Aktuelle Dermatologie 2014; 40(05): 190-192
DOI: 10.1055/s-0034-1365474
Eine Klinik im Blickpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Lymphogranuloma venereum – Eine in Vergessenheit geratene Geschlechtskrankheit

Lymphogranuloma venereum – A Forgotten Sexually Transmitted Disease
T. Nußbaum
1   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, HELIOS St. Elisabeth Klinik, Oberhausen
,
A. Bellmunt-Zschäpe
2   HIV-Schwerpunkt-Praxis Dortmund
,
A. Potthoff
3   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, St. Josef Hospital, Ruhr Universität Bochum
,
N. H. Brockmeyer
3   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, St. Josef Hospital, Ruhr Universität Bochum
,
A. Kreuter
1   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, HELIOS St. Elisabeth Klinik, Oberhausen
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Alexander Kreuter
Chefarzt der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
HELIOS St. Elisabeth Klinik
Josefstr. 3
46045 Oberhausen

Publication History

Publication Date:
12 May 2014 (online)

 

Zusammenfassung

Wir berichten über einen 36-jährigen HIV-positiven Patienten, der sich aufgrund stärkster Schmerzen und Tenesmen im Analbereich sowie einer blutig-eitrigen analen Sekretion notfallmäßig vorstellte. Unter der Verdachtsdiagnose einer Colitis ulcerosa war extern zuvor eine Therapie mit Hydrokortison-haltigem Rektalschaum und Mesalazin eingeleitet worden, welche jedoch nur zu einer kurzfristigen Besserung der Beschwerden führte. Nach genauer Erhebung der Sexualanamnese wurde der Verdacht auf eine sexuell übertragene Erkrankung im Analbereich gestellt. Die weiterführende mikrobiologische Diagnostik zeigte eine Infektion mit Chlamydia trachomatis. In der anschließend erfolgten Serotypisierung zeigte sich Chlamydia trachomatis Serovar L2B, sodass letztendlich die Diagnose Lymphogranuloma venereum gestellt werden konnte. Unter einer antibiotischen Therapie mit Doxycyclin über drei Wochen kam es zu einer kompletten Abheilung. Das Lymphogranuloma venereum ist eine in der westlichen Welt seltene, in den letzten Jahren jedoch insbesondere bei HIV-infizierten Männern sprunghaft zunehmende Geschlechtserkrankung. Bei HIV-positiven Männern verursacht das Lymphogranuloma venereum überwiegend Proktitiden, die unbehandelt schwere Komplikationen verursachen können. Bei Proktitiden sollte daher differenzialdiagnostisch, insbesondere bei HIV-Infektion, an das Lymphogranuloma venereum gedacht werden.


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Abstract

We report on a 36-year-old HIV-positive patient who presented with severe anal pain, rectal tenesmus and bloody-purulent anal secretion. Ulcerative colitis was initially suspected, and treatment with hydrocortison-containing rectal foam and mesalazine was initiated. However, only marginal clinical improvement was achieved. Exact anamnesis raised suspicion for the presence of a sexually transmitted disease. Microbiologic diagnostics revealed the presence of chlamydia trachomatis. Serotyping showed chlamydia trachomatis serovar L2B, so that finally a diagnosis of lymphogranuloma venereum was made. Following antibiotic therapy with doxycycline for 3 weeks, all symptoms completely cleared. Lymphogranuloma venereum is a rare disease in the western world. However, significant increases of incidence have been lately observed, especially in HIV-positive men. Lymphogranuloma venereum predominantly causes proctitis in HIV-positive men, with potential severe complications if left untreated. Therefore, lymphogranuloma venereum should be included in the list of differential diagnoses of proctitis in HIV-positive patients.


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Fallbericht

Anamnese und Befund

Wir berichten über einen 36-jährigen Patienten, der sich aufgrund stärkster Schmerzen und Tenesmen im Analbereich sowie einer bestehenden blutig-eitrigen Sekretion notfallmäßig vorstellte. Die Symptomatik bestand anamnestisch seit etwa vier Monaten und habe sich in den letzten Wochen dramatisch verschlechtert. Vorab seien bereits mehrfache Arztbesuche bei einem Gastoenterologen erfolgt, der zuletzt die Verdachtsdiagnose einer Colitis ulcerosa stellte. Die extern eingeleitete Therapie mit Hydrokortison-haltigem Rektalschaum und Mesalazin führte lediglich zu einer kurzfristigen Besserung der Beschwerden. Bei dem Patienten war im Jahr 2006 eine HIV-Infektion (aktuelles Stadium A1 nach CDC/WHO) diagnostiziert worden. Aufgrund des stabilen virologischen und immunologischen Status wurde bisher noch keine antiretrovirale Therapie eingeleitet. Zur weiterführenden Abklärung der proktologischen Beschwerden erfolgte schließlich die stationäre Einweisung des Patienten. Die gezielte Erhebung der Sexualanamnese der letzten Monate ergab regelmäßige ungeschützte Sexualkontakte. Die unmittelbar nach stationärer Aufnahme durchgeführte hochauflösende Anoskopie zeigte eine schwere zirkumferente Proktitis mit reichlich eitrigem Sekret im Bereich des distalen Rektums und begleitender Mazeration der Perianalhaut. Aufgrund der Gesamtkonstellation wurde die Verdachtsdiagnose einer sexuell übertragenen Erkrankung der Analregion gestellt.


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Diagnostik und Therapie

Im Routine-Labor fielen eine leichte Leukozytose sowie eine Erhöhung des C-reaktiven Proteins auf 4,6 mg/dl (Normwert: < 0,5 mg/dl) auf. Die restlichen Laborwerte waren normwertig. Zunächst erfolgten anale Abstriche zur Durchführung einer PCR auf Chlamydia trachomatis und Gonokokken sowie eine Serologie auf Lues und Hepatitis. Dabei zeigte sich die Routine-PCR positiv für Chlamydia trachomatis. Die übrige Diagnostik auf die anderen, differenzialdiagnostisch in Erwägung gezogenen sexuell übertragbaren Erkrankungen war unauffällig. In der zusätzlich durchgeführten Stuhluntersuchung waren keine Salmonellen, Shigellen, Campylobacter, Yersinien oder Clostridium difficile nachweisbar. Somit konnte Chlamydia trachomatis als Auslöser der Proktitis detektiert werden. In der weiterführenden Serotypisierung zeigte sich eine Chlamydieninfektion mit dem Serovar L2B, sodass wir letztendlich die Diagnose Lymphogranuloma venereum stellten.

Zur weiteren Abklärung der Ausdehnung der Proktitis im Rahmen des Lymphogranuloma venereum wurde eine Rektosigmoidoskopie durchgeführt. Hier kam eine ausgeprägte zirkuläre, zum Teil ulzeröse Proktitis des Rektums zur Darstellung ([Abb. 1]). In der zusätzlich erfolgten Computertomografie zeigte sich eine langstreckige entzündliche Wandverdickung des distalen Colon sigmoideums sowie des Rektums ohne Anzeichen einer Stenose oder Perforation ([Abb. 2]). Wir begannen eine systemische Antibiose mit 200 mg Doxycyclin täglich für insgesamt drei Wochen. Schmerztherapeutisch wurde ergänzend 600 mg Ibuprofen zweimal täglich verabreicht. Die lokale Therapie der perianalen Mazerationen erfolgte mit weicher Zinkpaste. Bereits nach wenigen Tagen stellte sich eine deutliche Besserung der Beschwerden ein, sodass der Patient aus der stationären Behandlung entlassen werden konnte. In der Verlaufs-Rektosigmoidoskopie nach Beendigung der Doxycyclin-Therapie zeigte sich nahezu ein Normalbefund ([Abb. 3]).

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Abb. 1 Klinische Charakteristika bei Erstvorstellung in der Rektosigmoidoskopie. Es besteht eine ausgedehnte, zirkuläre, zum Teil ulzerative Proktokolitis, die bis ca. 18 cm ab ano reicht.
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Abb. 2 Computertomografie des Beckens bei Erstuntersuchung. Es besteht eine ausgeprägte Schwellung und Verdickung der Mukosa im gesamten Rektum.
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Abb. 3 Deutliche klinische Besserung in einer im Verlauf durchgeführten Rektosigmoidoskopie nach drei Wochen Therapie mit Doxycyclin.

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Diskussion

Das Lymphogranuloma venereum ist eine der „klassischen“ Geschlechtskrankheiten, hervorgerufen durch eine Infektion mit Chlamydia trachomatis der Serotypen L1 – L3 [1] [2] [3]. Der klinische Verlauf zeigt sich typischerweise in drei Stadien. Die Primärläsion imponiert nach einer Inkubationszeit von 3 bis 30 Tagen als meist schmerzlose Papel, die im weiteren Verlauf ulzerieren kann. Im Sekundärstadium kann dann eine regionale Lymphadenopathie mit der für die Erkrankung charakteristischen Bubo-Formation entstehen, die im weiteren Verlauf zur Ulzeration und Eiterentleerung führen kann. Im tertiären Stadium kann es zu Elephantiasis genitoanorectalis ulcerosa mit Lymphabflussstörung und auch (zum Teil übergreifender) rektaler Beteiligung mit eitriger Proktitis mit Strikturen und Fistelbildung kommen [3].

Obwohl das Lymphogranuloma venereum eigentlich eine primär in den Tropen und Subtropen endemisch vorkommende Geschlechtskrankheit ist, wird seit etwa 2004 im westlichen Europa und den USA ein sprunghafter Anstieg der Krankheit beobachtet [4] [5] [6] [7] [8] [9]. Dabei sind fast ausschließlich Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), betroffen. Als stärkste Risikofaktoren in dieser Risikopopulation gilt eine Ko-Infektion mit HIV, Hepatitis C und anderen aktiven sexuell übertragbaren Erkrankungen [9]. Klinisch manifestiert sich das Lymphogranuloma venereum bei MSM fast ausschließlich als Proktitis oder Proktokolitis und führt, im Gegensatz zu der meist asymptomatisch verlaufenden analen Gonorrhoe oder „konventionellen“ Chlamydieninfektion (Serovare D – K), zu starken klinischen Beschwerden (Missempfindung und Schmerzen, anorektale Blutungen, Verstopfung und Tenesmen). Unbehandelt können Strikturen und Fistelbildungen resultieren. Aufgrund der nicht-spezifischen Klinik und der bis dato relativen Seltenheit der Erkrankung wird das Lymphogranuloma venereum oftmals erst spät oder gar nicht diagnostiziert. In der Literatur der letzten Jahre wird zunehmend über Fälle von Lymphogranuloma venereum bei MSM berichtet, die als chronisch entzündliche Darmerkrankungen fehlinterpretiert wurden, wie dies initial bei unserem Patienten auch der Fall war [1] [4] [5] [9]. Auch die endoskopischen und histopathologischen Befunde bei Lymphogranuloma venereum ähneln chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa und können nicht eindeutig voneinander unterschieden werden [2] [4]. Der diagnostische Goldstandard zur Diagnosesicherung des Lymphogranuloma venereum ist der direkte Nachweis von Chlamydia-trachomatis-DNA mittels PCR und bei positivem Befund die weiterführende Serovar-Bestimmung [7]. Letztere ist bis dato nur in Speziallaboren möglich und wird von den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland bisher nicht getragen.


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Fazit

Das Lymphogranuloma venereum ist eine in unseren Breitengraden seltene Geschlechtserkrankung, die jedoch bei HIV-positiven Männern in den letzten Jahren eine wahre „Renaissance“ erlebt. Hier manifestiert sie sich überwiegend als Proktokolitis. Nicht selten wird das Lymphogranuloma venereum als chronisch entzündliche Darmerkrankung fehlgedeutet und entsprechend behandelt. Differenzialdiagnostisch sollte daher immer an diese in Vergessenheit geratene Geschlechtskrankheit gedacht werden, insbesondere bei HIV-positiven Patienten mit einer entsprechenden Sexualanamnese.


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Soni S, Srirajaskanthan R, Lucas SB et al. Lymphogranuloma venereum proctitis masquerading as inflammatory bowel disease in 12 homosexual men. Aliment Pharmacol Ther 2010; 32: 59-65
  • 2 de Vries H, Zingoni A, White J et al. European Guideline on the management of proctitis, proctocolitis and enteritis caused by sexually transmissible pathogens. Int J STD AIDS 2013; Dec 18. [Epub ahead of print]
  • 3 Dal Conte I, Mistrangelo M, Cariti C et al. Lymphogranuloma venerum: an old, forgotten re-emerging systemic disease. Panminerva Med 2014; Feb 11. [Epub ahead of print]
  • 4 Høie S, Knudsen LS, Gerstoft J. Lymphogranuloma venereum proctitis: a differential diagnose to inflammatory bowel disease. Scand J Gastroenterol 2011; 46: 503-510
  • 5 Rönn M, Ward H. The association between Lymphogranuloma venerum and HIV among men who have sex with men: systematic review and meta-analysis. BMC Infectious Diseases 2011; 11: 70
  • 6 Martin-Iguacel R, Llibre JM, Nielsen H et al. Lymphogranuloma venereum proctocolitis: a silent endemic disease in men who have sex with men in industrialised countries. Eur J Clin Microbiol Infect Dis 2010; 29: 917-925
  • 7 de Vries HJ, Morré SA, White JA et al. European guideline for the management of lymphogranuloma venerum. Int J STD AIDS 2010; 21: 533-536
  • 8 Davis TW, Goldstone SE. Sexually transmitted infections as a cause of proctitis in men who have sex with men. Dis Colon Rectum 2009; 52: 507-512
  • 9 Gallegos M, Bradly D, Jakate S et al. Lymphogranuloma venerum proctosigmoiditis is a mimicker of inflammatory bowel disease. World J Gastroentereol 2012; 18: 3317-3321

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Alexander Kreuter
Chefarzt der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
HELIOS St. Elisabeth Klinik
Josefstr. 3
46045 Oberhausen

  • Literatur

  • 1 Soni S, Srirajaskanthan R, Lucas SB et al. Lymphogranuloma venereum proctitis masquerading as inflammatory bowel disease in 12 homosexual men. Aliment Pharmacol Ther 2010; 32: 59-65
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  • 5 Rönn M, Ward H. The association between Lymphogranuloma venerum and HIV among men who have sex with men: systematic review and meta-analysis. BMC Infectious Diseases 2011; 11: 70
  • 6 Martin-Iguacel R, Llibre JM, Nielsen H et al. Lymphogranuloma venereum proctocolitis: a silent endemic disease in men who have sex with men in industrialised countries. Eur J Clin Microbiol Infect Dis 2010; 29: 917-925
  • 7 de Vries HJ, Morré SA, White JA et al. European guideline for the management of lymphogranuloma venerum. Int J STD AIDS 2010; 21: 533-536
  • 8 Davis TW, Goldstone SE. Sexually transmitted infections as a cause of proctitis in men who have sex with men. Dis Colon Rectum 2009; 52: 507-512
  • 9 Gallegos M, Bradly D, Jakate S et al. Lymphogranuloma venerum proctosigmoiditis is a mimicker of inflammatory bowel disease. World J Gastroentereol 2012; 18: 3317-3321

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Abb. 1 Klinische Charakteristika bei Erstvorstellung in der Rektosigmoidoskopie. Es besteht eine ausgedehnte, zirkuläre, zum Teil ulzerative Proktokolitis, die bis ca. 18 cm ab ano reicht.
Zoom Image
Abb. 2 Computertomografie des Beckens bei Erstuntersuchung. Es besteht eine ausgeprägte Schwellung und Verdickung der Mukosa im gesamten Rektum.
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Abb. 3 Deutliche klinische Besserung in einer im Verlauf durchgeführten Rektosigmoidoskopie nach drei Wochen Therapie mit Doxycyclin.