Neben der Förderung, Zusammenfassung und Auswertung der wissenschaftlichen Facharbeit
nannte die Satzung der DRG „die Beratung und Unterstützung der Reichsärztekammer bei
der Verwertung der Röntgenkunde und Strahlenforschung im Dienst der Volksgesundheit“
als eine der Aufgaben der DRG. Diese fachliche Unterstützung bezog sich ausdrücklich
nicht nur auf die individuelle, strahlendiagnostische und -therapeutische Krankenversorgung
in freier Praxis und Krankenhaus, sondern auch auf „Zwecke der Volks-Hygiene bei Reihenuntersuchungen,
Verhütung von Schädigungen auf dem Gebiete der Eugenik“.[1] Damit wurde die traditionelle, individuell-heilkundliche Arzttätigkeit um eine bevölkerungsmedizinische
Perspektive erweitert, wie sie auch § 1 der „Reichsärzteordnung“ vom 13. Dezember
1935 (Reichsgesetzblatt I, S. 1433) in der Formel „Dienst an der Gesundheit des einzelnen
Menschen und des gesamten Volkes“ für die Angehörigen der ärztlichen Berufe kodifizierte.
Auf dem Gebiet der Medizin und des Gesundheitswesens konkretisierte sich dieses Prinzip
in der ‚Überordnung der Erhaltung der Gesundheit der Volksgesamtheit’ über den Schutz
von Gesundheit und Wohlergehen des Individuums, so das Reichsgericht am 19. Juni 1936.
Der Vollzug der Maßnahmen der Erbgesundheitspflege und der Rassenpolitik auf staatsrechtlicher,
sozialpolitischer, aber auch medizinischer Ebene gestaltete die gesamte Gesellschaft
im NS-Staat grundlegend um. In bisher nicht gekannter Weise ist es dem Nationalsozialismus
gelungen, die Bedeutung des Staates als lebendiger „Volkskörper“ festzuschreiben,
in dem – so eine juristische Formulierung aus dem Jahr 1934 – „der Wert der Einzelperson
nur nach dem Grade ihres Nutzens für das Volksganze bemessen werden kann“[2].
Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933
Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933
Wie beim Umgang mit den sog. „gemeingefährlichen“, weil ansteckenden Krankheiten,
wurde auch für den zur Sterilisierung vorgesehenen Personenkreis mit der gesundheitspolizeilich
indizierten Notwendigkeit seiner Absonderung argumentiert: Eine Person, deren Unfruchtbarmachung
beschlossen ist, „darf nur dann aus der Anstalt entlassen oder beurlaubt werden, wenn
sie unfruchtbar gemacht oder die Entscheidung über die Unfruchtbarmachung wieder aufgehoben
worden ist“[3], verfügte die VO der Reichsminister des Innern und der Justiz zur Ausführung des
„Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN) vom 5. Dezember 1933. Diese
implizite Gleichsetzung von hoch infektiösen Kranken mit den sog. „Erbkranken“ als
potenziell „gemeinschaftsgefährdend“ sollte die Berechtigung der Ausgrenzung dieses
Personenkreises unterstreichen – ein Unterfangen, das vor dem Hintergrund der meist
verwandten Indikation „angeborener Schwachsinn“ absurd anmutet. Mit weit über 50%
Anteil an den Krankheitsbildern rangierte der Schwachsinn vor allen übrigen, medizinisch-psychiatrisch
klarer abgrenzbaren Erkrankungen der Schizophrenie, des manisch-depressiven Irreseins,
der Epilepsie und der Huntington’schen Chorea, gefolgt von erblicher Blindheit, Taubheit
oder körperlicher Missbildung sowie schwerem Alkoholismus.
Die „Erbgesundheit“ des deutschen Volkes sollte durch Maßnahmen der positiven wie
der negativen Eugenik gestaltet werden. Anreize verschiedener Art zur Steigerung der
Geburtenrate standen im Mittelpunkt der positiven Eugenik, unter negativer Eugenik
wurden die Asylierung, das Verbot der Eheschließung und besonders die Beseitigung
der Fortpflanzungsfähigkeit bei Menschen mit bestimmten, als vererbbar betrachteten
psychiatrischen Erkrankungen zusammengefasst. Sterilisierung als Mittel der qualitativen
Bevölkerungspolitik wurde in Deutschland vor 1933 u. a. im „Deutschen Ärzteblatt“,
aber auch in Sachverständigengremien diskutiert[4], und sie wurde praktiziert in den Vereinigten Staaten und einigen europäischen Ländern
wie Dänemark, Schweden oder der Schweiz ([Abb. 1]).
Abb. 1 Erbhygiene. Plakat an der Schweizerischen Landesausstellung 1939. Aus: Fritz de Quervain:
Die ärztliche Wissenschaft, in: Die Schweiz im Spiegel der Landesausstellung 1939,
Zürich 1940, S. 361.
Die Besonderheit der im NS-Staat umgesetzten Politik der Sterilisierung lag zum einen
in der Möglichkeit der Anwendung polizeilicher Gewalt zur zwangsweisen Vorführung
des oder der zu Sterilisierenden zum medizinischen Eingriff, zum anderen in der zahlenmäßigen
Dimension: Im Deutschen Reich wurden während der NS-Jahre insgesamt über 300 000 Menschen
unfruchtbar gemacht, allein im Jahr 1934, dem ersten Jahr nach Inkrafttreten des GzVeN,
belief sich die Zahl der Sterilisierten auf 56 244 Menschen[5]. Der operative Eingriff bei Männern stellte keine Schwierigkeit dar, aber die Eröffnung
des Bauchraumes für die operative Sterilisierung bei einer Frau war mit einem gewissen
Risiko verbunden und es kam häufiger zu Zwischenfällen, sogar zu Todesfällen. Da die
Umsetzung des GzVeN, das als das ‚biopolitische Grundgesetz’ des Nationalsozialismus
galt, unter keinen Umständen in öffentlichen Misskredit geraten sollte, wurde nach
einer alternativen Form der Unfruchtbarmachung gesucht.
Unfruchtbarmachung durch Strahlen – Sterilisierung oder Kastration?
Unfruchtbarmachung durch Strahlen – Sterilisierung oder Kastration?
Mit der 5. Verordnung zum GzVeN vom 25. Februar 1936 ([Abb. 2]) wurden auch die Strahlendiagnostiker und –therapeuten in die Unfruchtbarmachung
durch Strahlenbehandlung aus rassehygienischen, nicht medizinisch-therapeutischen
Gründen einbezogen; damit waren auch die alltägliche Röntgenologie und Radiologie
in unethische medizinische Praktiken involviert. Zu diesem Zeitpunkt lagen bereits
langjährige Erfahrungen mit der „temporären Sterilisation“ („Menolyse“, „dauernde
Exovulierung“, „dauerhafte Röntgenamenorrhöe“) durch Röntgen- oder Radiumstrahlen
vor, die besonders in der gynäkologischen Therapie verschiedener Erkrankungen eingesetzt
wurde.[6] Seit Beginn der 1930er Jahre kritisierte jedoch die im Entstehen begriffene genetische
Forschung diese Form der Strahlentherapie als potenziell „keimschädigend“ und warnte
daher vor einer ‚leichtfertigen’ Indikation durch die medizinischen Praktiker. Der
Stellenwert, den die nationalsozialistische Biopolitik den erbpflegerischen und rassehygienischen
Fragen zumaß, machte eine prinzipielle Erörterung dieser widersprüchlichen wissenschaftlichen
Ansätze dringend.
Abb. 2 Mit der 5. Verordnung zum GzVeN vom 25. Februar 1936 wurden auch die Strahlendiagnostiker
und -therapeuten in die Unfruchtbarmachung urch Strahlenbehandlung aus rassehygienischen
Gründen einbezogen. Artikel 3 verweist auf die Kostenregelung ([Abb. 5]) und die Zulassung von Anstalten und Ärzten zur Unfruchtbarmachung durch Röntgen-
oder Radiumbestrahlung ([Abb. 7]). Quelle: DAeBl. 66 (1936), S. 276).
Bei einem Sachverständigen-Treffen im März 1933 in Göttingen trafen sich Genetiker
mit Strahlenforschern und -medizinern, wobei letztere durch die Professoren und DRG-Mitglieder
Hans Holfelder (Frankfurt / Main), Hermann Holthusen (Hamburg), Heinrich Martius (Göttingen)
und Carl Joseph Gauss (Würzburg) vertreten wurden ([Abb. 3], [4]). Einstimmig wurde festgehalten, dass „die Gefahr der Erbschädigung durch Radium-
und Röntgenstrahlen aufgrund der bisher vorliegenden Tier- und Pflanzenexperimente
als gegeben angesehen werden muß“. Im Falle der Bestrahlung der männlichen und weiblichen
Keimdrüsen sei daher „mit Rücksicht auf die Gefährdung des Keimgutes unseres Volkes“
äußerste Vorsicht geboten.[7] Bemerkenswert ist zum einen, dass diese Entschließung damit ganz in der Ausrichtung
auf den „Volkskörper“, nicht auf den Einzelmenschen und seine individuelle Gen-Schädigung
stand. Zum anderen wurde mit dieser gemeinsamen Erklärung von Genetikern und den strahlendiagnostisch
und -therapeutisch tätigen DRG-Mitgliedern auch die medizinische Expertise als Grundvoraussetzung
für die Durchführung der Strahlenanwendung festgelegt. Auf diesem Gebiet sollten nur
ausgewiesene und ausgebildete ärztliche Experten tätig sein, die möglichst auf den
Gebieten der Gynäkologie und der Radiologie / Röntgenologie über fundierte Kenntnisse
verfügten.
Abb. 3 Heinrich Martius (1885–1965)
Abb. 4 Carl Joseph Gauss (1875–1957)
Die DRG als den medizinisch-wissenschaftlichen Sachverstand auf diesen Fachgebieten
organisierende Fachgesellschaft wurde, wie aus dem Geschäftsbericht über das Kalenderjahr
1936 hervorgeht, auch um eine „Gutachtliche Äußerung“ zum Thema „Unfruchtbarmachung
durch Röntgenstrahlen“ gebeten, die von ihr gestellte Sachverständige auch abgegeben
haben[8]. Beteiligt war die DRG in Form ihres „Ausschusses für wirtschaftliche und Standesfragen“,
dessen Vorsitz 1936 der Hamburger Strahlenmediziner Prof. Dr. Fedor Haenisch (1874-1952)
inne hatte, wahrscheinlich auch an der Festlegung der Höhe der für die Durchführung
der Unfruchtbarmachung durch Röntgen- oder Radiumstrahlen fälligen Kosten[9], die wie andere erbrachte strahlendiagnostische und -therapeutische Leistungen nach
dem gemeinsam mit der KVD ausgehandelten Tarif durch die Sozialversicherungsträger
oder die Wohlfahrtsverbände zu begleichen waren ([Abb. 5]). Für den Eingriff veranschlagte das Reichs- und Preussische Innenministerium im
Falle der Unfruchtbarmachung durch Bestrahlung mit Röntgenstrahlen eine Gebühr in
Höhe 50 RM bzw. von 40 RM, wenn die Bestrahlung mit Radium vorgenommen wurde; obligatorisch
waren 3 Nachuntersuchungen, die mit je 3 RM vergütet wurden.
Abb. 5 Runderlass des Reichs- und Preussischen Minister des Innern vom 24. April 1936 (Quelle:
DAeBl. 66 (1936), S. 616).
Während die chirurgische Sterilisierung an jedem Krankenhaus und in den Krankenabteilungen
der Heil- und Pflegeanstalten und der Gefängnisse durchgeführt werden durfte, wenn
ein mit der Methodik vertrauter Chirurg dort tätig war[10], liegen die Verhältnisse in der Strahlenbehandlung aufgrund der komplizierten Abwägung
der zu applizierenden Strahlendosis anders ([Abb. 6]). Im Gegensatz zur therapeutischen Anwendung handelte es sich nun um die Zuverlässigkeit
der sterilisierenden Wirkung, die nicht mehr nur temporär, sondern endgültig sein
sollte, und wenn möglich, ohne die gesundheitlichen Folgen einer Kastration auszulösen.
Eine vom Reichsgesundheitsamt 1934 gestartete Umfrage bei 60 Radiologen und Gynäkologen
ergab, dass die Vereinbarkeit dieser beiden Ziele kaum zu realisieren sei: Eine sichere
Unfruchtbarmachung könne nur durch Röntgenstrahlen in einer höheren, sog. „Kastrationsdosis
(300 R.E.)“ erreicht werden, dann müssten aber auch „Kastrationsfolgen mit allen Beschwerden“[11] in Kauf genommen werden, wie Prof. Dr. Ernst Rüdin (1874-1952) das strahlenfachliche
Dilemma zuspitzte.
Abb. 6 DRK-Schwestern legen dem Arzt vor der Röntgenaufnahme eine Schutzkleidung an (1940).
(Copyright: ullstein bild - DRK (Deutsches Rotes Kreuz) Bild-Nr. 00258865)
Die „Ermächtigung zur Unfruchtbarmachung durch Strahlen“
Die „Ermächtigung zur Unfruchtbarmachung durch Strahlen“
Mit insgesamt 111 zur Strahlen-Sterilisation „ermächtigten“ Einrichtungen ist die
Gesamtzahl der Anstalten deutlich niedriger als die Zahl der Kliniken, in denen operativ
sterilisiert wurde, wie aus dem „Verzeichnis der zur Durchführung der Unfruchtbarmachung
durch Strahlenbehandlung zugelassenen Institute und ermächtigten Ärzte“ vom 1. Juli
1936 hervorgeht[12]. Die Facharztausbildung des jeweils zum Eingriff zugelassenen Arztes bestimmte die
Methode: Die Ärzteliste aus dem Jahr 1936 führt insgesamt 49 Röntgen-Fachärzte („Nur-Röntgenologen“)
auf. Hinzu kommen 4 ausschließlich zur Radium-Anwendung ermächtigte Gynäkologen sowie
97 weitere Fachärzte, die sich wahrscheinlich in beiden Fachrichtungen qualifiziert
hatten und daher sowohl mittels Röntgenstrahlen als auch durch Radium-Einlagen „sterilisieren“
durften („Auch-Röntgenologen“). Insgesamt sind daher 150 Ärzte – darunter keine Ärztin
– im Deutschen Reich zur Unfruchtbarmachung durch Strahlenbehandlung ermächtigt; ein
Abgleich mit dem Mitgliederverzeichnis der DRG von 1940 ergab, dass mit 77 dieser
ermächtigten Ärzte etwa die Hälfte Mitglieder der DRG waren ([Abb. 7]).
Abb. 7 Verzeichnis der zur Durchführung der Unfruchtbarmachung durch Strahlenbehandlung
zugelassenen Institute und ermächtigten Ärzte. (Quelle: DAeBl. 66 (1936), S. 856-860,
hier abgedruckt S. 856 u. S. 858). Der Runderlass vom 1. Juli 1936 differenziert nicht
nach medizinischer oder eugenischer Indikation, aber der Hinweis auf die 5. Verordnung
zur Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses stellt klar, dass
es sich um eine Maßnahme der Erbgesundheitspflege handelte. Das GzVeN wurde am 24.
Mai 2007 durch den Deutschen Bundestag als NS-Unrechtsgesetz geächtet (s. Bundestags-Drucksache
16/3811 v. 13.12.2006).
Eine erste Bilanzierung der bisherigen Erfahrungen wurde 1939 in Stuttgart auf der
30. Tagung der DRG gezogen. Die Fortschritte auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen (heute:
RöFo) stellte unter der Kopfzeile „Strahlenkastration“ 2 Referate von Prof. Dr. Carl
Joseph Gauss und Prof. Dr. Artur Pickhan, Berlin; [Abb. 8]) vorstellte. Gauss hatte bei allen 111 zur Strahlensterilisation zugelassenen Anstalten
nach deren Erfahrungen gefragt. Zusammengefasst lautete das Resultat der 109 Antworten:
¾ der Anstalten verwendeten Operation und Bestrahlung nebeneinander, wobei 95% der
Eingriffe auf die operative Sterilisation, und nur 5% auf die Bestrahlung entfielen,
die sich wiederum zu 80% auf die Röntgen- und zu 20% auf die Radiumbestrahlung aufteilten.
In 75% der Fälle wurde das Alter als Grund für die Wahl der Methode angegeben, aber
auch die Vorauswahl durch das Gesundheitsamt spielte eine Rolle. Bestrahlung mit Röntgenstrahlen
und die Radiumverwendung zeigten große Unterschiede im Hinblick auf Anzahl der Sitzungen
und die Höhe der Dosis zur Erreichung der Unfruchtbarkeit. Negative Auswirkungen auf
die Arbeitsfähigkeit seien nicht beobachtet worden, wie Gauss betonte, auch habe sich
das die Unfruchtbarmachung veranlassende Erbleiden kaum jemals durch die Bestrahlung
verschlechtert, schien vielmehr eher gebessert, sodass der Referent zu der Einschätzung
gelangte, dass die Bestrahlung im Rahmen des GzVeN „eine überaus wichtige und segensreiche
Ergänzung der operativen Unfruchtbarmachung“ darstelle.[13]
Abb. 8 Artur Pickhan (1887-1969)
Aus dem Cecilienhaus in Berlin berichtete Chefarzt Prof. Dr. Artur Pickhan von 32
‚erbkranken’ Frauen, von denen 23 auf chirurgischem und 9 durch Röntgenstrahlen sterilisiert
wurden. Auch Pickhan konnte keine negative Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit erkennen,
er beschrieb die Auswirkungen auf das psychische Befinden bei unterschiedlichen Grundleiden
als positiv. Ebenfalls bemerkenswert fand der Referent, dass sich Zwangsmaßnahmen
„wie Fesselung, Narkose, Medikamente u. dgl.“[14] als unnötig erwiesen hätten. Die von Pickhan angewandte Dosis von etwa 360r [= Röntgen
= Ionendosis] lag aus Gründen der zuverlässigen Unfruchtbarmachung über der üblichen
Röntgendosis, aber er bevorzugte dennoch die Röntgensterilisation, weil sie am wenigsten
an einen operativen oder operationsähnlichen Eingriff erinnere. Die sichere Außerkraftsetzung
der Eierstocktätigkeit durch ‚normale’ Dosen, bezweifelte Pickhan, und riet zu großer
Umsicht, indem er betonte, dass die zur Effizienz benötigten Strahlenhöhen eine Gefahr
für die Schädigung benachbarter Organe und des gesamten Organismus mit sich bringen
würden.
Zusammenfassend kann man annehmen, dass weniger als 2% der Gesamtzahl der etwa 360 000
Zwangssterilisierten der Unfruchtbarmachung durch Strahlenbehandlung unterzogen wurden[15], da die Methode erst im 3. Jahr der Geltung des GzVeN zugelassen wurde. Es existieren
lediglich einzelne Hinweise auf die Anzahl von Frauen, die zur Unfruchtbarmachung
einer Strahlenbehandlung unterzogen wurden. Der Nachweis, dass Unfruchtbarmachungen
aus eugenischer und nicht aus medizinischer Indikation durchgeführt wurden, lässt
sich anhand der psychiatrischen Vordiagnose ersehen, die auf den Überweisungsdokumenten
vermerkt sind. Da die strahlentherapeutischen Methoden in den 1930er Jahren noch sehr
jung waren, war das Interesse an ihrer wissenschaftlichen Begleitung durch Forschungsarbeiten
groß, wie ein umfangreicher Fundus an medizinischen Dissertationen beweist. Ähnlich
wie die beiden Referenten auf dem 30. Röntgen-Kongress 1939 bewerteten die zeitgenössischen
Dissertationen die Unfruchtbarmachung durch Strahlenbehandlung insgesamt als positive
Ergänzung der operativen Sterilisierungsmethode[16], dabei unterschlagend, dass es sich hierbei um eine Kastration mit allen unerwünschten,
gesundheitsschädigenden Nebenwirkungen handelte. Eine systematische Bestandsaufnahme
der Opfer eugenischer zwangsweiser Unfruchtbarmachung durch Strahlen ist immer noch
ein Desiderat der Forschung.
Dr. Gabriele Moser
Universität Heidelberg
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin
Im Neuenheimer Feld 327
69 120 Heidelberg
E-Mail: gabriele.moser@umtal.de
Dieser Beitrag wird in der Zeitschrift Strahlentherapie und Onkologie im Mai dieses
Jahres in englischer Sprache veröffentlicht.