinne für Bewegungswahrnehmung sind der Bewegungssinn und der Lagesinn.

physiolexikon. Stuttgart: Thieme; 2010

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Klavikulafraktur – Mit Platte wird alles gut

Eine dislozierte Klavikulafraktur heilt deutlich besser, wenn sie mit einer Platte versorgt wird, als wenn man sie konservativ therapiert. Zu diesem Fazit kommen die Autoren einer Studie, an der 73 Patienten nach Klavikulafraktur teilnahmen.

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Abb. B. Finestone/shutterstock.com

Die Wissenschaftler versorgten 45 davon mit einer Platte, die restlichen 28 Probanden erhielten eine Schlinge, um die Fraktur zu immobilisieren. Das Ergebnis war eindeutig: Nach 18 Monaten waren in der OP-Gruppe alle Brüche zusammengewachsen, in der konservativen nur bei 20 der 28 Probanden. Somit war bei 29 % der konservativ versorgten Patienten die Therapie nicht erfolgreich. Auch die Rate der Pseudarthrosen lag in der konservativen höher (36 % versus 4 %).

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J Orthop Trauma 2011; 25: 31–38


Schlaganfall – Stabiler stehen durch Trampolinspringen

Minitrampoline finden sich in vielen Bereichen der stationären und ambulanten Rehabilitation. Ob und wie stark Patienten mit einer Hemiparese nach Schlaganfall von einem Sprungtraining darauf profitieren, wurde bisher jedoch nicht untersucht. Ein deutsches Forscherteam hat sich dieser Fragestellung nun angenommen.

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Abb.: D. Meyrl/istockphoto.com

Die Autoren rekrutierten 40 Patienten, welche im Mittel knapp zehn Monate zuvor einen Schlaganfall erlitten hatten und schon stehund gehfähig waren. Diese randomisierten sie auf zwei Gruppen. Die eine Hälfte absolvierte ein systematisch gesteigertes Trampolintraining, die andere ein klassisches Gleichgewichtstraining. Beide Gruppen übten zehn mal 30 Minuten innerhalb von drei Wochen.

Alle Patienten verbesserten sich in den Messungen zur Balancefähigkeit, Gehstrecke und Selbstständigkeit im Alltag. Ein Gruppenunterschied zugunsten des Trampolintrainings zeigte sich nur für die Berg-Balance-Skala, einem Maß für statisches und dynamisches Gleichgewicht in Sitz und Stand. Die Autoren zeigten auch höhere Effekte des Trampolintrainings auf die anderen Parameter, jedoch ohne statistische Signifikanz. Sie führen dies auf die zu geringe Stichprobengröße zurück.

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Clin Rehabil 2013; 27: 939-947


Morbus Parkinson – Bewegungsbeobachtung steigert Geschwindigkeit

Dass das Beobachten von Bewegungen vor deren eigentlicher Ausführung zu einer Verbesserung der Bewegungsausführung beitragen kann, ist schon länger bekannt. Forscher aus Italien konnten nun in einer Studie zeigen, dass auch Patienten mit Morbus Parkinson von diesem Therapieansatz profitieren: Sie können die Finger schneller bewegen, wenn sie diese Bewegung zuvor beobachtet haben.

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Abb.: J. Faelchle/shutterstock.com

38 Patienten mit Morbus Parkinson (Hoehn-und-Yahr-Stadien 1–3) und 14 Gesunde nahmen an der Studie teil. Die Autoren verteilten alle Teilnehmer randomisiert auf zwei Gruppen. Eine davon sah sich Fingertippbewegungen in einer Frequenz von drei Hertz auf einem Video an, die andere Gruppe hörte ein akustisches Signal in gleicher Frequenz. Es zeigte sich, dass alle Teilnehmer (Patienten und Gesunde) der Gruppe, welche das Video sah, ihre Bewegungsgeschwindigkeit bei einer realen Fingertippaufgabe stärker verbesserten als die Gruppe nach akustischer Stimulation. Zudem hielt der Effekt in der Videogruppe bis zu zwei Tage an.

In einem weiteren Experiment mit zehn Patienten überprüften die Forscher den Einfluss der dopaminergen Medikationsphase. Sie fanden heraus, dass Patienten nur dann anhaltend von der Bewegungsbeobachtung profitierten, wenn diese in der Wirkphase der Medikamente (On-Phase) stattfand. Acht weitere Patienten, die eine Scheinbehandlung (Videobeobachtung einer statischen Hand) erhielten, zeigten keine Veränderung in der Bewegungsgeschwindigkeit.

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Neurorehabil Neural Repair 2013; 27: 552–560



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Abb. beerkoff/shutterstock.com
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Abb. Aspen Photo/shutterstock.com
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Abb. B. Finestone/shutterstock.com
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Abb.: D. Meyrl/istockphoto.com
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Abb.: J. Faelchle/shutterstock.com