Der Norden Indiens, insbesondere die Bundesstaaten Bihar und Uttar Pradesh, leidet
seit nunmehr fast 20 Jahren unter rätselhaften Enzephalitisausbrüchen, bei denen jährlich
Zehntausende Kinder erkranken und Hunderte Todesopfer zu beklagen sind (wir berichteten
bereits ausführlich in der Augustausgabe des letzten Jahres).
Während in manchen Regionen Indiens nach wie vor die Japanische Enzephalitis die Hauptursache
für Enzephalitiserkrankungen bei Kindern ist, konnte diese durch konsequente Impfprogramme
im Norden Indiens deutlich zurückgedrängt werden. Die häufigsten diagnostizierten
Erreger hier sind mittlerweile verschiedene Enteroviren. Sie verursachen schätzungsweise
45 % der Erkrankungen. In etwa gleich vielen Fällen jedoch wird keine Ursache für
das AES (Acute Encephalitis Syndrome) gefunden.
Nachdem verschiedenste Maßnahmen wie die Ausweitung der Impfung gegen die Japanische
Enzephalitis, Mücken(larven)bekämpfung, Kontrolle der Schweinehaltung und Bereitstellung
von Pumpen für Brunnen mit Trinkwasserqualität keine Erfolge brachten, wurde nun vergangenes
Jahr eine über 20-köpfige, internationale Expertengruppe beauftragt, die AES-Ausbrüche
im östlichen Uttar Pradesh zu untersuchen.
Vorläufiger Abschlussbericht lässt Fragen offen
In ihrem Abschlussbericht von Ende Februar kommt sie – bisher jedoch noch nicht offiziell
bestätigten Angaben zufolge – zu dem Ergebnis, dass es sich zumindest vergangenes
Jahr vor allem um Fälle des klassischen Fleckfiebers gehandelt habe. Die Erreger,
die Bakterienart Rickettsia prowazekii, sollen dabei durch Kopfläuse übertragen worden
sein.
Dies wäre eine gute Nachricht für die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten, denn
das Fleckfieber lässt sich relativ gut behandeln: Eine frühzeitige Antibiotikagabe
kann die Sterblichkeit von 10–40 % (in unterernährten Bevölkerungsgruppen wie denen
des ländlichen Nordindiens) auf annähernd 0 % senken. Auch könnte man konkrete Maßnahmen
zur Vorbeugung in die Wege leiten, zum Beispiel Entlausungsprogramme, Aufklärungsprogramme
zur Körperhygiene oder ein Ende der in der Region verbreiteten Praxis, dass sich in
den Krankenhäusern bei Überbelegung bis zu 3 Kinder dasselbe Bett teilen müssen.
Allerdings wirft das Ergebnis der Studie – zumindest in der bisher veröffentlichten
Form – auch einige Fragen auf:
-
So ist ungewöhnlich, dass die Wissenschaftler als Überträger die Kopflaus ausgemacht
zu haben meinen. Auch wenn einige neuere Studien darauf hindeuten, dass diese Parasiten
tatsächlich als Vektoren des Fleckfiebers dienen können, so sind es doch meist Kleiderläuse,
die als Überträger fungieren.
-
Darüber hinaus erklärt das Ergebnis der Untersuchung nicht, warum die AES-Ausbrüche
in Uttar Pradesh und Bihar saisonal auftreten und so gut wie ausschließlich Kinder
betroffen zu sein scheinen.
-
Eigenartig ist auch, dass in den bisherigen Berichten über AES-Ausbrüche noch nie
von petechialen Exanthemen berichtet wurden, welche für Fleckfiebererkrankungen typisch
sind.
-
Und schließlich scheint auch der rasante Verlauf der AES-Erkrankungen nicht so recht
ins Bild des klassischen Fleckfiebers zu passen – ein Großteil der in Nordindien verstorbenen
Kinder war Berichten zufolge nur wenige Stunden vor dem Tod noch anscheinend kerngesund.
Die hier abgebildete Kopflaus, Pediculus humanus capitis, und die Körperlaus, Pediculus
humanus humanus, sind wahrscheinlich lediglich Unterarten derselben Art. Während allerdings
die Körperlaus bereits seit Langem als Überträger für diverse Krankheiten bekannt
war, wird die Rolle der Kopflaus als Vektor erst in jüngster Zeit diskutiert.
Quelle: Gilles San Martin
Eventuell können diese Fragen bei der offiziellen und vollständigen Veröffentlichung
des Berichts geklärt werden. Ansonsten geht das Rätselraten um die Ursache der AES-Ausbrüche
wohl in die nächste Runde, wobei das Fleckfieber als neue Hypothese neben einer neuen
Virusart, Hitzeschäden, Pestizidvergiftungen oder diversen anderen Bakterien in die
Gruppe der diversen diskutieren Möglichkeiten aufgenommen werden wird.
Dr. Raymund Lösch und Dipl. Biol. Unn Klare, Bad Doberan
Quelle: promed