Schlüsselwörter
unlösliche Ballaststoffe - Haferfasern - Insulinsensitivität - Typ-2-Diabetes - proteininduzierte Insulinresistenz - S6-Kinase
Keywords
insoluble fibres - oat fibres - insulin sensitivity - type 2 diabetes - protein induced insulin resistance - S6 kinase
Der „Dietary Fibre Hypothesis“ zufolge sind westliche Zivilisationskrankheiten epidemisch, seit die traditionelle ballaststoffreiche Kost zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend durch eine fett-, zucker- und eiweißbetonte Kost ersetzt wurde. Eine Hauptursache für diese Entwicklung ist die Herstellung von Weißmehl. Dabei werden die Randschichten des Getreidekorns entfernt, in denen sich ein Großteil der Mikronährstoffe und Ballaststoffe konzentriert.
Je nach ihrem Löslichkeitsverhalten in Wasser unterscheidet man lösliche und unlösliche Fasern. Vertreter der löslichen Fasern sind Oligo-Fructose, Arabinoxylan, Beta-Glucan, Guar, Inulin, Psyllium und Pektin. Sie kommen in Früchten und Gemüse sowie im Keimbereich von Getreidekörnern vor, Beta-Glucan findet sich zudem in Hafer. Lösliche Fasern bilden Hydrokolloide und Gele – eine Eigenschaft, die folgende Stoffwechseleffekte bewirkt: Sie hemmen die Absorption von Nährstoffen, verzögern die Magenentleerung, senken den glykämischen Index, binden Gallensäuren und sorgen damit für eine Senkung des Cholesterinspiegels. Darüber hinaus sind lösliche Ballaststoffe durch das Mikrobiom fermentierbar. Dies erklärt ihre probiotische Wirkung und vermindert die Darmpermeabilität.
Adaptationsprogramme für Notzeiten
Adaptationsprogramme für Notzeiten
Der menschliche Stoffwechsel ist für knappe Bedingungen konzipiert und besitzt dafür spezielle Adaptationsprogramme. Ein Programm ist die Symbiose von Wirt und Mikrobiota, die sich im Lauf von 500 Millionen Jahren entwickelt hat. Sie dient der Extraktion und Modifikation von Nährstoffen aus der Nahrung und ermöglicht insbesondere durch die bakterielle Fermentation die Gewinnung von Energie.
Der Zusammenhang zwischen Ballaststoffen, Adipositas und Mikrobiom wird derzeit intensiv erforscht. Die meisten Darmbakterien waren bislang nicht kultivierbar, weil sie strikte Anaerobier sind. Seit einigen Jahren stehen jedoch moderne Verfahren für die Charakterisierung des humanen Mikrobioms zur Verfügung, wie das SSU ribosomal RNA targeted gene sequencing oder das shotgun metagenomic sequencing. Sie beruhen auf der Analyse der ribosomalen RNA und ermöglichen die Klassifizierung der Phyla sowie die Zuordnung der Proteine und deren Funktion. Auch wenn die Zuordnung nach wie vor eine Herausforderung ist, steht inzwischen fest, dass humane Mikrobiome eine große Varianz haben. Dies belegt unter anderem eine Untersuchung, in der die Mikrobiome von vier Menschen analysiert wurden. Die Phyla waren sehr unterschiedlich zusammengesetzt. Die Differenzen lassen sich nach Ethnien, Alter, Kontinent usw. einteilen.
Einer 2006 veröffentlichten Studie zufolge weisen die Darmmikrobiota von schlanken und adipösen Mäusen signifikante Unterschiede auf. Die von den Bakterien exprimierten Enzyme lassen sich funktionellen Mustern zuordnen. Sie bewirken bei adipösen Mäusen eine besonders gute Extraktion der Ballaststoffe [1]. Dadurch erreichen sie eine bessere Energieausbeute als schlanke Mäuse und entwickeln Übergewicht. Endprodukt der Ballaststoff-Fermentation sind kurzkettige Fettsäuren wie Acetat und Butyrat. Sie gelangen jeweils zur Hälfte ins Darmepithel und in die Leber. Dem Darmepithel dienen die Fettsäuren als Energiequelle, die Leber nutzt sie zur Lipogenese und Gluconeogenese. Die Energieaufnahme über die Fermentation kann beim Menschen bis zu 800 kcal pro Tag betragen.
Ballaststoff-Fermentation führt zu Adipositas
Ballaststoff-Fermentation führt zu Adipositas
Aufschluss über die Rolle der unterschiedlichen Ballaststoffe bei der Energiegewinnung brachten Mäusestudien. Die Tiere erhielten eine isoenergetische Standard-Diät, die entweder 10 % der löslichen und damit fermentierbaren Faser Guar oder 10 % einer unlöslichen Haferfaser enthielt ([Abb. 1]) [2]. Der H2-Exhalationstest zeigte, in welchem Umfang die einzelnen Fasern zu kurzkettigen Fettsäuren abgebaut wurden: Die unlösliche Haferfaser wurde kaum, das lösliche Guar stark fermentiert. Es ist bekannt, dass gnotobiotische Mäuse adipös werden, wenn man sie mit Bakterien besiedelt, die Ballaststoffe fermentieren können. Diese Reaktion zeigten auch die Mäuse dieser Studie: Der Zusatz von Guar führte nach 43 Wochen Diät zu einer erhöhten Fettmasse, einer deutlich schlechteren Insulinsensitivität und zur Entwicklung einer Fettleber. Die Hafer-Mäuse blieben dagegen schlank und entwickelten keine Fettleber. Weitere Untersuchungen zeigten, dass die Fettoxidation in der Leber verstärkt ablief.
Abb. 1 Unlösliche Ballaststoffe, wie zum Beispiel aus Haferspelzen, reduzieren das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Typ-2-Diabetes. Die Mechanismen werden derzeit erforscht((Symbolbild, Quelle: Thieme Verlagsgruppe, Fotograf/Grafiker: Renate Stockinger))
Die Energieaufnahme und der Energiegehalt in den Fäzes waren in beiden Gruppen gleich, obwohl das Fäzesgewicht bei den Hafer-Mäusen deutlich höher war. Die Gewichtszunahme bei den Guar-Mäusen war durch die Energiedifferenz aus der Fermentation der Ballaststoffe erklärbar. Die Studie zeigt eindeutig, dass die fermentationsbedingte Energieaufnahme zu Adipositas führen kann [2].
Hafer-Ballaststoffe verbessern die Insulinsensitivität
Hafer-Ballaststoffe verbessern die Insulinsensitivität
Die Auswirkung einer Ballaststoff-angereicherten Ernährung auf die Insulinsensitivität und das Mikrobiom des Menschen wurde in der ProFiMet-Studie (Protein, Fiber and Metabolic Syndrome) 18 Wochen lang untersucht. Die insgesamt 111 Teilnehmer bestanden aus Männern und Frauen im Alter von durchschnittlich 50 Jahren mit einem BMI von 30. Sie wurden in vier Gruppen eingeteilt:
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Die Kontrollgruppe erhielt eine Diät, die den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung entsprach (55 % Kohlenhydrate, 15 % Protein, 30 % Fett).
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Die Hochballaststoffgruppe erhielt zusätzlich zwei Mal täglich ein Supplement mit je 15 g Haferfaser.
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Die Diät der Hochproteingruppe bestand aus 40 – 45 % Kohlenhydraten, 25 – 30 % Protein und 30 % Fett.
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Die vierte Gruppe erhielt eine Diät mit erhöhtem Protein- als auch Ballaststoffanteil.
Nach 6 und 18 Wochen erfolgten genaue Untersuchungen, unter anderem der Insulinsensitivität der Leber und der Fettverteilung im Körper ([Abb. 2]) [3]. Auch orale Glukosetoleranztests wurden durchgeführt. Die muskuläre Insulinsensitivität wurde mit der hyperinsulinämischen euglykämischen Clamptechnik bestimmt. Dabei wird gemessen, wie viel Glukose bei gleich bleibender Insulininfusion in die Muskulatur aufgenommen wird. Je mehr Glukose die Muskulatur aufnimmt, desto besser ist die Insulinsensitivität (hoher M-value).
Abb. 2 Verbesserung der Insulinsensitivität (M-Value) durch ballaststoffreiche Ernährung (High Fiber) in der ProFiMet-Studie nach 6 und 18 Wochen.
Nach sechs Wochen war die Insulinsensitivität in der Haferfaser-Gruppe signifikant besser als in der Kontrollgruppe. Ein hoher Proteinanteil in der Diät verminderte die Insulinwirkung, während der Protein-Faser-Mix wiederum zu einer guten Insulinsensitivität führte. Auf die hepatische Steatose hatte die Haferfaser-Diät keinen Einfluss, ebenso wenig wie auf die Zusammensetzung der Mikrobiota. Trotz verbesserter Insulinsensitivität blieben die Phyla unter dem Einfluss der unlöslichen Fasern nach 6 und 18 Wochen konstant.
Vollkornprodukte senken das Diabetesrisiko
Vollkornprodukte senken das Diabetesrisiko
Eine Metaanalyse mit 67 Studien belegt eindeutig, dass lösliche Fasern eine signifikante Reduktion der LDL-Cholesterin-Konzentration im Blut bewirken [4]. Unlösliche Fasern wie Cellulose, einige Hemicellulosen, Lignin und resistente Stärke haben dagegen keinen Effekt auf den Cholesterinspiegel. Dennoch zeigen epidemiologische Studien, dass sie das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Diabetes senken. Je mehr unlösliche Fasern aufgenommen werden, desto geringer ist das Diabetesrisiko. Mit zwei Portionen Vollkorn pro Tag sinkt das Diabetesrisiko um 20 %, lösliche Fasern aus Früchten und Gemüse beeinflussen es dagegen nicht [5]
[6].
Unlösliche Fasern beschleunigen nicht nur die Darmpassage, sondern verbessern auch die Insulinsensitivität. Bereits 1984 zeigte eine Studie diesen Zusammenhang bei Diabetikern: Nach der Gabe von 42 g Getreideballaststoffen ergab ein Glucosetoleranztest einen geringeren Anstieg des Blutzuckerspiegels.
Eine Studie im Jahr 2005 befasste sich mit der Wirkung unlöslicher Ballaststoffe auf Inkretine und die Insulinsekretion. Dabei kamen Haferfasern und Weizenstroh zum Einsatz, die zu 90 % aus Cellulose und Hemicellulosen bestanden. 23-jährige, gesunde Studentinnen mit einem BMI von 21 erhielten am ersten Tag entweder 30 g Weizenfasern, Haferfasern oder ein Kontrollprodukt, am zweiten Tag 50 g Weißbrot. Die Bestimmung des glykämischen Indexes nach dem ersten Tag ergab keinen akuten Effekt der unlöslichen Ballaststoffe auf den Blutzuckerspiegel. Die Wirkung zeigte sich erst am folgenden Tag: Es kam zu einem deutlichen Abfall der Blutglukosewerte, was für einen verbesserten Glukosestoffwechsel und eine Zunahme der Insulinsensitivität spricht. Derselbe Versuch wurde mit resistenter Stärke durchgeführt. Dieser Ballaststoff ist zwar unlöslich, aber dennoch vollständig fermentierbar. Auch sie hatte keinen Effekt auf den unmittelbaren Insulinanstieg, führte aber zu einem schnelleren Abfall der Blutglukosewerte [7]. Fazit: Die Fermentation spielt keine Rolle für die Insulinsensitivität.
Daraufhin wurden genauere Untersuchungen mit älteren adipösen Probanden mit Prä-Diabetes durchgeführt, die drei Tage lang jeweils 30 g unlösliche Haferfasern erhielten. Die Messung der Insulinsensitivität ergab, dass die Muskulatur der Probanden unter dem Einfluss der Haferfasern circa 17 % mehr Glukose aufnahm als die Kontrollgruppe [8].
Den Mechanismen auf der Spur
Den Mechanismen auf der Spur
Auf welchen Mechanismen die Verbesserung des Kohlenhydratmetabolismus nach der Passage weitgehend inerter Cellulosen durch den Darm beruht, wird derzeit intensiv erforscht. Untersuchungen zufolge ist weder eine wesentliche Veränderung der Insulinsekretion feststellbar noch spielt das Ausmaß der Fermentation eine Rolle. Auch inflammatorische Marker verändern sich nicht unter dem Einfluss der verwendeten Fasern, ebenso wenig wie das Fettgewebshormon Adiponektin oder das Hunger steuernde Hormon Ghrelin.
Aufschlussreiche Daten lieferte die ProFiMet-Studie. Die Proteinaufnahme aus dem Darm war in der Hochproteingruppe erwartungsgemäß hoch. Dieser Effekt war in der Gruppe mit dem Protein-Ballaststoff-Mix nicht feststellbar. Die Isovaleriansäure, ein bakterielles Fermentationsprodukt aus dem Abbau von Fleisch, stieg in der Hochproteingruppe, aber auch in der Protein-Ballaststoffmix-Gruppe deutlich an [9]. Offenbar ist die Protein-Fermentation erhöht, wenn eine Mischung aus Proteinen und Ballaststoffen gegessen wird. Gleichzeitig wurde die Stickstoffausscheidung im Urin gemessen; sie dient als genaues Maß für die Proteinaufnahme aus dem Darm. In der Protein-Ballaststoffmix-Gruppe war keine erhöhte Aufnahme von Proteinen feststellbar. Aus diesen Ergebnissen lässt sich schlussfolgern, dass unlösliche Ballaststoffe die Proteinaufnahme aus dem Darm senken.
Die Insulinsensitivität verbesserte sich deutlich sowohl in der Haferfaser- als auch in der Protein-Ballaststoffmix-Gruppe, verschlechterte sich dagegen in der Hochprotein-Gruppe. Eine Erklärung für dieses Ergebnis ist die Aktivierung des Insulinsignalwegs über die S6-Kinase in der Hochproteingruppe. Dieses Signal für Überschuss verringert bei Hefen und Würmern die Lebensspanne, beim Menschen führt sie zur Insulinresistenz. Die Aktivierung der S6-Kinase wurde sowohl in der Haferfaser- als auch in der Protein-Ballaststoffmix-Gruppe blockiert.
Weitere Untersuchungen der ProFiMet-Studie ergaben in der Hochproteingruppe einen Anstieg der endogenen Glukoseproduktion in der Leber sowie eine Reduktion in der Haferfasergruppe. Die viszerale Fettmenge änderte sich nicht, die Muskelmasse nahm in der Hochproteingruppe zu ([Abb. 3]).
Abb. 3 Die ProFiMet-Studie zeigt, dass unlösliche Ballaststoffe den Glukosestoffwechsel deutlich verbessern.
Wurst mit Haferfasern?
Die ProFiMet-Studie zeigt deutlich, dass unlösliche Ballaststoffe zum einen eine Veränderung des Insulinstoffwechsels bewirken. Zum anderen führen sie zu einer Interaktion mit dem Mikrobiom im Darm, die zu einer verstärkten Fermentation von Protein führt.
Die Optifit-Studie (Optimal Fiber Trial, gefördert von der Deutschen Diabetes Stiftung) untersucht derzeit, wie sich unlösliche Ballaststoffe auf den Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel sowie auf die Prävention von Typ-2-Diabetes auswirken. 200 Teilnehmer mit gestörter Glukosetoleranz erhalten zwei Jahre lang ein Supplement in Form eines Drinks mit je 15 g Haferballaststoffen oder Placebo ([Abb. 4]). Zusätzlich finden 12 Gruppensitzungen statt, in denen die Teilnehmer bezüglich eines gesunden Lebensstils geschult werden.
Abb. 4 Ballaststoffsupplemente als Drinks oder Backmischung, wie sie in den Studien verwendet wurden.
Ziel der Studie ist zu belegen, dass Getreideballaststoffe das Risiko für das Fortschreiten des Prä-Diabetes senken. Die tägliche Aufnahme von 30 g Haferballaststoffen mit der Nahrung wäre wünschenswert, ist aber nicht praktikabel. Eine Alternative ist die Anreicherung proteinreicher Lebensmittel mit Ballaststoffen. Dies ist technologisch möglich und wird bereits angewandt, etwa bei Hähnchenfleisch, dem der lösliche Ballaststoff Carrageen zugesetzt wird. Denkbar ist die Anreicherung möglichst vieler Nahrungsmittel: 3 – 5 % Ballaststoffe in Kuchen, Brot, Nudeln, Quark oder Wurst machen sich geschmacklich nicht bemerkbar, könnten die Gesundheit aber deutlich verbessern.