Z Orthop Unfall 2014; 152(01): 12
DOI: 10.1055/s-0034-1371430
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS) – Heftiger Schmerz als guter Indikator für ein CRPS ?

Contributor(s):
Philipp Herlyn
Moseley G, Herbert R, Parsons T, Lucas S, Van Hilten J, Marinus J.
Intense pain soon after wrist fracture strongly predicts who will develop complex regional pain syndrome: prospective cohort study.

The Journal of Pain 2014;
1: 16-23
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Publication History

Publication Date:
27 February 2014 (online)

 

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS) ist nach wie vor eine gefürchtete Komplikation bei Extremitätenverletzungen. Ob die Möglichkeit besteht, die Entwicklung der Erkrankung bereits in der frühen posttraumatischen Phase vorherzusagen, ist ein anhaltend kontrovers diskutiertes Thema.
Moseley G, Herbert R, Parsons T, Lucas S, Van Hilten J, Marinus J. Intense pain soon after wrist fracture strongly predicts who will develop complex regional pain syndrome: prospective cohort study. The Journal of Pain 2014; 1: 16–23.

Einleitung

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS) als typische posttraumatische oder postoperative Komplikation stellt für den behandelnden Chirurgen nach wie vor große Probleme dar. Moseley et al. beschäftigten sich in ihrer prospektiven Kohortenstudie mit der Suche nach Frühsymptomen, die helfen können, vorauszusagen, welcher Patient ein CRPS entwickeln wird. Da die Erkrankung typischerweise erst mit einer gewissen Latenz zum Traumazeitpunkt beginnt, wird sie häufig spät erkannt, oftmals fehlgedeutet und meistens zu spät behandelt.


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Methoden

In die prospektive Kohortenstudie wurden über einen Zeitraum von 2 Jahren Patienten mit konservativ behandelter handgelenksnaher Fraktur eingeschlossen. In der ersten Woche nach dem Trauma wurde ein Bündel von Symptomen, die als mögliche Voraussagekriterien zur Entwicklung eines CRPS eingeschätzt wurden, untersucht. Hierzu gehörten unter anderem:

  • Schmerz: Die Schmerzstärke wird innerhalb der letzten 2 Tage mit der visuellen Analogskala (VAS) gemessen.

  • Schwellung: Die Umfangsmessung des Daumens und der Finger 2–4 im Seitenvergleich.

  • Handerkennung: Die Patienten sollten unterscheiden, ob es sich bei präsentierten Bildern einer Hand um die rechte oder linke Hand handelt. Bewertet wird hierbei, ob die beim Patienten betroffene Seite verzögert erkannt wird.

  • Dysynchirie: Schmerz in der von CRPS betroffenen Hand, ausgelöst durch das Betrachten einer Berührung der gespiegelten gesunden Hand.

Nach 4 Monaten wurde eine telefonische Befragung der Patienten auf das Vorhandensein von CRPS-typischen Symptomen vorgenommen. Bei anamnestischem Verdacht wurden die Patienten zu einer Folgeuntersuchung zur Bestätigung der Diagnose CRPS anhand der aktuellen Forschungskriterien der IASP (International Association for the Study of Pain) einbestellt. Mithilfe statistischer Modelle wurde die Eignung der oben genannten Untersuchungsmethoden zur Risikoabschätzung und zur Entwicklung eines CRPS evaluiert.


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Ergebnisse

Die Daten von 1506 Teilnehmern konnten eingeschlossen werden. Hiervon wiesen 67 bei der telefonischen Befragung CRPSSymptome auf. Bei 55 Patienten wurde letztendlich in der klinischen Untersuchung ein CRPS bestätigt. Die Inzidenz beträgt damit 3,8 % und deckt sich mit aktuellen, eher konservativen Zahlen aus der neueren Literatur zum Thema.

Aus der Kombination der o. g. Untersuchungen ließ sich eine gute Vorhersagekraft für die Entwicklung eines CRPS herleiten. Allerdings wies auch der VAS alleine eine fast ebenso hohe Vorhersagekraft auf. Keiner der 1297 Patienten mit VAS 0–2 entwickelte ein CRPS. Bei VAS > 5 (113 Patienten) entwickelten jedoch 46 % ein CRPS. Um eine Risikoabschätzung treffen zu können wurden die Schmerzwerte willkürlich kategorisiert. Die „likelihood ratio“ des VAS-Intervalls 3–4 betrug 0,89, die des VAS-Intervalls 5–6 betrug 15,1 und die des VAS-Intervalls 7–8 betrug 78,9. Werte größer als VAS 8 wurden von keinem Patienten angegeben. Hiermit zeigte sich ein deutlich erhöhtes Risiko für Patienten mit einem VAS von > 5 im Verlauf ein CRPS zu entwickeln. Einschränkend erwähnen die Autoren, dass die genannten zu diagnostischen Zwecken genutzten Kriterien keinen Hinweis auf eine pathophysiologische Bedeutung bei der Entstehung des CRPS liefern können. Ferner schränken sie die Übertragbarkeit der Ergebnisse der Studie auf Patienten anderer Kulturen mit möglicherweise differierender individueller Schmerzangabe ein.


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Kommentar

In dieser technisch und statistisch sehr aufwändigen Arbeit zu einem seit langem kontrovers diskutiertem Thema in der CRPS- Forschung, konnte erstmals gezeigt werden, dass es möglich ist, die Entstehung eines CRPS bereits in der Frühphase nach Trauma vorherzusagen. Die von den Autoren gewählten Untersuchungen sind teilweise sehr komplex, zeitaufwändig und sicher nicht im Rahmen einer unfallchirurgischen Notfall- bzw. Standardbehandlung durchführbar. Um so interessanter und für den Praktiker wichtig ist die Erkenntnis, dass die subjektive Angabe der Schmerzintensität über die vergangenen zwei Tage in der Frühphase nach dem Trauma geeignet ist, Patienten zu identifizieren, die ein hohes Risiko haben, im weiteren Verlauf ein CRPS zu entwickeln. Hierdurch könnten diese Patienten engmaschiger kontrolliert und im Krankheitsfall rascher therapiert werden.


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