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DOI: 10.1055/s-0034-1367487
Management-Handbuch für Chefärzte
Publication History
Publication Date:
04 February 2014 (online)
Bücher dieser Art fasse ich aus verschiedenen Gründen nur mit spitzen Fingern an. Ich schlug also dieses Buch auf und wählte mir das Kapitel aus, das die allgemeine Botschaft des Buches wohl zum Ausdruck bringt: „Das Berufsbild Chefarzt im Wandel“. Nach wenigen Zeilen ist die Botschaft klar: „… das Ideal des medizinischen Freundes (geht) zunehmend in eine Dienstleister-Kunden-Beziehung über … Diese weltweite Entwicklung kann bedauert, muss aber … akzeptiert werden.“ Falsch. Gar nichts muss akzeptiert werden. Der Patient ist kein Kunde und wird es nie sein.
Jetzt, wo die Fronten geklärt sind, kann man das Buch anders angehen: Wie sieht die Welt des Krankenhauses aus, wenn der Patient zum Kunden definiert worden ist? Was wird aus einem (Chef)Arzt in so einem Krankenhaus? Da kann man nun viel lernen.
Zum einen die Philosophie dieser ökonomisch definierten Medizin in den Kapiteln „Strategisches und operatives Management von Abteilungen und Zentren“ sowie „In Gesamtprozessen denken, handeln und optimieren“. Alles ist rational geplant, in zertifizierte Strukturen gegossen, in Algorithmen festgelegt; alle Gespräche verlaufen höchst sach- und zielorientiert, Transparenz allerorten, Kooperation ist nicht dem Zufall überlassen, sondern systemimmanent implementiert. Geld versachlicht alles in wohltuender Weise. Denn worum soll es sonst gehen als um den Erfolg des Unternehmens?
Zum anderen ihre Praxis, exemplifiziert von sechs Chefärzten aus verschiedenen Abteilungen. Ich studierte näher das Kapitel Kardiologie. Vergleicht man das vorgestellte Modell mit seiner Theorie, so wird deutlich, wie viel „Struktur“ dieser Theorie gar nicht bedarf, sondern schlicht vernünftiger (d. h. medizinisch angemessener) Planung und inhaltlicher Standardisierung entspringt. Was sich „Leistungs- und Kostenmanagement“ nennt, bedeutet nicht viel mehr, als Einblick in die eigenen Kostenstrukturen zu bekommen; „Qualitätsmanagement“, Behandlungspfade zu definieren; „Informations- und Kommunikationsmanagement“, mit Patienten, Mitarbeitern und Zuweisern zu sprechen; „Personalmanagement“, Mitarbeiter zu gewinnen, zu motivieren und zu führen, usw. Das alles ist gut und richtig. Wo war noch mal das Problem?
Das Problem liegt darin, dass die Fiktion gepflegt wird, der Chefarzt sei als Arzt Teil des Unternehmens. Die Realität ist hingegen, dass der Chefarzt ein abhängig Beschäftigter ist, der für gesetzte Unternehmensziele in seinem Bereich zu haften hat. Der Chefarzt ist jemand, dem eine Bindung an den Eigensinn des Verhältnisses von Arzt und Patient bzw. der Medizin überhaupt nicht zugestanden wird, andererseits aber auch als „Manager“ lediglich den Status eines Angestellten einnimmt. Armer Chefarzt! Rasch hat er auch erfahren, dass all die zertifizierten Prozesse und Algorithmen weitgehend Fassade sind; die relevanten Unternehmensentscheidungen von Geschäftsführungen sind, wie immer und überall auf dieser Welt, Ergebnis von Hoffnungen, Sympathien, Kompromissen, Fehlurteilen, Bündnissen, Aversionen, Schlafmangel und Kurzsichtigkeit, kurz: von Leidenschaften und Defizienzen.
Manche werden denken: Da spricht ein frustrierter Chefarzt, der von Ökonomie nichts versteht und auch nichts wissen will. Wieder falsch. Im Gegenteil, es spricht einer, der in der Auseinandersetzung mit dieser ökonomischen Sicht des Krankenhauses und Medizin seinen Standpunkt definiert hat und – recht und schlecht – im Alltag zu verwirklichen sucht. Denn zugunsten unseres Gesundheitssystems muss gesagt werden, dass der Chefarzt, der sich um seine Klinik kümmert, ärztlich, medizinisch und strukturell, der dabei seine Position definiert und lebt, durchaus (noch) in jeder Hinsicht erfolgreich arbeiten kann.
Das Buch ist seinen Preis allemal wert. Für die, die Chefärzte sind, ist es ein Spiegel, darf ich sagen: ein Gewissensspiegel? Für die, die diese Position anstreben, eine Prüfung: Wie verstehe ich mich als Arzt? Wie verstehe ich meine Beziehung zu Patienten?
Und es hält ein Zitat von Upton Sinclair im Zusammenhang mit der Privatliquidation bereit, das verdient, zitiert zu werden: „Es ist unmöglich, jemandem etwas verständlich zu machen, wenn sein Einkommen davon abhängt, es nicht zu verstehen.“ Touché, meine Herren!
Prof. Dr. Santiago Ewig, Bochum
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