Z Orthop Unfall 2014; 152(01): 1-2
DOI: 10.1055/s-0034-1371425
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

China-Connection – Ein erstes Abtasten

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Publication Date:
27 February 2014 (online)

 
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(Bild: BGU)

Professor Reinhard Hoffmann ist Ärztlicher Geschäftsführer und Chefarzt der Unfallchirurgie der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Frankfurt am Main. Der gebürtige Westfale (Unna, Jahrgang 1957) war im Jahr 2013 Präsident von DGU und DGOU. In dieser Doppelfunktion war Hoffmann Mitunterzeichner einer „Berlin Declaration“ am 22. Oktober im Bundesgesundheitsministerium. Unterschrieben ist das Dokument von der WOA, der COA, der DGOU, weiterhin von DGU, DGOOC und dem BVOU.

„… Are now starting a closer cooperation …” – mehr als eine Absichtserklärung enthält diese „Berlin Declaration” nicht, die führende chinesische wie deutsche Orthopäden und Unfallchirurgen im Oktober 2013 unterschrieben. Wir fragten einen der Signateure, was kommen soll.

? Herr Professor Hoffmann, Sie haben am 22.Oktober letzten Jahres „The Berlin Declaration“ mit unterzeichnet. Das Dokument enthält einen vagen Hinweis auf verstärkte Zusammenarbeit. Geht es ein bisschen konkreter, was haben Sie vor?

Hoffmann: Wir wollen unsere Erfahrungen mit den chinesischen KollegInnen austauschen. China ist ein Riesenland mit über 50 nationalen Minderheiten. Die Städte sind riesengroß, Peking mit fast 25 Millionen Einwohnern, Shanghai mit an die 30 Millionen Einwohnern, die wirtschaftlichen Wachstumsraten sind enorm, auch im Medizinmarkt…

? Und da haben sich hiesige Fachgesellschaften und Berufsverband gesagt, jetzt müssen wir mal mit den Chinesen eine Erklärung unterzeichnen?

Das hat eine gewisse Vorgeschichte. 2012 hat der damalige DGOU-Präsident Professor Wolfram Mittelmeier einen Kollegen aus China, Professor Yan Wang aus Peking zum korrespondierenden Mitglied unserer Fachgesellschaft gemacht, um so die Kooperation anzustoßen. Wang war zu dem Zeitpunkt Präsident von gleich zwei orthopädisch-unfallchirurgischen Fachgesellschaften der Chinesen – der Chinese Orthopedic Association und der World Orthopedic Alliance – COA und WOA. Er hat die Berlin Declaration mit unterschrieben.

? Was ist COA, was ist WOA?

COA ist die nationale chinesische orthopädische Fachgesellschaft, die auch die Unfallchirurgen mit umfasst. Diese sind – ähnlich dem amerikanischen Modell – spezialisiert auf muskuloskelettales Trauma.

? Das heißt, Sie haben als DGOU mit der COA auf Ebene der Fachgesellschaften einen Partner für ganz China?

Ja. Die COA hat an die 30 000 Mitglieder – insgesamt gibt es in China wohl über 130 000 orthopädische Chirurgen. Immerhin hatten wir jetzt in 2013 während des DKOU erstmals ein eigenes Sym posium mit den Kollegen der COA. Im Gegenzug war eine Gruppe hiesiger Fachexperten, im November auf der Jahres tagung der COA / WOA in Peking mit einem englischsprachigen Symposium der DGOU.

? Und was bitte ist jetzt diese WOA – die World Orthopedic Alliance?

Die hat die COA 2012 neu aus der Taufe gehoben. Es ist eine weitere internationale orthopädische Organisation für die Etablierung internationaler Kontakte und Netzwerke mit letztlich weltweitem Anspruch – wie der Name auch zeigt. Es geht immer auch um Politik. China meldet sich auch medizinisch auf der Weltbühne mit starken Anspruch zurück. Die Chinesen möchten sich vor allem gegenüber den US-Amerikanern, der großen US-Fachgesellschaft American Academy of Orthopedic Surgeons, AAOS, als gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe positionieren. Die WOA haben die Chinesen daher nach meiner Einschätzung ganz wesentlich als ein Gegengewicht zu den US-amerikanischen Fachgesellschaften ins Leben gerufen. Die Chinesen suchen daher starke internationale Partner und haben die DGOU offenbar als solchen erkannt. Herr Professor Wolfhart Puhl von der Spezialklinik Oberstdorf ist im Vorstand der WOA und hat ebenfalls großen Anteil am Zustandekommen unserer neuen Zusammenarbeit.

? Ihren US-amerikanischen Kollegen gefällt es, wenn Sie verstärkt mit den Chinesen anbandeln?

Naja, einige US-Kollegen machen ja auch bei der WOA mit. Ob die US-Amerikaner kritische Blicke darauf werfen, das glaube ich nicht. China ist ein großer und zukünftig immer wichtigerer Partner. Wir können heute wichtige Dinge weltweit nur gemeinsam bewegen – auch im Bereich Wissenschaft und Forschung.

? China ist keine Demokratie. Gibt es Themen, über die man mit chinesischen KollegInnen nicht spricht?

Nein. Aus meiner Sicht waren das bislang immer offene Gespräche, bei denen man alles ansprechen konnte. Da gab es keine Denk- oder Redeverbote – auch wenn mache Antworten auf Fragen vielleicht noch verhalten sind. Den KollegInnen sind die Unterschiede der Systeme sehr vertraut und sie gehen sehr selbstbewusst damit um.

? Wie verständigen Sie sich?

Viele Chinesen, gerade die an der Spitze der dortigen Fachgesellschaften, sprechen inzwischen gut bis exzellent Englisch. Wo das nicht klappt, gab es oft eine Simultanübersetzung, die Chinesen haben dafür Riesenstäbe von Übersetzern. Wie überhaupt der Personaleinsatz augenscheinlich allenthalben riesig ist – was nicht immer die Effizienz steigert. Das kennen wir leider nur zu gut auch aus unseren eigenen Kliniken.

? Ist die Jahrestagung der chinesischen Fachgesellschaften eine Fortbildungsveranstaltung für die Ärzte wie der DKOU hierzulande?

Das ist etwa vergleichbar. Es waren allerdings jetzt im November in China unglaubliche Menschenmassen dabei. Ich schätze, da waren so ca. 20 000 Leute anwesend.

? Was wissen Sie zum Gesundheitswesen? Hat ein chinesischer Patient die Chance auf Versorgung mit einer Endoprothese – wenn er sie braucht?

Vor allem auf dem Land gibt es Bereiche, wo die medizinische Versorgung noch sehr schwierig und traditionell ist. In ländlichen Regionen ist die Chance auf eine zeitnahe künstliche Hüfte für einen Patienten nach meiner Einschätzung eher gering. Anders in den großen Städten. Dort gibt es oft sehr große Krankenhäuser mit mehreren tausend Betten. Wir konnten im November 2013 das Krankenhaus in Peking besichtigen, in dem Yan Wang die Orthopädie leitet. Es ist das Beijing 301 Hospital oder Chinese PLA General Hospital, das größte Krankenhaus unter Ägide des Chinesischen Militärs. Wang ist ein Zwei-Sterne-General, dem man das Militärische allerdings nicht anmerkt. Generell liegt die Unfallchirurgie in China offenbar überwiegend in den Händen des Militärs und häufig von großen Militärhospitälern.

? Wie war Ihr Eindruck von dem Krankenhaus in Peking?

Das PLA General Hospital hat ungefähr 4000 Betten, davon 1000 Betten Chirurgie, 1000 Betten Innere, und dann noch Riesenbereiche für ambulante Behandlungen – das sind enorme Dimensionen. In Peking sind etliche solcher Riesenhäuser über die ganze Stadt verteilt, das fand ich sehr beeindruckend. Und die Versorgung, gerade auch in der Endoprothetik, ist in solchen Krankenhäusern auf mitteleuropäischem Standard. Interessant ist auch, dass die chinesischen Kollegen sich bei der Auswahl der Prothesen stark in Richtung Deutschland orientieren. Die arbeiten oft mit deutschen Endoprothesenherstellern und ärztlichen Experten zusammen.

? Wird solch eine OP in China von einer Krankenversicherung übernommen?

Yan Wang hat uns erklärt, dass über 90 % der Operationen finanziell staatlich gedeckt sind. Wie das im Einzelnen läuft, blieb mir persönlich im Detail bisher allerdings noch verschlossen.

? Gibt es Themen, wo Sie, wo hiesige Experten etwas von der chinesischen Seite besonders lernen können?

Das mag ich derzeit noch nicht abschätzen. Die in China nach wie vor stark betriebene traditionelle chinesische Medizin hat z. B. mit unserer Unfallchirurgie wenig zu tun. Auch scheint mir Fakt, dass die Menschen, die in China ernsthaft krank sind, heute zunehmend eher in die westlich orientierten großen Einrichtungen gehen. Mein Eindruck ist, dass die Chinesen bei den operativen Techniken und der Versorgung schnellstmöglich und flächendeckend auf westlichen Standard kommen möchten.

Nach meinem Eindruck sind auch die großen Probleme unserer Fächer dieselben wie in China: Demographische Entwicklung mit zunehmender Überalterung – dort als Folge der Einkind-Politik, immer mehr Übergewicht, Altersmedizin, Osteoporose... Es sind drüben die gleichen Fragen zur Qualität der Endoprothetik wie wir sie auch haben. Ein Unterschied ist, dass in China natürlich gleich riesige Fallzahlen gegeben sind. Und darunter sind auch viele Erkrankungen und Konstellationen, die wir hier wenig oder gar nicht mehr sehen. Die Wirbelsäulenchirurgie ist in China noch mit Tuberkulosefällen und schwerwiegenden Fehlstellungen konfrontiert, die wir nicht mehr kennen. Auch in der Unfallchirurgie muss man leider sagen, gibt es in China unglaublich viele schwere Traumafälle mit offenen Frakturen u.ä., die wir Dank greifender Präventionsmaßnahmen und berufsgenossenschaftlichem Arbeitsschutz in der Masse so nicht mehr haben. Die Chinesen sind daher auch an dem System der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung sehr interessiert.

? Gibt es in China ein Traumanetzwerk und ein Traumaregister?

Nein – aber das Traumanetzwerk der DGU finden unsere chinesischen Kollegen hochinteressant. Es gibt Überlegungen, in wie weit man das übertragen kann. Eins zu Eins in die Fläche bringen wie bei uns, lässt sich das aber wohl kaum in einem Riesenland wie China. Auch läuft die Unfallversorgung dort praktisch über Militärhospitale und sie ist sicherlich nicht so homogen im ganzen Land wie bei uns – daraus resultieren längere Transportwege und – zeiten. Das hiesige Traumanetzwerk Eins zu Eins zu kopieren, halte ich daher für ziemlich aussichtslos.

Aber natürlich zeigen wir den Chinesen gerne grundsätzlich, wie das bei uns hier in Deutschland funktioniert.

? Werden chinesische KollegInnen bald für Praktika zur DGU kommen, um zu lernen, wie man solch ein Traumanetzwerk aufsetzt?

So weit sind wir noch nicht. Das war bislang alles ein erstes Kennenlernen und Abtasten. Jetzt geht es auf Ebene der Fachgesellschaften darum, das in entsprechende Kooperationsprogramme zu bringen. Ganz praktisch muss zunächst die gegenseitige Kongressteilnahme und der persönliche Austausch festgeschrieben werden. Danach geht es dann sicher auch um Hospitationen und Arztaustausch, nebst Know-How-Transfer. Hier wird sich sicher auch das neue Referat - Internationale Angelegenheiten - der DGOU einbringen.

? Wird zum nächsten DKOU wieder eine chinesische Delegation eingeladen?

Das entscheiden die Präsidenten des DKOU in diesem Jahr. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass wir uns jetzt regelmäßig auf beiden Seiten zu den Jahrestagungen besuchen werden. Die Kommunikationsstrukturen stehen.

? Wir dürfen davon ausgehen, dass Sie unterdessen mit Stäbchen essen können?

Man muss das üben, aber ich komme damit mittlerweile gut zurecht. Als Unfallchirurg „übt“ man ja auch in gewisser Weise z. B. mit Nadelhalter und Pinzette. Ich fand das heimische chinesische Essen zunächst übrigens gewöhnungsbedürftig. Es ist definitiv anders als hier bei uns beim „Chinesen“. Inzwischen schmeckt mir es jetzt recht gut.

Das Interview führte Bernhard Epping

Weitere Informationen

Die Declaration

http://www.dgou.de/news/news/detailansicht/artikel/berlin-declarationdeutsch-chinesische-kooperation-in-orthopaedie-und-traumatologie.html


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Die Chinesischen Fachgesellschaften

COA:
http://www.coachina.org/2013/en/page.asp?pageid=45.html

WOA:
http://www.coachina.org/2013/en/page.asp?pageid=116.html

Chinese PLA General Hospital:
http://202.106.73.29/english/guide.jsp


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Ein Artikel aus der EpochTimes zum PLA General Hospital:
http://www.theepochtimes.com/n2/china-news/the-sordid-history-of-chinas-301-hospital-245384.html


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(Bild: BGU)