Festrede von Herrn Prof. Walter Reisinger, emeritierter ltd. Oberarzt der Radiologie
am Campus Mitte der Charité anlässlich des 75-jährigen Bestehens des Röntgeninstituts
der Charité auf dem Wissenschaftssymposium am 11. Juli 2014 in Berlin mit einem Grußwort
von Roland Felix, Meinhard Lüning und Karl-Jürgen Wolf.
Die Geschichte der Radiologie in Berlin ist mit etwa 118 Jahren deutlich älter als
die des Röntgeninstituts der Charité mit seinen 75 Jahren. Lange vor seiner Gründung
waren röntgenologisch tätige Ärzte in Berliner Krankenhäusern und Privatinstituten
erfolgreich tätig. Hier nur einige wenige Bespiele: Der Physiker und Mediziner Gustav
Bucky, Erfinder der nach ihm benannten Streustrahlenblende, kam 1908 an das Rudolf-Virchow-Krankenhaus.
Dort hatte der Chirurg Max Levy-Dorn im Jahre 1903 ein „Zentralinstitut für Untersuchungen
und Behandlungen mit Röntgenstrahlen“ eingerichtet. Levy-Dorn war im Jahre 1898 auch
Mitbegründer der „Röntgenvereinigung zu Berlin“, der 1. und heute damit ältesten deutschsprachigen
Röntgengesellschaft. Im Krankenhaus Moabit leitete seit 1923 Karl Frik das Werner-von-Siemens-Institut
für Röntgenforschung. Der Deutsch-Libanese Henri Chaoul – Stichwort „Chaoulsche Nahbestrahlung“
– war in der chirurgischen Klinik der Charité röntgenologisch tätig, dann im Krankenhaus
Moabit. Chaouls Einsatz während des 2. Weltkriegs verdanken wir die Rettung unserer
heute im Campus Charité Mitte stehenden Bronzebüste Conrad Wilhelm Röntgens.
Bronzebüste von Conrad Wilhelm Röntgen (Teil eines im 2. Weltkrieg eingeschmolzenen
größeren Denkmals) mit Prof. Dr. Tänzer (ehemaliger Direktor der Abteilung für Radiologie
im Krankenhaus Moabit) und Prof. Dr. Hamm (Direktor des Instituts für Radiologie der
Charité und kommissarischer Direktor der Abteilung für Radiologie des Krankenhaus
Moabit von 2000 – 2001)
Von 1939 bis heute
Eine umfassende Darstellung der Entwicklung des Röntgeninstituts der Charité ist heute
natürlich nicht möglich. Nur wesentliche Teile sollen deshalb episodenhaft geschildert
werden.
Die Gründung des Instituts am 3. Juli 1939 fällt in die dunkelste Zeit der deutschen
Geschichte, in die des Nationalsozialismus. Es ist einleuchtend, dass man sich mit
einer Würdigung dieses Jubiläums zunächst schwer tut. Unser Institut veranstaltet
daher sinnvollerweise ein Wissenschaftssymposium. Es ist sicher die klügste Entscheidung,
so mit einem eigentlich ungeliebten Gründungsdatum umzugehen.
Analysiert man die 75 Jahre des Bestehens des Instituts, sind mehrere Zeitzonen abzugrenzen.
Eine 1. Phase von der Gründung 1939 bis zum Kriegsende 1945, mit allen Zwängen und
zerstörerischen Folgen der nationalsozialistischen Diktatur. Dann eine Kriegstrümmer
beseitigende und zunächst antifaschistisch-demokratisch geprägte Nachkriegsphase im
sowjetisch besetzten Ostberlin. Der Gründung der DDR im Jahre 1949 folgt die 40-jährige
DDR-Zeit mit den Zeichen einer erneuten Diktatur einerseits, aber mit für die Charité
und das Röntgeninstitut bedeutenden baulichen und technischen Veränderungen andererseits.
Dann die Zeit nach der politischen Wende 1989. Die Charité und ihr Röntgeninstitut
kämpfen erfolgreich um das reale Überleben als wissenschaftliche Institution. Das
Wiedererstarken des Instituts kulminiert in der Fusion der radiologischen Einrichtungen
der Campi Rudolf-Virchow-Klinikum und Klinikum Benjamin Franklin zur Charité. Kurz
gesagt: Mehr als 2/3 seiner 75-jährigen Geschichte musste das Institut in Gesellschaftssystemen
bestehen, die nicht freiheitlich-demokratischen Grundsätzen entsprachen. Daran sollte
man stets denken, wenn nun einige wesentliche Aspekte in der interessanten und lehrreichen
Geschichte unseres Instituts genannt werden.
Die Anfänge: Ferdinand Sauerbruch und Karl Frik
Die Anfänge: Ferdinand Sauerbruch und Karl Frik
Am Anfang war das Wort eines Chirurgen, er begründete unsere Geschichte! Der im Jahre
1927 an die Charité berufene Ferdinand Sauerbruch plante im Jahre 1938 den Neubau
eines Operationstraktes für seine chirurgische Klinik. Seine radiologisch tätigen
Mitarbeiter Henry Chaoul, Walter Cowl und Rudolf Grashey bezog er in die Planungen
hinsichtlich der Neugestaltung der Röntgenabteilung ein. Sauerbruch wollte, und das
ist die eigentliche Geburtsstunde einer eigenständigen Radiologie an der Charité,
an Stelle der bisher bestehenden Röntgenabteilung ein eigenständiges Röntgeninstitut
begründen, verbunden mit dem 1. Lehrstuhl für Radiologie in Berlin. Die Gründung des
Instituts mit dem Namen „Universitätsinstitut für Röntgenologie und Radiologie und
Strahlentherapeutische Klinik“ erfolgte am 3. Juli 1939. Und das ist für uns Radiologen
die eigentliche Großtat der sonst nicht unumstrittenen Person des Ferdinand Sauerbruch.
Vielleicht ist das der Grund für unser stets gutes Verhältnis zu den Chirurgen. Erster
Direktor und gleichzeitig Inhaber des neu eingerichteten Lehrstuhls Röntgenologie
wurde Karl Frik.
Karl Frick (1878 – 1944)
Frik hatte zuvor, wie erwähnt, das Werner-von-Siemens-Institut des Krankenhauses Moabit
geleitet. Im neu erbauten Nordost-Flügel der Chirurgischen Klinik bezog das Röntgeninstitut
Untersuchungs- und Arbeitsräume im Souterrain und im 1. Obergeschoss, unter dem Sauerbruchschen
Operationstrakt.
Bei der Gründung des Instituts wurde ein sogenanntes „Hausbuch“ angelegt. Es gibt
Auskunft über die Institutsangehörigen. Dort finden sich beispielsweise bekannte Namen
wie Heinz Oeser und Lothar Diethelm. Die von Frik handschriftlich verfasste einleitende
Widmung ist frei vom damaligen Zeitgeist und wert, heute noch gelesen zu werden. Ich
gebe zu, dass mich der Text beeindruckt hat, er soll deshalb den Abschluss meines
Beitrags bilden.
Kriegsende und Nachkriegszeit
Kriegsende und Nachkriegszeit
Obwohl Karl Frik bis 1939 Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft war und dann
bis zu seinem Tode 1944 Direktor der renommiertesten Röntgeneinrichtung Deutschlands,
war er – im Gegensatz zu einigen seiner damaligen Kollegen – nicht Mitglied der NSDAP.
Sein Nachfolger wurde in den letzten Kriegsmonaten Henri Chaoul. Er kam aus dem Krankenhaus
Moabit an seine alte Wirkungsstätte zurück, verließ allerdings kurz vor Kriegsende
Berlin. Auf Anregung Sauerbruchs wurde Ende 1945 der bereits 70-jährige Rudolf Grashey
Lehrstuhlinhaber. Grashey musste aber krankheitshalber 1949 die Institutsleitung aufgeben.
Von 1949 bis 1951 wurde das Institut kommissarisch geleitet. Hauptaufgabe in diesen
schweren Nachkriegszeiten war die Wiederherstellung der diagnostischen und therapeutischen
Kapazitäten. 1951 wurde Fritz Gietzelt, ein Vertreter der Konzentration der Radiologie,
aus Leipzig auf den Lehrstuhl nach Berlin berufen. Sein Hauptinteresse galt dem Aufbau
der Geschwulstklinik auf der Ruine der ehemaligen 2. Charité-Frauenklinik an der Invalidenstraße.
Dort konzentrierte er die Strahlentherapie sowie die dazu nötige Röntgendiagnostik.
Im Röntgeninstitut verblieb zunächst nur die Röntgendiagnostik für die Chirurgie.
Aber im Jahre 1959 wurden dem Institut dann auch die Röntgendiagnostik der Geschwulstklinik
sowie die bisher separaten Röntgenabteilungen aller operativen Kliniken, der Hautklinik
und der Stomatologie zugeordnet. Direktor dieses nun deutlich größeren, nur noch diagnostisch
tätigen Instituts wurde im Jahre 1959 ein Oberarzt Gietzelts, Günther Ließ. Eigenständig
blieben die Röntgenabteilungen der I. und II. Medizinischen Klinik und Poliklinik
sowie die der Kinder- und der Nervenklinik.
Röntgeninstitut in der Chirurgischen Klinik 1950
Geschwulstklinik an der Invalidenstraße
Die Zeit in der DDR
Während der DDR-Zeit bekamen Ostberlin und auch die Charité – als Aushängeschild gegenüber
dem kapitalistischen Westberlin gedacht – stets eine Spitzenstellung eingeräumt. So
entstand der Plan, einen Neubau auf dem Gelände der alten Charité zu errichten. Zur
Bauplanung, an der alle Kliniken und Institute beteiligt wurden, auch das Röntgeninstitut,
seit 1987 unter seinem Direktor Meinhard Lüning, entstand ein Direktorat „Neubau und
Rekonstruktion“.
Im Ergebnis entstand das neue Domizil des Röntgeninstituts im Hochhaus und dem über
die Brücke erreichbaren Funktionstrakt. Einzug war im Jahre 1981.
Röntgeninstitut nach 1981
Im Jahre 1978 wurde die bisher separate Röntgenabteilung der Medizinischen Klinik
in das nunmehrige „Zentralinstitut“ einbezogen. Eigenständig bis zum Jahre 1989 bzw.
1992 blieben lediglich die Röntgenabteilungen in der Neurologie und der Kinderklinik.
Als Sonderfall bleibt zu berichten, dass es auch der Zentralisation entgegengesetzte
Bemühungen gab. Der durch seine bahnbrechenden Ergebnisse in der kardio-vaskulären
Diagnostik und Therapie weltbekannte Werner Porstmann, ein Oberarzt von Ließ, erreichte
Anfang der sechziger Jahre, aus seiner bisherigen Abteilung ein eigenständiges „Institut
für Kardiovaskuläre Diagnostik“ zu machen.
Ein Universitätsinstitut muss forschen, das ist neben der Lehre und der Patientenversorgung
seine Hauptaufgabe. Wie wurde zu DDR-Zeiten geforscht? Zu jener Zeit – und wie ich
meine auch heute noch – war die Radiologie eines der Fachgebiete mit den bedeutendsten
Innovationen. Aber Maßstab aller Dinge sind hier nicht nur die intellektuellen Fähigkeiten
und der Forscherfleiß der Wissenschaftler, sondern auch die technischen Neuerungen,
also moderne bildgebenden Systeme und Computer. Die Charité und das Röntgeninstitut
erhielten auch vor der Wende einzelne moderne Geräte – aber mit einer so deutlichen
zeitlichen Verzögerung, dass eine Grundlagenforschung praktisch nicht möglich war.
Es wurde aber klinische Forschung betrieben und gemeinsam mit westlichen Wissenschaftlern
publiziert. Den ersten im Jahre 1979 in der DDR installierten Computertomografen –
natürlich westlicher Provenienz – erhielt die Charité. Er stand aber nicht im Röntgeninstitut,
sondern in der Nervenklinik. Die Radiologie durfte partizipieren. Doch schon das 2.
CT-Gerät kam dann in das Röntgeninstitut. Ihren 1. Kernspintomografen erhielt das
Röntgeninstitut im Jahre 1987, er blieb dann bis zur Wende das einzige MRT-Gerät der
DDR.
Nach der Wende 1989
Zur Geschichte unseres Instituts gehört zum Glück auch die Zeit nach der politischen
Wende 1989. Der Wille zu einem Neuanfang nach der unblutig erfolgten Auflösung der
DDR war groß, aber die damit verbundenen Veränderungen waren gravierend. Manche ärztlichen
Mitarbeiter verließen das Institut, aus den unterschiedlichsten Gründen. Aber viele
blieben und nahmen mit den neu Hinzugekommenen das Wagnis auf sich, die Charité und
das Röntgeninstitut zu erneuern. Das war nicht einfach. Einige damals führende Gesundheitspolitiker
wollten die Charité, wie so viele ostdeutsche Einrichtungen auch, „abwickeln“. Wir
sollten verschwinden, zumindest in die Bedeutungslosigkeit. Es waren dann Mediziner
aus ganz Deutschland, Europa und Übersee, welche ihr völliges Unverständnis äußerten
zu der Absicht, eine trotz aller Widrigkeiten immer noch weltbekannte Institution
aus der deutschen Medizingeschichte streichen zu wollen. Ihren Einfluss geltend machten
auch die an die Charité Neuberufenen, die aus renommierten westberliner, westdeutschen
und europäischen Kliniken gekommenen Hochschullehrer. Zu den Ersten zählten die Herren
Baumann, Einhäupl und auch unser jetziger Institutsdirektor Bernd Hamm. Und für die
Erhaltung der Charité stand auch der damalige Wissenschaftssenator Manfred Erhardt
ein. Gemeinsam sicherten wir den Weiterbestand der damals schon beinahe 300 Jahre
bestehenden Charité und damit auch den unseres Röntgeninstituts, welches heute in
den 3 Campi (Campus Benjamin Franklin, Campus Mitte und Campus Virchow-Klinikum) alle
radiologischen Einrichtungen der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Universität
zu Berlin umfasst.
Klinische Campi der Charité
Danksagung und Blick in die Zukunft
Danksagung und Blick in die Zukunft
Wenn wir heute auf diesem Symposium an die Gründung unseres Instituts denken mit zahlreichen
Vorträgen, die das hohe wissenschaftliche Niveau dieser Einrichtung demonstrieren,
sollten wir nicht die vielen MTRA, die Krankenschwestern, die Sekretärinnen, die Anmeldekräfte,
im Archiv Tätige und die Reinigungskräfte vergessen. Auch der vielen ebenfalls im
Dunkel der Geschichte verbleibenden Ärzte, Physiker und Informatiker sei gedacht,
die durch alle Zeiten und unter unterschiedlichen politischen Regimes dennoch mit
Einsatzbereitschaft, Freude am Beruf und Hinwendung zu unseren Patienten dem Institut
zu seiner Erfolgsgeschichte verholfen haben. Ich wünsche dem Institut weiterhin den
Erfolg, der auf sehr guten Leistungen beruht verbunden mit der nötigen Fortune. Und
damit verbinde ich auch meinen herzlichsten Wunsch nach einem weiteren Gedeihen unseres
national und international hochgeachteten, nun in der ganzen wiedervereinigten Stadt
präsenten Instituts.
Lesen Sie nun zum Schluss den Text der Widmung Friks im Gründungsbuch unseres Instituts.
Friks Widmung
Grußwort von Roland Felix*, Meinhard Lüning* und Karl-Jürgen Wolf*
Grußwort von Roland Felix*, Meinhard Lüning* und Karl-Jürgen Wolf*
(*Emeriti der Klinik für Strahlenheilkunde – Campus Virchow-Klinikum, Institut für
Radiologie – Campus Mitte und Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin – Campus Benjamin
Franklin)
„Wir gratulieren allen Wissenschaftler / Innen und Mitarbeiter / Innen der Klinik
für Radiologie der Charité zum 75-jährigen Bestehen und wünschen unserer traditionsreichen
Institution weiterhin eine besondere Hingabe in Diagnostik und Therapie unserer Patienten,
wegweisende Erfolge in der Forschung und eine von den Studenten geschätzte exzellente
Lehre.“