Schlüsselwörter
Nahrungsfasern - Systematik - physikochemische Eigenschaften - physiologische Effekte
- Verdauungstrakt - Glukosestoffwechsel
Keywords
dietary fibres - classification - physicochemical characteristics - physiological
effects - digestive tract - glucose metabolism
Ballaststoffe ist der Sammelbegriff für verschiedene Kohlenhydrate inklusive Lignin,
die der enzymatischen Verdauung im Dünndarm entgehen und im Dickdarm teilweise oder
vollständig fermentiert werden [1]
[2]. Sie kommen vorwiegend in versorgenden Geweben und stützenden Bestandteilen von
Pflanzen vor. Hauptsächlich handelt es sich um Polymere aus Glukose, Galaktose, Mannose,
Arabinose, Xylose und Uronsäuren [3]. Da der Begriff Ballaststoffe missverständlich sein kann, sollte besser von Nahrungsfasern
gesprochen werden, analog zur Bezeichnung „dietary fibre“ im englischsprachigen Raum.
Nahrungsfasern umfassen eine sehr heterogene Gruppe chemisch unterschiedlicher Lebensmittelinhaltsstoffe
([Abb. 1]). Die Systematik unterscheidet vier Gruppen: Polysaccharide (Nicht-Stärke-Kohlenhydrate),
Oligosaccharide, resistente Stärken und Lignin. Zu den Polysacchariden gehören Cellulose,
Hemicellulose, Pektine, Speicherpolysaccharide wie Guar und Inulin, Pflanzengummis
und Schleimstoffe. Die Oligosaccharide umfassen Fructo- und Galaktooligosaccharide
(FOS und GOS), Maltodextrin, Raffinose und Stachyose. Resistente Stärken zählen seit
einigen Jahren ebenfalls zu den Nahrungsfasern [1].
Abb. 1 Unter dem Dachbegriff Nahrungsfasern finden sich viele unterschiedliche Substanzen,
die eines gemeinsam haben: Sie werden im Dünndarm nicht oder nur teilweise abgebaut.
Unterschiedliche Wirkungen
Nahrungsfasern unterscheiden sich deutlich in ihren physiko-chemischen Eigenschaften.
Abhängig von der chemischen Struktur und den makroskopischen Charakteristika wie beispielsweise
der Korngröße unterscheiden sie sich in puncto Wasserlöslichkeit, Wasserhaltekapazität/Wasserbindungsvermögen,
Viskosität, Fermentierbarkeit und Absorptionsvermögen von Mineralstoffen und Spurenelementen,
Schwermetallen, Sterolen oder Giftstoffen. Damit sind unterschiedliche ernährungsphysiologische
Effekte verbunden [3].
Wasserlösliche Fasern können von den Darmbakterien gut fermentiert werden. Der Umfang
hängt von der chemischen Struktur und der Löslichkeit der Fasern ab, bei Zellwandbestandteilen
vom Zelltyp und der Anordnung der Polymere in der Pflanzenwand. Auch die Zusammensetzung
der Darmmikrobiota spielt eine Rolle. Lösliche Fasern regulieren die Darmfunktion
und haben deutliche Effekte auf den Glukose- und Fettstoffwechsel. Viele lösliche
Fasern wie Pektin, Gummis und Beta-Glucan bilden bereits im Dünndarm viskose Gele,
welche die Absorption von Glukose und Fetten reduzieren. Dadurch verbessern sie die
postprandiale Glukose- und Insulinantwort und senken den Cholesterinspiegel im Blutserum.
Einige Fasern vergrößern die Bakterienmasse. Da die Bakterien bis zu 80 % Wasser enthalten,
üben sie eine wichtige Funktion bei der Wasserbindung im Stuhl aus. Nicht wasserlösliche
Fasern beeinflussen den Darmtransit, aber auch die Frequenz und Konsistenz des Stuhls.
Sie können außerdem viel mehr Wasser binden als lösliche Fasern [4]
[5].
Abb. 2 Während wasserunlösliche Nahrungsfasern vor allem die Passagezeit des Speisebreis
verkürzen, beeinflussen wasserlösliche auch den Glukose- und Fettstoffwechsel.
Wichtige Nahrungsfasern im Porträt
Cellulose: Pflanzliche Zellwände enthalten oft Gemische aus verschiedenen Nahrungsfasern. Ein
wichtiger Vertreter ist die Cellulose. Sie findet sich als Struktursubstanz in den
meisten Pflanzen und besteht aus langen, unverzweigten Ketten mit bis zu 10 000 Glukosemolekülen.
Diese bilden Mikrofibrillen, die sich zu Fibrillen bündeln und hohe Zugfestigkeit
besitzen. Die Glukosemoleküle sind über eine β-1,4-glykosidische Bindung verknüpft,
die der Mensch und andere Monogaster nicht aufspalten können. Dazu kommen zwischenmolekulare
Wasserstoffbrücken, die unlösliche, kristalline Bereiche bilden.
Anaerobe Bakterien im Blinddarm und im aufsteigenden Kolon sind dagegen in der Lage,
Cellulose abzubauen. Dabei entstehen unter anderem kurzkettige Fettsäuren.
Hemicellulose: Cellulosefibrillen sind von anderen Nahrungsfasern umgeben, etwa von Hemicellulose.
Hemicellulose ist ein Sammelbegriff für ein Gemisch aus Polysacchariden, die unter
anderem aus Pentosen, Hexosen oder Uronsäuren bestehen. Sie enthalten lange Haupt-
und viele Nebenketten und dienen Zellwänden als Stütz- und Gerüstsubstanz, oft im
Verbund mit Cellulose. Ihr Anteil an der Zellmasse beträgt 25 – 35 %. In Weizen, Gerste,
Gemüse und Obst findet man überwiegend Hexosane, während Roggen und Hafer vor allem
Pentosane enthalten, die schleimig und quellfähig sind.
Pektine: Pektine sind pflanzliche Polysaccharide aus α-1,4-glykosidisch verknüpften Galacturoseeinheiten,
sogenannte Polyuronide. Sie kommen ebenfalls in Zellwänden vor und bilden sehr große
Makromoleküle, die Seitenketten aufweisen können, unterschiedlich stark methyliert
und verestert sind. Sie zeichnen sich durch Gel- und Komplexbildung aus, haben eine
hohe Bindungskapazität und wirken als Kationenaustauscher. Zu finden sind sie in den
Zellwänden dikotyler Pflanzen. Zellwände von Äpfeln, Möhren oder Aprikosen enthalten
rund 1 – 1,5 %, Apfeltrester 15 %, Zitrusschalen 30 % Pektine. Getreide enthält dagegen
kaum Pektine.
Speicherpolysaccharide: Zu den Speicherpolysacchariden gehören Inulin und Guar. Inulin besteht aus β-2,1-glykosidisch
verknüpften Fructosemolekülen. Es hat eine Kettenlänge von bis zu 100 Molekülen mit
einem endständigen Glukoserest. Niedermolekulares Inulin ist besser löslich als hochmolekulares.
Inulin kommt als Reservestoff unter anderem in Topinambur, Chicoree, Schwarzwurzeln
oder Artischocken vor. Die Lebensmittelindustrie verwendet Inulin als Präbiotikum.
Guar ist ein komplexes Polysaccharid aus langen Galaktomannanketten, gut wasserlöslich
und fermentierbar. Es kommt beispielsweise in Leguminosensamen vor und wird in der
Lebensmittelindustrie verwendet.
Schleimstoffe: Schleimstoffe sind lösliche Polysaccharide, die meist aus den Samenhüllen bestimmter
Pflanzen gewonnen werden. Sie haben ein sehr hohes Wasserbindevermögen, bilden schleimige,
hochvisköse Lösungen und können unter anderem Cholesterin binden. In der Lebensmittelindustrie
dienen sie als Quellstoffe, Stabilisatoren und Verdickungsmittel. Vertreter sind Psyllium
aus Flohsamen und Carubin aus Johannisbrotkernmehl. Psyllium stammt aus den Schalen
des Flohsamens und besitzt eine hohe Wasserbindungskapazität. Carubin besteht aus
hochmolekularem Galaktomannan.
Oligosaccharide: Sie bestehen aus 3 – 9 Monomeren, sind leicht wasserlöslich und gut fermentierbar.
Dazu gehören Fructo- und Galaktooligosaccharide, außerdem Maltodextrin, Raffinose
und Stachyose. Fructooligosaccharide kommen in den gleichen Lebensmitteln wie Inulin
vor, bilden aber kürzere Ketten. Galaktooligosaccharide sind eine Mischung aus Glukose
und Galaktose; sie sind in Mutter- und Kuhmilch enthalten. Maltodextrin entsteht durch
partielle Hydrolyse von Stärke, Raffinose ist ein Trisaccharid aus Galaktose, Glukose
und Fruktose. Stachyose ist dagegen ein Tetrasaccharid aus zwei Galaktose-, einem
Glukose- und einem Fructosemonomer.
Resistente Stärke: Resistente Stärke sind Fraktionen natürlicher Stärke, die im Dünndarm nicht gespalten
werden können und folglich unverändert in den Dickdarm gelangen. Man unterscheidet
vier Gruppen:
-
Physikalisch resistente Stärke (RS1) findet sich in grob geschroteten Getreidekörnern
oder innerhalb von Zellwänden, die von der Amylase nicht völlig hydrolysiert werden.
-
Resistente Stärkegranula (RS2) sind native Stärkekörnchen mit kristalliner Struktur,
die etwa in Bananen, rohen Kartoffeln und hochamylosehaltiger Maisstärke vorkommen.
Die kristalline Struktur erschwert den enzymatischen Abbau.
-
Retrogradierte Stärke (RS3) entsteht beim Erhitzen und anschließenden Abkühlen von
Stärke, etwa in gekochten Kartoffeln, Brotkrusten, Cornflakes und retrogradierter
hochamylasehaltiger Maisstärke. Dabei bildet sich eine kompakte Kristallstruktur,
die für die Verdauungsenzyme unzugänglich ist.
-
Modifizierte Stärke (RS4) ist durch lebensmitteltechnologische Verfahren in ihrer
Struktur so verändert, dass sie für die Verdauungsenzyme nicht mehr angreifbar ist.
Ein Beispiel sind Dextrine, die eine veränderte Vernetzung der Ketten aufweisen.
Lignin: Lignine sind phenolische Makromoleküle, die sich durch hohe Druckfestigkeit auszeichnen
und in verholzten Zellen vorkommen. Sie sind in Bohnenfäden, Obstkernen und Getreideschalen
enthalten. Der Ligningehalt in Lebensmitteln ist gering und liegt meist unter 1 %.
Effekte im Verdauungstrakt
Nahrungsfasern entfalten ihre Effekte im gesamten Verdauungstrakt. Im oropharyngealen
Bereich erfordern sie aufgrund der höheren Festigkeit eine intensive Kauarbeit. Im
Mund wird die Nahrung eingespeichelt und dabei mit Gleit- und Schleimsubstanzen sowie
Amylasen vermischt. Glukose wird aus intakten pflanzlichen Lebensmitteln, in denen
die Stärke von Nahrungsfasern umgeben ist, langsamer freigesetzt. Studien zeigen,
dass ein reichlicher Verzehr von Nahrungsfasern im jungen Alter die Zahnentwicklung
günstig beeinflusst, eine faserarme Kost im Alter dagegen mit einem schlechten Zahnzustand
assoziiert ist.
Im Magen vergrößern Nahrungsfasern das Volumen der Nahrung, ohne den Energiegehalt
zu steigern. Einige binden viel Wasser und quellen im Magen weiter auf. Durch die
resultierende Volumenerhöhung wird der Magen stärker gedehnt, was zur Ausschüttung
von Ghrelin führt und das Sättigungsgefühl verstärkt. Darüber hinaus können Nahrungsfasern
die Verweildauer der Nahrung im Magen verlängern. Die Entleerungsrate hängt unter
anderem von der Partikelgröße der Nahrung ab.
Im Dünndarm binden Nahrungsfasern erneut Wasser, erhöhen so das Volumen des Speisebreis
und den Druck auf die Darmwand. Das regt die Peristaltik an und führt zu einer kürzeren
Verweildauer des Speisebreis im Darm. Neben Wasser binden Nahrungsfasern Mineralstoffe
und Spurenelemente, aber auch Gallensäuren und Toxine, die anschließend ausgeschieden
werden. An Nahrungsfasern gebundene Gallensäuren und deren Salze werden an der Rückresorption
im Ileum gehindert. Im biologischen Verbund mit Stärke verlangsamen Nahrungsfasern
die Glukoseresorption. Eine erhöhte Viskosität des Chymus verlangsamt die Absorption
ebenfalls.
Im Kolon wird ein Teil der Nahrungsfasern und der resistenten Stärke durch die Darmbakterien
fermentiert. Dabei entstehen zum einen geruchslose Gase wie Kohlendioxid, Methan und
Wasserstoff. Raffinose, Stachyose und Verbascose aus Hülsenfrüchten können eine exzessive
Gasproduktion bewirken. Zum anderen entstehen kurzkettige Fettsäuren wie Acetat, Propionat
und Butyrat, die weitgehend durch die Kolonschleimhaut absorbiert werden und zur Ernährung
der Schleimhautzellen beitragen [1]
[4].
Grundsätzlich haben die verschiedenen Nahrungsfasern unterschiedliche Eigenschaften.
Sie ergänzen sich in ihren Wirkungen auf den Verdauungstrakt, können einander aber
nicht ersetzen. Isolierte Komponenten wirken anders als im natürlichen Verbund in
der intakten Zellwand.