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DOI: 10.1055/s-0034-1366939
Hypogonadismus – Testosteron-Ersatztherapie nach Prostatakarzinom?
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
05. Februar 2014 (online)
Die Symptome bei Hypogonadismus sprechen gut auf Testosteronsubstitution an. Bei Patienten
mit einer Vorgeschichte von Prostatakarzinom wurden nach Testosteronsubstitution jedoch
Fälle von Tumorrezidiven beschrieben. Eine Arbeitsgruppe aus Chicago hat die Effektivität
und Sicherheit von Testosterongabe bei Patienten mit Hypogonadismus nach radikaler
Prostatektomie retrospektiv untersucht.
J Urol 2013; 190: 639–644
mit Kommentar
Eine Testosteron-Ersatztherapie ist klinisch wirksam und muss die Rezidivrate von Prostatakarzinomen nicht erhöhen. Das schlussfolgern Pastuszak und Kollegen, welche die Daten von 152 Patienten retrospektiv ausgewertet haben. Bei allen Männern war wegen eines Prostatakarzinoms eine radikale Prostatektomie durchgeführt worden.
Bei 103 der 152 Patienten traten in den nachfolgenden Jahren Symptome von Hypogonadismus wie Erschöpfungszustände, Schlafstörungen, Gewichtszunahme, kognitive Verschlechterungen und Störungen der Sexualfunktion auf. Einschlusskriterium in die Studie war das Vorliegen von mind. einer postoperativen Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) mit einem Wert unterhalb der Nachweisgrenze. Die Testosteronserumkonzentration lag zwischen 38 und 513 ng / dl. Bei allen Männern erfolgte die Therapie mit transdermal appliziertem Testosteron, im Median 12,3 Monate nach Prostatektomie. In der Behandlungsgruppe befanden sich 26 Männer mit hohem Rezidivrisiko, definiert als Gleason-Score von 8 oder höher, positive Absetzungsränder oder Lymphknotenbefall.
Als Kontrollgruppe dienten 49 Männer mit Prostatakarzinom und radikaler Prostatektomie ohne hypogonadale Symptomatik, davon 15 Hochrisikopatienten. Laborwerte für die Testosteronkonzentration waren nicht verfügbar.
Anstieg der PSA-Konzentration nach Testosterongabe
Nach einem medianen Follow-up von 27,5 Monaten im Therapiearm war die Testosteronkonzentrationen im Serum signifikant angestiegen. Zudem fand sich ein signifikanter Anstieg der PSA-Konzentration, beginnend 18 bis 24 Monate nach Ansetzen der Testosterontherapie, sowohl in der Hochrisikogruppe als auch in der Gruppe mit niedrigem Risiko. In der Referenzgruppe (medianes Follow-up 16,5 Monate) fand sich nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 16,5 Monaten kein derartiger PSA-Anstieg.
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Rezidivrisiko nicht erhöht
Bei 4 Männern unter Testosteronbehandlung und bei 8 Männern in der Kontrollgruppe trat ein biochemisches Rezidiv auf, definiert als konsekutiv zunehmende PSAKonzentration. Die Patienten wurden einer Strahlentherapie zugeführt. Sämtliche Rezidive fanden sich bei Hochrisikopatienten, entsprechend 15 % der Behandlungsgruppe und 53 % der Kontrollgruppe.
Die Testosterongabe nach Prostatektomie scheint nicht mit einem erhöhten Rezidivrisiko verbunden, folgern die Autoren aus dieser Studie. Sie geben jedoch den retrospektiven Charakter der Studie zu bedenken, sowie die unterschiedlichen Nachbeobachtungszeiträume in den beiden Gruppen. Zudem war die Follow-up-Periode relativ kurz, in Anbetracht der Tatsache, dass Prostatakarzinom-Rezidive 5 oder mehr Jahre nach der initalen Behandlung auftreten können. Die Autoren empfehlen im Fall einer Testosteron-Ersatztherapie nach Prostatakarzinom eine engmaschige Überwachung der Patienten, halten den Therapieansatz jedoch für vertretbar.
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Testosteronsubstitution beim Prostatakarzinom?
Hypogonadismus beschreibt ein klinisches und biochemisches Syndrom, das sich durch die Symptome des Androgendefizits und erniedrigte Testosteronspiegel im Serum kennzeichnet. Die klinischen Symptome sind im Wesentlichen Libidoverlust, erektile Dysfunktion, Adipositas, Verlust an Muskulatur, das Metabolische Syndrom, Diabetes, Depression, Erniedrigung der Knochenstabilität sowie eine Erhöhung der kardialen Morbidität. Für die westlichen Industrienationen wird in der Literatur die Inzidenz mit ca. 1600 Neuerkrankungen pro 100 000 Einwohner im Jahr für die Altersgruppe der 40 – 69-jährigen angegeben [ 1 ]–[ 5 ]. Es stellt sich also bei diesen nicht unerheblichen Symptomen die Frage, wie mit Patienten zu verfahren ist, die sowohl am Hypogonadismus als auch am Prostatakarzinom leiden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die meisten Prostatakarzinome testosteronabhängiges Proliferationsverhalten aufweisen.
Aussagekräftige Parameter fehlen
Die aktuelle Untersuchung „Testosterone Replacement Therapy in Patients with Prostate Cancer After Radical Prostatectomy“, publiziert im Journal of Urology, hat die onkologischen Effekte der Testosteronsubstitution untersucht. Eine Aussage für oder wider Testosteronsubstitution in dieser Konstellation lässt sich aus den Ergebnissen der Untersuchung nicht ableiten. Dies hat mehrere Gründe. Der Wichtigste ist sicherlich, dass das Follow-up der Studie mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 27,5 Monaten für eine onkologische Fragestellung bei Patienten, die unter kurativer Zielsetzung therapiert wurden, viel zu kurz ist. Das progressionsfreie Überlebensintervall und das Gesamtüberleben, beides in der Studie aufgrund des kurzen Follow-up nicht erfasst, wären hier wesentlich aussagekräftigere Parameter. Der PSA-Serumwert, Hauptparameter der Studie, lässt zwar Rückschlüsse auf den Erkrankungsverlauf zu, ist aber allein nicht hinreichend, um fundierte Aussagen über die onkologischen Auswirkungen der Testosteronsubstitution zu treffen. Die beobachteten Schwankungen des PSA-Serumwerts in der Gruppe der substituierten Patienten liegen alle in einer Größenordnung < 0,012 ng / ml, sodass hier eine klinische Relevanz sehr fraglich, wenn nicht hypothetisch ist. Vor dem Hintergrund der verhältnismäßig kleinen absoluten PSA-Erhöhungen ist auch die berechnete PSA-Anstiegsgeschwindigkeit (PSA-Velocity) nur wenig aussagekräftig und erlaubt nur recht limitierte Aussagen über die Auswirkungen auf den Verlauf der Prostatakarzinomerkrankung.
Geringe Vergleichbarkeit der Patienten
In Bezug auf das Design der Studie gibt es einige Punkte, die die Verwertbarkeit der Ergebnisse ebenfalls limitieren. Das Patientenkollektiv ist sehr heterogen, denn es wurden Patienten aller Risikokonstellationen nach der D’Amico-Klassifikation eingeschlossen. Bei Patienten mit hohem Risikoprofil ist die Rezidivrate höher einzuschätzen, sodass diese Subgruppe nicht mit der Subgruppe niedrigen oder intermediären Risikoprofils vergleichbar ist und diese auch getrennt voneinander ausgewertet werden sollten. Außerdem hat das individuelle Risikoprofil auch Einfluss auf die initiale Therapieplanung, wie z. B. die Durchführung und das Ausmaß der Lymphadenektomie, die wiederum einen Einfluss auf die Rezidivrate hat, so dass sich hieraus auch eine geringe Vergleichbarkeit der Patienten ergibt. Als letzter Punkt in diesem Zusammenhang ist zu nennen, dass es sich bei der Untersuchung um eine retrospektive Datenauswertung handelt, die den Evidenzgrad der Ergebnisse gegenüber kontrollierten, prospektiven, randomisierten und placebokontrollierten Studien herabsetzt.
Eingeschränkte Datenlage
Die Datenlage in der Literatur zu dieser Fragestellung ist nicht ausreichend, um eine eindeutige Empfehlung hohen Evidenzgrads abzugeben, wie Bassil et al. (Metaanalyse mit insgesamt 229 Patienten) und Isbarn et al. (Metaanalyse mit insgesamt 3886 Patienten) in ihren systematischen Reviews zu dieser Thematik beschrieben haben [ 6 ], [ 7 ]. Morgentaler et al. zeigten 2010, dass Patienten mit lokalisierten Prostatakarzinomen und erfolgter kurativer, chirurgischer Sanierung in der Vorgeschichte ohne aktuellen Nachweis einer aktiven Erkrankung (PSA-Wert Erhöhung, suspekte digital rektale Untersuchung, bildmorphologischer Metastasenverdacht), einer Testosteronsubstitutionstherapie unter engmaschiger Kontrolle zugeführt werden können [ 8 ], [ 9 ]. Kaufman et al. kommen zu dem Ergebnis, dass Patienten ein niedriges Risikoprofil für die Entwicklung eines Rezidivs aufweisen müssen, um „nach“ der Prostatakarzinomerkrankung für eine Testosteronsubstitutionstherapie infrage zu kommen. Eine niedrige Risikokonstellation liegt vor, wenn Patienten ein Jahr nach Prostatektomie einen
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PSA-Serumwert unterhalb der Nachweisgrenze haben,
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der präoperative Gleason-Score < 8 ist,
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das pathologische T-Stadium 2 nicht überschreitet und
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der initiale PSA-Serumwert < 10 ng / ml liegt [ 10 ].
Schließlich konnte Sarodsy zeigen, dass dies auch für Patienten gilt, die bei Vorliegen eines Prostatakarzinoms geringer Risikokonstellation eine Radiotherapie erhalten haben [ 11 ]. Deshalb sind diese Kriterien als Voraussetzung für die Durchführung einer Testosteronsubstitutionstherapie bei Patienten mit Prostatakarzinomen auch in die aktuellen Konsensusleitlinien der europäischen Gesellschaft für Urologie eingegangen, aufgrund der Studienlage allerdings lediglich mit einem Evidenzgrad 4B. Kontrollierte, prospektiv, randomisierte und placebokontrollierte Studien mit einem Langzeit-Follow-up > 15 Jahre und dem primären Endpunkt progressionsfreies Überleben wären wünschenswert, um die Fragestellung mit höherer Evidenz beantworten zu können.
Fazit
Die eingangs gestellte Frage lässt sich zusammenfassend wie folgt beantworten: Eine Testosteronsubstitutionstherapie bei Patienten mit einer aktiven Prostatakarzinomerkrankung ist kontraindiziert. Hypogonadalen, symptomatischen Patienten, die nach definierten Kriterien als kurativ therapiert gelten und keine hohe Risikokonstellation für das Auftreten eines Rezidivs aufweisen, kann nach entsprechender Aufklärung über die karzinomspezifischen Risiken vor dem Hintergrund der eingeschränkten Datenlage eine Testosteronsubstitutionstherapie angeboten werden. Diese sollte allerdings unter fachkundiger, engmaschiger Verlaufskontrolle stehen und idealerweise in einem zertifizierten Zentrum durchgeführt werden.
Dr. Julius van Essen, Dr. David Pfister, Prof. Axel Heidenreich, Aachen
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Literatur
- 1 Araujo AB et al. J Clin Endocrinol Metab 2004; 89: 5920-5926
- 2 Harman SM et al. J Clin Endocrinol Metab 2001; 86: 724-731
- 3 Araujo AB et al. J Clin Endocrinol Metab 2007; 92: 4241-4247
- 4 Wu FC et al. J Clin Endocrinol Metab 2008; 93: 2737-2745
- 5 Liu PY et al. J Clin Endocrinol Metab 2007; 92: 3599-3603
- 6 Bassil N et al. Ther Clin Risk Manag 2009; 5: 427-448
- 7 Isbarn H et al. Eur Urology 2009; 56: 48-56
- 8 Morgentaler A, Morales A. J Urol 2010; 184: 1257-1260
- 9 Morgentaler A. J Urol 2010; 181: 972-979
- 10 Kaufmann JM, Graydon RJ. J Urol 2004; 172: 920-922
- 11 Sarodsy MF. Cancer 2007; 109: 536-541
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Literatur
- 1 Araujo AB et al. J Clin Endocrinol Metab 2004; 89: 5920-5926
- 2 Harman SM et al. J Clin Endocrinol Metab 2001; 86: 724-731
- 3 Araujo AB et al. J Clin Endocrinol Metab 2007; 92: 4241-4247
- 4 Wu FC et al. J Clin Endocrinol Metab 2008; 93: 2737-2745
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