Der Klinikarzt 2013; 42(08): 322-323
DOI: 10.1055/s-0033-1356506
Medizin & Management
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Das einzig Gute an der Bürgerversicherung ist der Name

Interview mit Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP)
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Publikationsdatum:
02. September 2013 (online)

 
 

    Daniel Bahr

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    (Quelle: BMG/Dedeke)

    In den letzten 4 Jahren hat die FDP den Gesundheitsminister gestellt. Da gab es nicht nur Erfolge wie die Abschaffung der Praxisgebühr oder üppige Überschüsse bei den Kassen; auch Skandale wie Manipulationen bei der Organvermittlung, oder der unschöne Verdacht, dass in deutschen Krankenhäusern unnötig viel operiert wird, haben das Gesundheitswesen in Misskredit gebracht. Wir befragten FDP-Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr, der seit Mai 2011 im Amt ist.

    ? Herr Minister, die OP-Zahlen nehmen in Deutschland stetig zu. Als Haupttreiber für die auffällige Mengendynamik im Krankenhaus haben Experten die elektive Endoprothetik in der Orthopädie und die interventionelle Kardiologie – gut honorierte Eingriffe – ausgemacht. Wenn in Deutschland zu viel operiert wird und die Indikation weniger medizinische als monetäre Gründe haben könnte, muss da ein Bundesgesundheitsminister nicht gegensteuern?

    Daniel Bahr: Das haben wir bereits. Wir haben übergangsweise zeitlich befristete Preisabschläge für zusätzlich vereinbarte Leistungen vorgesehen, um die Mengendynamik zu begrenzen. Unabhängig hiervon haben wir aber auch deutlich gemacht, dass bei der Mengenthematik eine eingehende Analyse und nachhaltig wirksame Maßnahmen erforderlich sind.

    ? Sie haben die Deutsche Krankenhausgesellschaft zusammen mit dem GKV-Spitzenverband aufgefordert, Vorschläge zur Eindämmung stationärer Leistungen zu machen. Ende Juni sollten diese vorliegen. Was schlagen die Verbände vor?

    Daniel Bahr: Ich bin grundsätzlich ein großer Anhänger des Gedankens der gemeinsamen Selbstverwaltung, aber in manchen Punkten würde ich mir doch mehr Effektivität wünschen. Trotz ernsthaft bekundetem Interesse an der Aufarbeitung der Thematik ist den Verbänden dieser Tage erst die erfolgreiche Vergabe des Forschungsauftrags gelungen. Bis zu den eingeforderten gemeinsamen Lösungsvorschlägen müssen wir uns insofern noch gedulden.

    ? Clevere Krankenhausmanager schließen mit ihren leitenden Ärzten Boni-Verträge ab, damit sie mehr operieren. Sind solche finanziellen Anreize zur Mengenausweitung ethisch akzeptabel?

    Daniel Bahr: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Bundesärztekammer sind gesetzlich verpflichtet worden, Bonus-Vereinbarungen, die bestimmte Leistungsmengen vorgeben, in ihren Empfehlungen zur Vertragsgestaltung zwischen Krankenhäusern und leitenden Ärzten auszuschließen. Die entsprechend veränderten Empfehlungen liegen bereits seit dem 24. April 2013 vor. Die Kliniken müssen in ihren Qualitätsberichten darstellen, ob sie sich hieran halten und falls nicht, welche Leistungen von Bonus-Vereinbarungen betroffen sind. Damit wird die notwendige Transparenz hergestellt.

    ? Rund ein Drittel der Gesundheitskosten entfallen auf den Krankenhaussektor. Für die CDU gibt es zu viele Krankenhäuser. Jede fünfte Klinik, so der CDU-Krankenhausexperte Lothar Riebsamen, könne stillgelegt und damit Kosten gespart werden. Gibt es zu viele Krankenhäuser und lösen Stilllegungen das Problem?

    Daniel Bahr: Es ist nicht zu bestreiten, dass Deutschland – auch im Vergleich der OECD-Staaten – in der stationären Versorgung über eine überdurchschnittlich hohe Bettendichte verfügt. Es stellt sich daher die Frage, ob wir nicht – gerade auch angesichts des hohen Anteils der Krankenhauskosten an den Gesamtausgaben für die Gesundheitsversorgung – mit weniger Betten und Krankenhäusern auskommen können.
    Die Krankenhausplanung und damit auch die Prüfung, ob ein Krankenhaus notwendig ist oder ob Überkapazitäten bestehen, ist Ländersache.

    ? Die Krankenhäuser leiden unter den Tarif- und Personalkostensteigerungen, gestiegenen Haftpflichtprämien sowie zusätzlichen Abgaben und Preiskürzungen in Millionenhöhe. Sie leiden aber vor allem unter den fehlenden Investitionen, zu denen die Länder verpflichtet sind. Sind Ihnen als Bundesminister da die Hände gebunden?

    Daniel Bahr: Die Bundesregierung hat mit dem Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung, das am 1. August in Kraft getreten ist, kurzfristig wirksame Finanzhilfen für die Krankenhäuser auf den Weg gebracht. Die Maßnahmen sehen eine zusätzliche Entlastung der Krankenhäuser in den Jahren 2013 und 2014 in Höhe von rund 1,1 Mrd. Euro vor. Insbesondere durch den Versorgungszuschlag, die anteilige Tariflohnrefinanzierung und das Hygiene-Förderprogramm erhalten die Krankenhäuser zusätzliche Finanzmittel, mit denen Personal finanziert und gestiegene Kosten aufgefangen werden können.
    Es führt aber kein Weg daran vorbei, dass bei der in der nächsten Legislaturperiode anstehenden Krankenhausreform auch die derzeit unzureichende Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser zur Debatte stehen wird. Diese muss so ausgestaltet werden, dass die Krankenhäuser nicht wegen fehlender Mittel an notwendigen Investitionen gehindert werden oder diese in vermehrtem Umfang aus Mitteln für den laufenden Betrieb der Patientenversorgung finanziert werden müssen.

    ? Die GOÄ-Novellierung gehört zu den Dingen, die die Koalition in ihrer Regierungszeit nicht auf den Weg gebracht hat. Die völlig veraltete Gebührenordnung für Ärzte ist über 30 Jahre alt und stark renovierungsbedürftig. Wo hakt es bei der GOÄ-Novellierung? An den verschiedenen Interessen der gemeinsamen Selbstverwaltung? Wer blockiert da wen?

    Daniel Bahr: Ich will, dass die unter allen Beteiligten unstrittig notwendige Novellierung der GOÄ möglichst bald konkret in Angriff genommen werden kann. Leider verzögert sich das Verfahren durch das Ausbleiben des ursprünglich von der Bundesärztekammer und dem PKV-Verband angestrebten gemeinsamen Vorschlages für eine GOÄ-Novellierung. Ich bedaure, dass Bundesärztekammer und PKV-Verband da nicht zügiger vorankommen. Denn beide haben – ebenso wie ich – ein Interesse daran, dass es weiterhin eine eigenständige GOÄ gibt.

    ? Ist die Politik der lachende Dritte wenn zwei sich streiten?

    Daniel Bahr: Ich habe die Bundesärztekammer und die private Krankenversicherung aufgefordert, die Arbeit zu forcieren. Denn eine Novellierung der GOÄ erfordert einen Grundkonsens zwischen der Ärzteschaft und den Kostenträgern, weil ein solch umfangreiches und komplexes Projekt schlussendlich weder gegen die Ärzteschaft noch gegen die Kostenträger durchgesetzt werden kann. Ein gemeinsamer Vorschlag oder zumindest ein Grundkonsens zu den wichtigsten Punkten einer Novelle würde nicht nur das Beratungsverfahren für eine GOÄ-Novelle erheblich beschleunigen, sondern auch ein starkes Signal für die Zukunftsfähigkeit des dualen Gesundheitssystems setzen.

    ? Ein anderes Thema aus Ihrer Amtszeit ist Korruption und Bestechlichkeit, das durch den Transplantationsskandal wieder angeheizt wurde. Anders als der BGH sehen Sie gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Halten Sie die bestehenden Regelungen im Gesetz und Berufsrecht nicht für ausreichend, um schwarze Schafe zur Räson zu bringen? Warum sind neue Straftatbestände und Sanktionsmöglichkeiten nötig, statt auf die Selbstreinigungskraft eines Berufsstandes zu vertrauen?

    Daniel Bahr: Korruption verurteile ich. Deswegen sind in dieser Legislaturperiode auch Regelungen im Krankenversicherungsrecht (zum Beispiel § 128 Sozialgesetzbuch V) verschärft worden. Die bestehenden Regelungen und Sanktionsmechanismen sind auch ein wichtiges Instrument zur Korruptionsbekämpfung.
    Den zuständigen Kammern und KVen fehlt es aber an den Ermittlungsbefugnissen. Sie sind keine Staatsanwaltschaften. Allgemeiner Konsens ist deshalb auch, dass Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen – sei es z. B. in Form der verbotenen "Krankenhaus-Zuweisungen gegen Entgelt" oder der verbotenen "Arzneimittel-Verordnungen gegen Entgelt" – künftig nicht nur berufs- und disziplinarrechtlich, sondern auch strafrechtlich sanktioniert werden sollten. Durch die BGH-Rechtsprechung ist aber eine Strafbarkeitslücke für die niedergelassenen Ärzte entstanden. Der BGH hat nur entschieden, dass Ärzte keine Amtsträger sind, sondern Freiberufler. Das soll auch so bleiben.
    Ich möchte, dass Ärzte das verordnen, was dem Patienten nutzt. Alles andere wäre eine Einschränkung der Therapiefreiheit zu Lasten der Patientinnen und Patienten. Ich erwarte aber auch, dass die Ärztekammern bei Verstößen durchgreifen. Denn das Ziel ist klar: Korruption führt dazu, dass medizinische Leistungen nicht immer zum Nutzen von Patienten eingesetzt werden und dass Beitragsgelder unter Umständen fehl geleitet werden. Das wollen wir verhindern. Deswegen ist auf Initiative der Koalitionsfraktionen ein Straftatbestand gegen Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen formuliert worden, der am 28. Juni 2013 als Teil des Präventionsgesetzes vom Bundestag beschlossen worden ist. Das Verbot der Bestechlichkeit und Bestechung von Leistungserbringern erstreckt sich auf alle Leistungsbereiche in der GKV und alle Berufsgruppen, die an der Versorgung der Versicherten beteiligt sind, nicht nur auf Ärzte. Insofern soll im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung künftig gleiches Recht für alle Leistungserbringer gelten.

    ? SPD und Bündnis 90/Die Grünen planen eine einheitliche Bürgerversicherung. Dass die Ärzteschaft für den Erhalt des dualen Krankenversicherungssystems aus GKV und PKV plädiert, ist verständlich. Aber warum sind Sie gegen ein zentral gesteuertes Einheitsversicherungssystems?

    Daniel Bahr: Das einzig Gute an der Bürgerversicherung ist der Name. Das Konzept der Bürgerversicherung führt in eine Einheitskasse ohne Wahlmöglichkeiten. In einem Einheitskassensystem würden wichtige Anreize für die Krankenkassen verloren gehen, den Versicherten ein möglichst gutes Preis-Leistungs-Verhältnis zu bieten. Krankenkassen würden sehr schnell die Leistungen einschränken und der Service wird schlechter. Ich will mehr statt weniger Vielfalt und Wahlfreiheit. Außerdem sollen die Menschen selbst entscheiden, was für sie das Beste ist.

    ? Wenn Sie auf Ihre Amtszeit zurückblicken: Was hätten Sie noch gerne durchgesetzt?

    Daniel Bahr: Wir haben vieles erreicht. Demenzkranke erhalten bessere Leistungen. Rund 650 000 Menschen profitieren davon. Viele von ihnen haben bisher gar keine Leistungen bekommen. Wir haben uns um die Versorgung in ländlichen Regionen gekümmert. Die Vorgängerregierung hat einen Ärztemangel noch geleugnet.
    Flächendeckende Krebsregister, eine bessere Krebsvorsorge und -versorgung auf den Weg gebracht. Mehr Wettbewerb bei der Krankenkassen gestärkt und die Finanzierung reformiert. Auch das Transplantationsgesetz haben wir neu geregelt bis hin zu neuen Sanktionsregelungen, im Fall von Manipulationen bei der Warteliste auf ein Spenderorgan. Es gibt erstmals ein Patientenrechtegesetz, das die Rechte der Patienten stärkt. Und zum Schluss das Arzneimittelordnungsgesetz, welches wir gleich zu Beginn der Legislaturperiode erfolgreich vorangebracht haben. Das kann sich alles doch sehen lassen.

    ? … und wenn Sie nach vorne blicken: Was sollte der/die nächste Gesundheitsminister/in unbedingt in Angriff nehmen?

    Daniel Bahr: In der nächsten Legislaturperiode werden wir den Bereich der Krankenhausversorgung angehen müssen. Und: ich hoffe, dass wir einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff einführen können. Eine gute Grundlage vom Beirat zur Ausgestaltung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs haben wir ja erhalten.

    Die Fragen stellte Anne Marie Feldkamp, Bochum.


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    (Quelle: BMG/Dedeke)