intensiv 2014; 22(03): 118-119
DOI: 10.1055/s-0034-1375282
Kolumne
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Fernsehen bildet – oder auch nicht

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Publication Date:
08 May 2014 (online)

Gegen Ende des vergangenen Jahres war ich krank. Es war weder eine Grippe noch Magen-Darm. Nein, ich war mal so richtig krank. Ich lag im Krankenhaus, wurde operiert und hatte eine, für mein subjektives Empfinden jedenfalls, schwierige und ziemlich lange Rekonvaleszenz, die ich zu Hause auf meinem Sofa durchleben durfte. Ich will kein Mitleid erregen. Jetzt ist es ja überstanden und mir geht es wieder richtig gut. Sicherlich geben meine Erfahrungen als Patient auch viel Stoff für eine Kolumne her. Darüber aber vielleicht ein anderes Mal. Heute will ich über meine erstaunlichen Erfahrungen mit und mein dadurch leicht gestörtes Verhältnis zu meinem Fernsehgerät berichten. Natürlich ist mir klar, dass das Gerät an sich gar nichts dafür kann. Aber irgendjemand oder irgendwas muss als Opfer meines Zornes herhalten.

Zoom Image
(Foto: Paavo Blåfield)

Taff wie ich nun mal bin, habe ich mich schon am vierten postoperativen Tag entlassen lassen. Ich dachte, rumliegen könne ich auch zu Hause und es dabei noch schöner haben als in einem Krankenhaus. In meiner Wohnung, auf meinem Sofa, mit meinen Büchern, meinem Laptop, meiner Musik und meinem Fernseher. Wie so oft im Leben: Die Idee war ganz gut, nur bei der Umsetzung haperte es gewaltig.

Da lag ich nun. Anfänglich ging es mit der Beschäftigung ganz gut. Ich hatte mit mir und meiner Immobilität genug zu tun. Habe viel geschlafen, gelesen, ein bisschen geschrieben oder ferngesehen. Dennoch habe ich bald festgestellt, wie lang ein Tag sein kann. Irgendwann mochte ich nicht einmal mehr lesen. Für anspruchsvolle Literatur war ich nicht sehr empfänglich und leichte Belletristik langweilte mich zu Tode. Auch das World Wide Web erschöpfte sich irgendwann und mein Sinn nach Musik war sehr wechselhaft. Was blieb? Das Fernsehen. Immerhin verfüge ich über gefühlt 300 verschiedene Programme. Damit sollte ich doch über einen längeren Zeitraum über die Runden kommen.

Schon am Morgen ging es mit diversen Frühstücksfernsehformaten los. Ich hangelte mich von den Privaten zu den Öffentlich-Rechtlichen und zurück und wurde alle halbe Stunde mit den Nachrichten aus aller Welt bedient, inklusive Sport und Wetter. Das ging eine ganze Weile gut, bis ich feststellen sollte, dass sich der Inhalt der einzelnen Magazine im Stundentakt wiederholte. Gegen 10 Uhr war ich damit dann meist durch. Ich wusste nun, was in der Welt passiert, wie das Wetter wird, hatte sinnvolle und sinnlose Ratschläge für mich und mein Leben bekommen und war auch über die Reichen und Schönen voll im Bild. Ab 10 Uhr sind sich dann alle Sender dieses Landes sehr einig: Es beginnt die Zeit der Wiederholungen der Wiederholungen. Wenn ich mich sehr geschickt mit meinem Zeitmanagement anstellte, konnte ich mich bis in den späten Nachmittag an Krankenhausserien entlanghangeln. Von „Emergency Room“ – am Vormittag übrigens noch mit George Clooney als rebellischer Assistenzarzt – zu „Grey’s Anatomy“, dann zu der 385. Folge „In aller Freundschaft“, gefolgt vom „Bergdoktor“. Danach sollte ich mich etwas beeilen. Wollte ich doch nicht „Scrubs, die Anfänger“ verpassen. Dann entsteht zugegebenermaßen eine kleine Krankenhauslücke. Dafür wird in den meisten Programmen dann aber gekocht oder gar geheiratet. Wahlweise auch von pfiffigen Rechtsanwälten das verpfuschte Leben zahlungsunfähiger Klienten wieder auf die Reihe gebracht oder auch nicht und es kommt, wie es kommen musste, und Richter Alexander Holt spricht im Namen des Volkes ein Machtwort. Unterbrochen wird dieses Elend nur von diversen Mittagsmagazinen, die wiederum ein Abklatsch der Morgenmagazine sind – nur mit anderen Protagonisten. Gott sei Dank konnte ich dann aber auf weitere Krankenhausserien zurückgreifen und gleichzeitig eine Zeitreise machen. Es begannen die Wiederholungen der nicht ganz so alten Folgen diversen Serien. So war ich dann um 20.15 Uhr bestens im Bilde, wenn die brandneuen Episoden liefen.

Ich fragte mich aber immer mehr, was macht die Faszination dieser an der Realität vorbeirauschenden Serien aus? Warum schwärmen meine Mutter, meine Tante oder die Nachbarin so sehr für die diversen Krankenhausserien der deutschen Fernsehlandschaft? Dabei passiert doch immer das Gleiche. Die Ärzte sehen immer toll aus, selbst Dr. House, der am Stock geht, lässt die Herzen aufgehen. Sie sind höflich, charmant und vor allem sind sie Alleskönner. Chirurg, Neurochirurg, Internist und Psychiater in Personalunion. Sie diagnostizieren in Windeseile die schwersten Stoffwechselerkrankungen, geheimnisvolle Vergiftungen, Tumore im Gehirn – die sie dann auch gleich erfolgreich operieren. Die Schwestern sind immer bildhübsch, meist in einen Arzt verliebt, kümmern sich rührend nicht nur um die Patienten, sondern auch um deren Angehörige und ihre Probleme. Sie switchen problemlos zwischen Normalstation, OP und Intensivstation. Doppelschicht – kein Problem. Das Haar sitzt und die Stimmung ist geradezu ausgelassen. Und dann erst der Patient in den Serien: Wenn er erst den Weg in das Krankenhaus gefunden hat, sein Leben gerettet und seine Probleme gelöst wurden, ist er immer freundlich und dankbar. In den Warteräumen der Praxen und auf den Fluren der Stationen entstehen Freundschaften für den Rest des Lebens.

Sind diese Serien ein später Erfolg des Bildungsfernsehens? Nein! Diese Filme suggerieren ein falsches Bild über uns und unsere Arbeit. Sie vermitteln dem geneigten Zuschauer ein Halbwissen, das unter Umständen gefährlich werden kann. Eine US-amerikanische Studie hat ergeben, dass Konsumenten derartiger Serien sich selbst und ihr Umfeld als wesentlich krankheitsgefährdeter sehen als üblich. Die Realität kennen wir alle nur zu genau. Wir wissen, wie der Arzt nach Stunden im OP aussieht, wie knapp seine Zeit für den Patienten ist. Wir wissen, wie unsere Kollegin oder der Kollege zum x-ten Dienst angeschlichen kommt, und nach einem Nachtdienst kann von Styling keine Rede mehr sein.

Mir ist aber auch durchaus klar, dass diese Serien keine Dokumentationen, sondern schlichte Unterhaltung sind. Und schließlich haben sie ja auch mich unterhalten und stellenweise sogar berührt oder amüsiert.

Jetzt hat mich aber der Alltag mit allem Drum und Dran wieder. Mein Fernsehkonsum hat sich wieder auf ein alltägliches Maß zurückgeschraubt. Aber ich bin mir ganz sicher, dass ich irgendwann auf irgendeinem Sender sehen werde, wie das Leben in den verschiedenen Krankenhäusern dieser Welt weitergeht. Solange begnüge ich mich eben mit Geschichten und Geschichtchen, Dramen und Kuriositäten auf meiner Station.

Ihre

Heidi Günther

hguenther@schoen-kliniken.de